VwGH Ro 2015/08/0012

VwGHRo 2015/08/00126.7.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision der W M in W, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Spittelwiese 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. Februar 2015, W145 2016487- 1/4E, betreffend Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram u.a., Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12/9; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz in 1010 Wien, Stubenring 1), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §18 Abs2;
ASVG §18a;
ASVG §223 Abs2;
ASVG §669 Abs3 idF 2013/I/003;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Pensionsversicherungsanstalt hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 6. Oktober 2014 wies die belangte Behörde (in der Folge: Pensionsversicherungsanstalt) den Antrag der Revisionswerberin vom 29. Dezember 2013, die Betreuung ihrer am 26. November 1983 geborenen behinderten Tochter in den Jahren 1988 und 1989 als Zeit der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG anzuerkennen, ab. Begründend führte die Pensionsversicherungsanstalt aus, die Arbeitskraft der Revisionswerberin sei durch die Pflege ihres behinderten Kindes nicht gänzlich beansprucht worden.

2 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab. § 669 Abs. 3 ASVG sei dahingehend auszulegen, dass eine rückwirkende Anerkennung des Anspruches auf Selbstversicherung längstens beginnend ab einem Zeitpunkt, der 120 Monate vor dem der Antragstellung liege, möglich sei. Da die Jahre 1988 und 1989 länger zurücklägen, komme es nicht mehr darauf an, ob die Arbeitskraft der Revisionswerberin durch die Pflege ihrer Tochter in diesem Zeitraum gänzlich beansprucht worden sei. Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, da zur Auslegung des § 669 Abs. 3 ASVG Rechtsprechung fehle.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Nach Aufforderung zur Erstattung von Revisionsbeantwortungen teilten die Pensionsversicherungsanstalt und der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz mit, sich der Rechtsansicht der Revisionswerberin anzuschließen und die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses zu beantragen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4 Die Revisionswerberin bringt vor, das Bundesverwaltungsgericht habe § 669 Abs. 3 ASVG unrichtig ausgelegt, habe der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung doch beabsichtigt, Personen, die im Zeitraum von 1. Jänner 1988 bis 31. Dezember 2012 behinderte Kinder im gemeinsamen Haushalt unter Erfüllung der Voraussetzungen des § 18a ASVG gepflegt hätten, die Möglichkeit einzuräumen, rückwirkend eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung zu erreichen.

5 Die Revision ist aus den aufgezeigten Gründen zulässig und berechtigt.

6 § 225 Abs. 1 ASVG in der anzuwendenden Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2012 (SRÄG 2012), BGBl. I Nr. 3/2013, lautet auszugsweise:

"Als Beitragszeiten aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1955

sind anzusehen:

(...)

3. Zeiten einer freiwilligen Versicherung, wenn die Beiträge innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf des Beitragszeitraumes, für den sie gelten sollen, oder auf Grund einer nachträglichen Selbstversicherung nach § 18 oder § 18a in Verbindung mit § 669 Abs. 3 wirksam (§ 230) entrichtet worden sind;

(...)"

Die mit dem SRÄG 2012 mit Wirksamkeit zum 11. Jänner 2013 geschaffene Bestimmung des § 669 Abs. 3 ASVG lautet:

"Die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a kann auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit zwischen dem 1. Jänner 1988 und dem 31. Dezember 2012 die Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt haben, nachträglich beansprucht werden, und zwar - zurückgerechnet vom Tag der Antragstellung - für alle oder einzelne Monate, längstens jedoch für 120 Monate, in denen die genannten Voraussetzungen vorlagen. § 18 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden."

7 Die Gesetzesmaterialien zum SRÄG 2012 (Erläuterungen Regierungsvorlage 2000 BlgNR 24.GP  23) führen zu diesen Bestimmungen auszugsweise aus:

"(...) Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes können Versicherungszeiten aufgrund einer Selbstversicherung nach § 18a ASVG derzeit nur für zwölf Monate rückwirkend erworben werden. Viele Berechtigte haben ihren Antrag auf diese Versicherung erst nach mehr als einem Jahr ab Erfüllung der Voraussetzungen gestellt und daher Pensionsversicherungszeiten verloren. In Zukunft werden die Pensionsversicherungsträger den betroffenen Personenkreis zielgerichteter informieren, sodass es gerechtfertigt erscheint, die rückwirkende Antragstellung nur für die Vergangenheit zuzulassen. Mit der vorliegenden Änderung soll es jenen Personen, die zwischen dem 1. Jänner 1988 (Inkrafttreten des § 18a ASVG) und dem 31. Dezember 2012 die Voraussetzungen für die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung aufgrund der Pflege eines im gemeinsamen Haushalt lebenden behinderten Kindes erfüllt haben, ermöglicht werden, auf Antrag bis zu 120 Beitragsmonate in der Pensionsversicherung zu erwerben. Dabei sind die Pflegemonate in der von der antragstellenden Person gewählten Anzahl (bis zum erwähnten Höchstausmaß) zu berücksichtigen, und zwar ausgehend von jenem Pflegemonat, der dem Antragszeitpunkt am nächsten liegt. Der Antrag auf diese nachträgliche Selbstversicherung kann wirksam bis zum Pensionsstichtag gestellt werden. (...)"

8 Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass die Zeiten, für die gemäß § 669 Abs. 3 ASVG rückwirkend eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a ASVG beansprucht werden kann, nicht in den letzten 120 Monaten vor der Antragstellung liegen müssen. Eine Antragstellung ist vielmehr - wie durch den Verweis auf § 18 Abs. 2 ASVG klargestellt wird - bis zum Stichtag (§ 223 Abs. 2 ASVG) für Zeiten möglich, die "irgendwann" in den Zeitraum zwischen dem 1. Jänner 1988 und dem 31. Dezember 2012 fallen (vgl. in diesem Sinne auch Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil (Hrsg.),

Der SV Komm, Rz 14/1 zu § 18a ASVG).

Damit wurde bewusst hinsichtlich der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a ASVG eine Abkehr von der früheren Rechtslage (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 22. November 1994, Zl. 93/08/0226) vorgenommen.

Lediglich das Ausmaß der Versicherungsmonate, das rückwirkend Berücksichtigung finden kann, wird mit 120 begrenzt. Dabei ist vom Zeitpunkt der Antragstellung "rückzurechnen", woraus folgt, dass vorrangig die zeitlich näher liegenden Monate Berücksichtigung zu finden haben.

9 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

10 Die Zuerkennung des Aufwandersatzes beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013. Wegen der auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) war die Eingabengebühr nicht zu ersetzen.

Wien, am 6. Juli 2016

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