VwGH 2012/05/0151

VwGH2012/05/015124.6.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz und die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Sußner, über die Beschwerde 1. des R E in W, 2. des R F in W, 3. der I F in W,

4. der Dr. B K in W und 5. der I W in W, alle vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in 1030 Wien, Baumannstraße 9/11, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Waidhofen an der Ybbs vom 21. Juni 2012, Zl. H/2-BS- 283/10-2011, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: P S in W; weitere Partei:

Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

BauO NÖ 1996 §54 Abs1;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Stadt Waidhofen an der Ybbs hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit am 18. November 2011 beim Magistrat der Stadt Waidhofen an der Ybbs eingelangtem Bauansuchen beantragte die mitbeteiligte Partei die Baubewilligung für die Sanierung, den Umbau sowie einen Zubau und die Errichtung von sieben PKW-Plätzen auf der Liegenschaft Grundstück Nr. 251/9, EZ 940, KG W. Die Beschwerdeführer sind Eigentümer bzw. Miteigentümer unmittelbar an das Baugrundstück angrenzender Grundstücke.

Mit Schreiben vom 5. Dezember 2011 erhob die Viertbeschwerdeführerin schriftlich Einwendungen betreffend die Nichteinhaltung des Bauwichs, die Nichteinhaltung der Bauhöhe, einen Widerspruch zum Ortsbild, die Störung ihrer Privatsphäre und Lärm- und Abgasemissionen. Einwendungen in dem genannten Sinn wurden bei der mündlichen Bauverhandlung am 6. Dezember 2011 auch von allen anderen Beschwerdeführern erhoben. Bei der mündlichen Verhandlung wurde ferner festgehalten, dass das Baugrundstück als Bauland-Wohngebiet ausgewiesen ist und für das Siedlungsgebiet weder ein Bebauungsplan noch Bebauungsvorschriften existieren.

Im Akt befindet sich weiters eine Stellungnahme des Architekten DI H. vom 12. Dezember 2011 zum Bauvorhaben.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2011 erteilte der Magistrat der Stadt Waidhofen an der Ybbs die beantragte Baubewilligung.

Dagegen erhoben unter anderem alle Beschwerdeführer Berufung.

In der Folge wurde vom Magistrat der Stadt Waidhofen an der Ybbs ein ergänzendes Bausachverständigengutachten vom 20. Jänner 2012 eingeholt, zu dem sich die Beschwerdeführer in einer Stellungnahme vom 14. Februar 2012 ablehnend äußerten.

Nach einer Berufungsvorentscheidung mit Bescheid des Magistrates der Stadt Waidhofen an der Ybbs vom 20. Februar 2012 und einem Vorlageantrag mit Berufung dagegen, erhoben von sämtlichen Beschwerdeführern, wurde mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid die Berufung der Beschwerdeführer als unbegründet abgewiesen (die Berufung einer weiteren Berufungswerberin wurde als unzulässig zurückgewiesen).

Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und von Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde begründend im Wesentlichen aus, beim gegenständlichen Projekt handle es sich nicht um zwei getrennte Gebäude, sondern lediglich um ein Gebäude, das aufgrund des zwischen den beiden Gebäudetrakten (Altbestand/Neubau) liegenden freien Luftraumes, welcher nur in den oberen Geschossen durch Verbindungsbrücken unterbrochen sei, zwei Gebäudefronten aufweise. Es liege somit kein raumbildender (geschlossener) Rücksprung innerhalb eines Gebäudes vor, sondern es handle sich um eine Trennung in zwei Gebäudeteile durch einen entsprechend freien Luftraum.

Die Gebäudelänge betrage 22,76 m (das sei die Gesamtlänge beider Trakte einschließlich der Verbindungsstege). Ausgehend davon könnten die geplanten Balkone mit einer Länge von maximal 5 m und einer Tiefe von 2 m im seitlichen Bauwich gemäß § 52 Abs. 3 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (BO) bewilligt werden.

Bei der Terrasse handle es sich lediglich um eine befestigte Gartenfläche (Gartengestaltung), die in das Gesamtprojekt aufgenommen worden und als solche im seitlichen Bauwich zulässig sei. Ein wesentliches Maß bautechnischer Kenntnisse für deren Errichtung sei nicht erforderlich, die Fläche könnte auch ohne irgendeine Befestigung durch Betonplatten als reine Rasenfläche gleichermaßen Verwendung finden. Derartige Vorbauten seien gemäß § 52 Abs. 3 BO im seitlichen Bauwich bis zur Hälfte des Bauwichs, jedoch nicht mehr als 2 m, zulässig. Bei einer Bewilligungspflicht der Terrasse dürfte diese somit beim seitlichen Bauwich des Altbestandes von 4,82 m lediglich eine Tiefe von 2 m umfassen, und somit müsste ein freibleibender Bauwich von 2,82 m eingehalten werden.

Die Abstände des Zubaues zu den seitlichen Grundstücksgrenzen der Anrainer betrügen 5,20 m sowie 5,26 m. Die Höhe des Zubaues betrage 10,16 m, sodass jedenfalls der entsprechende Bauwich im gesetzlich geforderten Ausmaß der halben Gebäudehöhe eingehalten werde.

Laut Feststellung des bautechnischen Sachverständigen betrage die maximale Höhe des eingereichten Projektes 10,16 m, sodass dieses gemäß § 70 Abs. 2 BO zweifelsfrei der Bauklasse III zuzuordnen sei. Auf dem gegenständlichen Bauplatz bestehe bereits derzeit ein Gebäude der Bauklasse III.

Das eingereichte Projekt entspreche ebenso wie der vorhandene Bestand der Bauklasse III, sodass hinsichtlich der Gebäudehöhe keine Abweichung im Sinne des § 54 BO vorliege. Es sei deshalb für eine allfällige Beurteilung auch nicht erforderlich, die Bebauung der Umgebung heranzuziehen. Vielmehr sei es so, dass bei Wiedererrichtung eines bereits bewilligten Gebäudes oder bei einem Zubau zu einem bestehenden Hauptgebäude bzw. bei einer weiteren Errichtung eines Hauptgebäudes auf einem bereits bebauten Grundstück jedenfalls die Bebauungsweise und Bebauungshöhe zulässig seien, die bereits bei bewilligten Gebäuden auf diesem Grundstück vorhanden seien. Die Bebauungsweise und die Bauklasse, die auf einem Grundstück bereits bewilligt worden seien, könnten jedenfalls auch künftig ermöglicht werden. Für diese Fälle sei eine Ermittlung der in der Umgebung vorhandenen Bebauungsweise und Bebauungshöhe nicht erforderlich.

Hinsichtlich des Ortsbildes bestehe kein subjektivöffentliches Nachbarrecht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde wird im Wesentlichen ausgeführt, die Ansicht, dass beim gegenständlichen Projekt keine durchlaufende, geschlossene Gebäudefront gegeben sei, sondern dass es sich um zwei Fronten handle, die in Bezug auf die Festlegung des Bauwiches heranzuziehen seien, sei unzutreffend. Die Argumentation, dass man nicht von einer Gebäudefront ausgehen könne, da das Gebäude auch geschwenkt sein könnte, überzeuge nicht. Tatsache sei, dass das Gebäude nicht geschwenkt sei. Insofern werde mit zweierlei Maß gemessen. Gehe man nämlich von der fiktiven Möglichkeit der Schwenkung aus und der Argumentation, dass es sich deswegen um keine einheitliche Gebäudefront und kein einheitliches Gebäude handle, so müsste dies auch bei der Gebäudelänge gelten. Das Gebäude hätte dann auch im vorderen Teil eine Länge und im hinteren, eventuell geschwenkten, anderen Teil eine Länge und keine einheitliche Gebäudelänge. Dann wären aber die Balkone in der Länge von 5 m nicht zulässig, da die Gesamtlänge der dann ja als einzeln zu betrachtenden Gebäudeteile eben nicht 15 m erreichen würde.

Es sei außerdem dem Gebäudebegriff immanent, dass das Altgebäude und der Zubau eine Einheit darstellten. Dies müsse auch im Sinne der §§ 50 und 53 BO so gesehen werden. Der Bauwich müsse zumindest die Höhe des Gebäudes und somit zumindest 11 m, in Wahrheit 13,43 m, betragen. Er betrage aber lediglich knapp mehr als 5 m. Die neue Terrasse sei, ungeachtet ob man das Gebäude als einheitliches oder als geteiltes ansehe, jedenfalls zu lang und unzulässig. Sie liege eindeutig im Bauwich, da sie bis an die Grundstücksgrenze des Nachbargrundstückes Nr. 251/8 herangeführt werde. Ob eine Anschüttung dermaßen erfolge, dass zunächst abgegraben und dann die Ebene gleich hoch mit der Bodenplatte gebildet werde oder ob dies bei abfallendem Gelände durch Aufschüttung von Material und Bildung dieser Ebene der Fall sei, ändere nichts an der Erfüllung des Begriffes der Terrasse.

Ein Gebäude mit 13,40 m entspreche der Bauklasse IV. Die Bauklasse IV wäre, ungeachtet der fehlenden Bebauungsbestimmungen, schon aufgrund der Ortsunüblichkeit nach § 54 BO und des Ortsbildes nach § 56 BO unzulässig. Hinsichtlich der Gebäudehöhe sei also von Bauklasse IV auszugehen, sodass eine Abweichung im Sinne des § 54 BO vorliege. Aufgrund der unrichtigen Einordnung des Projektes in die Bauklasse III gehe die belangte Behörde unzutreffend davon aus, dass das Projekt unabhängig von den Gebäuden der Umgebung baubehördlich bewilligt werden könne. Das Bauwerk sei nicht umgebungskonform (wird näher ausgeführt) und widerspreche daher § 54 BO. § 54 BO spiele mit § 56 BO zusammen, die Bebauung sei ausdrücklich als subjektives Nachbarrecht in § 6 Abs. 2 Z 3 BO genannt, und insofern dürften die Nachbarn auch in Bezug auf das Ortsbild ihr Mitspracherecht wahrnehmen. Für das Projekt habe es keine Begutachtung des Stadtbaubeirates gegeben, weshalb es schon deshalb rechtswidrig sei.

Die belangte Behörde habe ferner verkannt, dass bei der Bewilligung eines Neu- und Zubaues eines Gebäudes im Bauland vom Bauwerber bis zur Bauverhandlung die lagerichtige Markierung der Eckpunkte und der im Bauplan mit Null bezeichneten Ebene des Neu- und Zubaues am Bauplatz und der Straßenfluchtlinie, soweit diese bereits festgelegt sei, zu veranlassen sei. Dies sei unterblieben.

Die Argumentation der belangten Behörde, dass es keine auf gleicher sachverständiger Ebene des Bausachverständigen stehende Gegenargumentation der Beschwerdeführer gegeben habe, laufe ins Leere. Es sei nicht die Aufgabe des Sachverständigen, die BO auszulegen, sondern bautechnische Fragen zu erläutern und zu erklären.

Die erst nach der mündlichen Verhandlung eingeholte Stellungnahme des Dipl. Ing. H sei nicht zugestellt und erst mit dem Bescheid bekannt gegeben worden.

Im gegenständlichen Fall ist die Niederösterreichische

Bauordnung 1996 idF LGBl. Nr. 8200-20 maßgebend.

§ 6 BO lautet auszugsweise:

"§ 6

Parteien, Nachbarn und Beteiligte

(1) In Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 32, § 33 Abs. 2, § 34 Abs. 2 und § 35 haben Parteistellung:

...

3.  die Eigentümer der Grundstücke, die an das Baugrundstück angrenzen oder von diesem durch dazwischen liegende Grundflächen mit einer Gesamtbreite bis zu 14 m (z.B. schmale Grundstücke, Verkehrsflächen, Gewässer, Grüngürtel) getrennt sind (Nachbarn), und

...

Nachbarn sind nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauvorhaben bzw. das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten berührt sind.

...

(2) Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die

1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z. 4)

sowie

2. den Schutz vor Immissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§ 63) ergeben,

gewährleisten und über

3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z. 11) der zulässigen (bestehende bewilligte und zukünftig bewilligungsfähige) Gebäude der Nachbarn dienen.

..."

§ 54 BO lautet auszugsweise:

" § 54

Bauwerke im Baulandbereich ohne Bebauungsplan

(1) Ein Neu- oder Zubau eines Hauptgebäudes ist auf einem als Bauland, ausgenommen Bauland-Industriegebiet, gewidmeten Grundstück, für das kein Bebauungsplan gilt oder dieser keine Festlegung der Bebauungsweise oder -höhe enthält, nur zulässig, wenn es in seiner Anordnung auf dem Grundstück oder in seiner Höhe (Bauklasse) von den in seiner Umgebung bewilligten Hauptgebäuden nicht abweicht.

Die Umgebung umfasst einschließlich des Baugrundstücks alle Grundstücke im Bauland, ausgenommen Bauland-Industriegebiet, die vom Baugrundstück aus zur Gänze innerhalb einer Entfernung von 100 m liegen.

Eine Abweichung hinsichtlich der Anordnung oder Höhe liegt dann vor, wenn das neue oder abgeänderte Hauptgebäude nicht der auf dem Baugrundstück bereits bewilligten Bebauungsweise und Bebauungshöhe (Bauklasse) oder nicht jener Bebauungsweise und Bebauungshöhe (Bauklasse) entspricht, die von der Anordnung und der Höhe der Hauptgebäude in der Umgebung abgeleitet wird und die mehrheitlich in der Umgebung vorhanden ist. Neben der abgeleiteten Bauklasse darf auch die nächst niedrigere gewählt werden. Entspricht das neue oder abgeänderte Hauptgebäude der offenen Bebauungsweise und den Bauklassen I und II, liegt unbeschadet des Abs. 4 eine Abweichung hinsichtlich der Anordnung und der Höhe jedenfalls nicht vor. Erhebungen in der Umgebung hinsichtlich der Anordnung und Höhe sind diesfalls nicht erforderlich.

(2) Ist die Feststellung der Mehrheit einer abgeleiteten Bebauungsweise oder der Mehrheit einer abgeleiteten Bauklasse in der Umgebung nicht möglich, so ist das neue oder abgeänderte Hauptgebäude dann zulässig, wenn es bei gleich häufigem Auftreten mehrerer abgeleiteter Bauklassen einer dieser Bebauungsweisen oder Bauklassen entspricht. Ist in der Umgebung keine Bebauungsweise oder Bauklasse ableitbar, gelten die letzten beiden Sätze des Abs. 1 sinngemäß.

(3) Für die Hauptgebäude und andere Bauwerke gelten - nach der Feststellung der durch die bewilligten Hauptgebäude gemäß Abs. 1 und 2 abgeleiteten Bebauungsweise und abgeleiteten Bauklasse - dieselben Bestimmungen dieses Gesetzes wie für Hauptgebäude und Bauwerke, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen, sinngemäß, wobei diese den Lichteinfall unter 45 Grad auf bewilligte Hauptfenster auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigen dürfen.

(4) Zur Wahrung des Charakters der Bebauung darf von den Absätzen 1 bis 3 abgewichen werden, wenn dagegen keine brandschutztechnischen Bedenken bestehen und der Lichteinfall unter 45 Grad auf bewilligte Hauptfenster auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigt wird.

..."

Soweit in der Beschwerde Ortsbildbestimmungen releviert werden, ist dem entgegenzuhalten, dass Nachbarn betreffend Aspekte der Ortsbildgestaltung kein Mitsprachrecht haben (vgl. die bei Pallitsch/Pallitsch/Kleewein, Niederösterreichisches Baurecht, 8. Auflage, S. 182 unter Z 137 zitierte hg. Rechtsprechung).

Die belangte Behörde ist offenbar auf Grund des dritten Satzes des § 54 Abs. 1 BO davon ausgegangen, dass dann, wenn ein Zubau jener Bauklasse entspricht, die auf dem Baugrundstück bereits vorhanden ist, die Bebauung in der Umgebung nicht zu ermitteln ist. Diese Meinung hat zwar die Gesetzesmaterialien für sich, die dies zum Ausdruck bringen (vgl. deren Wiedergabe bei Pallitsch/Pallitsch/Kleewein, aaO, S. 780). Indes findet sich aber im Gesetzestext keine Grundlage für diese Rechtsmeinung, normiert doch dieser, dass eine Abweichung dann vorliegt, wenn das neue oder abgeänderte Hauptgebäude nicht der auf dem Baugrundstück bereits bewilligten Bebauungsweise und Bebauungshöhe (Bauklasse) "oder" nicht jener Bebauungsweise und Bebauungshöhe (Bauklasse) entspricht, die von der Anordnung und der Höhe der Hauptgebäude in der Umgebung abgeleitet wird und die mehrheitlich in der Umgebung vorhanden ist. Die Auslegung der belangten Behörde führte im Übrigen auch zum (unsachlichen) Ergebnis, dass bei bebauten Grundstücken auf bloß ein Gebäude, bei unbebauten Grundstücken hingegen auf alle Gebäude des Umkreises von 100 m Bedacht zu nehmen wäre. Dazu kommt in systematischer Hinsicht die folgende Regelung, nach der dann, wenn das neue oder abgeänderte Hauptgebäude der offenen Bebauungsweise und den Bauklassen I und II entspricht, eine Abweichung hinsichtlich der Anordnung und der Höhe "jedenfalls" nicht vorliegt und Erhebungen in der Umgebung hinsichtlich der Anordnung und Höhe "diesfalls" nicht erforderlich sind. Angesichts des zuvor genannten, mit "oder" eingeleiteten Verweises auf die Bebauung der Umgebung kann kein Zweifel bestehen, dass sich der letzte Satz des § 54 Abs. 1 BO nur auf Fälle bezieht, in denen der offenen Bebauungsweise und den Bauklassen I und II entsprochen wird (was aber im vorliegenden Fall unstrittig nicht erfüllt ist). Im Hinblick auf den Gesetzestext und die Systematik des Gesetzes kann den Gesetzesmaterialien, soweit sie den aus dem Gesetzestext und der Systematik des Gesetzes gewonnenen Interpretationsergebnissen widersprechen, keine Bedeutung bei der Auslegung des Gesetzes zukommen (vgl. dazu Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage, S. 102).

Die belangte Behörde hätte daher unter Berücksichtigung der Bebauung auch in der Umgebung im Sinne des § 54 Abs. 1 und 2 BO eine abgeleitete Bauklasse und eine abgeleitete Bebauungsweise ermitteln müssen. Dies hat sie in Verkennung der Rechtslage nicht getan, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben ist, wobei es sich erübrigt, auf das weitere Beschwerdevorbringen näher einzugehen.

Bemerkt wird, dass eine Verletzung der Nachbarrechte im gegebenen Zusammenhang allerdings nur dann in Frage kommt, wenn durch eine Verletzung der Regelungen betreffend die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich und die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe der Lichteinfall im Sinne des § 6 Abs. 2 Z 3 BO für die Hauptfenster der zulässigen (bestehenden bewilligten und zukünftig bewilligungsfähigen) Gebäude der Nachbarn beeinträchtigt wäre (vgl. dazu näher auch das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2012/05/0101). Diesbezügliche Feststellungen hat die belangte Behörde nicht getroffen, sodass es dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich ist, abschließend zu beurteilen, ob Nachbarrechte tatsächlich verletzt sind. Bemerkt wird ferner, dass durch die Terrasse eine solche Beeinträchtigung des Lichteinfalles offenbar ausscheidet, sodass insofern eine Verletzung dieser Nachbarrechte jedenfalls nicht angenommen werden kann.

Gemäß § 79 Abs. 11 VwGG, BGBl. I Nr. 122/2013, sind auf das vorliegende, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Beschwerdeverfahren die Bestimmungen des VwGG idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 weiter anzuwenden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 79 Abs. 11 VwGG und § 3 der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF Nr. 8/2014 iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 24. Juni 2014

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