VwGH 2013/08/0184

VwGH2013/08/018410.9.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Pürgy als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde des Mag. J P in T, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 8. Mai 2013, Zl. LGSOÖ/Abt.4/2013-0566-4-000226-0, betreffend Einstellung der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §8 Abs2 erster Satz;
AlVG 1977 §8 Abs2 letzter Satz;
AlVG 1977 §8 Abs2;
AlVG 1977 §9 Abs1;
ASVG §351b;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
AlVG 1977 §8 Abs2 erster Satz;
AlVG 1977 §8 Abs2 letzter Satz;
AlVG 1977 §8 Abs2;
AlVG 1977 §9 Abs1;
ASVG §351b;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) vom 11. März 2013 wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer wegen der Weigerung, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, ab dem 25. Februar 2013 keine Notstandshilfe erhalte. Begründend führte das AMS aus, der Beschwerdeführer sei für den 25. Februar 2013 zu einer gesundheitlichen Abtestung bei der "Gesundheitsstraße" eingeladen worden, weil begründete Zweifel an seinem Gesundheitszustand bestünden. Der Beschwerdeführer habe diesen Termin nicht wahrgenommen, obwohl ihm am 30. Jänner 2013 die Rechtsfolgen im Falle einer Verweigerung einer ärztlichen Untersuchung niederschriftlich zu Kenntnis gebracht worden seien.

1.2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte der Beschwerdeführer ein, es sei nicht ersichtlich, auf Grund welcher Beweismittel und Beweiswürdigung die erstinstanzliche Behörde zur Ansicht gelange, dass er unter einem abzuklärenden Gesundheitszustand leide. Es liege eine Scheinbegründung vor, weshalb der Bescheid gegen § 60 AVG verstoße. Da die erstinstanzliche Entscheidung nicht begründet sei, könne ihr letztlich auf inhaltlicher Ebene nicht entgegengetreten werden. Zudem habe die erstinstanzliche Behörde das Recht des Beschwerdeführers auf Parteiengehör und Akteneinsicht verletzt.

1.3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. In der Begründung hielt sie fest, der Beschwerdeführer habe ab 7. April 2008 Notstandshilfe bezogen. Am 30. Jänner 2013 sei ihm vom AMS niederschriftlich aufgetragen worden, sich am 25. Februar 2013 einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, weil Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit entstanden seien.

Der Beschwerdeführer sei von der belangten Behörde mit Schreiben vom 3. April 2013 nachweislich über die Sach- und Rechtslage informiert worden. Darin habe man hinsichtlich der bestehenden Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers - wie schon in der Niederschrift des AMS vom 30. Jänner 2013 - ausgeführt, dass dieser mehrmals Unterstützungen durch das AMS zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ohne rechtlich objektive Gründe verweigert habe und seine Dienstverhältnisse überwiegend nur von kurzer Dauer gewesen seien; dies sei ein Indiz dafür, dass der Beschwerdeführer Probleme habe, sich in einem Betriebsmilieu zu integrieren. In der Anlage sei dem Beschwerdeführer eine Kopie der Niederschrift vom 30. Jänner 2013 übermittelt und ihm nochmals Gelegenheit gegeben worden, die Zweifel an seiner mangelnden Arbeitsfähigkeit durch Vorlage bereits vorhandener geeigneter Befunde zu zerstreuen. Weiters sei über das Recht auf Akteneinsicht, den Antrag der aufschiebenden Wirkung der Berufung sowie die Entscheidung der Berufungsbehörde aufgeklärt worden. Die belangte Behörde habe dem Beschwerdeführer zudem einen konkreten Termin zur Akteneinsicht angeboten. Dieser habe davon am 16. April 2013 Gebrauch gemacht und daran anschließend eine schriftliche Stellungnahme abgegeben.

In rechtlicher Hinsicht stellte die belangte Behörde zunächst klar, dass eine Voraussetzung für den Bezug der Notstandshilfe das Vorliegen von Arbeitsfähigkeit sei. Bestünden Zweifel an der Arbeitsfähigkeit einer arbeitslosen Person, sei diese nach § 8 Abs. 2 AlVG verpflichtet, sich auf Anordnung des AMS ärztlich untersuchen zu lassen. Weigere sich die betreffende Person, dieser Anordnung Folge zu leisten, erhalte sie für die Dauer der Weigerung keine Notstandshilfe. Im konkreten Fall habe das AMS die objektiven Gründe dargelegt, die Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers hervorgerufen hätten. Darüber sei der Beschwerdeführer vom AMS niederschriftlich am 31. Jänner 2013 informiert und über die im Fall der Nichteinhaltung des Termin zur amtsärztlichen Untersuchung eintretenden Rechtsfolgen aufgeklärt worden. Der Beschwerdeführer habe zum Schreiben der belangten Behörde vom 3. April 2013 zwar ausführlich Stellung genommen, ohne dabei jedoch die vom AMS angeführte Begründung zu erschüttern.

Aus näher bezeichneten, den Beschwerdeführer betreffenden Vorakten und den dazu ergangenen Berufungsentscheidungen der belangten Behörde ergebe sich, warum Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit bestünden. So hätten seine Dienstverhältnisse maximal drei Jahre gedauert und es seien dazwischen lange Perioden von Arbeitslosigkeit gelegen, die auch durch die vom AMS angebotenen Nach- und Umschulungen zur beruflichen Weiterbildung, Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und angebotene Beschäftigungsverhältnisse nicht hätten beendet werden können. Der Beschwerdeführer kenne die Inhalte und Begründungen dieser Bescheide, wodurch ihm auch alle Akteninhalte und Beweismittel bekannt seien, die zur gegenständlichen Berufungsentscheidung geführt haben. Damit liege entgegen dem Berufungsvorbringen auch keine Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht vor.

Die amtsärztliche Begutachtung erfolgte bei der "Gesundheitsstraße" der PVA durch einen Allgemeinmediziner. Soweit dieser die Frage der Arbeitsfähigkeit nicht abschließend zu beurteilen vermag, sei es Sache des Allgemeinmediziners darzutun, dass und gegebenenfalls welche weiteren Untersuchungen durch Fachärzte zur Abklärung des Leidenszustandes aus medizinischer Sicht erforderlich sind. Im vorliegenden Fall sei somit keine Zuweisung zu einer fachärztlichen Begutachtung erfolgt, sondern zu einer amtsärztlichen Untersuchung zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nach § 8 Abs. 3 AlVG im Sinne des § 351b ASVG.

1.4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

2.1. Gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 sind, soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) nichts anderes bestimmt ist, in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

2.2. § 8 Abs. 2 AlVG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 35/2012 bestimmt, dass der Arbeitslose, wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, verpflichtet ist, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld.

Die Bestimmung ist gemäß § 38 AlVG sinngemäß auf die Notstandshilfe anzuwenden.

Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass die Feststellung des Vorliegens von Arbeitsfähigkeit im Zusammenhang mit den Voraussetzungen für die Gewährung von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung ein unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässiges Ziel ist, welches mit der im Gesetz normierten Verpflichtung des Leistungsbeziehers, sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen, verfolgt werden darf. Die Anordnung einer medizinischen Untersuchung darf hingegen nicht als Mittel zur Disziplinierung arbeitsunwilliger, unangenehmer oder aufsässiger Leistungsbezieher eingesetzt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2004, Zl. 2003/08/0271).

Die Anordnung einer medizinischen Untersuchung durch Bedienstete des AMS im Sinne des § 8 Abs. 2 erster Satz AlVG (mit der Sanktion des zweiten Satzes) gegen den Willen der Partei ist nur insoweit rechtmäßig, als (erstens) auf Grund von bestimmten Tatsachen der begründete Verdacht besteht, dass Arbeitsfähigkeit nicht (mehr) vorliegt oder dies die Partei selbst behauptet oder als möglich darstellt. Zweitens hat eine Zuweisung zur Untersuchung (vorerst) nur an einen Arzt für Allgemeinmedizin zu erfolgen. Soweit dieser die Frage der Arbeitsfähigkeit nicht abschließend zu beurteilen vermag, wäre es seine Sache darzutun, dass und welche weiteren Untersuchungen durch Fachärzte oder - gegebenenfalls - welche die Partei in höherem Maß belastenden Untersuchungen, wie zB bildgebende Verfahren oder invasive Maßnahmen, zur Abklärung des Leidenszustandes aus medizinischer Sicht erforderlich sind. Dies gilt auch für die Zuweisung zu einem Facharzt aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie (mit der Sanktion des § 8 Abs. 2 letzter Satz AlVG): eine solche Zuweisung ist nach dem Gesagten nur zulässig, wenn sie entweder der zunächst heranzuziehende Gutachter auf Grund des von ihm erhobenen Befundes für erforderlich erachtet oder die Partei ihr nachweislich zustimmt. Die Partei ist aber in jedem Fall über die Gründe für eine Zuweisung zu einer Untersuchung zu unterrichten, dazu zu hören und über die Sanktion für den Fall der Verweigerung der Untersuchung zu belehren (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 2013, Zl. 2013/08/0228, mwN).

2.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Behörden seien ihrer Verpflichtung, die Gründe für die Notwendigkeit der Einholung eines ärztlichen Gutachtens offenzulegen, nicht nachgekommen. Dies mache deren Vorgehensweise umso mehr rechtswidrig, als hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers ohnehin auf Grund eines BBRZ-Gutachtens vom 20. Juli 2009 Klarheit bestehe. Abgesehen von einer Nickelallergie und festgestellten Hebeeinschränkungen gäbe es bei ihm keine beschäftigungsrechtlich relevanten gesundheitlichen Probleme.

Dem ist entgegen zu halten, dass das AMS dem Beschwerdeführer am 31. Jänner 2013 niederschriftlich aufgetragen hat, sich am 25. Februar 2013 einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, weil Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit bestünden. Dies wurde vom AMS damit begründet, dass der Beschwerdeführer mehrmals Unterstützungen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ohne rechtlich objektive Gründe verweigert habe und seine Dienstverhältnisse überwiegend nur von kurzer Dauer gewesen seien, was vom AMS als Indiz dafür gedeutet wurde, dass der Beschwerdeführer Probleme habe, sich in einem Betriebsmilieu zu integrieren. Im Verfahren vor der belangten Behörde wurde dazu ergänzend auf die den Beschwerdeführer betreffenden Vorakten verwiesen. Damit sind die Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers als ausreichend begründet anzusehen. Bestehen Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Arbeitslosen, ist die Behörde auch verpflichtet, seine Arbeitsfähigkeit von Amts wegen zu prüfen, wofür eine medizinische Untersuchung in Betracht kommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 2013, Zl. 2011/08/0356).

Mit dem Hinweis auf ein aus dem Jahr 2009 stammendes Gutachten und der bloßen Behauptung, es gebe bei ihm keine "beschäftigungsrechtlich relevanten gesundheitlichen Probleme", ist der Beschwerdeführer den von der belangten Behörde angenommenen Zweifeln an seiner Arbeitsfähigkeit auch nur unsubstantiiert entgegen getreten. Ebenso hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen, die Anordnung einer medizinischen Untersuchung sei in seinem Fall als Mittel zur Disziplinierung eines arbeitsunwilligen, unangenehmen oder aufsässigen Leistungsbeziehers eingesetzt worden, nicht näher begründet. Anhaltspunkte dafür sind auch nicht ersichtlich.

2.4. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers wurde dieser sowohl am 31. Jänner 2013 vom AMS als auch mit Schreiben der belangten Behörde vom 3. April 2013 über die Gründe der Zuweisung zur ärztlichen Untersuchung unterrichtet, dazu gehört und über die Sanktion für den Fall der Verweigerung der Untersuchung belehrt. Das diesbezügliche Beschwerdevorbringen erweist sich somit als unbegründet.

2.5. Weder aus dem Verwaltungsakt noch aus dem angefochtenen Bescheid ergibt sich, dass - wie in der Beschwerde behauptet - die vom AMS angeordnete medizinische Untersuchung eine Zuweisung zu einer fachärztlichen Begutachtung sei. Der Niederschrift vom 30. Jänner 2013 zu Folge wurde vielmehr für den 25. Februar 2013 ein Untersuchungstermin bei der Pensionsversicherungsanstalt (Gesundheitsstraße) vereinbart. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, ist die Zuweisung an die Gesundheitsstraße der Pensionsversicherungsanstalt zur Durchführung medizinischer Begutachtung im Sinne des § 351b ASVG der Zuweisung an einen Arzt für Allgemeinmedizin gleichzuhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 2013, Zl. 2013/08/0228).

2.6. Soweit der Beschwerdeführer sein Recht auf Akteneinsicht eingeschränkt sieht, unterlässt er es, die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers konkret darzulegen.

2.7. Insgesamt begegnet es daher keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde zum Ergebnis gekommen ist, dass der Beschwerdeführer durch die Weigerung, sich am 25. Februar 2013 einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, den Tatbestand nach § 8 Abs. 2 AlVG erfüllt habe.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

3. Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, idF BGBl. II Nr. 8/2014 weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 10. September 2014

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