VwGH Ra 2015/12/0078

VwGHRa 2015/12/007821.1.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Zens und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Artmann, über die außerordentliche Revision der Bundesministerin für Bildung und Frauen gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Oktober 2015, Zl. W106 2115128- 1/2E, betreffend Aufhebung eines nach § 13 DVG i.A. Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages ergangenen Bescheides (mitbeteiligte Partei: Mag.a BK in W, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5), den Beschluss gefasst:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2;
32000L0078 Gleichbehandlungs-RL Beschäftigung Beruf Art2;
32000L0078 Gleichbehandlungs-RL Beschäftigung Beruf Art9;
AVG §68 Abs2;
B-VG Art133 Abs4;
DVG 1984 §13 Abs1;
EURallg;
GehG 1956 §113 Abs10;
GehG 1956 §12;
GehG 1956 §13;
GehG 1956 §169c Abs2;
MRK Art6 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2;
32000L0078 Gleichbehandlungs-RL Beschäftigung Beruf Art2;
32000L0078 Gleichbehandlungs-RL Beschäftigung Beruf Art9;
AVG §68 Abs2;
B-VG Art133 Abs4;
DVG 1984 §13 Abs1;
EURallg;
GehG 1956 §113 Abs10;
GehG 1956 §12;
GehG 1956 §13;
GehG 1956 §169c Abs2;
MRK Art6 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Die Mitbeteiligte steht als Professorin in einem öffentlichrechtlichen Ruhestandsverhältnis zum Bund.

Mit Datum vom 11. Februar 2015 erließ ihre Aktivdienstbehörde, der Stadtschulrat für Wien, einen Bescheid, dessen Spruch wie folgt lautete:

"Auf Ihren Antrag vom 22. Dezember 2010 wird für Sie mit Wirksamkeit vom 01. Jänner 2004 gemäß den §§ 12 und 113 des Gehaltsgesetzes 1956, BGBl. Nr. 54, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 82/2010 durch zusätzliche Voransetzung von Zeiten laut Beilage der 28. Februar 1973

als Vorrückungsstichtag für die Verwendungsgruppe L1

festgesetzt."

Der Bescheid enthält den "sonstigen Hinweis", wonach der Mitbeteiligten ab 1. Juli 2006 die Gehaltsstufe 17 mit nächster Vorrückung am 1. Jänner 2008 gebühre.

Unstrittig ist, dass die Zustellung dieses Bescheides an die Mitbeteiligte durch Hinterlegung am 17. Februar 2015 erfolgte.

Mit Bescheid der revisionswerbenden Partei vom 22. Juli 2015 wurde der vorzitierte Bescheid des Stadtschulrates für Wien vom 11. Februar 2015 gemäß § 13 Abs. 1 und 2 des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984, BGBl. Nr. 29 (im Folgenden: DVG) aufgehoben.

Die revisionswerbende Partei vertrat die Rechtsauffassung, dass im Hinblick auf die Zustellung des aufgehobenen Bescheides am 17. Februar 2015 für die Frage seiner Rechtmäßigkeit auch das am 11. Februar 2015 kundgemachte Bundesgesetz BGBl. I Nr. 32/2015 maßgeblich sei. Aus § 175 Abs. 79 Z 2 und 3 des Gehaltsgesetzes, BGBl. Nr. 54/1956 (im Folgenden: GehG), in der Fassung des zuletzt genannten Bundesgesetzes ergebe sich freilich die zwingende Anordnung, wonach u.a. § 113 GehG in all seinen Fassungen in laufenden und künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden sei. Gegen diese zwingende Bestimmung habe der aufgehobene Bescheid des Stadtschulrates für Wien vom 11. Februar 2015 verstoßen.

Die Mitbeteiligte erhob gegen den Bescheid vom 22. Juli 2015 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 19. Oktober 2015 hob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid der revisionswerbenden Partei vom 22. Juli 2015 gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG in Verbindung mit § 13 DVG auf und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Begründend vertrat das Bundesverwaltungsgericht die Rechtsauffassung, die Anwendung des § 13 Abs. 1 DVG setze einerseits einen Verstoß des aufzuhebenden Bescheides gegen zwingende gesetzliche Vorschriften voraus. In Ansehung des in dieser Gesetzesbestimmung weiters enthaltenen Tatbestandes des "Kennenmüssens" des Verstoßes gegen solche Vorschriften komme es auf die objektive Erkennbarkeit an. Diese sei dann nicht gegeben, wenn sich der Gesetzesverstoß nicht unmittelbar aus dem Bescheid ergebe oder wenn die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften auch eine den Bescheid bejahende Auslegung denkgesetzlich zuließen.

Vorliegendenfalls fehle es schon an der erstgenannten Voraussetzung, zumal - wie das Bundesverwaltungsgericht unter anderem in seinem Erkenntnis vom 15. September 2015, W106 2003514- 1/12E, ausgeführt habe - das Unionsrecht eine Anwendung des § 175 Abs. 79 Z 2 und 3 GehG in Fallkonstellationen wie der vorliegenden ausschließe.

Selbst wenn man diese Rechtsauffassung nicht teilen wollte, fehle es an der objektiven Erkennbarkeit der Anwendbarkeit des § 175 Abs. 79 Z 2 und 3 GehG, zumal der angefochtene Bescheid vom 11. Februar 2015 datiere und sich das Datum seiner Zustellung nicht unmittelbar aus dem Bescheid ergebe.

Die vorliegendenfalls maßgeblichen Auslegungsfragen des § 13 Abs. 1 DVG seien durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, etwa die hg. Erkenntnisse vom 22. April 2009, 2008/12/0091, und vom 21. Jänner 2015, 2011/12/0103, klargestellt. Das hier ergangene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes weiche von dieser Rechtsprechung nicht ab. Folglich sei die Revision unzulässig.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof, welche sich jedoch aus folgenden Gründen als unzulässig erweist:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Hat das Verwaltungsgericht - wie im gegenständlichen Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof hingegen nur im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

Zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision führt die Bundesministerin für Bildung und Frauen Folgendes aus:

"Das Bundesverwaltungsgericht gründet seine Ausführungen (auch) auf seine bisherige Rechtsprechung zu § 175 Abs. 79 Z 2 und 3 GehG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 32/2015, die derzeit Gegenstand von Revisionsverfahren beim Verwaltungsgerichtshof ist; eine einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann deshalb in dieser Rechtsfrage nicht vorliegen. Da diese Rechtsfrage aber für das Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Fall offenkundig entscheidungserheblich ist, muss die Revision ebenso zulässig sein wie in den bereits beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Revisionsverfahren. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 18.02.2015, Zl. 2014/12/0004, eine über die Rechtssache hinausreichende Auslegung des § 175 Abs. 79 Z 2 und 3 GehG ausdrücklich offen gelassen.

Soweit der Ausschluss der ordentlichen Revision auf die Auslegung des § 13 Abs. 1 DVG gegründet ist, ist dem Folgendes entgegenzuhalten: Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Anwendung des § 13 Abs. 1 DVG in einer Fallkonstellation, in der sich die materielle Rechtslage zwischen dem Zeitpunkt der Genehmigung des Bescheides und seiner Zustellung ändert, liegt - anders als vom Bundesverwaltungsgericht ausgeführt - nicht vor. Mit drei gleichartigen Verfahren aus dem ho. Wirkungsbereich ist zu rechnen. Da es somit zu dieser Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung an Rechtsprechung fehlt (Art. 133 Abs. 4 B-VG) hätte die Revision zugelassen werden müssen."

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich vorliegendenfalls zutreffend zur Frage der Auslegung des § 13 Abs. 1 DVG auf das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 2015, 2011/12/0103, berufen, in welchem Folgendes ausgeführt wurde:

"Die in § 13 Abs. 1 DVG 1984 verwendete Wortfolge 'zwingende gesetzliche Vorschriften' ist dahingehend zu verstehen, dass es sich um Vorschriften handeln muss, die der Behörde keinen Spielraum (Ermessen, unbestimmte Gesetzesbegriffe) geben, sondern eine ganz bestimmte Entscheidung verlangen. In Ansehung des 'Kennenmüssens' des Verstoßes gegen solche Vorschriften kommt es nicht auf die subjektive Kenntnismöglichkeit des Betroffenen (eine Tatsachenfrage) an. Die Aufhebung ist vielmehr dann 'zwingend geboten', wenn die Partei wissen musste, dass der Bescheid gegen zwingende gesetzliche Vorschriften im vorher genannten Verständnis verstößt. Es ist also für die zweite Tatbestandsvoraussetzung des § 13 Abs. 1 DVG 1984 nicht auf die konkrete Kenntnis der Rechtsvorschriften abzustellen, sondern darauf, ob im Sinne einer objektiven Erkennbarkeit bei Kenntnis der Rechtsvorschriften der Widerspruch zum Bescheidinhalt erkennbar gewesen wäre. Die Partei muss danach die Rechtswidrigkeit des Bescheides dann nicht wissen (kennen), wenn sich diese nicht unmittelbar aus dem Bescheid ergibt oder wenn die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften auch eine den Bescheid bejahende Auslegung denkgesetzlich zulassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 2009, 2008/12/0091)."

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen hängt die Revision aber nicht von den von der Revisionswerberin in ihrem Zulässigkeitsvorbringen ins Treffen geführten als grundsätzlich erachteten Rechtsfragen ab:

Selbst wenn man - was hier dahingestellt bleiben kann - die im Hinblick auf die Zustellung des Bescheides vom 11. Februar 2015 am 17. Februar 2015 gegebene Maßgeblichkeit der am 11. Februar 2015 kundgemachten Novelle BGBl. I Nr. 32/2015 als "objektiv erkennbar" ansehen wollte, setzte die Anwendbarkeit des § 13 Abs. 1 DVG nicht nur voraus, dass der aufgehobene Bescheid einer durch die zuletzt zitierte Novelle bewirkten "zwingenden" Rechtslage widersprach, sondern - darüber hinaus - dass die Mitbeteiligte von einem allfälligen solchen Verstoß wusste oder wissen musste. Tatsachenfeststellungen in die erstgenannte Richtung hat das Bundesverwaltungsgericht nicht getroffen, wobei die revisionswerbende Partei in diesem Zusammenhang auch keine grundsätzlichen Rechtsfragen aufwirft. Somit hängt aber die Revision vorliegendenfalls davon ab, ob die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften auch eine den (aufgehobenen) Bescheid bejahende Auslegung denkgesetzlich zuließen. Bei den "in Betracht kommenden Rechtsvorschriften" sind auch die Anwendungsvorrang genießenden Bestimmungen des Unionsrechtes zu beachten.

Dass aber das im hier angefochtenen Erkenntnis zitierte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15. September 2015, welches eine Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages und der daraus resultierenden besoldungsrechtlichen Stellung vorgenommen hat, die in diesem Zusammenhang maßgeblichen Rechtsvorschriften einschließlich der Anwendungsvorrang genießenden Bestimmungen des Unionsrechtes sowie den als Auslegungsmaßstab gleichermaßen relevanten Art. 6 Abs. 1 EMRK in geradezu denkgesetzlich unzulässiger Weise in Anwendung gebracht hätte, wird von der Revisionswerberin nicht einmal behauptet, bzw. als grundsätzliche Rechtsfrage releviert. Entsprechendes gilt für die "denkgesetzliche Zulässigkeit" der hier nach Herausgabe der Novelle BGBl. I Nr. 32/2015 erfolgten Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages.

Zutreffend ist zwar das lediglich in der Ausführung der Revision enthaltene Argument, wonach der aufgehobene Bescheid des Stadtschulrates für Wien nicht über die besoldungsrechtliche Stellung der Mitbeteiligten abgesprochen hat. Dieser Umstand ändert aber nichts daran, dass die dort vorgenommene Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages ein Teil des in § 113 Abs. 10 GehG vorgesehenen Verfahrens zur Ermittlung der besoldungsrechtlichen Stellung darstellt.

Letzteres war wiederum das vom österreichischen Gesetzgeber wohl intentional einzige zur Durchsetzung einer altersdiskriminierungsfreien Besoldung vorgesehene innerstaatliche Verfahren (vgl. in diesem Zusammenhang allerdings auch das hg. Erkenntnis vom 16. November 2015, Ra 2015/12/0013). Die im vorzitierten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vertretene Rechtsauffassung, wonach Beamten, die einen Antrag nach § 113 Abs. 10 GehG gestellt hatten, eine Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages als Teil des Verfahrens zur rückwirkenden Erlangung einer unionsrechtskonformen Besoldung für die vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. I Nr. 32/2015 liegenden Gehaltsperioden (und damit auch für den nach § 169c Abs. 2 GehG für die Überleitung maßgeblichen Überleitungsmonat) aus Gründen des Art. 47 Abs. 2 GRC, des Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie der Art. 2 und 9 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf auch nach Herausgabe der Novelle BGBl. I Nr. 32/2015 nicht (mit der Begründung, die Gebührlichkeit vergangener und zukünftiger Gehälter richte sich nach dieser Novelle allein nach der unüberprüfbaren faktischen Gestion bei der Gehaltsverrechnung im Überleitungsmonat) verweigert werden darf, ist jedenfalls vertretbar.

Aus diesen Gründen war die Revision wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung geeignet und daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 21. Jänner 2016

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