VwGH 2009/15/0177

VwGH2009/15/017726.1.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Salzburg-Land in 5026 Salzburg-Aigen, Aignerstraße 10, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Salzburg, vom 17. August 2009, Zl. RV/0613-S/06, betreffend Umsatzsteuer 2004 (mitbeteiligte Partei: S R in B, Deutschland, vertreten durch Dr. Reinhold Glaser Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 25), zu Recht erkannt:

Normen

32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art2 Abs1 litb;
62009CJ0084 X VORAB;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Auf Grund einer Kontrollmitteilung des Zollamtes Salzburg vom 28. September 2005 betreffend Wahrnehmungen der Zollorgane über die Verwendung eines Wohnmobiles mit ausländischem Kennzeichen durch den Mitbeteiligten im Inland im Zeitraum vom 4. August bis zum 19. September 2005 wurde vom Finanzamt Salzburg beim Mitbeteiligten eine Nachschau durchgeführt.

Im Zuge dieser Nachschau wurde festgestellt, dass der Mitbeteiligte Eigentümer eines Wohnmobiles sei und er dieses am 21. Oktober 2004 erworben habe. Dieses Fahrzeug sei am 25. Oktober 2004 mit einem amtlichen deutschen Kennzeichen auf den Mitbeteiligten zugelassen worden. Als Zulassungsadresse sei eine Anschrift in Deutschland angegeben worden; an dieser Anschrift sei der Mitbeteiligte in Deutschland gemeldet. Weiters sei der Mitbeteiligte seit 1981 mit Hauptwohnsitz in Österreich in S gemeldet.

Über Ersuchen der österreichischen Finanzverwaltung führten Organe der deutschen Finanzverwaltung eine Ortsbesichtigung an der deutschen Adresse des Mitbeteiligten durch. Sie stellten dabei fest, dass dem Mitbeteiligten unter der angegebenen Adresse ein Zimmer vom Hauseigentümer zugewiesen worden sei. Dieses Zimmer sei vollständig mit Sperrmüll verstellt gewesen. Nach Angabe des Hauseigentümers bzw. dessen Gattin habe der Mitbeteiligte dieses Zimmer seit 2003 nicht mehr verwendet und sei vermutlich auf Reisen in Amerika. Der Mitbeteiligte sei öfter an dieser Anschrift anwesend und gehe hier seinem Hobby (der Fliegerei) nach. Er hole die Post ab und schlafe dann in seinem Wohnmobil.

Auf Grund dieser Feststellungen setzte das Finanzamt neben anderen Abgaben die Umsatzsteuer für den Erwerb neuer Fahrzeuge für das am 25. Oktober 2004 zugelassene Wohnmobil mit Bescheid vom 2. August 2006 fest und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der entgeltliche innergemeinschaftliche Erwerb eines neuen Fahrzeugs durch eine Person, die nicht Unternehmer sei, der Erwerbsteuer unterliege.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Berufung und führte darin im Wesentlichen an, dass er das Fahrzeug nur im Rahmen des so genannten vorübergehenden internationalen Verkehrs nach Österreich gebracht habe. Er sei zwar in S gemeldet gewesen, sein tatsächlicher Hauptwohnsitz habe sich jedoch in Spanien befunden. Sein Wohnsitz sei das in Frage stehende Wohnmobil, das er erworben habe, nachdem er sein Haus in Spanien verkauft habe. Bereits bei der Einbringung des Fahrzeugs in das Gebiet der Republik Österreich habe festgestanden, dass das Fahrzeug bloß vorübergehend, nämlich nur für einige Wochen, nie über die Zeitdauer eines Monats hinaus und nur für die Dauer der notwendigen ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen nach Österreich gelangen werde. Der Mitbeteiligte beantragte die ersatzlose Aufhebung des Bescheides betreffend die Erwerbsteuer.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 26. September 2006 wies das Finanzamt diese Berufung als unbegründet ab. Das UStG setze für das Vorliegen eines innergemeinschaftlichen Erwerbes voraus, dass das neue Fahrzeug bei einer Lieferung aus einem anderen EU Mitgliedstaat in das Inland gelange. Dem Vorbringen, wonach der Mitbeteiligte in Spanien einen Wohnsitz habe, widerspreche, dass der Mitbeteiligte das Fahrzeug nicht steuerfrei nach Spanien habe liefern lassen, sondern dieses unter seiner deutschen Adresse mit dem Ausweis von 16% Umsatzsteuer erworben habe. Diese Adresse könne jedoch nicht als Wohnsitz im Sinne der BAO verstanden werden. Der Mitbeteiligte sei darüber hinaus in S mit seinem Hauptwohnsitz gemeldet. Das gegenständliche Fahrzeug sei nach den vom Zollamt S durchgeführten stichprobenartigen Erhebungen im Zeitraum von Anfang August bis Mitte September 2005 an dieser Adresse abgestellt gewesen. Daher sei davon auszugehen, dass das Fahrzeug bei der Lieferung von Deutschland nach Österreich gelangt sei.

Der Mitbeteiligte beantragte die Vorlage der Berufung zur Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Über Erhebungsersuchen der belangten Behörde überprüfte das Finanzamt die Wohnverhältnisse des Mitbeteiligten in S. Aus dem vom Mitbeteiligten vorgelegten Kaufvertrag aus dem Jahr 1996 gehe hervor, dass der Mitbeteiligte und seine Gattin das Gebäude in S an den gemeinsamen Sohn übergeben hätten; unter Punkt II lit. b) dieses Vertrages sei dem Mitbeteiligten und seiner Gattin ein lebenslanges und unentgeltliches Wohnrecht hinsichtlich der im ersten Stock dieses Hauses gelegenen Räumlichkeiten eingeräumt worden. Nach Aussage des Sohnes und der Schwiegertochter des Mitbeteiligten sei die Wohnung in den Jahren 1994 bis 1998 aufgrund einer Komplettsanierung nicht bewohnbar gewesen. In einer weiteren Aussage sei dieser Zeitraum auf die Jahre 2004 bis 2008 geändert worden. Das Haus sei in den Jahren 2004 bis 2006 aufgrund der Sanierungsarbeiten nicht bewohnbar gewesen. Der Sohn und die Schwiegertochter des Mitbeteiligten hätten angegeben, in dieser Zeit in der Wohnung der Schwiegertochter bzw. in einer Wohnung in Deutschland gelebt zu haben. Ab September 2008 seien die Eltern aufgrund einer schweren Erkrankung der Mutter durchgehend in Österreich gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge und hob den Bescheid betreffend Umsatzsteuer 2004 ersatzlos auf.

Begründend führte die belangte Behörde - nach Wiedergabe des Verfahrensganges - aus, der Mitbeteiligte habe im August 2004 ein Wohnmobil beim Hersteller in Deutschland bestellt. Dieses Fahrzeug sei am 21. Oktober 2004 nach Einbau der Zusatzausstattungen an den Mitbeteiligten übergeben und von diesem in P (in der Nähe von Koblenz, Deutschland) übernommen worden. Das Fahrzeug sei am 25. Oktober unter Angabe der Adresse des Mitbeteiligten in Deutschland mit einem amtlichen deutschen Kennzeichen zum Verkehr zugelassen worden. Der Mitbeteiligte sei mit diesem Fahrzeug nach der Zulassung zum Verkehr von P nach Österreich zu seinem Wohnsitz in S gefahren, um dieses Fahrzeug für einen mehrmonatigen Aufenthalt im Süden zu beladen, und sei dann ohne weiteren Aufenthalt in Österreich mit diesem Fahrzeug über Frankreich nach Spanien gefahren, wo er zumindest bis in den Mai des Jahres 2005 geblieben sei.

Dieser Ablauf ergebe sich aus den vom Finanzamt in Deutschland erhobenen Unterlagen, die Kauf und Übernahme des Fahrzeugs und dessen Zulassung und Zulassungszeitpunkt in Deutschland bestätigten. Dieser Sachverhalt sei unbestritten. Die Fahrtstrecke des Mitbeteiligten mit dem Wohnmobil von Deutschland über Österreich und Frankreich nach Spanien ergebe sich aus den vom Finanzamt im Rechtshilfeweg erhobenen Unterlagen, die eine Übergabe des Fahrzeugs durch den Hersteller an den Mitbeteiligten in P am 21. Oktober 2004 belegten, sowie den vom Mitbeteiligten vorgelegten Unterlagen, die eine Zulassung des Fahrzeugs zum Verkehr durch das zuständige Landratsamt in Deutschland am 25. Oktober 2004 belegten. Damit habe der Mitbeteiligte (frühestens) das Fahrzeug am 25. Oktober, wahrscheinlicher aber am 26. Oktober in Betrieb nehmen können.

Berücksichtige man weiter, dass P von S rund 700 km entfernt liege und dass der Mitbeteiligte sich bereits am 30. Oktober an einem Ort in Frankreich befunden habe, der beinahe 800 km von S entfernt sei, so ergebe sich eine nahezu durchgängige Reisebewegung des Mitbeteiligten, da Abrechnungen von Lebenshaltungskosten und Gasabrechnungen aus Spanien bereits ab dem 10. November 2004 vorlägen.

Die belangte Behörde könne dem Mitbeteiligten allerdings darin nicht folgen, dass das Fahrzeug auf seinem Weg von Deutschland nach Spanien nie nach Österreich gelangt sei. Dagegen spreche, dass der Mitbeteiligte in diesem Zeitraum seinen einzigen (festen) Wohnsitz in Österreich gehabt habe und z.B. Bekleidung für einen mehrmonatigen Aufenthalt nicht als Handgepäck mitgeführt werden könne, sondern in einer Unterkunft gelagert werden müsse. Dem Finanzamt sei darin zuzustimmen, dass der Wohnsitz in Deutschland im Streitzeitraum vom Mitbeteiligten nicht (mehr) verwendet worden sei. Dies sei durch die Aussagen des deutschen Unterkunftgebers bestätigt worden, der eine Verwendung dieses Wohnsitzes nur bis 2003 angegeben habe. Eine andere Möglichkeit der Aufbewahrung der für eine lange Reise notwendigen Gegenstände in Deutschland habe sich nicht ergeben, da auch das im Jahr 2000 auf den Mitbeteiligten mit deutschem Kennzeichen zugelassene Wohnmobil bereits im August 2004 bei der Bestellung des verfahrensgegenständlichen Wohnmobils vom Mitbeteiligten zurückgegeben worden sei.

Dabei ergebe sich kein Unterschied, ob der inländische Wohnsitz des Mitbeteiligten im Jahr 2004 bewohnbar gewesen sei oder nicht. Auch ein großer (Innen)Umbau ermögliche immer noch die Aufbewahrung von Bekleidungsstücken.

Auch die vom Mitbeteiligten vorgelegten Kreditkartenabrechnungen, wonach das Fahrzeug im Jahr 2004 nicht auf österreichischen Autobahnen verwendet worden sei, liefere keinen Beweis dafür, dass das Fahrzeug 2004 nicht (auf der Durchreise) in Österreich verwendet worden sei. Dies vor allem deshalb, da die im Jahr 2005 und 2006 vorliegenden Mautabrechnungen für das verfahrensgegenständliche Fahrzeug nicht über die Kreditkarte der Ehegattin des Mitbeteiligten, deren Abrechnungen nun vorgelegt worden seien, sondern über eine andere, vermutlich die eigene Kreditkarte des Mitbeteiligten erfolgt seien.

In rechtlicher Hinsicht sei davon auszugehen, dass gemäß Art. 1 Abs. 1 UStG 1994 auch der innergemeinschaftliche Erwerb der Umsatzsteuer unterliege. Gemäß Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 werde der innergemeinschaftliche Erwerb (grundsätzlich) in dem Gebiet des Mitgliedstaates bewirkt, in dem sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Versendung befinde. Das Besteuerungsrecht werde dem Mitgliedstaat zugewiesen, in dessen Gebiet die weitere Verwendung des Gegenstandes erfolge.

Das "Ende der Beförderung oder Versendung" des Fahrzeugs liege somit dort, wo das Fahrzeug verwendet werden solle. Die Frage, wo es auf diesem Wege beladen, betankt oder repariert worden sei, sei für diese Beurteilung unerheblich. Der Endpunkt dieser Lieferung sei im gegenständlichen Fall in Spanien gelegen. Österreich sei im Zuge der Güterbewegung nur "berührt" worden. Dass sich in Österreich ein bzw. möglicherweise der einzige formelle Wohnsitz des Mitbeteiligten befinde, sei für diese Beurteilung nicht von Bedeutung; ebenso wenig, ob das Fahrzeug in Österreich für den Einsatz in Spanien beladen worden sei. Das Fahrzeug sei nach dem vorliegenden Sachverhalt im Zuge der Lieferbewegung nicht im Sinne einer innergemeinschaftlichen Güterbewegung von Deutschland nach Österreich, sondern von Deutschland nach Spanien "bewegt" worden.

Dem Finanzamt sei zwar im Ergebnis darin zuzustimmen, dass die (Umsatz)Besteuerung des Fahrzeugs in Deutschland nicht richtig sei. Aber auch Österreich stehe beim gegenständlichen Sachverhalt kein Anspruch auf die Umsatzsteuer (Erwerbsteuer) zu.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie Erstattung einer Gegenschrift durch den Mitbeteiligten erwogen hat:

Das beschwerdeführende Finanzamt macht geltend, maßgeblich für die Bestimmung des Leistungsortes sei das Ende der Warenbewegung. Zu klären sei somit, ob die Warenbewegung in Österreich oder in Spanien beendet worden sei, bzw. ob der Umstand, dass das Fahrzeug in Österreich erst für die nachfolgende Reise ausgerüstet worden sei, dazu geführt habe, dass die für den innergemeinschaftlichen Erwerb maßgebliche Warenbewegung als in Österreich abgeschlossen angesehen werden könne.

Reisebewegungen, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Gegenständen durchgeführt würden, führten nicht zum Ende einer Warenbewegung. Werde ein Gegenstand nach seiner Abholung beim liefernden Unternehmer nicht sofort, sondern erst nach einer Geschäftsreise oder am Ende eines Urlaubes in das Bestimmungsland verbracht, sei die innergemeinschaftliche Warenbewegung und damit der innergemeinschaftliche Erwerb erst dann verwirklicht, wenn der Gegenstand endgültig im Bestimmungsland angekommen sei. Im hier vorliegenden Fall könne keinesfalls die Reisebewegung nach Spanien ausschlaggebend sein, sondern könnten durchaus auch andere Ort in Frage kommen, die für das Ende der Warenbewegung in Österreich sprechen würden: Der Mitbeteiligte habe seinen einzigen Wohnsitz in Österreich. Der Umstand, dass im Anschluss an die erfolgte Lieferbewegung nahezu unmittelbar ein mehrmonatiger Urlaubsaufenthalt angetreten worden sei, könne nichts daran ändern, dass von Österreich aus die weitere Verwendung des Wohnmobiles habe erfolgen sollen. Die bestimmungsgemäße Verwendung eines Wohnmobiles liege naturgemäß darin, dass mit diesem Urlaubsreisen angetreten würden, jedoch erfolge nachher regelmäßig wieder die Rückkehr an den Ort, von dem aus die Urlaubsreise angetreten worden sei. Dass auch der Mitbeteiligte selbst von einem Wohnsitz in Österreich ausgegangen sei, ergebe sich aus den vorgelegten Abrechnungen (Kreditkarten, Krankenhausaufenthalte), in denen als Rechnungsadresse jeweils S angegeben worden sei. Das Ende der Lieferbewegung und somit der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbes liege sohin in Österreich. Durch die bewusste Angabe eines deutschen Scheinwohnsitzes als Lieferadresse sei die Besteuerung eines innergemeinschaftlichen Erwerbes in Österreich unterbunden worden; damit sei für den Mitbeteiligten der niedrigere deutsche Umsatzsteuersatz zur Anwendung gekommen. Ebenso sei eine Erhebung der Normverbrauchsabgabe vermieden worden.

Mit diesem Vorbringen zeigt das Finanzamt die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

Gemäß Art. 1 Abs. 1 UStG 1994 unterliegt auch der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt der Umsatzsteuer.

Nach Art. 1 Abs. 2 UStG 1994 liegt ein innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt vor, wenn (Z 1) ein Gegenstand bei einer Lieferung an den Abnehmer (Erwerber) aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates gelangt, auch wenn der Lieferer den Gegenstand in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt hat und (Z 2) der Erwerber ein Unternehmer, der den Gegenstand für sein Unternehmen erwirbt, oder eine juristische Person ist, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt.

Gemäß Art. 1 Abs. 7 UStG 1994 ist der Erwerb eines neuen Fahrzeugs durch einen Erwerber, der nicht zu den in Abs. 2 Z 2 genannten Personen gehört, unter den Voraussetzungen des Abs. 2 Z 1 innergemeinschaftlicher Erwerb.

Art. 1 Abs. 8 UStG 1994 definiert den Begriff des Fahrzeugs, Art. 1 Abs. 9 leg.cit. regelt, unter welchen Voraussetzungen ein Fahrzeug als neu gilt.

Gemäß Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 wird der innergemeinschaftliche Erwerb in dem Gebiet des Mitgliedstaates bewirkt, in dem sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Verwendung befindet.

Ebenso bestimmt Artikel 28b Teil A Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 (77/388/EWG), dass als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen der Ort gilt, in dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung des Versands oder der Beförderung an den Erwerber befinden (vgl. nunmehr Artikel 40 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem).

Der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Urteil vom 18. November 2010, X, C-84/09 , darüber entschieden, ob die Einstufung eines Umsatzes als innergemeinschaftliche Lieferung oder innergemeinschaftlicher Erwerb von der Einhaltung einer bestimmten Frist (Beförderung des Gegenstandes vom Liefermitgliedstaat nach dem Bestimmungsmitgliedstaat) abhänge und auf welchen Zeitpunkt dabei für die Beurteilung abzustellen sei, ob ein Fahrzeug (im dort zu beurteilenden Fall: ein Segelboot) als "neu" zu beurteilen sei. Der Europäische Gerichtshof hat in diesem Urteil auch Ausführungen zur Frage getätigt, welcher Ort als Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs anzusehen ist:

"22 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Mehrwertsteuerübergangsregelung für den innergemeinschaftlichen Handel, die durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1) eingeführt worden ist, auf der Einführung eines neuen Steuertatbestands, des innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen, beruht, der es ermöglicht, die Steuereinnahmen auf den Mitgliedstaat, in dem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt, zu verlagern (…).

24 Was insbesondere die Regeln für die Besteuerung des Erwerbs von neuen Fahrzeugen betrifft, geht aus dem elften Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/112 , der den Inhalt des elften Erwägungsgrundes der Richtlinie 91/680 übernimmt, hervor, dass diese Regeln neben der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse außerdem noch das Ziel verfolgen, Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten, die sich aus der Anwendung unterschiedlicher Steuersätze ergeben können, vorzubeugen. In Ermangelung einer Übergangsregelung würde sich der Vertrieb neuer Fahrzeuge nämlich zulasten anderer Mitgliedstaaten und ihrer Steuereinnahmen auf Mitgliedstaaten mit niedrigem Mehrwertsteuersatz beschränken. Wie die Generalanwältin in Nr. 34 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, hat der Unionsgesetzgeber nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2006/112 den Erwerb neuer Fahrzeuge nicht nur durch Steuerpflichtige oder nichtsteuerpflichtige juristische Personen, sondern aufgrund u.a. des hohen Wertes und der leichten Transportierbarkeit dieser Güter auch durch Privatpersonen besteuert.

(…)

40 Um dem vorlegenden Gericht gleichwohl eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zweckdienliche Antwort zu geben, ist zu präzisieren, unter welchen Voraussetzungen der Erwerb eines neuen Fahrzeugs durch eine Privatperson, die beabsichtigt, den betreffenden Gegenstand in einem bestimmten Mitgliedstaat zu verwenden, als innergemeinschaftlicher Erwerb einzustufen ist.

41 Nach ständiger Rechtsprechung haben die Begriffe, die die im Rahmen des gemeinsamen Mehrsteuersystems steuerbaren Umsätze definieren, objektiven Charakter und sind unabhängig von Zweck und Ergebnis der betreffenden Umsätze anwendbar (…). Die Einstufung einer innergemeinschaftlichen Lieferung oder eines innergemeinschaftlichen Erwerbs hat somit gleichfalls anhand objektiver Kriterien wie des Vorliegens einer physischen Bewegung der betreffenden Gegenstände zwischen Mitgliedstaaten zu erfolgen (…).

42 Was neue Fahrzeuge betrifft, ist jedoch festzustellen, dass die in der vorstehenden Randnummer erwähnte Regel auf innergemeinschaftliche Umsätze mit solchen Gegenständen in Anbetracht des besonderen Charakters dieser Umsätze nicht ohne Weiteres anwendbar ist.

43 Zum einen lässt sich insoweit die Beförderung neuer Fahrzeuge von deren Benutzung nur schwer unterscheiden. Zum anderen ist die Einstufung des Umsatzes deshalb schwierig, weil die auf diesen Umsatz entfallende Mehrwertsteuer auch von einer nichtsteuerpflichtigen Privatperson zu entrichten ist, für die die Erklärungs- und Rechnungslegungspflichten nicht gelten, so dass sich eine spätere Überprüfung dieser Person als unmöglich erweist. Im Übrigen kann die Privatperson als Endverbraucher selbst dann keinen Vorsteuerabzug geltend machen, wenn ein erworbenes Fahrzeug weiterverkauft wird, und hat deshalb ein größeres Interesse daran, sich der Besteuerung zu entziehen, als ein Wirtschaftsteilnehmer.

44 Um unter diesen Bedingungen einen Umsatz als innergemeinschaftlichen Erwerb einstufen zu können, ist es erforderlich, eine umfassende Beurteilung aller objektiven tatsächlichen Umstände vorzunehmen, die für die Feststellung maßgebend sind, ob der erworbene Gegenstand das Gebiet des Liefermitgliedstaats tatsächlich verlassen hat und, wenn ja, in welchem Mitgliedstaat sein Endverbrauch stattfinden wird.

45 Wie die Generalanwältin hierzu in Nr. 38 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, gehören zu den Umständen, denen eine gewisse Bedeutung zukommen kann, neben dem zeitlichen Ablauf der Beförderung des in Rede stehenden Gegenstands u.a. der Ort seiner Registrierung und gewöhnlichen Verwendung, der Wohnort des Erwerbers sowie das Bestehen oder Fehlen von Verbindungen, die der Erwerber zum Liefermitgliedstaat oder einem anderen Mitgliedstaat unterhält.

46 Im speziellen Fall des Erwerbs eines Segelboots, wie er im Ausgangsverfahren beabsichtigt ist, können sich auch der Flaggenmitgliedstaat und der Ort als maßgebend erweisen, an dem das Segelboot seinen gewöhnlichen Liege- oder Ankerplatz hat sowie der Ort, an dem es über Winter untergebracht ist.

47 Darüber hinaus sind im besonderen Fall des Erwerbs eines neuen Fahrzeugs so weit wie möglich die Absichten zu berücksichtigen, die der Erwerber zum Zeitpunkt des Erwerbs hatte, sofern sie durch objektive Gesichtspunkte gestützt sind (…). Dies ist erst recht in dem Fall erforderlich, in dem der Erwerber die Befugnis, über den in Rede stehenden Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, im Liefermitgliedstaat erlangt und sich verpflichtet, den Gegenstand in den Bestimmungsmitgliedstaat zu befördern.

48 Entgegen dem Vorbringen von X kann jedoch nicht verlangt werden, dass bei einem innergemeinschaftlichen Erwerb die Beförderung eines Fahrzeugs unmittelbar nach seiner Lieferung durchgeführt wird, dass sie nicht unterbrochen wird und dass der in Rede stehende Gegenstand vor oder während dieser Beförderung nicht in irgendeiner Weise verwendet wird.

49 Zum einen beließe nämlich die Auferlegung solch strenger Bedingungen dem Erwerber die Möglichkeit der Wahl, in welchem Mitgliedstaat die Besteuerung des betreffenden Neufahrzeugs erfolgt, was dem Zweck der Richtlinie 2006/112 zuwiderliefe. Zum anderen gibt es - wie die schwedische Regierung in der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt hat - keinen Grund, eine unterschiedliche steuerliche Behandlung danach anzuwenden, ob das Boot mit einem Schlepper nach Schweden befördert oder ob es dorthin gesegelt wird.

50 Ausschlaggebend ist nämlich, in welchem Mitgliedstaat die endgültige und dauerhafte Verwendung des in Rede stehenden Fahrzeugs stattfinden wird. Seine Verwendung während des Transports, selbst zu Freizeitzwecken, stellt im Verhältnis zur allgemeinen Lebensdauer eines Fahrzeugs insoweit nur eine völlig untergeordnete Zeitspanne dar."

Der Steuertatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen soll es ermöglichen, die Umsatzsteuereinnahmen auf den Mitgliedstaat zu verlagern, in welchem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt (Rn 22 des Urteils C-84/09 ). Bei neuen Fahrzeugen will der Unionsgesetzgeber insbesondere im Hinblick auf deren leichte Transportierbarkeit (und auf deren Wert) auch den Erwerb durch Privatpersonen besteuert wissen (Rn 24).

Die Beurteilung, in welchem Mitgliedstaat der Endverbrauch eines Fahrzeugs (und damit der innergemeinschaftliche Erwerb) stattfindet, hat auf einer umfassenden Abwägung aller objektiven tatsächlichen Umstände zu beruhen. Zu diesen im Rahmen des Gesamtbildes der Verhältnisse zu berücksichtigenden Umständen gehören u.a. der Ort der gewöhnlichen Verwendung des Gegenstandes, seine Registrierung, der Wohnort des Erwerbers sowie das Bestehen oder Fehlen von Verbindungen des Erwerbers zu einzelnen Mitgliedstaaten (Rn 44 f). Es ist anhand objektiver Umstände im Zeitpunkt der Lieferung festzustellen, in welchem Mitgliedstaat die endgültige und dauerhafte Verwendung eines Fahrzeugs stattfinden wird.

Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde die Sachverhaltsfeststellung getroffen, dass der Mitbeteiligte im Zeitpunkt des Erwerbes seinen "einzigen (festen) Wohnsitz" in Österreich und in Deutschland keine benutzbare Wohnung gehabt habe. Der Fahrzeuglieferant habe dem Mitbeteiligten das neue Fahrzeug am 21. Oktober 2004 in Deutschland übergeben, und letzterer habe das Fahrzeug sodann (nach einer Zulassung in Deutschland) nach Österreich gefahren. Anschließend sei der Mitbeteiligte mit dem Fahrzeug für einen "Aufenthalt im Süden" nach Spanien gefahren, wo es zumindest bis Mitte Mai 2005 geblieben sei. Die für die Reise notwendigen Gegenstände, z. B. Bekleidung, habe der Mitbeteiligte im Zuge des Aufenthaltes am festen Wohnsitz in Österreich (Ende Oktober 2004) in das Fahrzeug geladen.

Diese Umstände legen es nahe, dass die Beförderung des Fahrzeugs an diesem einzigen festen Wohnsitz, also in Österreich, endete und von diesem Ort aus die Benutzung erfolgte. Anderes gälte aber für den Fall, dass sich der Aufenthalt in Österreich Ende Oktober 2004 als bloße Unterbrechung der Lieferung in einen anderen Bestimmungs(mitglied)staat darstellen sollte, der endgültige Bestimmungsort des Fahrzeugs also nicht in Österreich gelegen war. Dazu müssten objektive Umstände erkennen lassen, dass im Zeitpunkt des Erwerbes die endgültige und dauerhafte Verwendung des Fahrzeugs in einem anderen Staat geplant gewesen ist.

Zu diesen objektiven Umständen gehören im gegenständlichen Fall insbesondere Wohnsitze des Mitbeteiligten im Zeitpunkt des Erwerbes des Fahrzeugs und die (persönlichen) Verbindungen des Mitbeteiligten in den Mitgliedstaaten (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Zur Frage des Wohnsitzes - nach dem Vorbringen des Mitbeteiligen im Verwaltungsverfahren habe sich dieser in Spanien befunden - wird die belangte Behörde insbesondere auch zu klären haben, wo sich der Mitbeteiligte im Zeitraum unmittelbar vor der Zulassung des Fahrzeugs aufgehalten hat (oder wohnhaft war); nach den Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde habe der Mitbeteiligte in Deutschland keine Möglichkeit gehabt, die für die Reise notwendigen Gegenstände in Deutschland aufzubewahren; auch ein früheres Wohnmobil habe der Mitbeteiligte bereits im August 2004 zurückgegeben. Dass der Mitbeteiligte Gegenstände noch in seinem (bereits verkauften) Haus in Spanien aufbewahrt haben könnte, nimmt die belangte Behörde nicht an.

Auch die tatsächliche Nutzung des Fahrzeugs in den Jahren nach 2004 wird als Indiz auf die beim Erwerb vorgelegene Verwendungsabsicht heranzuziehen sein. Der Mitbeteiligte hat im Verwaltungsverfahren vorgebracht, das Fahrzeug werde stets nur für einige Wochen, nie über die Zeitdauer eines Monates hinaus, und nur für die Dauer der notwendigen ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen des Mitbeteiligten in Österreich sein. Demgegenüber hat das Finanzamt in seiner Berufungsvorentscheidung darauf verwiesen, im Jahr 2005 durchgeführte "stichprobenartige Erhebungen" des Zollamtes hätten ergeben, dass das Fahrzeug von Anfang August bis Mitte September 2005 in Österreich (in S) abgestellt gewesen sei. Im fortzusetzenden Verfahren wird die belangte Behörde somit weitergehende Feststellungen auch über den Einsatzort des Fahrzeugs anzustellen haben.

Da die belangte Behörde ausschließlich auf die Verwendung des Fahrzeugs in Spanien abgestellt hat, weitere Umstände - etwa den Wohnsitz des Mitbeteiligten - aber ausdrücklich als unbeachtlich beurteilt hat und damit auch keine Feststellungen hierzu getroffen hat, erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig und war gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 26. Jänner 2012

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