VwGH Ra 2016/01/0008

VwGHRa 2016/01/00086.7.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Berger, über die Revision der Bundesministerin für Inneres gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 18. Juni 2015, Zl. VGW- 102/V/013/25915/2014-19, betreffend Beschwerde nach § 88 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. M S,

2. I I, 3. A I, 4. S I, 5. K I, alle in W und vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116/17), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
SPG 1991 §22;
SPG 1991 §29;
SPG 1991 §88 Abs2;
VerfGG 1953 §87 Abs2;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016010008.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Mitbeteiligten sind Hinterbliebene des am 13. Jänner 2009 in Wien ermordeten U.I. Mit Eingabe vom 24. Februar 2009 erhoben sie Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien, da die österreichischen Behörden es unterlassen hätten, das Leben des U.I. zu schützen.

2 Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 23. März 2011 wurde diese Beschwerde abgewiesen. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Dezember 2012, VfSlg 19.708, wurde dieser Bescheid wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander aufgehoben. Der Verfassungsgerichtshof führte u. a. Folgendes aus:

"Die belangte Behörde geht in ihrem Bescheid vom Nichtvorliegen einer ¿aktuellen (...) bzw. immanenten und akuten Gefährdungssituation' aus, was zu der die Abweisung der an sie erhobenen Beschwerde tragenden Begründung führt, ¿(d)er Vorwurf an die belangten Behörden, sie seien untätig geblieben(,) ist, so das Verfahren, nicht gegeben gewesen, der Vorwurf, die Behörde hätte es unterlassen, einen ausreichenden Schutz zu gewähren(,) ist aufgrund des vorhin Dargestellten unhaltbar'.

... Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der dem

angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Rechtsfrage geht es wesentlich darum, ob und (gegebenenfalls) inwieweit der Staat verpflichtet ist, eine Person durch präventive Maßnahmen zu schützen, wenn eine gegen sie gerichtete Bedrohungssituation behauptet wird (vgl. zu den Schutzpflichten für das Recht auf Leben grundsätzlich Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5, 2012, 154 ff.).

Wie der EGMR bereits im Fall Osman festgehalten hat, beinhaltet Art 2 EMRK (auch) die positive Verpflichtung von Behörden, präventive Maßnahmen zum Schutz solcher Personen zu setzen, deren Leben durch kriminelle Handlungen Dritter gefährdet werden könnten (EGMR 28.10.1998 (GK), Fall Osman, Appl. 23.452/94, insb. Z 115; vgl. aus jüngerer Zeit insb. auch EGMR 14.9.2010, Fall Dink, Appl. 2668/07 ua., Z 64). Eine derartige Verpflichtung darf den Behörden jedoch keine unmögliche oder unverhältnismäßige Last auferlegen; auch haben die Sicherheitsbehörden bei Erfüllung ihrer Aufgaben die Rechte und Freiheiten des Einzelnen zu achten (EGMR, Fall Osman, Z 116). Eine Verletzung des Art 2 EMRK liegt aber dann vor, wenn die Behörden - sofern sie von der unmittelbaren Lebensbedrohung einer bestimmten Person wussten oder hätten wissen müssen - nicht alles getan haben, was vernünftigerweise hätte erwartet werden können (vgl. erneut EGMR, Fall Osman, Z 116).

Dass der in seinem Leben Bedrohte die Behörden allenfalls nicht (oder - wie offenbar im vorliegenden Fall - nicht persönlich, wohl aber durch einen Betreuer bzw. eine Vertretung) um Schutz ersucht hat, entbindet die Behörden dabei nicht von ihren Verpflichtungen derartige Maßnahmen zum Lebensschutz zu setzen (vgl. idZ auch EGMR, Fall Dink, Z 74; vgl. ferner auch EGMR 9.6.2009, Fall Opuz, Appl. 33.401/02, insb. Z 143).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung kommt es daher für die hier vorliegende Frage nach einer möglichen positiven Schutzpflicht des Staates auch darauf an, ob die Behörden von einer (unmittelbaren) Lebensbedrohung des I wussten bzw. hätten wissen müssen; vor diesem Hintergrund ist zu beurteilen, ob - unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - der Staat seinen Verpflichtungen entsprochen hat.

...

Der angefochtene Bescheid lässt eine nähere Begründung dafür vermissen, aus welchen Gründen die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangt, dass von einer ¿aktuellen (...) bzw. immanenten und akuten Gefährdungssituation' nicht auszugehen gewesen wäre. Diese (letztlich unbegründet gebliebene) Prämisse erlaubt daher nicht die Beurteilung, ob die daraus abgeleitete, die Abweisung der erhobenen Beschwerde tragende, rechtliche Konsequenz aus verfassungsrechtlicher Sicht vertretbar ist.

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt zu treffen und diesen im Lichte der Ausführungen zur positiven Schutzpflicht des Staates für das Recht auf Leben nachvollziehbar zu beurteilen haben."

3 Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 9. September 2013 wurde die Beschwerde neuerlich abgewiesen. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 22. September 2014, B 1244/2013-12, wurde dieser Bescheid wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander aufgehoben. Der Verfassungsgerichtshof führte u.a. Folgendes aus:

"... Zudem beruht der angefochtene Bescheid erneut auf Aktenwidrigkeiten und nicht nachvollziehbaren Schlussfolgerungen, die nahelegen, dass der maßgebliche Sachverhalt in grundlegenden Punkten nicht durchdrungen wurde (vgl. zur Notwendigkeit, im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt zu treffen, VfSlg 19.708/2012). Besonders erheblich ist, dass sogar die Namen der für den Sachverhalt relevanten Personen teilweise falsch zugeordnet wurden, u.a. das Opfer des Attentates als seine eigene Kontaktperson benannt wurde (vgl. S 10 des angefochtenen Bescheides). Ebenso lässt sich anhand der protokollierten Zeugenaussagen der Schluss nicht nachvollziehen, dass der Verstorbene bei seiner Einvernahme am 26. August 2008 eine Gefahrensituation verneint habe (vgl. S 18 des angefochtenen Bescheides).

... Die aufgezeigten Mängel wiegen in ihrer Gesamtheit so

schwer, dass sie den angefochtenen Bescheid mit Willkür belasten."

4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Wien vom 18. Juni 2015 wurde der Beschwerde der Mitbeteiligten Folge gegeben und die Nichtgewährung ausreichender und verfügbarer Schutzmaßnahmen für rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Bund als Rechtsträger der belangten Behörden zum Ersatz eines näher bezeichneten Aufwandersatzes an die Mitbeteiligten verpflichtet (Spruchpunkt II.) und die Revision gegen dieses Erkenntnis für unzulässig erklärt (Spruchpunkt III.).

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges sowie nach umfangreichen Sachverhaltsfeststellungen u.a. Folgendes aus (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Soweit die Behörden nicht ohnehin wussten (wie auf jeden Fall die erstbelangte Behörde) dass es sich bei dem Betroffenen um eine besonders gegenüber dem Präsidenten der Tschetschenischen Teilrepublik exponierte und daher auch besonders gefährdete Person handelte, hätten sie das aufgrund der ihnen vorliegenden Angaben und Unterlagen erkennen müssen. Es konnte und kann daher keine Rede davon sein, dass man im Falle spezifischer Schutzmaßnahmen für den Beschwerdeführer auch jedem beliebigen tschetschenischen Kriegsflüchtling hätte Personenschutz angedeihen lassen müssen (wie es der Zeuge Mag. Z. formuliert hat). Obwohl aufgrund der verfügbaren Unterlagen insbesondere die konsequente Verfolgung des Rechtsweges durch den Betroffenen gegen den Präsidenten der Tschetschenischen Teilrepublik, R. K., nahelegte, dass einem Regime mit wenig Skrupeln einiges daran gelegen sein könnte, den Betroffenen notfalls auch durch Mord zum Schweigen zu bringen, wurde dieser Schluss nicht gezogen und wurde die besondere Exponiertheit des Betroffenen jedenfalls von den Entscheidungsträgern der belangten Behörden zu niedrig eingeschätzt, obwohl schon die verfügbaren Informationen ein hohes Maß an Gefährdung auswiesen. Neben der Tatsache der persönlichen Zeugenschaft für Verbrechen des Präsidenten R.K. und den diesbezüglich eingeleiteten Verfahren zeigt auch das von einem Gericht in G gestellte Auslieferungsbegehren, dessen Anschuldigungen in der Folge jedoch in keiner Weise belegt wurden, dass die tschetschenische Regionalregierung dem Betroffenen eine hohe Bedeutung beimaß, weil dieser offenkundig in der Lage war, sie in menschenrechtlicher Hinsicht nachhaltig zu kompromittieren.

Dass dann mit Ende Mai 2008 ein tschetschenischer Agent auftauchte, der über die mutmaßlich erfundenen Anschuldigungen gegen den Betroffenen bestens im Bilde war, sowie auch über dessen persönlich mit R.K. bestehende ¿Schwierigkeiten', und der ihm dringend anriet, die Beschwerde vor dem EGMR zurückzuziehen, musste jedenfalls den Schluss nahelegen, dass dieser Agent direkt von der tschetschenischen Führung beauftragt war. Es bestand daher kein Grund, seine übrigen Angaben für Übertreibungen oder Erfindungen zu halten, als er sich den Sicherheitsbehörden stellte. Dass die Verbrechen, derentwegen dieser Mann in Deutschland gesucht wurde, von den Behörden in den Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität gestellt worden waren, sprach auch nicht unbedingt gegen einen direkten Zusammenhang mit der tschetschenischen Regionalregierung. Es bestand daher kein Anlass, von einem Wegfall der Gefährdung auszugehen, als der Agent A.K. ¿unter Kontrolle' bzw. abgeschoben war, zumal er ja ausdrücklich angegeben hatte, Teil einer Entführungseinheit für Auslandstschetschenen zu sein, und dass parallel dazu eine ebenfalls der tschetschenischen Führung direkt unterstellte Mordeinheit bestehe.

Weil die auffallende Informiertheit des Agenten über den ihm persönlich vorher unbekannten Betroffenen die belangten Behörden jedoch nicht veranlasste, seine Angaben - beginnend mit seiner Beauftragung durch die tschetschenische Führung, bis hin zu deren Aktivitäten gegenüber Exilanten - entsprechend ernst zu nehmen, gelangten sie zu ihrer Fehleinschätzung, die Bedrohung wäre nach der Abschiebung des A.K. im Wesentlichen vorbei. Schon die Anfang Juli 2008 den Behörden gemeldete Observierung des Betroffenen durch andere Tschetschenen hätte diese Einschätzung allerdings widerlegen müssen. Zudem war nach der am 26. August 2008 stattgefundenen Beschuldigtenvernehmung des Betroffenen offenkundig, dass A.K.s Informationen aus derselben Quelle stammen mussten wie die von offizieller tschetschenischer Seite gegen den Betroffenen erhobenen Anschuldigungen.

Zu diesen beiden Fehleinschätzungen - nämlich hinsichtlich der Bedeutung des Betroffenen für die tschetschenische Führung und hinsichtlich der Rolle des Agenten A.K. sowie des Inhalts seiner Angaben - kommt noch hinzu, dass seitens der Behörden das internationale und auch heimische Umfeld ignoriert wurde, soweit es für die Gefahrenbeurteilung maßgeblich gewesen wäre.

...

Hätten die belangten Behörden all dies ins Kalkül gezogen, so wären sie bereits im Juni - oder jedenfalls noch im Sommer - 2008 zu dem Schluss gekommen, dass der Betroffene besonders gefährdet war, Opfer eines Mordauftrages des Präsidenten der tschetschenischen Teilrepublik zu werden. Es wäre daher schon zu diesem Zeitpunkt keinesfalls eine unverhältnismäßige Last für die Behörden gewesen, wenigstens Vorkehrungen für einen nötigenfalls raschen Wohnsitzwechsel zu treffen, und ebenso für rasch einsetzende Observierungs- und Zugriffsmaßnahmen vorzukehren, jeweils für den Fall, dass der Betroffene neuerlich von tschetschenischen Agenten kontaktiert oder verfolgt werde.

Spätestens wäre es aber, als der erstbelangten Behörde - nach einer längeren Pause - auf einmal regelmäßige Beobachtungen des Betroffenen durch andere Tschetschenen zur Kenntnis gebracht wurden, erforderlich gewesen, rasch zu handeln und aktiv festzustellen, wer hinter diesen Verfolgungen und Observierungen stand, ohne die Last einer solchen Feststellung dem Betroffenen selbst aufzubürden, oder gar auf einen gefährlichen Angriff zu warten (wie dies dem E-Mail-Verkehr zu entnehmen ist). Es bestand zu diesem Zeitpunkt kein Anlass mehr, die mitgeteilten Beobachtungen nur für ¿Zufallsbegegnungen' zu halten. Dabei handelt es sich um eine ex-ante-Beurteilung dieser per E-Mail gemeldeten Beobachtungen: maßgeblich sind die Zeitpunkte ihrer erstmaligen Meldung am 23.12.2008 und sodann nach ihrer zweitmaligen Meldung am 6.1.2009. Ein Herunterspielen dieser Begegnungen - wie es in der Tat geschehen ist  - wäre in dieser Phase nur dann nachvollziehbar gewesen, wenn es zuvor nicht die oben ausführlich behandelten Vorfälle von Ende Mai bis Anfang Juli 2008 gegeben hätte.

Die angeführten Fehleinschätzungen waren daher nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Wien nicht vertretbar. Da diese Fehleinschätzungen dazu geführt haben, dass über einen Zeitraum von mehr als sieben Monaten seit dem Auftreten des Agenten A.K. keine Maßnahmen zum Schutz des Lebens des Betroffenen getroffen worden sind, obwohl der Aufwand eines kurzfristig erforderlichen Wohnungswechsels oder eines vorübergehenden Personenschutzes in Kombination mit der Feststellung der mutmaßlichen Gefährder nicht außer Verhältnis zum Ausmaß der Gefährdung gestanden wäre, erweist sich die Untätigkeit der belangten Behörden als rechtswidrig. Der Betroffene wurde somit bei der Besorgung der Sicherheitsverwaltung durch die Verweigerung jeglichen Schutzes in seinem Recht auf Leben verletzt, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war."

6 Abschließend begründete das Verwaltungsgericht seine Entscheidung, die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zuzulassen.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Bundesministerin für Inneres.

8 Die Revision ist nicht zulässig:

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Im Fall der Erhebung einer außerordentlichen Revision obliegt es gemäß § 28 Abs. 3 VwGG dem Revisionswerber gesondert jene Gründe in hinreichend konkreter Weise anzuführen, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG (nur) im Rahmen der dafür in der Revision (gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert) vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 19. April 2016, Ra 2014/01/0214, mwN).

13 In den Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden Revision wird geltend gemacht, es fehle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes "zu den Anforderungen, ab welchem Grad der Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung welche konkreten Schutzmaßnahmen zu ergreifen" seien. Den Sicherheitsbehörden stünden für den Schutz von Personen diverse Maßnahmen zur Verfügung. Dabei könnten im Einzelfall nur aus der fortlaufenden Beobachtung der Fakten und Ermittlungsergebnisse die notwendigen Schutzmaßnahmen abgeleitet werden. Wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen sei, es stehe ein gefährlicher Angriff gegen das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit einer Person bevor, seien die Voraussetzungen der tatsächlichen Gefährdung zu prüfen und eine Abklärung durch Ermittlungstätigkeiten vorzunehmen. Als mögliche Personenschutzmaßnahmen kämen dabei insbesondere die polizeiliche Beratung (Information über Verhaltensmaßnahmen für gefährdete Personen), die Überwachung des Wohnbereiches bzw. der sonstigen Aufenthaltsorte sowie die Bewachung der Person in Betracht. Sonstige Maßnahmen stellten etwa die Änderung des Aufenthaltsortes, eine Namensänderung, eine Meldeauskunftssperre oder die Vergabe einer Geheimnummer dar. Werde von einer Person eine Bedrohungssituation "lediglich behauptet, ohne dass eine unmittelbare Bedrohung dargelegt" werde, würde den Sicherheitsbehörden "eine unmöglich oder unverhältnismäßige Last auferlegt werden, wenn sie verpflichtet wären, sofortige Personenschutzmaßnahmen (wie z.B. eine Überwachung der Person oder einen sofortigen Wohnsitzwechsel) ohne jegliche weitere Ermittlungstätigkeiten und Abklärung des Grades der Wahrscheinlichkeit der Gefährdung anzuordnen". Vielmehr könne in diesen Fällen von den Sicherheitsbehörden "zunächst nur die Konkretisierung der unmittelbaren Bedrohungssituation verlangt werden, um in Folge jene Maßnahmen setzen zu können, die sie im Interesse des besonderen Schutzes zu ergreifen als tunlich bzw. zweckdienlich" erachteten.

14 In weiterer Folge nimmt die revisionswerbende Bundesministerin für Inneres - unter näheren Darlegungen - den Standpunkt ein, es sei im Falle des U.I. eine "unmittelbare Bedrohungssituation" nicht dargelegt bzw. erkennbar gewesen. Die zum jeweiligen Zeitpunkt gegebene Situation habe "zunächst eine Konkretisierung erfordert, um die sich die belangten Behörden jedenfalls nachweislich bemüht" hätten. Es sei im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass "bereits die vorgenommenen Ermittlungstätigkeiten zur Aufklärung einer behaupteten Bedrohungssituation" die zum Schutz des Lebens erforderlichen Maßnahmen darstellten.

15 Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, aufgeworfen:

16 Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass nach § 87 Abs. 2 VfGG, wenn der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde stattgegeben hat, die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet sind, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Auf Grundlage der im § 87 Abs. 2 VfGG statuierten Bindungswirkung war das Verwaltungsgericht somit verhalten, im fortgesetzten Verfahren entsprechend der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes vorzugehen. Da § 87 Abs. 2 VfGG kein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht einräumt, hat der Verwaltungsgerichtshof zu prüfen, ob die vom Verwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren erlassene Entscheidung dem gemäß § 87 Abs. 2 VfGG erteilten Auftrag entspricht. Die normative Grundlage für die Überprüfung der angefochtenen Ersatzentscheidung ist somit neben den anzuwendenden Rechtsvorschriften bezogen auf den konkreten Sachverhalt die Rechtsanschauung des aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vor dem Hintergrund des Gebotes der Effektivität des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. Juli 2007, 2006/12/0087, mwN).

17 Bei Prüfung der vom Verwaltungsgericht erlassenen Ersatzentscheidung ist auch der Verwaltungsgerichtshof an die Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes gebunden (vgl. den hg. Beschluss vom 18. Februar 2015, 2011/12/0180, mwN).

18 Das Verwaltungsgericht hatte somit in Bindung an die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Dezember 2012 und 22. September 2014 - deren tragende Gründe weiter oben wiedergegeben wurden - u.a. zu beurteilen, ob die Behörden von einer (unmittelbaren) Lebensbedrohung des U.I. wussten bzw. hätten wissen müssen und ob vor diesem Hintergrund - unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - der Staat seinen Verpflichtungen entsprochen hat.

19 Diese Beurteilung unterliegt - als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Abwägung -

grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 15. Dezember 2015, Ra 2015/01/0051, mwN).

20 Dass Letzteres der Fall wäre, wird in den alleine maßgeblichen Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden Revision nicht dargetan. Der bloße Umstand, dass das Verwaltungsgericht im Ergebnis davon ausgegangen ist, dass die Behörden aufgrund des sich ihnen bietenden Gesamtbildes von einer unmittelbaren Lebensbedrohung des U.I. ausgehen hätten müssen und die von den belangten Behörden gesetzten Maßnahmen - die Revision beruft sich in den Zulässigkeitsausführungen insofern bloß auf "die vorgenommenen Ermittlungstätigkeiten zur Aufklärung einer behaupteten Bedrohungssituation" und verweist dazu auf eine Observation eines Treffens des U.I und des A.K., auf eine Einvernahme des A.K. und eine diesbezügliche Glaubwürdigkeitsabklärung durch eine Anfrage im Ausland, auf eine Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft, auf mittels E-Mail erfolgte Ersuchen um "Konkretisierung des Sachverhaltes", auf eine "polizeiliche Aufklärung im Sinne einer Information über weitere Verhaltensmaßnahmen" sowie auf eine Rücksprache mit dem Bundesministerium für Inneres und die Vereinbarung, "eine Nachschau vor Ort" vorzunehmen, - nicht als ausreichend zu beurteilen seien, lässt keine die Rechtssicherheit beeinträchtigende, in unvertretbarer Weise vorgenommene Beurteilung erkennen.

21 Soweit in den Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden Revision unter Hinweisen auf Asylstatistiken bzw. Beschwerdestatistiken des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) darzulegen versucht wird, es würde - wollte "man der Argumentation im angefochtenen Erkenntnis folgen" - "den Behörden eine schier unmögliche und unverhältnismäßige Last" auferlegt werden, müsste "all diesen Personen" (gemeint:

Asylwerbern bzw. anerkannten Flüchtlingen sowie Beschwerdeführern vor dem EGMR) Personenschutz gewährt werden, so ist dieses Vorbringen schon deshalb nicht zielführend, weil sich das angefochtene Erkenntnis nicht isoliert auf allein diese Umstände, sondern auf eine die konkreten Ereignisse und Vorfälle einbeziehende Gesamtbeurteilung stützt. Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im vorliegenden Einzelfall kann mit diesem Vorbringen nicht aufgezeigt werden.

22 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat mit Beschluss zurückzuweisen. Wien, am 6. Juli 2016

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