Normen
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art2 Abs1 litb;
62009CJ0084 X VORAB;
BAO §288 Abs1litd;
UStG 1994 Anh Art1 Abs7;
UStG 1994 Anh Art1 Abs9;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Abspruch betreffend Umsatzsteuer für den Zeitraum März 2003 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Dem Finanzamt gelangte im November 2006 durch eine anonyme Anzeige zur Kenntnis, dass das Fahrzeug der Marke Ford Mondeo mit einem italienischen Kennzeichen im Hof des Hauses A-Straße 40 in Innsbruck über einen Zeitraum von drei Tagen geparkt war. Der Autobesitzer (die mitbeteiligte Partei) wohne schon seit zehn Jahren in Innsbruck.
In der Folge wurde dem Finanzamt auch durch die Steuerfahndungsstelle mitgeteilt, dass das betreffende Fahrzeug am 1., 5. und 6. Februar 2007 auf einem Parkplatz des Hauses A-Straße 40 in Innsbruck gesichtet worden sei.
Im Zuge seiner Einvernahme am 8. März 2007 gab der Mitbeteiligte zu Protokoll, dass er bei der Finanzpolizei in Sterzing (Italien) beschäftigt sei und dort über ein Zimmer in einer Kaserne verfüge. Seine Familie (Ehefrau und drei Kinder, geboren 1992, 1995 und 1999) wohne seit 1993 in Innsbruck. Infolge seines militärischen Status als Korpsangehöriger sei der Mitbeteiligte zur Wohnsitznahme in Italien verpflichtet, sodass er in der A-Straße 40 nur mit einem Nebenwohnsitz gemeldet sei, während die Ehefrau seit 29. Dezember 1993 und die Kinder seit ihrer Geburt dort ihren Hauptwohnsitz unterhielten.
Mit Bescheid vom 3. Dezember 2009 setzte das Finanzamt zum einen die Normverbrauchsabgabe und zum anderen die Umsatzsteuer für den Erwerb neuer Fahrzeuge für den Monat März 2003 fest. Dabei vertrat das Finanzamt mit näherer Begründung die Ansicht, dass es sich beim streitgegenständlichen Fahrzeug um ein solches mit dauerndem Standort im Inland handle. Der Mitbeteiligte habe den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen im Inland. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei im März 2003 um 24.000 EUR in Italien gekauft worden. Auf Grund der Tatsache, dass das Fahrzeug bereits benutzt war, als es in Österreich verwendet worden sei, werde vom Kaufpreis ein 20%iger Abschlag im Schätzungswege angenommen, sodass sich die Bemessungsgrundlage auf 19.200 EUR reduziere. Nach Art. 1 Abs. 7 UStG 1994 handle es sich bei dem Erwerb eines neuen Fahrzeuges durch einen Erwerber, der nicht zu den in Abs. 2 Z 2 genannten Personen gehöre, unter den Voraussetzungen des Abs. 2 Z 1 um einen innergemeinschaftlichen Erwerb. Ein Fahrzeug gelte als neu, wenn die erste Inbetriebnahme im Zeitpunkt des Erwerbs nicht mehr als sechs Monate zurückliege oder das Fahrzeug nicht mehr als 6.000 km zurückgelegt habe.
In seiner dagegen erhobenen Berufung bestritt der Mitbeteiligte das Vorliegen eines dauernden Standortes des Fahrzeuges im Inland sowie eines inländischen Hauptwohnsitzes. Auch habe das Finanzamt nicht festgestellt, dass der Mitbeteiligte das Fahrzeug als "neues" Kraftfahrzeug erworben habe. Dass es sich beim erworbenen Kraftfahrzeug um keinen Neuwagen gehandelt habe, ergebe sich daraus, dass das Finanzamt die Anschaffungskosten um 20% vermindert habe. Daher könne sich das Finanzamt nicht darauf berufen, dass es sich "bei dem besagten Kfz um einen Neuwagen gehandelt haben soll, wenn es von sich aus schon den Wert eines Gebrauchtwagens als Bemessungsgrundlage heranzieht".
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung betreffend Normverbrauchsabgabe insoweit teilweise Folge als sie von den Anschaffungskosten in Höhe von 24.000 EUR die italienische Umsatzsteuer sowie einen weiteren Abschlag von 20% (angelehnt an den erstinstanzlichen Bescheid) in Abzug brachte. Der Berufung betreffend Umsatzsteuer gab die belangte Behörde Folge, indem der erstinstanzliche Festsetzungsbescheid ersatzlos aufgehoben wurde. Ihre diesbezügliche Entscheidung begründete sie wie folgt:
"Gemäß Art. 1 Abs. 7 Umsatzsteuergesetz (UStG 1994) unterliegt der Erwerb eines neuen Fahrzeuges durch eine Privatperson, wenn das Fahrzeug aus dem Gebiet eines EU-Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen EU-Mitgliedstaates geliefert wird, als innergemeinschaftlicher Erwerb der Umsatzsteuer.
Die Privatperson wird in diesem Fall zum umsatzsteuerlichen Unternehmer. Es gilt das Bestimmungslandprinzip, dh. das Fahrzeug wird ohne ausländische Umsatzsteuer (der Verkäufer verrechnet keine Umsatzsteuer) nach Österreich geliefert, und hier muss die 20-prozentige Umsatzsteuer entrichtet werden.
Im Gegenstandsfalle geht - wie bereits oben angesprochen - das Finanzamt selbst von einem bei der Einfuhr gebrauchten Fahrzeug aus und nimmt, dies berücksichtigend, laut Begründung im bekämpften Bescheid einen 20%igen Abschlag vor. Insoferne ist bereits aus diesem Grund (neben der äußerst fraglichen und nicht erhobenen Nichtverrechnung von ausländischer Umsatzsteuer) ein innergemeinschaftlicher Erwerb eines Neufahrzeuges durch einen Privaten iSd Art. I Abs. 7 UStG auszuschließen.
Der Berufung war daher im Hinblick auf die zu Unrecht vorgeschriebene Umsatzsteuer stattzugeben und der bekämpfte Bescheid in diesem Umfang aufzuheben."
Gegen diesen Teil des angefochtenen Bescheides wendet sich die Beschwerde des Finanzamtes. Die belangte Behörde gehe davon aus, dass ein Gebrauchtfahrzeug vorliege, was jedoch nicht zutreffe, weil es unstrittig sei, dass das Fahrzeug im Jahr 2003 in Italien neu gekauft worden sei und von der mitbeteiligten Partei allenfalls spätestens nach zwei Monaten nach Österreich verbracht worden sei. Aber auch die in der Berufung aufgestellte Behauptung, dass das Fahrzeug unmittelbar nach der Anschaffung zwei Monate lang für Fahrten innerhalb von Italien zu Verwandtenbesuchen verwendet worden sei, gehe ins Leere, da umsatzsteuerlich ein Neufahrzeug auch dann gegeben sei, wenn die Kilometerleistung zwar über 6.000 km liege, aber der PKW noch nicht sechs Monate lang in Verwendung gestanden sei. Es liege somit aus umsatzsteuerlicher Sicht immer noch ein Neufahrzeug vor. Nach der Rechtsprechung des EuGH und des Verwaltungsgerichtshofes sei maßgebend, in welchem Mitgliedstaat die endgültige und dauerhafte Verwendung des neuen Fahrzeuges stattfinden werde. Die in der Berufung angeführten Fahrten, die in den ersten zwei Monaten nach dem Erwerb getätigt worden seien, seien bereits dem Hauptwohnsitzstaat Österreich zuzurechnen, und könnten nicht bewirken, dass dadurch aus einem Neufahrzeug ein Gebrauchtfahrzeug werde. Die belangte Behörde stütze die stattgebende Berufungsentscheidung somit zu Unrecht einzig und allein auf den (irrtümlich) vom Finanzamt vorgenommenen 20%igen Abschlag bei der Bemessungsgrundlage im Rahmen der vom Finanzamt vorgenommenen Erwerbsbesteuerung.
Der Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift, in der er insbesondere in Abrede stellte, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über einen inländischen dauernden Standort verfüge.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß Art. 1 Abs. 1 UStG 1994 unterliegt auch der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt der Umsatzsteuer.
Nach Art. 1 Abs. 2 UStG 1994 liegt ein innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt vor, wenn (Z 1) ein Gegenstand bei einer Lieferung an den Abnehmer (Erwerber) aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates gelangt, auch wenn der Lieferer den Gegenstand in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt hat, und (Z 2) der Erwerber ein Unternehmer, der den Gegenstand für sein Unternehmen erwirbt, oder eine juristische Person ist, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt.
Gemäß Art. 1 Abs. 7 UStG 1994 ist der Erwerb eines neuen Fahrzeugs durch einen Erwerber, der nicht zu den in Abs. 2 Z 2 genannten Personen gehört, unter den Voraussetzungen des Abs. 2 Z 1 innergemeinschaftlicher Erwerb.
Art. 1 Abs. 8 UStG 1994 definiert den Begriff des Fahrzeugs.
Art. 1 Abs. 9 UStG 1994 regelt, unter welchen Voraussetzungen ein Fahrzeug als neu gilt.
Gemäß Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 wird der innergemeinschaftliche Erwerb in dem Gebiet des Mitgliedstaates bewirkt, in dem sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Versendung befindet.
Ebenso bestimmt Artikel 28b Teil A Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 (77/388/EWG), dass als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen der Ort gilt, in dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung des Versands oder der Beförderung an den Erwerber befinden (vgl. nunmehr Artikel 40 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem). Der EuGH hat mit Urteil vom 18. November 2010, X, C-84/09 , darüber entschieden, ob die Einstufung eines Umsatzes als innergemeinschaftliche Lieferung oder innergemeinschaftlicher Erwerb von der Einhaltung einer bestimmten Frist (Beförderung des Gegenstandes vom Liefermitgliedstaat nach dem Bestimmungsmitgliedstaat) abhängt und auf welchen Zeitpunkt dabei für die Beurteilung abzustellen ist, ob ein Fahrzeug als "neu" zu beurteilen sei (vgl. die Rn. 22, 24, 40 bis 50 des angeführten Urteils).
Der Steuertatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen soll es ermöglichen, die Umsatzsteuereinnahmen auf den Mitgliedstaat zu verlagern, in welchem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt (Rn. 22 des Urteils C-84/09 ). Bei neuen Fahrzeugen will der Unionsgesetzgeber insbesondere im Hinblick auf deren leichte Transportierbarkeit (und auf deren Wert) auch den Erwerb durch Privatpersonen besteuert wissen (Rn. 24 des angeführten Urteils). Die Beurteilung, in welchem Mitgliedstaat der Endverbrauch eines Fahrzeugs (und damit der innergemeinschaftliche Erwerb) stattfinden, hat auf einer umfassenden Abwägung aller objektiven tatsächlichen Umstände zu beruhen. Zu diesen im Rahmen des Gesamtbildes der Verhältnisse zu berücksichtigenden Umständen gehören u.a. der Ort der gewöhnlichen Verwendung des Gegenstandes, seine Registrierung, der Wohnort des Erwerbers sowie das Bestehen oder Fehlen von Verbindungen des Erwerbers zu einzelnen Mitgliedstaaten (Rn. 44 f des angeführten Urteils).
Es ist anhand objektiver Umstände im Zeitpunkt der Lieferung festzustellen, in welchem Mitgliedstaat die endgültige und dauerhafte Verwendung eines Fahrzeugs stattfinden wird. Zu diesen objektiven Umständen gehören insbesondere Wohnsitze des Mitbeteiligten im Zeitpunkt des Erwerbes des Fahrzeuges und die (persönlichen) Verbindungen des Mitbeteiligten zu den in Frage kommenden Mitgliedstaaten (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Auch die tatsächliche Nutzung des Fahrzeuges kann als Indiz für die beim Erwerb vorgelegene Verwendungsabsicht herangezogen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2012, 2009/15/0177).
Wie der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach zum Ausdruck gebracht hat (vgl. grundlegend das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 1997, 94/13/0200), muss die Begründung eines Bescheides erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die belangte Behörde zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet. Die Begründung eines Abgabenbescheides muss in einer Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der behördlichen Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist.
Diesen Anforderungen an eine Bescheidbegründung genügt der angefochtene Bescheid nicht. Denn nach Art. 1 Abs. 9 UStG 1994 gilt ein Fahrzeug als neu, wenn die erste Inbetriebnahme im Zeitpunkt des Erwerbs bei motorbetriebenen Landfahrzeugen nicht mehr als sechs Monate zurückliegt oder das Landfahrzeug nicht mehr als 6.000 Kilometer zurückgelegt hat. Von welcher Bemessungsgrundlage das Finanzamt bei Festsetzung der Erwerbsteuer ausgegangen ist, taugt zur Feststellung der objektiv im Zeitpunkt des Erwerbs gegebenen Verhältnisse nicht. Vielmehr ist es Sache der Berufungsentscheidung, zunächst darüber zu befinden, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für die Besteuerung des gegenständlichen Erwerbsvorganges in Österreich vorliegen, und für den Fall der Bejahung dieser Voraussetzungen die zutreffende Bemessungsgrundlage zu bestimmen.
Der angefochtene Bescheid war somit auf Grund der geschilderten groben Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften im Umfang seiner Anfechtung, somit hinsichtlich Umsatzsteuer, aufzuheben.
Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am 22. Oktober 2015
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