VwGH Ro 2014/02/0104

VwGHRo 2014/02/010410.10.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Riedinger, den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas-Hutchinson, über die Revision des S, vertreten durch den Verein V in V, dieser vertreten durch Dr. Ulrich Schwab und Dr. Georg Friedrich Schwab, Rechtsanwälte in 4600 Wels, Ringstraße 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 3. April 2014, Zl. LVwG-600003/10/KI/SA, betreffend Übertretungen der StVO und des FSG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Gmunden), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52;
B-VG Art133 Abs4 idF 2012/I/051;
VStG §3 Abs1;
VwGG §25a Abs1 idF 2013/I/033;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2014:RO2014020104.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich und der Bund haben der revisionswerbenden Partei zu gleichen Teilen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 4. Juli 2013 wurde der Revisionswerber für schuldig befunden, er habe am 20. Juni 2013 gegen 16.28 Uhr 1.) ein dem Kennzeichen nach bestimmtes Kleinkraftrad (Mofa) an einem näher bezeichneten Tatort in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (1,49 mg/l Atemluftgehalt zum Zeitpunkt der Messung um 16.47 Uhr) gelenkt, wodurch er §§ 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO verletzt habe; und 2.) durch das Lenken des Mofas, obwohl er nicht im Besitz einer von der Behörde erteilten gültigen Lenkberechtigung gewesen sei, am Tatort, einer Straße mit öffentlichem Verkehr, § 1 Abs. 3 iVm § 37 Abs. 1 FSG verletzt. Über den Revisionswerber wurde wegen 1.) eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.600.-- (Ersatzfreiheitsstrafe: zwei Wochen) und wegen 2.) eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 400,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: vier Tage) verhängt.

In der dagegen erhobenen Berufung, welche von der erstinstanzlichen Behörde mit dem Hinweis, dass die Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des Straferkenntnisses nicht gewusst habe, dass der Revisionswerber besachwaltert sei, an die Berufungsinstanz übermittelt wurde, wandte sich die zur Vertretung vor Behörden und Verwaltung des Einkommens und Vermögens bestimmte Sachwalterin des Revisionswerbers unter Vorlage eines Gutachtens eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Dr. H. S., vom 12. Juli 2010 über die Geschäftsfähigkeit des Revisionswerbers zentral gegen die Annahme der Schuldfähigkeit des Revisionswerbers. In diesem Gutachten wird eine sehr ausgeprägte Persönlichkeitsstörung des Revisionswerbers mit geringer Belastbarkeit und im Zusammenhang damit eine Alkoholabhängigkeit festgestellt, in deren Rahmen es immer wieder zu exzessiven Alkoholisierungen bzw. Intoxikationen komme, wodurch bereits seit den frühen 90er Jahren eine Geschäftsunfähigkeit vorliege.

Mit Schreiben vom 22. November 2013 teilte der Unabhängige Verwaltungssenat Oberösterreich als damals zuständige Berufungsinstanz der Sachwalterin mit, dass sein Versuch, zur Frage der Zurechnungsfähigkeit ein amtsärztliches Gutachten einzuholen, daran gescheitert sei, dass laut amtsärztlichem Dienst dafür ein medizinisches Gutachten aus dem Fachgebiet der Psychiatrie erforderlich sei, welches nicht in den Aufgabenbereich der Amtsärzte falle. Aus der vorliegenden Geschäftsunfähigkeit des Revisionswerbers lasse sich dessen mangelnde Zurechnungsfähigkeit nicht konkret ableiten. Um diese Frage rechtlich beurteilen zu können, sei daher im konkreten Fall eine diesbezügliche Abklärung durch einen Facharzt für Psychiatrie notwendig. Die Sachwalterin werde daher eingeladen, eine solche zu veranlassen und das Ergebnis binnen Frist dem Unabhängigen Verwaltungssenat Oberösterreich bekannt zu geben.

Daraufhin legte die Sachwalterin dem sodann zuständig gewordenen Landesverwaltungsgericht Oberösterreich eine fachärztliche Stellungnahme ("Psychiatrische Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit von Herrn S.") des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. G.S. vom 16. Februar 2014 vor, in welcher dieser unter Hinweis auf Anamnese und Krankengeschichten diverser psychiatrischer Gutachten und eines Befundberichts zum Schluss kommt, dass aufgrund der schweren Ausprägung der Alkoholkrankheit des Revisionswerbers weder Zurechnungsfähigkeit noch Schuldfähigkeit gegeben seien.

Im Rahmen des Parteiengehörs übermittelte das Verwaltungsgericht in der Folge der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht, der Bezirkshauptmannschaft Gmunden, diese psychiatrische Beurteilung unter Hinweis darauf, dass diese den Schluss nahelege, dass bei rechtlicher Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit iSd § 3 Abs. 1 VStG die Strafbarkeit des zu beurteilenden Verhaltens auszuschließen sei.

Die Bezirkshauptmannschaft teilte in ihrer Stellungnahme vom 5. März 2014 diese Einschätzung nicht und führte aus, dass die psychiatrische Beurteilung Dris. G.S. nicht die Mindestanforderungen einer fachlichen Expertise enthalte und somit kein fachärztliches Gutachten vorliege. Dr. G.S. habe offenbar nur aufgrund der Vorgutachten seine Meinung geäußert. Nach der Judikatur sei jedoch für die Beurteilung der Schuldunfähigkeit ein fachärztliches Gutachten erforderlich, welches zwangsläufig auch die Untersuchung des Patienten bedinge. Nachdem sowohl anlässlich der Amtshandlung am 20. Juni 2013 als auch bei der Einvernahme vor der Behörde am 4. Juli 2013 vom Revisionswerber durchaus zielgerichtete Angaben, die auch auf ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein hinwiesen, gemacht worden seien, könne nicht offensichtlich auf mangelnde Dispositionsfähigkeit geschlossen werden. Nach Ansicht der Bezirkshauptmannschaft Gmunden sei für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Revisionswerbers ein Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie unabdingbar und es werde die Einholung eines derartigen Gutachtens beantragt.

In einer weiteren Stellungnahme der Sachwalterin vom 7. März 2014 beantragte diese ebenfalls die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens durch die Behörde und verwies darauf, dass sich aufgrund der beigebrachten psychiatrischen Stellungnahme trotz Mangelhaftigkeit Hinweise auf eine eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit des Revisionswerbers ergäben. Die Behörde treffe somit die Beweislast; die Frage der Dispositions- und Diskretionsfähigkeit sei von Amts wegen zu überprüfen. Im Übrigen wies die Sachwalterin darauf hin, dass Dr. G.S. nicht nur der Strafakt der Bezirkshauptmannschaft Gmunden sowie die gesamte Krankengeschichte des Revisionswerbers vorgelegt worden seien, sondern Dr. G.S. auch eine persönliche Untersuchung des Revisionswerbers am 11. Februar 2014 in seiner Ordination vorgenommen habe.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Berufung als unbegründet ab und bestätigte das Straferkenntnis der erstinstanzlichen Behörde mit der Maßgabe, dass hinsichtlich Punkt 2.) die Strafnorm zu lauten habe "§ 37 Abs. 1 iVm § 37 Abs. 3 FSG". Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt.

Begründend führte das Landesverwaltungsgericht nach Darstellung der - unbestrittenen - Tat zur zentralen Frage der Schuldfähigkeit des Revisionswerbers aus, dass es diesem nicht gelungen sei, eine Schuldunfähigkeit glaubhaft zu machen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts lägen keine gravierenden Indizien vor, die auf eine Schuldunfähigkeit des Revisionswerbers schließen ließen. Die Glaubhaftmachung von eine Schuldunfähigkeit begründenden Umständen obliege dem Beschuldigten. "Zufolge der nicht sehr umfangreichen Feststellungen des Dr. S" müsse festgestellt werden, dass eine Schuldunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht worden sei. Dem Antrag auf zeugenschaftliche Einvernahme dieses Facharztes im Rahmen der mündlichen Verhandlung werde "aus objektiver Sicht nicht nachgekommen". Zu berücksichtigen sei auch, dass die "Sachwaltung" des Revisionswerbers eine stationäre Behandlung seiner psychischen Probleme nicht für erforderlich erachtet habe. Daraus müsse wohl abgeleitet werden, dass die Sachwalterin den Zustand des Revisionswerbers nicht für so gravierend beurteile.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die vom Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht verzichtete auf eine Revisionsbeantwortung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Verwaltungsgericht hat ausgesprochen, dass die Revision zulässig sei.

In der Begründung des Zulässigkeitsausspruchs führt das Verwaltungsgericht wörtlich aus:

"Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil nach Auffassung des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof(es) nicht einheitlich beantwortet wird."

Dieser bloß formelhafte Hinweis auf eine nicht näher bezeichnete Rechtsfrage entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 25a Abs. 1 VwGG, wonach der Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision kurz - dh. auch inhaltlich - zu begründen ist. Auch die weitere Behauptung, wonach die - nicht konkretisierte - zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet worden sei, lässt jegliche Darstellung dieser Einschätzung, etwa durch Zitierung divergierender Erkenntnisse oder Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes, vermissen und trifft - wie unter Punkt 3. näher ausgeführt wird - auch nicht zu.

2. Die Revision bestreitet nicht die Begehung der vorgeworfenen Taten, wendet sich aber gegen die ohne weitere medizinische Abklärung durch das Verwaltungsgericht erfolgte Beurteilung des Revisionswerbers als nicht schuldunfähig iSd § 3 Abs. 1 VStG.

3. Die Revision ist zulässig und auch berechtigt, weil das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht.

Gemäß § 3 Abs. 1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Frage, ob der Täter zur Tatzeit zurechnungsunfähig im Sinn des § 3 Abs. 1 VStG war, eine Rechtsfrage, die allerdings bei Vorliegen von Indizien in Richtung einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit nur durch ein medizinisches Sachverständigengutachten - in der Regel aus dem Fachgebiet der Psychiatrie - von Amts wegen zu klären ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 1992, Zl. 91/03/0303, mwH; zur Amtswegigkeit der Wahrnehmung der Bestimmungen des § 3 VStG siehe auch das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1990, Zl. 90/03/0140, mwH).

Im vorliegenden Fall lagen aufgrund der Krankengeschichte des Revisionswerbers, welche zu seiner Besachwalterung geführt hatte, sowie des vorgelegten Attests des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom Februar 2014, in welchem die Schuldfähigkeit bzw. Zurechnungsfähigkeit des Revisionswerbers ausgeschlossen wurden, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts mehrere Indizien für die Annahme vor, dass der Revisionswerber nicht schuldfähig iSd § 3 Abs. 1 VStG sein könnte. Davon ausgehend bedurfte es zur hinreichenden Klärung jedenfalls der Einholung eines medizinischen Gutachtens aus dem Fachgebiet der Psychiatrie. Vor diesem Hintergrund durfte das Verwaltungsgericht auch nicht die Beweislast auf den Revisionswerber überwälzen, sondern war vielmehr gehalten, von Amts wegen ein psychiatrisches Gutachten einzuholen, das den Anforderungen an ein Gutachten gerecht wird.

Auch der Hinweis auf ein bestimmtes situationsbezogenes Verhalten des Revisionswerbers - das Verwaltungsgericht gibt in seiner Entscheidung die Aussage des Vertreters der Bezirkshauptmannschaft in der mündlichen Verhandlung wieder, wonach im Zuge der Strafverhandlung "nicht auffällig geworden wäre", dass der Revisionswerber besachwaltert sein könnte und er den Eindruck gehabt hätte, dass der Revisionswerber "die Situation durchaus mitbekommen" sowie im Anschluss an die Strafverhandlung eine Ratenzahlung beantragt habe - erweist sich schon angesichts dessen, dass der Revisionswerber in der erstinstanzlichen Strafverhandlung ohne Beisein seiner Sachwalterin einvernommen worden war, nicht als schlüssige Begründung für die Annahme einer Zurechnungsfähigkeit im Tatzeitpunkt. Ebenso wenig lassen sich entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts im konkreten Fall aus der bloßen Tatsache, dass der Revisionswerber zur Tatzeit nicht in stationärer Behandlung war, ohne weitere fachmedizinische Abklärung tragende Rückschlüsse auf die Zurechnungsfähigkeit des Revisionswerbers ziehen.

Indem das Verwaltungsgericht entgegen der hg. ständigen Judikatur auf die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens verzichtete, welches aber für die rechtliche Beurteilung der Schuldfähigkeit des Revisionswerbers nach der Aktenlage erforderlich war, hat es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit belastet.

3. Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung das Verwaltungsgericht zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung der Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014. Das auf Abgeltung der Umsatzsteuer abzielende Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese im pauschalierten Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist.

Wien, am 10. Oktober 2014

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