VwGH Ro 2015/05/0007

VwGHRo 2015/05/000729.4.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision 1. der U J in W, 2. des R G in W, 3. des N K in K,

4. des C M in L, 5. der K M in L, 6. des F Z in L, 7. der H Z in L, 8. der S H in W, 9. des Mag. M Z in H, 10. des R N in K,

11. der E N in K, 12. der E D in K, 13. der V S in K, 14. des L J in K, 15. des R K in W und 16. des W K in W, alle vertreten durch Mag. Stefan Benesch, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schwindgasse 6, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 23. Oktober 2014, Zl. LVwG-AB-14-0564, betreffend Änderung von Grundstücksgrenzen im Bauland (vor dem Landesverwaltungsgericht belangte Behörde: Stadtrat der Stadtgemeinde K; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §7;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Stadtgemeinde Korneuburg hat den Revisionswerbern Aufwendungen in Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 19. August 2013 brachte der Ziviltechniker DI W in Vertretung der "Grundeigentümer" der Liegenschaft EZ. 1448, KG L (darunter die Revisionswerber), der Stadtgemeinde K gemäß § 10 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (BO) Änderungen von näher bestimmten Grundstücksgrenzen zur Anzeige.

Mit Bescheid vom 7. November 2013 untersagte der Bürgermeister der Stadtgemeinde Korneuburg gemäß § 10 Abs. 5 BO die Änderung der Grundstücksgrenzen. Begründet wurde dies damit, dass die Vollmachtsverhältnisse nicht lückenlos dargelegt bzw. in drei Fällen keine Zustimmungen der Grundeigentümer vorgelegt worden seien.

Gegen diesen Bescheid erhoben sämtliche Eigentümer der Liegenschaft EZ 1448, KG L, darunter die Revisionswerber, vertreten durch den Revisionsvertreter sowie Rechtsanwalt Dr. S., Berufung.

Mit Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde Korneuburg vom 14. Februar 2014 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass von der Behörde erster Instanz zu Recht festgestellt worden sei, dass die erforderliche Zustimmung aller Eigentümer nicht vorliege.

Gegen diesen Bescheid erhoben sämtliche Eigentümer der Liegenschaft EZ 1448, KG L, vertreten durch den Revisionsvertreter sowie Rechtsanwalt Dr. S., Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich.

Mit dem angefochtenen Beschluss wurde der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG Folge gegeben, der Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde Korneuburg vom 14. Februar 2014 behoben sowie die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die vor dem Landesverwaltungsgericht belangte Behörde zurückverwiesen. Unter einem wurde gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision für zulässig erklärt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, im Hinblick auf Beschwerdeausführungen, dass der Bürgermeister auch die Entscheidung des Stadtrates unterfertigt habe, sei eine Abschrift der Einladungskurrende der Sitzung des Stadtrates einschließlich der Tagesordnung und des Auszuges aus dem Sitzungsprotokoll eingeholt worden. Die bloße Unterfertigung des Beschlusses der Berufungsentscheidung als solche bedeute noch keine Mitwirkung an der Entscheidung und stelle deshalb auch keinen Befangenheitsgrund nach § 7 Abs. 1 Z. 5 (gemeint offenbar: Z. 4) AVG bzw. § 50 Abs. 1 Z. 4 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung dar. Allerdings habe sich der Bürgermeister nach den genannten Bestimmungen bei den jeweiligen Befangenheitsgründen seines Amtes zu enthalten. Die Nichtwahrnehmung des Befangenheitsgrundes werde jedenfalls unter der Voraussetzung einen Aufhebungsgrund für eine Entscheidung darstellen, dass die Befangenheit auf die Sachentscheidung von Einfluss gewesen sei oder zumindest hätte sein können. Dazu ergebe sich aus dem Protokoll der Sitzung des Stadtrates, an der der Bürgermeister in seiner Eigenschaft als Vorsitzender dieses Gremiums teilgenommen habe, dass eine Sachverhaltsdarstellung dahingehend erfolgt sei, dass mit Bescheid vom 7. November 2013 der Bürgermeister der Stadtgemeinde Korneuburg die angezeigte Änderung von Grundstücksgrenzen im Bauland untersagt habe. Grund der Untersagung sei gewesen, dass trotz Erteilung eines diesbezüglichen Verbesserungsauftrages die vollständige Zustimmung aller Miteigentümer nicht nachgewiesen worden sei. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2013 hätten die Eigentümer der betreffenden Liegenschaft vorgebracht, dass alle Eigentümer zugestimmt hätten und entsprechende Bevollmächtigungen vorlägen. Da die vollständige Zustimmung aller Eigentümer nicht vorgelegen sei und der Behörde nicht schlüssig nachvollziehbar dargelegt worden sei, dass entsprechende Bevollmächtigungen im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Bescheiderstellung vorhanden gewesen seien, sei die Berufung jedenfalls abzuweisen. Anschließend habe der Bürgermeister den Antrag gestellt, der Stadtrat wolle beschließen, dass die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen werde.

In der diesbezüglichen Vorgangsweise, nämlich in dem an den Stadtrat gestellten Abweisungsantrag sowie auch der weiteren Anwesenheit des Bürgermeisters während der Abstimmung über den von ihm erlassenen Bescheid, sehe das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich jedenfalls zwingende Gründe im Sinne des § 7 Abs. 1 Z. 5 (gemeint offenbar: Z. 4) AVG und des § 50 Abs. 1 Z. 4 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung, die eine Befangenheit nach sich zögen. Da jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Anwesenheit des befangenen Bürgermeisters von Einfluss auf die Beratung und Beschlussfassung des Stadtrates gewesen sei, damit aber auch auf den angefochtenen Berufungsbescheid, sei dieser zu beheben gewesen. Die ordentliche Revision sei zulässig, da noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes "zu dieser konkreten Rechtsfrage" vorhanden sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zur Zulässigkeit der Revision wird in der Revision über den vom Landesverwaltungsgericht genannten Grund hinaus ausgeführt, dass das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, da es trotz Vorliegens aller Entscheidungsgrundlagen nicht in der Sache selbst entschieden habe.

Die Revision ist aus dem zuletzt genannten Grund zulässig und auch begründet:

§ 28 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

  1. 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
  2. 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

..."

Das Verwaltungsgericht hat die Angelegenheit zu entscheiden, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. August 2014, Zl. Ro 2014/05/0062). Die nach § 28 VwGVG bestehenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 27. August 2014, mwN).

Gegenstand des Verfahrens war die Änderung von Grundstücksgrenzen nach der Eingabe vom 19. August 2013. Das Landesverwaltungsgericht hat in seinem angefochtenen Beschluss in keiner Weise begründet, weshalb ihm im Lichte des § 28 VwGVG eine Entscheidung in dieser Sache auf Grund der bei ihm anhängigen Beschwerde nicht möglich gewesen ist und eine Aufhebung des bekämpften Berufungsbescheides unter Zurückverweisung der Angelegenheit an die Berufungsbehörde zu erfolgen gehabt hat.

Gründe dafür sind auch nicht ersichtlich:

Das Landesverwaltungsgericht ging offenbar davon aus, dass dann, wenn ein befangener Organwalter an einem Bescheid mitgewirkt und dies Auswirkungen auf die Entscheidung gehabt hat oder hätte haben können, dieser Bescheid vom Verwaltungsgericht jedenfalls aufzuheben und die Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde zurückzuverweisen sei. Diese Auffassung ist aber schon deshalb unzutreffend, weil durch die Befangenheit grundsätzlich bloß ein mangelhaftes Verfahren vorliegt, wobei dieser Verfahrensmangel erforderlichenfalls durch Verfahrensschritte des - mit umfassender Kognitionsbefugnis ausgestatteten - Verwaltungsgerichtes zu sanieren ist (vgl. dazu Hengstschläger/Leeb, AVG I, 2. Ausgabe, S. 64 ff, Rz 22 ff zu § 7 AVG).

Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Entscheidung über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am 28. April 2015

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