Normen
AVG §59 Abs1
AVG §74
AVG §76 Abs1
BFA-VG 2014 §22a Abs3
EURallg
FrPolG 2005 §76 Abs1
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
32013R0604 Dublin-III Art2 litn
32013R0604 Dublin-III Art28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RO2015210011.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A. V. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
II) den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Nigerias, beantragte nach seiner ‑ von Italien aus erfolgten ‑ Einreise nach Österreich am 8. November 2014 die Gewährung von internationalem Schutz.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und erklärte Italien für die Prüfung des Antrages zuständig. Gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ordnete es die Außerlandesbringung des Mitbeteiligten an und erklärte gemäß § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Italien für zulässig.
Nachdem der Mitbeteiligte die davor von ihm bewohnte Betreuungsstelle verlassen, der Behörde keine andere Abgabestelle bekanntgegeben hatte und auch eine Meldeanfrage ohne Ergebnis geblieben war, wurde der genannte Bescheid gemäß § 8 Abs. 2 ZustellG am 10. Dezember 2014 im Akt hinterlegt.
Nach seiner Festnahme ordnete das BFA mit ‑ am selben Tag in Vollzug gesetztem ‑ Bescheid vom 30. Dezember 2014 gegenüber dem Mitbeteiligten gemäß Art. 28 der Dublin III‑Verordnung iVm § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung an. Begründend verwies das BFA auf die Rechtskraft seines Bescheides vom 9. Dezember 2014 und legte dar, infolge des Untertauchens sowie des Fehlens jeder beruflichen, sozialen oder familiären Verankerung des Mitbeteiligten in Österreich sei von Fluchtgefahr auszugehen, sodass sich die Haft zur Sicherung einer überwachten Außerlandesbringung als erforderlich erweise.
Mit dem angefochtenen, in der mündlichen Verhandlung am 9. Jänner 2015 verkündeten und am 15. Jänner 2015 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis erklärte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) über Beschwerde des Mitbeteiligten gemäß § 22a Abs. 1 BFA‑VG den Schubhaftbescheid vom 30. Dezember 2014 sowie die seit diesem Tag erfolgte Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft für rechtswidrig (Spruchpunkt A. I.). Weiters stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFA‑VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen (Spruchpunkt A. II.). Sodann verpflichtete das BVwG gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG den Bund zur Zahlung eines ziffernmäßig näher bestimmten Aufwandersatzes an den Mitbeteiligten (Spruchpunkt A. III.) und wies demzufolge den Antrag des BFA auf Ersatz der Verfahrenskosten ab (Spruchpunkt A. IV.). Weiters legte es dem Mitbeteiligten gemäß § 53 Abs. 1 Z. 2 BFA‑VG den Ersatz der Barauslagen für den in der Beschwerdeverhandlung am 9. Jänner 2015 beigezogenen Dolmetscher dem Grunde nach auf (Spruchpunkt A. V.). Abschließend wurde die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG insbesondere deshalb für zulässig erklärt (Spruchpunkt B.), weil zur Frage, welche (besondere) Rechtsnatur der Schubhaftbeschwerde nach § 22a BFA‑VG zukomme, keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliege. Gleiches gelte für die Auferlegung der Dolmetscherkosten im Schubhaftbeschwerdeverfahren.
Die Schubhaft betreffend führte das BVwG begründend aus, im Akt sei eine Mobiltelefonnummer des Mitbeteiligten ersichtlich, die auch in Österreich von ihm verwendet worden sei. Die Wirksamkeit der auf § 8 Abs. 2 ZustellG gestützten Zustellung des Bescheides des BFA vom 9. Dezember 2014 (durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch) hätte es erfordert, eine neue Abgabestelle durch den Versuch einer telefonischen Kontaktaufnahme mit dem Mitbeteiligten zu eruieren. Da dies unterblieben sei, fehle eine wirksame Zustellung des genannten Bescheides und damit eine rechtskräftige Erledigung des Asylverfahrens. Der Mitbeteiligte sei daher nach wie vor Asylwerber iSd § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 gewesen, sodass die Bestimmung des § 76 Abs. 1 FPG keine taugliche Grundlage für die Verhängung von Schubhaft gebildet habe. Außerdem fehle ein die Haft als "ultima ratio" rechtfertigender Sicherungsbedarf (infolge erheblicher Fluchtgefahr), weil der Mitbeteiligte stets zu einer freiwilligen Ausreise nach Italien, die er gemeinsam mit seinem Rechtsvertreter geplant habe, bereit gewesen sei und dies auch vor dem BVwG glaubhaft versichert habe. Auch die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft lägen damit nicht vor.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des BFA, zu der der Mitbeteiligte eine Stellungnahme abgegeben hat.
Darüber hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch das BVwG in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Hinsichtlich der Auferlegung der Dolmetscherkosten weist die Amtsrevision zutreffend darauf hin, dass das BVwG von der iSd § 17 VwGVG heranzuziehenden, zu den §§ 59 Abs. 1 und 76 Abs. 1 AVG ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, wonach sich die Feststellung einer "Kostentragungspflicht lediglich dem Grunde nach" als unzulässig erweist (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. April 1998, Zl. 97/06/0271, und vom 12. April 1999, Zl. 99/11/0016; ebenso Hengstschläger/Leeb, AVG § 59 Rz 52, jeweils mwN).
Schon deshalb (vgl. aber auch das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2015, Zl. Ro 2014/21/0071) ist Spruchpunkt A. V. des hier angefochtenen Erkenntnisses mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben (Punkt I.).
Im Übrigen (Punkt II.) erweist sich die Revision hingegen als unzulässig:
Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG (Spruchpunkt B. des angefochtenen Erkenntnisses) nicht gebunden. Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem erwähnten Gesichtspunkt maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. den hg. Beschluss vom 19. Februar 2015, Zl. Ro 2015/21/0002, mwN).
In diesem Sinn macht das BFA unter anderem geltend, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Schubhaft auf Grundlage der Dublin III-Verordnung. Mittlerweile existiert eine solche Rechtsprechung jedoch. In seinem Erkenntnis vom 19. Februar 2015, Zl. Ro 2014/21/0075, hat der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass Schubhaft zur Sicherung einer Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat nur auf Grundlage von Art. 28 der Dublin III‑Verordnung, der diesbezüglich autonome Vorschriften enthält, in Betracht kommt. Im Übrigen wurde in diesem Erkenntnis, auf dessen Begründung des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, aber auch festgehalten, dass es am Boden von Art. 2 lit. n der Dublin III‑Verordnung ergänzend innerstaatlich gesetzlich festgelegter Kriterien zur Konkretisierung der in Art. 28 Abs. 2 dieser Verordnung für die Verhängung von Schubhaft (u.a.) normierten Voraussetzung des Vorliegens von "Fluchtgefahr" bedarf. Gemäß dem genannten Erkenntnis vom 19. Februar 2015 werden die dort konkret behandelten Schubhafttatbestände (§ 76 Abs. 2 Z 2 und 4 FPG) diesem Erfordernis nicht gerecht. Dasselbe gilt für den Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 1 FPG (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. März 2015, Zl. Ro 2014/21/0080).
Auf diesen Schubhafttatbestand ‑ iVm Art. 28 der Dublin III‑Verordnung ‑ hat sich das BFA jedoch in seinem Schubhaftbescheid gestützt. Wenn das BVwG diesen Bescheid sowie die darauf gegründete Anhaltung (in Spruchpunkt A. I. des angefochtenen Erkenntnisses) für rechtswidrig erklärt hat, so entspricht das daher jedenfalls im Ergebnis der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, ohne dass es auf das weitere Vorbringen in der Amtsrevision ankäme.
Zu den Spruchpunkten A. II. bis A. IV. des angefochtenen Erkenntnisses enthält sie aber überhaupt keine Ausführungen.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Das ist hier nach dem Gesagten, insoweit sich die Revision gegen die Spruchpunkte A. I. bis A. IV. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, der Fall. Sie war daher in diesem Umfang in Anwendung der genannten Bestimmung zurückzuweisen.
Wien, am 30. Juni 2015
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