VwGH Ro 2014/11/0071

VwGHRo 2014/11/007123.10.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Günstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Revision des E H H in M, vertreten durch die Bartl & Partner Rechtsanwälte KG in 8010 Graz, Hauptplatz 3/II, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 28. Februar 2014, Zl. LVwG 33.13-650/2014-16, betreffend Übertretung des § 7i Abs. 3 AVRAG (belangte Behörde: Bezirkshauptmannschaft Südoststeiermark; mitbeteiligte Partei: Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse), zu Recht erkannt:

Normen

AVRAG 1993 §7i Abs3;
AVRAG 1993 §7i Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVRAG 1993 §7i Abs3;
AVRAG 1993 §7i Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als der Beschwerde gegen die Spruchpunkte 1.) bis 5.) und 7.) des Straferkenntnisses Folge gegeben und über den Revisionswerber jeweils eine Strafe verhängt wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Südoststeiermark vom 5. September 2013 wurde der Revisionswerber für schuldig erkannt, er habe folgende Arbeitnehmer beschäftigt, ohne den ihnen zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien geleistet zu haben:

Spruchpunkt 1.):

M. B., beschäftigt am 11.10.2011, Unterentlohnung von 4,33 %.

Spruchpunkt 2.):

B. G., beschäftigt am 25.10.2011, Unterentlohnung von 4,33 %.

Spruchpunkt 3.):

A. P., beschäftigt vom 20.10.2011 bis 21.10.2011,

Unterentlohnung

von 4,33 %.

Spruchpunkt 4.):

M. R., beschäftigt vom 12.10.2011 bis 17.10.2011,

Unterentlohnung

von 4,33 %.

Spruchpunkt 5.):

Ma. R., beschäftigt vom 12.10.2011 bis 25.10.2011,

Unterentlohnung

von 4,33 %.

Spruchpunkt 6.):

W. S., beschäftigt vom 01.05.2011 bis 25.05.2011,

Unterentlohnung

von 2,84 %.

Spruchpunkt 7.):

C. S., beschäftigt am 11.10.2011, Unterentlohnung von 4,33 %.

Spruchpunkt 8.):

A. M., beschäftigt vom 17.11.2011 bis 23.11.2011,

Unterentlohnung

von 33,86 %.

Spruchpunkt 9.):

W. S., beschäftigt vom 28.06.2011 bis 04.07.2011,

Unterentlohnung

von 16,94 %.

Spruchpunkt 10.):

R. W., beschäftigt vom 21.11.2011 bis 25.11.2011,

Unterentlohnung

von 14,08 %.

Dadurch sei § 7i Abs. 3 AVRAG iVm dem Kollektivvertrag für das Bauhilfsgewerbe (Spruchpunkte 1. bis 5., 7. und 10.) bzw. dem Kollektivvertrag für das Baugewerbe und die Bauindustrie (Spruchpunkte 6., 8. und 9.) verletzt worden. In den Spruchpunkten

1.) bis 7.) wurde gemäß § 7i Abs. 4 AVRAG von der Verhängung einer Strafe abgesehen, in den Spruchpunkten 8.) bis 10.) wurde gemäß § 7i Abs. 3 AVRAG iVm § 20 VStG je eine Geldstrafe von EUR 1000,-- und eine Ersatzfreiheitsstrafe von 17 Stunden verhängt.

Der dagegen von der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht insofern Folge, als es zu den Spruchpunkten 1.) bis 5.) und

7.) des Straferkenntnisses Geldstrafen von jeweils EUR 1000,-- und Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils einem Tag, zu den Spruchpunkten 9.) und 10.) Geldstrafen von jeweils EUR 1500,-- und Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils eineinhalb Tagen und zu Spruchpunkt 8.) eine Geldstrafe von 2000,-- und eine Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Tagen verhängte.

Gemäß § 25a VwGG wurde ausgesprochen, dass gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG die Revision zulässig sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vom Verwaltungsgericht vorgelegte Revision.

Das Verwaltungsgericht legte weiters die Akten des Verwaltungsverfahrens sowie eine Revisionsbeantwortung der belangten Behörde vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des AVRAG, BGBl. Nr. 459/1993, idF BGBl. I Nr. 24/2011, lauten (auszugsweise):

"§ 7i (1) ...

(3) Wer als Arbeitgeber/in ein/en Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. Sind von der Unterentlohnung höchstens drei Arbeitnehmer/innen betroffen, beträgt die Geldstrafe für jede/n Arbeitnehmer/in 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall 4 000 Euro bis 50 000 Euro.

(4) Stellt die Bezirksverwaltungsbehörde fest, dass die Unterschreitung des Grundlohns gering oder das Verschulden des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin geringfügig ist, hat sie von der Verhängung einer Strafe abzusehen, sofern der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt binnen einer von der Behörde festzusetzenden Frist nachweislich leistet und eine solche Unterschreitung des Grundlohns durch den/die Arbeitgeber/in das erste Mal erfolgt. Hat das Kompetenzzentrum LSDB, der zuständige Krankenversicherungsträger oder die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse bei erstmaliger Unterschreitung des Grundlohns von einer Anzeige abgesehen oder hat die Bezirksverwaltungsbehörde von der Verhängung einer Strafe abgesehen, ist bei der erstmaligen Wiederholung der Unterschreitung zumindest die Mindeststrafe zu verhängen. Im Fall des ersten und zweiten Satzes ist § 21 Abs. 1 VStG nicht anzuwenden. Weist der/die Arbeitgeber/in der Bezirksverwaltungsbehörde nach, dass er/sie die Differenz vom tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt geleistet hat, ist dies bei der Strafbemessung strafmildernd zu berücksichtigen.

..."

2. Die Revision ist zulässig, weil durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht geklärt ist, wann eine Unterentlohnung als "geringe Unterschreitung des Grundlohnes" anzusehen ist.

3. Die Revision ist teilweise begründet.

3.1. Außer Streit steht, dass der Revisionswerber als Arbeitgeber 9 Arbeitnehmer über unterschiedliche Zeiträume (2 bis 52 ½ Stunden) zwischen Mai 2011 und November 2011 unterentlohnt hat, indem er diesen nicht den ihnen nach dem jeweiligen Kollektivvertrag zustehenden Grundlohn bezahlt hat. Das Ausmaß der Unterentlohnung hat zwischen 2,84% und 33,86% bzw. EUR 0,77 und EUR 43,11 betragen. Die Differenzbeträge wurden nachträglich mit Überweisung vom 11. September 2012 geleistet. Der Arbeitgeber ist wegen Grundlohnunterschreitungen bisher nicht auffällig geworden.

3.2. Der Revisionswerber bringt vor, er habe zu allen erstinstanzlichen Spruchpunkten einen Rechtsanspruch auf ein Absehen von der Verhängung einer Strafe, da die Unterschreitung erstmals erfolgt sei und er die Differenzbeträge unverzüglich geleistet habe; weiters sei eine Unterschreitung von 4,33% - wie in den Fällen zu den Spruchpunkten 1.) bis 5.) und 7.) - gering und sein Verschulden insgesamt geringfügig, sodass auch zu den Spruchpunkten 8.) bis 10.) von einer Strafe hätte abgesehen werden müssen.

3.3. Einleitend ist festzuhalten, dass nach dem angefochtenen Erkenntnis ein Absehen von der Strafe lediglich für die unter Punkt 6 des Straferkenntnisses genannte Verwaltungsübertretung erfolgte. Ein komplettes Absehen von der Verhängung von Strafen kam auch in den übrigen Spruchpunkten, ausgehend von der erfolgten Nachzahlung der Entgeltdifferenz, gemäß § 7i Abs. 4 AVRAG nur in Betracht, wenn in allen in Rede stehenden Fällen die Unterschreitung des Grundlohns gering oder das Verschulden des Arbeitgebers geringfügig war.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt der Umstand, dass mehrere Arbeitnehmer von der Unterentlohnung iSd.

§ 7i Abs. 3 AVRAG betroffen waren, das Verschulden des Revisionswerbers schon nach den Gesetzesmaterialien nicht mehr als geringfügig ansehen (vgl. die RV 1076 Blg NR 24. GP, 7 zu § 7i AVRAG). In einer Konstellation wie der vorliegenden, in der 9 Arbeitnehmer betroffen waren, kann folglich nicht angenommen werden, dass das Verschulden geringfügig wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. September 2014, Zl. 2014/11/0083, mwN).

3.4. Dass die Unterentlohnung gering war, bringt der Revisionswerber selbst nur für jene Fälle vor, in denen die Unterschreitung 4,33% betrug. Soweit die Unterschreitungen 14,08%, 16,94% und 33,86% betrugen, ist unstrittig, dass es sich dabei nicht um geringe Unterentlohnungen handelte. Hinsichtlich der davon betroffenen Fälle zu den erstinstanzlichen Spruchpunkten 8.) bis 10.) ist daher der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht entgegenzutreten, dass eine Strafe zu verhängen war und bei der - eklatanten - Unterschreitung um 33,86% (Spruchpunkt 8.) kein Überwiegen der Milderungsgründe (erstmalige Begehung, Zahlung der Differenz) erkannt werden konnte.

Diesbezüglich war die Revision daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

3.5. Anders als in den eben behandelten Fällen, in denen die Unterentlohnung schon aufgrund der hohen Prozentsätze eindeutig nicht mehr als gering einzustufen war, sind in jenen Fällen, in denen die Unterschreitung 4,33% betrug (erstinstanzliche Spruchpunkte 1.) bis 5.) und 7.)), zusätzliche Kriterien heranzuziehen um festzustellen, ob es sich dabei um geringe Unterschreitungen handelte. Berücksichtigt man im vorliegenden Fall die absoluten Beträge der Unterentlohnung und deren Dauer (vgl. das zitierte Erkenntnis Zl. 2014/11/0083), so ergibt sich:

Die Beträge bewegen sich zwischen EUR 0,77 für 2 Stunden und EUR 20,81 für 52,5 Stunden. Insgesamt betrug die Lohnnachzahlung für die in den erstinstanzlichen Spruchpunkten 1.) bis 5.) und 7.) genannten Arbeitnehmer EUR 44,59. Bei diesen Zahlen vermag der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht des Verwaltungsgerichts, es seien Strafen zu verhängen, da es sich nicht um geringe Unterschreitungen handle, nicht zu teilen (vgl. die RV 1076 Blg NR 24. GP, 7 zu § 7i AVRAG, nach denen § 7i Abs. 3 AVRAG präventiven Charakter hat; "im Vordergrund steht die Sicherstellung des Entgeltanspruchs der Arbeitnehmer/innen und nicht die Pönalisierung des/der Arbeitgebers/Arbeitgeberin").

Das angefochtene Erkenntnis war daher in dem im Spruch genannten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

4. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF. BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 23. Oktober 2014

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