VwGH 2011/08/0085

VwGH2011/08/008525.6.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der Bauern in Wien, vertreten durch Mag. Daniel Kornfeind, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 27/28, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 4. März 2011, Zl. BMASK-424672/0001-II/A/3/2010, betreffend Pflichtversicherung in der Unfallversicherung gemäß BSVG (mitbeteiligte Partei: Mag. E W in Wien), zu Recht erkannt:

Normen

BSVG §3 Abs1 Z1;
LAG §5 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2013:2011080085.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt vom 2. Dezember 2009 wurde ausgesprochen, dass der Mitbeteiligte vom 24. April 2006 bis "laufend" in der Unfallversicherung der Bauern pflichtversichert sei.

Begründend führte die Sozialversicherungsanstalt im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte habe am 24. April 2006 eine Liegenschaft zugekauft. Der Einheitswert der im Einheitswertbescheid als landwirtschaftlich genutzt ausgewiesenen Flächen betrage zum 1. Jänner 2007 EUR 1.600,-- und zum 1. Jänner 2008 "EUR 4.600,-- bzw. EUR 6.600,--". In der Bracheerhebung vom 2. Oktober 2008 habe der Mitbeteiligte angegeben, dass sich auf Flächen von 1,8 ha 400 Apfelbäume, 20 Marillenbäume und 10 Birnbäume befänden. Laut Schreiben des Steuerberaters des Mitbeteiligten werde das angefallene Obst teilweise zum Eigenverbrauch verwendet. Auch wenn ein Teil der Bäume zwischenzeitig entfernt worden sei, werde die Einheitswert-Grenze zur bäuerlichen Unfallversicherung überschritten.

Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Einspruch. Er machte geltend, er habe die Apfelbäume gerodet. Die Liegenschaft sei nur mehr eine Weide mit Hühnern und Schafen.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes vom 31. Mai 2010 wurde dem Einspruch keine Folge gegeben.

Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge und stellte fest, dass der Mitbeteiligte in der Zeit vom 24. April 2006 bis "laufend" nicht der Pflichtversicherung in der Unfallversicherung gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 BSVG unterliegt.

Begründend führte die belangte Behörde - nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens - im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte habe am 24. April 2006 eine Liegenschaft angekauft; am 26. Juli 2007 habe er weitere Teile des Grundstückes zugekauft. Diese Flächen seien im Einheitswertbescheid des Finanzamtes als landwirtschaftlich genutzte Flächen bewertet worden. Der Einheitswert dieser Flächen habe zum 1. Jänner 2007 EUR 1.600,-- und zum 1. Jänner 2009 "EUR 4.600,-- bzw. EUR 6.600,--" (sozialversicherungsrechtlich wirksam am 1. Jänner 2009) betragen.

Laut Angaben des Mitbeteiligten vom 2. Oktober 2008 hätten sich zu diesem Zeitpunkt 400 Apfel-, 20 Marillen- und 20 Birnenbäume auf dem Grundstück befunden; die 400 Apfelbäume seien im Dezember 2009 entfernt worden.

Am 10. September 2009 habe in Abwesenheit des Mitbeteiligten eine Brachebesichtigung durch die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt stattgefunden. In der Niederschrift sei festgehalten worden, dass sich auf dem Grundstück noch 8 Stück Apfelbäume sowie einige Marillen- und Ringlottenbäume auf einer Fläche von 20 mal 6 m befänden; es befände sich - außer ein paar Ringlotten auf einem Baum - kein Obst auf den Bäumen. Die Obstbäume würden nicht geschnitten, gespritzt oder bewässert. Herr A, der bei der Besichtigung anwesend gewesen sei und gelegentlich auf dem Grundstück des Mitbeteiligten das Gras gemäht habe, habe angegeben, im Juli 2009 habe ein Fest im Schloss stattgefunden, die Gäste hätten sich das gesamte Obst kostenlos mitnehmen können. Auf dem zugekauften Teilstück von ca. 2 ha werde ein Hügel aufgeschüttet, welcher einen Teil einer Skulptur bilden werde.

Der Mitbeteiligte habe auf dem Grundstück auch eine Weide mit 5 Schafen, 2 Truthähnen und 12 Hühnern. Die Eier würden vom Mitbeteiligten und seiner Familie gelegentlich verzehrt werden. Das Fleisch sowie die Wolle würden nicht verwendet werden. Die Tiere lebten, bis sie eines natürlichen Todes stürben. Der Mitbeteiligte beabsichtige, auf der Liegenschaft einen Skulpturenpark zu errichten.

Die Unfallversicherungspflicht nach § 3 Abs. 1 Z 1 BSVG trete nur dann ein, wenn ein land(forst)wirtschaftlicher Betrieb auf eigene Rechnung und Gefahr geführt werde. Unter einer selbständigen land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit im Rahmen eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes sei eine nachhaltige land- und forstwirtschaftliche Tätigkeit zu verstehen, die objektiv die Schaffung von Einkünften in Geld- oder Güterform bezwecke.

Eine Tätigkeit werde dann nicht nachhaltig betrieben, wenn sie bloß gelegentlich ausgeübt werde und wenn sie objektiv nicht auf Erwerb gerichtet sei. Eine Zurechnung einer Liegenschaft zu einem land(forst)wirtschaftlichen Betrieb setzte auch voraus, dass keine Aufgabe der Bewirtschaftung dieser Liegenschaft vorliege. Es seien somit für die Beitragsbemessung nach dem BSVG nur die Einheitswerte solcher land(forst)wirtschaftlichen Flächen zu berücksichtigen, die im Rahmen eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes im Sinne des Landarbeitsgesetzes in die Bewirtschaftung einbezogen seien, auf denen also in einer Art verfahren werde, die auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung liege.

Der Mitbeteiligte habe im Jahr 2006 bzw. 2007 das Schloss L angekauft. Das Schloss sei vom Mitbeteiligten renoviert worden, 400 Bäume seien entfernt worden, es sei ein Biotop errichtet sowie ein Hügel zum Zwecke einer Skulpturdarstellung aufgeschüttet worden. Der Mitbeteiligte beabsichtige, einen Skulpturenpark auf dem Grundstück zu errichten.

Die Obstbäume würden weder gespritzt noch bewässert oder beschnitten. Der Mitbeteiligte und seine Familie würden das Obst und die Hühnereier nur gelegentlich verspeisen, wenn sie auf dem Landsitz verweilten. Es handle sich um keine nachhaltige Tätigkeit, welche zumindest objektiv auf Erwerb gerichtet wäre. Die Liegenschaft sei vielmehr einem anderen Zweck (Kunstausstellungen) gewidmet und werde zur gelegentlichen Entspannung genützt. Die Ausführungen des Mitbeteiligten, dass der Verzehr des Obstes nur in geringsten Mengen erfolge, der Rest in der Natur belassen werde und die Tiere nicht geschlachtet würden, erscheine glaubwürdig. Es erscheine nicht lebensfremd, dass ein Künstler, welcher 3 ha Grund kaufe und darauf einen Skulpturenpark errichte, nicht beabsichtige, einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zu führen, sondern die verbleibenden Obstbäume nur zur Zierde des Grundstückes beibehalten möchte. Eine "Bewirtschaftung" liege nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt macht zusammengefasst geltend, aufgrund der Bewirtschaftung der rund 30 Obstbäume auf dem Grundstück des Mitbeteiligten sei von einer nachhaltigen landwirtschaftlichen Tätigkeit auszugehen. Auch die Beweiswürdigung sei unzutreffend: Bei der Nachschau im September 2009 sei kein verrottendes Obst am Boden des Obstgartens gefunden worden. Es sei vielmehr festgehalten worden, dass überhaupt kein Obst vorhanden gewesen sei, sodass davon auszugehen sei, dass das auf den Boden fallende Obst sorgfältig im Rahmen einer Bewirtschaftung vom Boden entfernt und vermutlich sogar verarbeitet worden sei. Auch sei die Rechtfertigung, wonach Gäste das gesamte Obst mitgenommen hätten, unglaubwürdig, weil dann zumindest in der oberen Baumkrone noch Obst hätte vorhanden sein müssen. Darüber hinaus sei der Sachverhalt für den Zeitraum vor 2009 (Entfernung der Apfelbäume) unzureichend ermittelt worden.

2. Gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 BSVG sind in der Unfallversicherung auf Grund des BSVG, soweit es sich um natürliche Personen handelt, (u.a.) die im § 2 Abs. 1 Z 1 leg.cit. bezeichneten Personen pflichtversichert, also Personen, die auf ihre Rechnung und Gefahr einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb im Sinne der Bestimmungen des Landarbeitsgesetzes 1984 führen oder auf deren Rechnung und Gefahr ein solcher Betrieb geführt wird.

Ein Betrieb (vgl. auch § 139 Abs. 1 Landarbeitsgesetz 1984) der Land- und Forstwirtschaft im Sinne des § 5 Abs. 1 Landarbeitsgesetz 1984 ist dann gegeben, wenn innerhalb einer organisatorischen Einheit eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse in der land- und forstwirtschaftlichen Produktion fortgesetzt verfolgt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, Zl. 2006/08/0335, mwN).

Zur land- und forstwirtschaftlichen Produktion zählen nach § 5 Abs. 1 zweiter Satz Landarbeitsgesetz 1984 die Hervorbringung und Gewinnung pflanzlicher Erzeugnisse mit Hilfe der Naturkräfte einschließlich des Wein- und Obstbaues, des Gartenbaues und der Baumschulen, das Halten von Nutztieren zur Zucht, Mästung oder Gewinnung tierischer Erzeugnisse sowie die Jagd und Fischerei. Nach Satz 3 dieser Bestimmung ist die der Erhaltung der Kulturlandschaft dienende Landschaftspflege, sofern dafür Förderung aus öffentlichen Mitteln bezogen wird, deren zugrunde liegendes Förderungsziel die Erhaltung der Kulturlandschaft direkt oder indirekt mit einschließt, der land- und forstwirtschaftlichen Produktion gleichzuhalten.

Ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb liegt dann vor, wenn in einer Art verfahren wird, die auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung liegt, also z.B. ein auf Hervorbringung pflanzlicher oder tierischer Erzeugnisse gerichteter Zweck verfolgt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2003, Zl. 2003/08/0070, VwSlg. 16082 A).

Nach der Rechtsprechung kann eine landwirtschaftliche Bewirtschaftung nicht angenommen werden, wenn Früchte nur fallweise reifen und deren Zahl bzw. Menge gerade ausreicht, um an Ort und Stelle verzehrt zu werden. Ist aber die Grenze zur Geringfügigkeit der geernteten Menge überschritten, entspricht die Menge somit nicht nur dem Ertrag von "Naschbäumen", liegt der Obstbau auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung. Selbst wenn der Obstbau ausschließlich für den Eigenbedarf erfolgt, liegt er, sobald die genannten Mengen überschritten werden, auf der Linie der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, Zl. 2006/08/0335, mwN).

Entscheidend für die Frage, ob insoweit die Grenze zur landwirtschaftlichen Bewirtschaftung überschritten wird, ist aber nicht die - aufgrund der vorhandenen Anzahl an Bäumen - mögliche Erntemenge, sondern die tatsächlich geerntete Menge. Ob ein Betrieb im Sinne des Sozialversicherungsrechtes vorliegt, hängt nämlich davon ab, welche Zwecke der Liegenschaftsbesitzer anstrebt und auch tatsächlich verfolgt. Diese Zwecke können nicht nur die landwirtschaftliche Nutzung der Liegenschaft, sondern etwa eine selbst gewählte Beschränkung auf die Erholungswirkung oder - wie hier - eine Nutzung als Künstler sein. Bei einer betrieblichen Tätigkeit kommt es darauf an, mit Betriebsmitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse der landwirtschaftlichen Produktion zu verfolgen. Entscheidend ist, ob die Person, um deren Versicherungspflicht es geht, tatsächlich bereits Handlungen gesetzt hat, die sich als eine landwirtschaftliche Nutzung darstellen oder die zumindest eine Prognoseentscheidung rechtfertigen, dass sie aus Erträgen des Grundbesitzes künftig wirtschaftlichen Nutzen ziehen werde (vgl. - hinsichtlich Forstwirtschaft - das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 1988, Zl. 86/08/0196, VwSlg. 12785 A).

Nach den - von der belangten Behörde als glaubwürdig ihren rechtlichen Ausführungen zu Grunde gelegten - Angaben des Mitbeteiligten wird das Obst nur in kleinsten Mengen geerntet und nur in geringsten Mengen gegessen (im Jahr 2 bis 3 Apfelstrudel und 2 bis 3 Marillenkuchen gebacken); das meiste Obst falle von den Bäumen, verrotte oder werde von Tieren gefressen. Die Eier der Hühner würden, wenn der Mitbeteiligte und seine Familie sich auf der Liegenschaft aufhielten, von diesen gegessen. Die Tiere würden nicht geschlachtet. Weder werde das Fleisch der Tiere gegessen noch deren Wolle verwendet. Die Tiere lebten, bis sie eines natürlichen Todes stürben oder von natürlichen Feinden gerissen würden. Auf der Liegenschaft solle ein Skulpturenpark errichtet werden.

Insoweit liegt daher - auch wenn die Erntemöglichkeit hier die "Naschbaumgrenze" deutlich überschreiten würde - kein landwirtschaftlicher Betrieb vor, da nicht die Erzielung von landwirtschaftlichen Arbeitsergebnissen fortgesetzt verfolgt wird.

Soweit in der Beschwerde auch die Beweiswürdigung gerügt wird (bzw. mangelnde Ermittlungen behauptet werden), so hielt die belangte Behörde die Äußerung des Mitbeteiligten der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt vor. Die Sozialversicherungsanstalt führte dazu - neben Verweisen auf die hg. Rechtsprechung - lediglich aus, die Angaben zur Menge des geernteten Obstes seien unpräzise; es sei darin die Absicht zu erkennen, die "Naschobstgrenze" nicht zu überschreiten. Diesem Vorbringen ist aber entgegenzuhalten, dass die Äußerung des Mitbeteiligten jedenfalls erkennen ließ, dass das vorhandene Obst nur insoweit genutzt werde, als es an Ort und Stelle - allenfalls zu einem Kuchen verarbeitet - verzehrt werden konnte. Wenn die belangte Behörde vor diesem Hintergrund weitere Erhebungen unterließ und das Vorbringen des Mitbeteiligten als glaubwürdig ihren Sachverhaltsannahmen zugrunde legte, so ist ein Verfahrensmangel nicht erkennbar. Auch eine Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung kann nicht aufgezeigt werden.

3. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 25. Juni 2013

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