VwGH Ra 2015/06/0089

VwGHRa 2015/06/008914.4.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Revision der J S in G, vertreten durch Dr. Christoph Gernerth Mautner Markhof, Dr. Gabriele Gernerth Mautner Markhof und Dr. Alexander Schalwich, Rechtsanwälte in 5400 Hallein, Neualmerstraße 15, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 2. Februar 2015, Zl. LVwG- 3/165/3-2015, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft H; mitbeteiligte Partei: A GmbH in G; weitere Partei: Salzburger Landesregierung, Mozartplatz 9, 5010 Salzburg), zu Recht erkannt:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
EMRK Art6;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §42 Abs2 Z3;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwGVG 2014 §24;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
EMRK Art6;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §42 Abs2 Z3;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwGVG 2014 §24;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Gemeinde G hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Bezirkshauptmannschaft H (BH) erteilte mit Bescheid vom 27. Oktober 2014 der mitbeteiligten Partei die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung eines dreigeschossigen Betriebsobjektes mit Tiefgarage auf einer näher bezeichneten Liegenschaft in der Gemeinde G mit gleichzeitiger Genehmigung für die Unterschreitung des Mindestabstandes für unterirdische Bauten zur nördlichen und südlichen Bauplatzgrenze und Unterschreitung des Mindestabstandes zum auf dem Platz bestehenden Objekt.

2 Die Revisionswerberin, die Eigentümerin des östlich an das Baugrundstück angrenzenden Nachbargrundstückes ist und im Verfahren vor der BH fristgerecht schriftliche Einwendungen erhoben hatte, brachte in ihrer Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht (LVwG) vor, in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt zu sein (wurde näher ausgeführt) und beantragte (u.a.) die zeugenschaftliche Einvernahme ihres Sachwalters J. S. zu einem näher genannten Beweisthema.

3 Ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung wies das LVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 2. Februar 2015 die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Zum Unterbleiben (der zeugenschaftlichen Einvernahme des J. S. und) einer mündlichen Verhandlung enthält das Erkenntnis keine Ausführungen.

In der Sache folgte das LVwG im Wesentlichen den Tatsachenannahmen der BH und dem von ihr eingeholten Sachverständigengutachten.

Die Revision sei unzulässig, weil das angefochtene Erkenntnis weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche noch es an einer solchen fehle.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die Revisionswerberin macht Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, in eventu Rechtswidrigkeit des Inhaltes mit dem Antrag geltend, das angefochtene Erkenntnis aus diesen Gründen aufzuheben.

5 In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die BH, der Revision keine Folge zu geben. Eine mündliche Verhandlung vor dem LVwG sei zu Recht unterblieben, weil (zusammengefasst) den beantragten Beweisen keine Relevanz zukomme.

6 Die mitbeteiligte Partei schloss sich in ihrer Revisionsbeantwortung diesen Ausführungen an.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revisionswerberin führt in der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe (u.a.) ins Treffen, dass das LVwG die von ihr beantragte Einvernahme des Zeugen J. S. und damit zwingend verbunden die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen habe.

9 Mit diesem Vorbringen zeigt die Revisionswerberin auf, dass die Revision entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch des LVwG zulässig ist.

10 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, kann das Verwaltungsgericht, sofern durch Bundesgesetz oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 201/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30. März 2010, S. 389, entgegenstehen.

11 Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23. Jänner 2013, Zl. 2010/15/0196, mwH, zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Pflicht einer unabhängigen Verwaltungsbehörde mit Tribunalqualität zur Durchführung einer Verhandlung ausgeführt hat, führt im Allgemeinen eine Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, wenn die belangte Behörde bei deren Einhaltung zu einem anders lautenden Bescheid hätte kommen können, also nur dann, wenn dieser Verfahrensmangel relevant im Sinne eines möglichen Einflusses auf den angefochtenen Bescheid sein könnte, wobei es Sache eines Beschwerdeführers ist, eine solche Relevanz aufzuzeigen. Außerhalb des Anwendungsbereiches des Art. 47 GRC bzw. des Art. 6 MRK entspricht dies auch - so die weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes - der hg. Rechtsprechung zum Verfahrensmangel der unterbliebenen mündlichen Verhandlung. Die Rechtsprechung des EGMR zum Erfordernis der mündlichen Verhandlung nach Art. 6 MRK sieht allerdings eine solche Relevanzprüfung nicht vor: Unterbleibt die mündliche Verhandlung, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, liegt eine zur Bescheidaufhebung führende Rechtsverletzung vor. Diese zu Art. 6 MRK entwickelte Rechtsprechung findet in gleicher Weise für das auf Art. 47 GRC gestützte Recht auf mündliche Verhandlung Anwendung.

12 Im Erkenntnis vom 27. Mai 2015, Zl. Ra 2014/12/0021, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die im vorzitierten Erkenntnis vom 23. Jänner 2013 umschriebenen Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die aus Art. 6 MRK abgeleitete Verhandlungspflicht durch eine als "Tribunal" zu qualifizierende unabhängige Verwaltungsbehörde auch auf Verstöße gegen eine solche Verhandlungspflicht durch ein Verwaltungsgericht zu übertragen sind. Unterbleibt die mündliche Verhandlung, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 VwGVG dafür vorliegen, liegt eine zur Bescheidaufhebung führende Rechtsverletzung vor.

13 Der Verstoß des LVwG gegen die aus Art. 6 MRK abgeleitete Verhandlungspflicht führt im Sinne der vorstehenden Ausführungen auch ohne nähere Prüfung einer Relevanz eines Verfahrensmangels zur Aufhebung des vorliegend angefochtenen Erkenntnisses gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG. Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Revisionsvorbringen nicht mehr einzugehen.

14 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF Nr. 8/2014 in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Der dem Revisionswerber zu leistende Aufwandersatz ist von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verwaltungsverfahren gehandelt hat. Diesem Rechtsträger fließt auch der Aufwandersatz zu, der aufgrund des VwGG gegebenenfalls vom Revisionswerber zu leisten ist (§ 47 Abs. 5 VwGG). Im vorliegenden Fall ist dies die Gemeinde G (siehe Präambel zur hier maßgeblichen Bau-Delegierungsverordnung 1998 für den Bezirk H, LGBl. Nr. 85/1998).

Wien, am 14. April 2016

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