VwGH 2010/07/0219

VwGH2010/07/021926.9.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Beck, Dr. Hinterwirth, Dr. N. Bachler und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pühringer, über die Beschwerde des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 2. September 2010, Zl. U-3348/614, betreffend Indirekteinleitung von Sickerwässern (mitbeteiligte Partei: Abfallwirtschaftsverband O, vertreten durch Obmann GB in L), zu Recht erkannt:

Normen

AWG 1990 §29;
AWG 2002 §33b Abs10;
AWG 2002 §37;
AWG 2002 §38 Abs1a;
AWG 2002 §87b Abs1;
B-VG Art131 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §47 Abs4;
WRG 1959 §33b Abs10;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Kostenbegehren des Beschwerdeführers wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit Eingabe vom 17. Februar 2010 beantragte die mitbeteiligte Partei bei der belangten Behörde die abfallwirtschaftsrechtliche Genehmigung für eine Sickerwasservorbehandlungsanlage mit Indirekteinleitung in die Verbandskläranlage D. (im Folgenden: A D.).

Zu diesem Vorhaben gaben die Amtssachverständigen für Hochbautechnik und Abfallwirtschaft am 10. Mai 2010 Stellungnahmen ab.

Mit Ansuchen vom 5. Juli 2010 beantragte die mitbeteiligte Partei erneut die abfallwirtschaftsrechtliche Bewilligung für das gegenständliche Projekt in geänderter Form unter Vorlage der Projektsunterlagen. Dieses Projekt ist Gegenstand des mit der vorliegenden Amtsbeschwerde angefochtenen Bescheides.

Zu diesem beschwerdegegenständlichen Projekt gab der Amtssachverständige für Wasserwirtschaft eine gutachterliche Stellungnahme vom 12. Juli 2010 ab.

Mit Kundmachung vom 20. Juli 2010 erfolgte durch die belangte Behörde eine Verständigung über die Auflage des verfahrensgegenständlichen Antrages vom 5. Juli 2010 samt Projektsunterlagen gemäß § 50 Abs. 2 AWG 2002 durch Anschlag an den Amtstafeln der Gemeinde L und der Bezirkshauptmannschaft L während der Dauer von vier Wochen.

Die Stellungnahme des Amtssachverständigen für Wasserwirtschaft vom 12. Juli 2010 wurde mit Schreiben der belangten Behörde vom 20. Juli 2010 in das Parteiengehör übermittelt.

Mit Eingaben vom 23. Juli 2010 sowie vom 10. August 2010 gaben das Arbeitsinspektorat I und der Landesumweltanwalt Stellungnahmen ab. In beiden Stellungnahmen wurden keine Einwendungen erhoben.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 2. September 2010 wurde gemäß den §§ 37 Abs. 3 Z. 5, 38 Abs. 1a, 43 Abs. 1, 47 Abs. 1 sowie 50 AWG 2002 unter Mitanwendung der Bestimmungen des WRG 1959, insbesondere der §§ 32b und 33b Abs. 10 WRG 1959 iVm den §§ 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 Indirekteinleiterverordnung (IEV) und der Abwasserimmissionsverordnung Deponiesickerwasser (AEV Deponiesickerwasser) der mitbeteiligten Partei die abfallwirtschaftsrechtliche Bewilligung für die Sickerwasservorbehandlungsanlage mit Indirekteinleitung von biologisch-chemisch vorgereinigtem Deponiesickerwasser in die A D. im Ausmaß von maximal 50 m3/d und maximal 4,5 m3/h als Tagesspitze (d.h. im Stundenmittel maximal 1,25 l/s), befristet bis 31. Dezember 2021, bei Einhaltung näher genannter Vorschreibungen und Auflagen erteilt.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die zum ursprünglichen Projekt vom 17. Februar 2010 abgegebenen Stellungnahmen der Amtssachverständigen für Hochbautechnik und Abfallwirtschaft vom 10. Mai 2010 und die Stellungnahme des "limnologischen Amtssachverständigen" vom 12. Mai 2010 auch für das nunmehr beantragte Vorhaben vom 5. Juli 2010 herangezogen werden könnten, da sich hinsichtlich dieser Fachbereiche keine Änderungen ergeben hätten.

Von der mitbeteiligten Partei werde der Ersatz der derzeitigen physikalisch arbeitenden Anlage durch eine biologischchemisch arbeitende Anlage für die Vorreinigung des gesamten Deponiesickerwassers und die anschließende Einleitung des gesamten vorgereinigten Deponiesickerwassers über die öffentliche Schmutzwasserkanalisation in die A D. (Indirekteinleitung) angestrebt.

Die geplante Vorreinigungsanlage bestehe im Wesentlichen aus zwei Reinigungsstufen. In der ersten biologischen Reinigungsstufe werde primär der im Deponiesickerwasser vorhandene, relativ hohe Ammoniumstickstoffgehalt weitgehend abgebaut. In der anschließenden zweiten chemischen Reinigungsstufe würden der im Deponiesickerwasser vorhandene CSB-Gehalt (chemischer Sauerstoffbedarf) reduziert sowie eventuell vorhandene Schwermetalle weitgehend entfernt.

Als biologisches Reinigungsverfahren sei das sogenannte "Deammonifikation-SBR-Verfahren" - ein neu entwickeltes hoch innovatives biologisches Verfahren für die Stickstoffentfernung aus dem Abwasser - vorgesehen. Dabei würden in einem im Aufstauverfahren betriebenen Belebungsbecken mit speziellen autotrophen Mikroorganismen etwas mehr als die Hälfte des Ammoniums (NH4) und Nitrit (NO2) oxidiert (sogenannte partielle anaerobe Nitritation) und anschließend mit dem produzierten Nitrit das restliche Ammonium direkt anaerob oxidiert (sogenannte anaerobe Ammoniumoxidation). Gegenüber der konventionellen Stickstoffentfernung (Nitrifikation mit anschließender Denitrifikation) werde bei diesem Verfahren erheblich weniger Belüftungsenergie benötigt. Bei dieser Verfahrenstechnik sei die von der Universität I, Institut für Mikrobiologie, entwickelte Prozesssteuerung, und zwar die PH-Wert-gesteuerte intermittierende Belüftung, von zentraler Bedeutung.

Als chemisches Reinigungsverfahren sei eine konventionelle Fällung und Flockung mittels einem chemisch dreiwertigen Eisenprodukt und einem chemisch dreiwertigen Aluminiumprodukt oder Gleichwertiges vorgesehen.

Die gewählte Verfahrenstechnik sei in den Einreichunterlagen (Projektseinlage 1, Technischer Bericht, Punkt 6: Beschreibung der neuen Sickerwasserbehandlung, Seite 14 ff und Projektseinlage 7, Bericht Laborversuch, A Institut für Mikrobiologie) detailliert beschrieben.

Der bewilligte Konsens hinsichtlich der Immissionsbegrenzungen - so führte die belangte Behörde in der Begründung ihres angefochtenen Bescheides weiter aus - orientiere sich an den Vorgaben der branchenspezifischen AEV Deponiesickerwasser und der IEV. Abweichend von der AEV Deponiesickerwasser sei in Anwendung des § 33b Abs. 10 WRG 1959 anstelle der nach der Vorreinigung maximal zulässigen CSB-Restkonzentration von 300 mg/l eine erhöhte CSB-Restkonzentration von 500 mg/l bewilligt worden.

Nach Wiedergabe der Stellungnahmen der Amtssachverständigen für Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Hochbautechnik nahm die belangte Behörde zu der nach der Vorreinigung erhöhten CSB-Restkonzentration von 500 mg/l wie folgt Stellung: Bei einer für die Indirekteinleitung des vorgesehenen Deponiesickerwassers beantragten maximalen CSB-Resttagesfracht und unter der Annahme, dass diese CSB-Restfracht bei der A D. nicht mehr weiter abgebaut werden könne ("worst case"), würde durch die gegenständlich beantragte Indirekteinleitung des Deponiesickerwassers bei der A D. die CSB-Ablaufkonzentration von rund 45 mg/l auf rund 55 mg/l ansteigen und die CSB-Abbaurate von rund 95 % nahezu unverändert erhalten bleiben. Es sei daher davon auszugehen, dass durch die gegenständlich beantragte Indirekteinleitung mit erhöhter CSB-Restbelastung die A D. weiterhin in der Lage sei, den eigenen CSB-Konsens von mindestens 85 % (im Jahresmittel) und einen Ablaufgrenzwert in der mengenproportionalen Tagesmischprobe von maximal 75 mg/l CSB problemlos einzuhalten.

In diesem Zusammenhang sei zu klären gewesen, ob die Einhaltung des nach der AEV Deponiesickerwasser vorgeschriebenen CSB-Immissionswertes mit wirtschaftlich zumutbarem Aufwand technisch möglich wäre. Dies bedeute die Beantwortung der Frage, ob ein allenfalls notwendiger weiterer Reinigungsschritt zur Reduktion der CSB-Restfracht, soweit dieser technisch möglich sei, auch finanziell zumutbar wäre.

Es sei technisch möglich, die beantragte Anlage zur Sickerwasservorbehandlung um eine weitere Reinigungsstufe zu ergänzen. Dies wäre mit einer Aktivkohleanlage zu bewerkstelligen. Der Entfernungsgrad an CSB würde sich bei der Anlagenergänzung von 85 % auf rund 91 % oder zusätzlich um 6 % verbessern.

Der "Investitionskostenmehraufwand" für diese weitere Reinigungsstufe gegenüber der derzeit beantragten Anlage würde sich auf etwa EUR 350.000,-- belaufen. Die zusätzlichen jährlichen reinen Betriebskosten seien mit zumindest EUR 42.000,-- pro Jahr bzw. EUR 7,-- pro m3 anzunehmen. Das entspreche insgesamt Zusatzkosten von 100 % "gegenüber der beantragten Lösung".

Dabei bleibe unberücksichtigt, dass bei der weiteren Reinigungsstufe auch zusätzliche Umweltbelastungen wie Transporte (Aktivkohle) und Energieaufwand (Pumpen und thermische Regeneration der Aktivkohle) entstünden.

Die Prüfung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit sei vergleichbar mit einer Interessenabwägung, bei der eine Abwägung zwischen den Schutzinteressen und den wirtschaftlichen Interessen erfolge. Im gegenständlichen Fall sprächen Mehrkosten von 100 % samt zusätzlichen Umweltbelastungen gegen einen weiteren Reinigungsschritt. Dafür spreche, dass sich der Entfernungsgrad an CSB um weitere 6 % verbessern würde. Allerdings hätten die Amtssachverständigen dazu ausgeführt, dass der erhöhte CSB-Wert keine Veränderungen im ökologischen Zustand der D bewirke und die A D. weiterhin in der Lage sei, ihren eigenen CSB-Konsens problemlos einzuhalten. Daher könne aus wasserwirtschaftlicher und limnologischer Sicht der erhöhte Wert toleriert werden.

Aus diesen Gründen sei der Aufwand zur Erweiterung der beantragten Anlage im Verhältnis zum gewinnbaren Nutzen als unverhältnismäßig einzustufen. Er sei daher mit wirtschaftlich zumutbarem Aufwand nicht möglich, den Grenzwert von 300 mg CSB/l zu erreichen.

Daher sei die belangte Behörde der Ansicht, dass die Einhaltung der nach der AEV Deponiesickerwasser vorgeschriebenen CSB-Immissionsbegrenzung zwar technisch möglich wäre, jedoch nicht mit wirtschaftlich zumutbarem Aufwand.

Selbst wenn man zur Ansicht gelangen sollte, dass die Einhaltung der nach der AEV Deponiesickerwasser vorgeschriebenen CSB-Restfracht mit wirtschaftlich zumutbarem Aufwand technisch möglich wäre, so wäre die Anhebung der CSB-Immissionsbegrenzung dennoch möglich, sollte das öffentliche Interesse an der die Einleitung erfordernden Maßnahme jenes an der Gewässerreinhaltung überwiegen, oder die Überschreitung der Immissionswerte im Hinblick auf die gegebenen wasserwirtschaftlichen Verhältnisse vorübergehend hingenommen werden können (§ 33b Abs. 10 WRG 1959).

Dazu habe der gewässerökologische Amtssachverständige ausgeführt, dass sich keine Veränderungen am ökologischen Zustand der D ergäben, soweit die konsentierten Werte der A D. bei der Ausleitung in die D als Vorfluter nicht überschritten würden. Aus Sicht der Gewässerökologie könne dem Vorhaben zugestimmt werden, eine kurzzeitige Überschreitung des CSB-Wertes bei der Indirekteinleitung sei tolerierbar.

Die Abweichung von einer verordneten Immissionsbegrenzung sei somit zulässig.

Abschließend hielt die belangte Behörde fest, dass im gegenständlichen Verfahren keine Bewilligung nach § 33b Abs. 10 WRG 1959 beantragt sei, sondern ein Verfahren nach AWG 2002 unter Mitanwendung des WRG 1959. Gemäß der zitierten Bestimmung des § 38 Abs. 1a AWG 2002 seien verfahrensrechtliche Bestimmungen nicht mitzuvollziehen. Somit sei davon auszugehen, dass jene Bestimmungen, die sich auf die Antragsunterlagen, die Befristung der Ausnahmebewilligung und die Vorlage beim Beschwerdeführer bezögen, im gegenständlichen Fall als solche nicht zur Anwendung gelangten.

Die Befristung stütze sich auf § 21 iVm § 33b Abs. 10 WRG 1959.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Die mitbeteiligte Partei hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde erachtet die beschwerdeführende Partei als nicht beschwerdelegitimiert.

So stelle die Bestimmung des § 38 Abs. 1a AWG 2002 klar, dass die in den mitzuvollziehenden Materiengesetzen umschriebenen Rechtsvorschriften insoweit nicht anzuwenden seien, als es sich um Bestimmungen über die Parteistellung, die Behördenzuständigkeit und das Verfahren handle. Diese Bestimmung normiere hinsichtlich bundesrechtlicher Materien, wie das WRG 1959, eine umfassende Verfahrens- und Entscheidungskonzentration.

Für die belangte Behörde stehe fest, dass der beschwerdeführenden Partei in § 33b Abs. 10 WRG 1959 eine Stellung als Formalpartei mit der Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof eingeräumt werde. Insofern handle es sich hiebei um eine Bestimmung über die Parteistellung bzw. das Verfahren, sodass der beschwerdeführenden Partei keine Beschwerdelegitimation zukomme.

Somit sei die beschwerdeführende Partei lediglich gemäß § 87b Abs. 1 AWG 2002, sofern ihre Zuständigkeit in erster Instanz gegeben sei, in diesen Angelegenheiten berechtigt, gegen Bescheide der unabhängigen Verwaltungssenate in Verwaltungsstrafverfahren und Verfahren gemäß § 67c AVG Amtsbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Auch diese Bestimmung sei auf den gegenständlichen Fall nicht anzuwenden, da es sich hier um eine Entscheidung der belangten Behörde als Abfallbehörde gemäß §§ 37 Abs. 3 Z. 5, 38 Abs. 1a, 43 Abs. 1, 47 Abs. 1 sowie 50 AWG 2002 unter Anwendungen der Bestimmungen des WRG 1959, insbesondere der §§ 32b und 33b Abs. 10 WRG 1959, iVm den §§ 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 IEV und der AEV Deponiesickerwasser handle.

Gemäß § 38 Abs. 1a erster und zweiter Satz AWG 2002 sind im Genehmigungsverfahren und Anzeigeverfahren für gemäß § 37 genehmigungspflichtige Behandlungsanlagen alle Vorschriften - mit Ausnahme der Bestimmungen über die Parteistellung, die Behördenzuständigkeit und das Verfahren - anzuwenden, die im Bereich des Gewerbe-, Wasser-, Forst-, Mineralrohstoff-, Strahlenschutz-, Luftfahrt-, Schifffahrts-, Luftreinhalte-, Immissionsschutz-, Rohrleitungs-, Eisenbahn-, Bundesstraßen-, Gaswirtschafts- und Denkmalschutzrechts für Bewilligungen, Genehmigungen und Untersagungen des Projektes anzuwenden sind. Die Genehmigung oder Nicht-Untersagung ersetzt die nach den genannten bundesrechtlichen Vorschriften erforderlichen Bewilligungen, Genehmigungen oder Nichtuntersagungen.

Ist im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände mit wirtschaftlich zumutbarem Aufwand das Einhalten von nach § 33b Abs. 3 verordneten Immissionswerten technisch nicht möglich, darf eine Bewilligung der Abwassereinleitung mit weniger strengen Regelungen nach § 33b Abs. 10 WRG 1959 dann erteilt werden, wenn

a) das öffentliche Interesse an der die Einleitung erfordernden Maßnahme jenes an der Gewässerreinhaltung überwiegt, oder wenn

b) die Überschreitung der Emmissionswerte im Hinblick auf die gegebenen wasserwirtschaftlichen Verhältnisse vorübergehend hingenommen werden kann.

Dem Antrag sind die zu einer Prüfung erforderlichen Unterlagen, insbesondere jene nach § 103 anzuschließen. Eine solche Ausnahmebewilligung ist kurz zu befristen und mit den gebotenen Immissionsbeschränkungen zu versehen. Solche Bescheide sind binnen zwei Wochen nach deren Rechtskraft unter Anschluss der Entscheidungsunterlagen dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vorzulegen. Dieser kann gegen solche Bescheide Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erheben. Die Beschwerdefrist beginnt mit dem Einlangen des Bescheides und der Unterlagen beim Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft.

Die Bestimmung des § 38 Abs. 1a AWG 2002 stellt klar, dass die dort umschriebenen Rechtsvorschriften insoweit nicht mitanzuwenden sind, als es sich um Bestimmungen über die Parteistellung, die Behördenzuständigkeit und das Verfahren handelt.

Entscheidender Aspekt für die Beurteilung der Zulässigkeit der vorliegenden Amtsbeschwerde nach § 33b Abs. 10 WRG 1959 ist, ob diese als "Bestimmung über das Verfahren" nach § 38 Abs. 1a AWG 2002 anzusehen ist und somit - wie die belangte Behörde behauptet - als verfahrensrechtliche Sonderbestimmung bei Anwendung des WRG 1959 im vorliegenden abfallwirtschaftsrechtlichen Verfahren über die Konzentrationsbestimmung des § 38 Abs. 1a AWG 2002 keine Berücksichtigung erfährt.

Die Beantwortung dieser Frage hat zum einen über eine Qualifikation der Amtsbeschwerdebefugnis nach § 33b Abs. 10 WRG 1959 und zum anderen über die Auslegung des Begriffes "Verfahren" in § 38 Abs. 1a WRG 1959 zu erfolgen.

Unter beiden Aspekten ist der Rechtsansicht der belangten Behörde nicht zu folgen:

Die Amtsbeschwerdebefugnis nach § 33b Abs. 10 WRG 1959 findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 131 Abs. 2 B-VG.

Dieser Bestimmung zufolge wird in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen bestimmt, unter welchen Voraussetzungen auch in anderen als in den in Art. 131 Abs. 1 B-VG angeführten Fällen Beschwerden gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden wegen Rechtswidrigkeit zulässig sind.

Die Amtsbeschwerdebefugnis nach § 33b Abs. 10 WRG 1959 ist ein Rechtsschutzinstrument, das vom einfachen Gesetzgeber auf Grund der geschilderten verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Art. 131 Abs. 2 B-VG der beschwerdeführenden Partei zur Sicherung der objektiven Rechtmäßigkeit der Verwaltung eingeräumt wurde (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juni 2004, VfSlg. 17.220, mit Verweisen auf die hg. Rechtsprechung).

Schon für das AWG 1990 judizierte der Verwaltungsgerichtshof, dass im Verfahren nach § 29 AWG 1990 über die Konzentrationsvorschrift lediglich die materiellen Bestimmungen der jeweiligen Gesetze ohne deren "reine Verfahrensvorschriften" anwendbar seien (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. September 1997, Zl. 97/07/0051, VwSlg. 14.735/A).

Nach § 38 Abs. 1a AWG 2002 gelten für das Verfahrensrecht nur noch die allgemeinen Regelungen des AVG und die Sonderbestimmungen des AWG 2002, nicht jedoch die verfahrensrechtlichen Sonderbestimmungen - die "reinen Verfahrensvorschriften" - in den nach dieser Bestimmung mitanzuwendenden Vorschriften (vgl. Tessar, Grundriss des Abfallwirtschaftsrechts, 2006, 173, sowie List/Schmelz, AWG 2002, 2009, 263).

Mit diesen nicht anwendbaren Vorschriften sind ausschließlich jene Verfahrensvorschriften in den jeweiligen Materiengesetzen gemeint, die den Verfahrensabschnitt bis zur Rechtskraft des das Verfahren beendenden Bescheides betreffen.

Die Amtsbeschwerdebefugnis nach Art. 33b Abs. 10 WRG 1959 setzt indessen gerade einen rechtskräftigen Bescheid voraus, weshalb sich ein Verständnis als Vorschrift über das Verfahren im Sinne des § 38 Abs. 1a AWG 2002 verbietet.

Dem steht auch nicht entgegen, dass das AWG 2002 in § 87b Abs. 1 für eine andere Verfahrenskonstellation selbst eine Amtsbeschwerdebefugnis normiert. Auch diese stützt sich auf Art. 131 Abs. 2 B-VG und kann ihrerseits eine Anwendung der Amtsbeschwerdebefugnis nach § 33b Abs. 10 WRG 1959 im Beschwerdefall nicht ausschließen.

Die Beschwerdebefugnis nach § 33b Abs. 10 WRG 1959 ist auch keine Bestimmung über die Parteistellung im Sinne des § 38 Abs. 1a AWG 2002. "Bestimmungen über die Parteistellung" nach § 38 Abs. 1a AWG 2002 sind nämlich auch solche, die den Verfahrensabschnitt bis zur Rechtskraft des das Verfahren beendenden Bescheides betreffen.

Die vorliegende Amtsbeschwerde ist daher zulässig. Die Amtsbeschwerde erweist sich im Ergebnis auch als berechtigt.

Im angefochtenen Bescheid wurde abweichend von der AEV Deponiesickerwasser im Sinne des § 33b Abs. 10 WRG 1959 anstelle der nach der Vorreinigung maximal zulässigen CSB-Restkonzentration von 300 mg/l eine erhöhte CSB-Restkonzentration von 500 mg/l bewilligt.

Im Falle eines Vorgehens nach § 33b Abs. 10 WRG 1959 ist das Vorliegen sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift in einer in jeder Hinsicht nachvollziehbaren Weise zu begründen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Juli 2002, Zl. 98/07/0150).

Die belangte Behörde stützte ihre Interessenabwägung nach § 33b Abs. 10 WRG 1959 auf das Gutachten ihres wasserwirtschaftlichen Amtssachverständigen vom 12. Juli 2010.

Dieses lautet in seinen entscheidungswesentlichen Passagen wie folgt:

"Für die gegenständliche Indirekteinleitung wurde für den Parameter CSB - abweichend von der AEV Deponiesickerwasser, BGBl. II 263/2003 - anstatt der nach der Vorreinigung zulässigen CSB-Restkonzentration von maximal 300 mg/l (siehe dazu Anhang A der zit. AEV Deponiesickerwasser) eine erhöhte CSB-Restkonzentration von 500 mg/l beantragt.

Nach den Betriebsprotokollen 2008 wurde bei der Verbandskläranlage D. in der mengenproportionalen Tagesmischprobe eine CSB-Ablaufkonzentration von maximal rd. 45 mg/l gemessen. Bei einer Tageszulaufmenge von rd. 5000 m3 lag damals die CSB-Zulaufkonzentration in der mengenproportionalen Tagesmischprobe bei rd. 850 mg/l. Dies ergibt einen CSB-Abbau von rd. 95 % (=(rd. 45 mg/l/850 mg/l) - 1x (-100)).

Bei einer für die Indirekteinleitung des vorgereinigten Deponiesickerwassers beantragten maximalen CSB-Resttagesfracht von maximal 25 kg (= maximal 50 m3/d. Deponiesickerwassermenge und maximal 500 mg/l CSB-Restkonzentration) und unter der Annahme, dass diese CSB-Restfracht bei der Verbandskläranlage D. nicht mehr weiter abgebaut werden kann (='worst case'), würde durch die gegenständlich beantragte Indirekteinleitung des Deponiesickerwassers bei der Verbandskläranlage D. die CSB-Ablaufkonzentration von rd. 45 mg/l auf rd. 50 mg/l (=(5000 m3/d x 45 mg/l + 50 m3/d x 500 mg/l) /5050 m3/d) ansteigen und die CSB-Abbaurate von rd. 95% nahezu unverändert erhalten bleiben. Diese Betrachtungen zeigen auf, dass durch die gegenständlich beantragte Indirekteinleitung mit 'erhöhter' CSB-Restbelastung die Verbandskläranlage D. weiterhin in der Lage ist, ihren eigenen CSB-Konsens von mindestens 85 % Abbau (im Jahresmittel) und einen Ablaufgrenzwert in der mengenproportionalen Tagesmischprobe von maximal 75 mg/l CSB problemlos einzuhalten. Der beantragten - verfahrenstechnisch bedingten - erhöhten Restbelastung von 500 mg/l CSB kann daher aus dieser Sicht zugestimmt werden.

In Bezug auf die Ausnahmeregelung i.S. § 33b Abs. 10 WRG 1959 hat der Konsenswerber in den Einreichunterlagen nachvollziehbar dargelegt, dass die Einhaltung der Immissionsbegrenzung bezüglich CSB von 300 mg/l gemäß AEV Deponiesickerwasser, BGBl. II 263/2003, mit wirtschaftlich zumutbarem Aufwand nicht erreicht werden kann (siehe Projektseinlage 1, Technischer Bericht, Pkt. 10. Abschätzung der Zumutbarkeit weitergehender Reinigungsschritte, Seite 22 ff). Im Hinblick darauf, dass der technische Aufwand einer zusätzlichen Reinigungsmaßnahme als unverhältnismäßig einzustufen ist, ist daher der Ausnahmetatbestand des § 33b Abs. 10 WRG 1959 als gegeben anzusehen."

Die vorgenommene Interessenabwägung erweist sich in mehrfacher Hinsicht als nicht in Übereinstimmung mit der Rechtslage.

Die belangte Behörde leitet die wirtschaftliche Unzumutbarkeit lediglich aus dem "Investitionskostenmehraufwand" ab, der sich aus einer Erweiterung der verfahrensgegenständlichen Sickerwasservorbehandlungsanlage um eine weitere Reinigungsstufe (Aktivkohleanlage) ergibt. Eine Erweiterung würde die Einhaltung des Grenzwertes bei der CSB-Restfracht gewährleisten. Mehrkosten von 100 % gegenüber dem verfahrensgegenständlichen Projekt in Zusammenhang mit zusätzlichen Umweltbelastungen bei einer weiteren Reinigungsstufe ergäben eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit.

Dieser Vergleich erweist sich - wie die Amtsbeschwerde zutreffend aufzeigt - als verkürzt.

Es wäre an der belangten Behörde gelegen, nicht lediglich eine Anlage mit zwei oder drei Reinigungsstufen zu vergleichen. Vielmehr wäre die Wirtschaftlichkeit des Einsatzes alternativer Reinigungsanlagen, die sich anderer Verfahrenstechniken bedienen und somit die Einhaltung der Grenzwerte der AEV Deponiesickerwasser sicherstellen, zu prüfen gewesen.

Eine Interessenabwägung in § 33b Abs. 10 WRG 1959 kann ohne Bezug auf die nachvollziehbar darzustellenden wasserwirtschaftlichen Verhältnisse nicht durchgeführt werden.

Eine solche Darstellung der wasserwirtschaftlichen Verhältnisse lässt die belangte Behörde vermissen: Im angefochtenen Bescheid behauptet die belangte Behörde unter Verweis auf die Ausführungen des "gewässerökologischen Amtssachverständigen", dass sich keine Veränderungen im ökologischen Zustand der D ergäben, soweit die konsentierten Werte der A D. bei der Ausleitung in die D als Vorfluter nicht überschritten würden. Im gesamten angefochtenen Bescheid werden diese Ausführungen des "gewässerökologischen Amtssachverständigen" - im Gegensatz zu den Ausführungen der wasserwirtschaftlichen, abfalltechnischen und hochbautechnischen Amtssachverständigen - nicht wiedergebeben. Auch in den vorgelegten Verwaltungsakten sind gutachterliche Ausführungen eines "gewässerökologischen Amtssachverständigen" nicht vorzufinden. Die Bezugnahmen auf einen "gewässerökologischen Amtssachverständigen" sind somit nicht nachvollziehbar.

Aber auch die Ausführungen des wasserwirtschaftlichen Amtssachverständigen vom 12. Juli 2010 vermögen die gebotene Interessenabwägung nicht zu tragen.

Dieser stellt fest, dass durch die gegenständlich beantragte Indirekteinleitung des Deponiesickerwassers bei der A D. die CSB-Ablaufkonzentration von rund 45 mg/l auf rund 50 mg/l ansteigen würde. Die CSB-Abbaurate von in etwa 95 % bliebe nahezu unverändert erhalten. Damit sei die A D. weiterhin in der Lage, ihren eigenen CSB-Konsens von mindestens 85 % Abbau (im Jahresmittel) und einen Ablaufgrenzwert in der mengenproportionalen Tagesmischprobe von maximal 75 mg/l CSB problemlos einzuhalten. Aus dieser Sicht könne daher der erhöhten Restbelastung von 500 mg/l CSB zugestimmt werden.

Diese Ausführungen werden einer nach § 33b Abs. 10 WRG 1959 geforderten Interessenabwägung nicht gerecht. Damit ist nämlich lediglich gesagt, dass der "CSB-Konsens" eines prozentualen Abbaus im Jahresmittel und der Ablaufgrenzwert der A D. eingehalten würden. Diese der A D. - offensichtlich in Bescheidform - vorgeschriebenen Werte sind jedoch bei der gebotenen Darstellung der wasserwirtschaftlichen Verhältnisse nicht maßgebend. Wesentlich ist vielmehr eine nachvollziehbare Darstellung der Auswirkungen der erhöhten CSB-Ablaufkonzentration auf die wasserwirtschaftlichen Verhältnisse. Dieser korrekte Vergleichsparameter ermöglicht erst die nach § 33b Abs. 10 WRG 1959 gebotene Interessenabwägung.

Gemäß § 33b Abs. 10 Satz 3 WRG 1959 ist eine Ausnahmebewilligung kurz zu befristen. Eine Bewilligungsdauer von zehn Jahren, wie sie im angefochtenen Bescheid verfügt wurde und die offenbar der Standzeit (Lebensdauer) der gegenständlichen Vorreinigungsanlage entspricht, ist schließlich keinesfalls als "kurze Befristung" im Sinne dieser Bestimmung anzusehen.

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Die Beschwerdebefugnis des Bundesministers nach § 33b Abs. 10 WRG 1959 ist - wie bereits ausgeführt - ein Fall der sogenannten Amtsbeschwerde nach Art. 131 Abs. 2 B-VG, daher findet nach § 47 Abs. 4 VwGG für ihn kein Aufwandersatz statt. Der Kostenantrag war zurückzuweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 2012, Zl. 2010/07/0150).

Wien, am 26. September 2013

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