VwGH Ra 2015/01/0037

VwGHRa 2015/01/00376.7.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Berger, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom 5. Jänner 2015, Zl. KLVwG-869-870/11/2014, betreffend Betretungsverbot nach § 38a Sicherheitspolizeigesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. A I, 2. A R, beide in M),

Normen

B-VG Art130 Abs1 Z2;
SPG 1991 §38a Abs1;
SPG 1991 §87;
SPG 1991 §88;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
SPG 1991 §38a Abs1;
SPG 1991 §87;
SPG 1991 §88;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit der Beschwerde der Erstmitbeteiligten stattgegeben und dieser Aufwandersatz zugesprochen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom 5. Jänner 2015 wurde der Beschwerde der Mitbeteiligten wegen behaupteter Rechtswidrigkeit der Anordnung eines Betretungsverbotes nach § 38a Sicherheitspolizeigesetz (SPG) gegenüber dem Zweitmitbeteiligten am 30. Jänner 2014 um 15.06 Uhr stattgegeben und das Betretungsverbot für rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Bund als Rechtsträger der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde - der nunmehrigen Revisionswerberin - zum Ersatz eines näher bezeichneten Aufwandersatzes an die Mitbeteiligten verpflichtet (Spruchpunkt II.) sowie die Revision gegen dieses Erkenntnis für unzulässig erklärt (Spruchpunkt III.).

2 Begründend ging das Verwaltungsgericht im Wesentlichen davon aus, im vorliegenden Fall seien den amtshandelnden Beamten im Zeitpunkt ihrer Entscheidung folgende Umstände bekannt gewesen:

Es sei am 30. Jänner 2014 zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den Mitbeteiligten gekommen. Im Zuge der Zwistigkeiten sei ein Laptop beschädigt worden und es seien diverse Gegenstände zu Boden geworfen worden. Im Zuge des Streites sei es allenfalls zu verbalen Drohgebärden gekommen, es seien keine Verletzungen eingetreten. Die Erstmitbeteiligte habe auf die Beamten einen aufgelösten und weinerlichen Eindruck gemacht. Der Zweitmitbeteiligte sei beim Einschreiten der Beamten nicht mehr vor Ort gewesen, er habe den Hausschlüssel im Zuge des Streites zu Boden geworfen.

3 Bei einer Gesamtbetrachtung dieser Umstände könne nicht erkannt werden, aufgrund welcher Tatsachen das Bevorstehen eines gefährlichen Angriffes auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person zu erwarten gewesen wäre. Die konkreten Angaben der Erstmitbeteiligten gegenüber den einschreitenden Beamten und ihr emotionales Verhalten sowie die am Boden vorgefundenen Gegenstände hätten nicht auf einen vorangegangenen gefährlichen Angriff der genannten Art schließen lassen. Einschlägige Vorfälle sowie Vorstrafen seien nicht bekannt gewesen. Nach den Angaben der Erstmitbeteiligten im Polizeibericht sei es schon seit längerer Zeit immer wieder zu Diskussionen und Streitigkeiten gekommen. Der Zweitmitbeteiligte habe die Tasche der Erstmitbeteiligten nach seinem Reisepass durchsucht; aus diesem Grund seien die Gegenstände auf dem Boden verteilt gewesen. Die Erstmitbeteiligte habe die Polizei weder um Hilfe ersucht noch habe sie gegen den Zweitmitbeteiligten eine Anzeige erstatten wollen. Die Erstmitbeteiligte habe sich vom Zweitmitbeteiligten weder tätlich angegriffen noch bedroht gefühlt; auch die Tochter habe keine Angst vor dem Zweitmitbeteiligten gehabt. Der Zweitmitbeteiligte habe zum Zeitpunkt des Einschreitens der Beamten keinen Hausschlüssel bei sich geführt und habe das Wohnhaus nicht betreten können.

4 Die einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes hätten daher weder von einem vorangegangenen gefährlichen Angriff noch vom Bevorstehen eines gefährlichen Angriffs gegen eines der in § 38a SPG genannten Rechtsgüter ausgehen können, weshalb das Betretungsverbot rechtswidrig gewesen sei. Der vorliegenden Beschwerde sei daher Folge zu geben und das Betretungsverbot für rechtswidrig zu erklären gewesen.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau.

6 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor. 7 Die Mitbeteiligten erstatteten eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zu I.:

8 Die Revision macht in ihrer Zulassungsbegründung in Bezug auf die Erstmitbeteiligte geltend, die Beschwerdelegitimation zur Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde sei davon abhängig, dass der Betreffende durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in seinen Rechten verletzt worden sei. Durch das gegenüber dem Zweitmitbeteiligten verhängte Betretungsverbot sei aber die Erstmitbeteiligte nicht in Rechten verletzt worden. Deren Beschwerde hätte daher vom Verwaltungsgericht zurückgewiesen werden müssen.

9 Die Revision ist insofern zulässig und begründet. 10 Das Sicherheitspolizeigesetz, BGBl. Nr. 566/1991

idF BGBl. I Nr. 161/2013 (SPG), lautet auszugsweise:

"Betretungsverbot und Wegweisung zum Schutz vor Gewalt § 38a. (1) Ist auf Grund bestimmter Tatsachen,

insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen, es stehe ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevor, so sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, einen Menschen, von dem die Gefahr ausgeht (Gefährder), das Betreten

1. einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, und deren unmittelbarer Umgebung;

...

zu untersagen.

(2) Bei Anordnung eines Betretungsverbotes haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes

1. dem Gefährder den räumlichen Bereich, auf den sich das Betretungsverbot bezieht, zur Kenntnis zu bringen, wobei der Geltungsbereich des Betretungsverbotes nach Abs. 1 Z 1 nach Maßgabe der Erfordernisse eines wirkungsvollen vorbeugenden Schutzes zu bestimmen ist,

2. ihn, im Falle einer Weigerung, den vom Betretungsverbot nach Abs. 1 umfassten Bereich zu verlassen, wegzuweisen,

3. dem Gefährder alle in seiner Gewahrsame befindlichen Schlüssel zur Wohnung gemäß Abs. 1 Z 1 abzunehmen,

4. ihm Gelegenheit zu geben, dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitzunehmen und sich darüber zu informieren, welche Möglichkeiten er hat, unterzukommen.

Bei einem Verbot, in die eigene Wohnung zurückzukehren, ist besonders darauf Bedacht zu nehmen, dass dieser Eingriff in das Privatleben des Betroffenen die Verhältnismäßigkeit (§ 29) wahrt. Sofern sich die Notwendigkeit ergibt, dass der Betroffene die Wohnung, deren Betreten ihm untersagt ist, aufsucht, darf er dies nur in Gegenwart eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes tun.

...

Recht auf Gesetzmäßigkeit sicherheitspolizeilicher

Maßnahmen

§ 87. Jedermann hat Anspruch darauf, dass ihm gegenüber sicherheitspolizeiliche Maßnahmen nur in den Fällen und der Art ausgeübt werden, die dieses Bundesgesetz vorsieht."

11 Das in Rede stehende Betretungsverbot nach § 38a Abs. 1 SPG wurde gegenüber dem Zweitmitbeteiligten erlassen. Dadurch wurde nicht in die Rechtssphäre der Erstmitbeteiligten eingegriffen, zumal auch § 87 SPG "jedermann" nur darauf Anspruch gewährt, dass sicherheitspolizeiliche Maßnahmen ihm gegenüber (wobei Betroffener nur derjenige ist, in dessen Rechte die Ausübung einer Befugnis mittels Befehls- und Zwangsgewalt unmittelbar eingreift) im Rahmen des Gesetzes ausgeübt werden. Ein Anspruch darauf, dass sicherheitspolizeiliches Verwaltungshandeln generell gesetzeskonform stattzufinden hat, besteht nicht; auch besteht kein Anspruch, dass sicherheitspolizeiliche Maßnahmen anderen gegenüber nur rechtmäßig stattzufinden haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 1998, 96/01/0609, VwSlg. 14.916 A, mwN).

12 Eine Beschwerde nach (nunmehr:) Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG bzw. § 88 SPG ist zurückzuweisen, wenn der Beschwerdeführer durch die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in seinen Rechten nicht verletzt sein konnte. Es genügt zwar bereits die Behauptung der Verletzung eines subjektiven Rechts, doch muss diese gegenüber dem Beschwerdeführer wenigstens möglich sein, ansonsten die Beschwerde mangels Legitimation zurückzuweisen ist (vgl. nochmals das genannte hg. Erkenntnis 96/01/0609, mwN).

13 Es mangelte der Erstmitbeteiligten daher ungeachtet ihrer Eigenschaft, Gefährdete im Sinne des § 38a SPG zu sein, an der Beschwerdelegitimation, sodass ihre Beschwerde zurückzuweisen gewesen wäre (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 23. September 1998, 97/01/1084, mwN).

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit damit der Beschwerde der Erstmitbeteiligten stattgegeben und dieser Aufwandersatz zugesprochen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z l VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Zu II.:

15 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

16 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

17 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

18 Die Revision bringt in ihrer Zulassungsbegründung in Bezug auf den Zweitmitbeteiligten vor, das Verwaltungsgericht führe in seinem Erkenntnis zwar aus, dass die Frage, ob ein gefährlicher Angriff bevorstehe, vom einschreitenden Organ zu beurteilen sei und dabei vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen und zunächst zu fragen sei, ob er vertretbar annehmen habe können, dass ein gefährlicher Angriff erfolgt sei und ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorstehe ("ex-ante-Betrachtung"). Die Beurteilung, auf der die angefochtene Entscheidung beruhe, stelle jedoch "eine Betrachtung der maßgeblichen Geschehnisse ex-post dar" und stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

19 Dazu ist Folgendes auszuführen: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Wegweisung und Betretungsverbot gleichermaßen an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen (vgl. den hg. Beschluss vom 13. Oktober 2015, Ra 2015/01/0193, mwN).

20 Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ist das Verwaltungsgericht von dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen, wenn es nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen das sich den einschreitenden Beamten im Zeitpunkt ihres Einschreitens bietende Gesamtbild abweichend von jener Darstellung, die dem Polizeibericht vom 30. Jänner 2014, auf den sich die Revisionswerberin insofern stützt, festgestellt hat. Es handelt sich insoweit um eine Frage der Beweiswürdigung, zu deren Überprüfung der Verwaltungsgerichtshof - als Rechtsinstanz - im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 15. März 2016, Ra 2014/01/0187, mwN). Dass ein derartiger krasser Fehler der Beweiswürdigung unterlaufen wäre, wird aber in den alleine maßgeblichen Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden Revision nicht dargelegt (vgl. den hg. Beschluss vom 13. Oktober 2015, Ra 2015/01/0193).

21 Soweit die Revision im Weiteren vorbringt, es sei unzulässig, die "rechtliche Beurteilung darauf aufzubauen, ob es zu einer Verletzung der gefährdeten Person gekommen" sei , weil "die Rechtmäßigkeit eines Betretungsverbotes nach § 38a SPG unabhängig vom Eintritt eines tatbestandlichen Erfolges einer gerichtlich strafbaren Handlung zu beurteilen" sei, genügt es darauf hinzuweisen, dass dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen ist, dass das Verwaltungsgericht eine von der zuletzt wiedergegebenen Auffassung abweichende Haltung eingenommen hätte. Die Bezugnahme darauf, dass keine Verletzungen eingetreten seien, lässt sich als bloßer Hinweis auf einen einzubeziehenden Aspekt des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes verstehen.

22 In der Revision werden in Bezug auf den Zweitmitbeteiligten daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

23 Die Revision war daher im Übrigen zurückzuweisen. Wien, am 6. Juli 2016

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