VwGH 2012/22/0002

VwGH2012/22/000223.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Werner Purr, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Neutorgasse 49/I, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 12. Dezember 2011, Zl. 158.363/2-III/4/11, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §43 Abs3 idF 2011/I/038;
NAG 2005 §44a idF 2011/I/038;
NAG 2005 §44b Abs1 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2012:2012220002.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines armenischen Staatsangehörigen, ihm aus humanitären Gründen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, gemäß § 43 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zurück.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 17. Juli 2003 in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Am 8. April 2004 habe er einen Asylantrag gestellt. Da der Beschwerdeführer danach unbekannten Aufenthalts gewesen sei, sei das Asylverfahren am 11. Mai 2004 eingestellt worden. Am 25. Juni 2004 sei es wieder fortgesetzt worden. Das Bundesasylamt habe den Antrag des Beschwerdeführers in erster Instanz abgewiesen und unter einem gegen ihn eine Ausweisung ausgesprochen. Die gegen den Bescheid des Bundesasylamts vom 28. Juni 2005 erhobene Berufung sei vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 5. November 2009 abgewiesen worden. Die gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene Ausweisung sei sohin seit 9. November 2009 rechtskräftig.

Am 25. Februar 2010 habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 3 NAG eingebracht. Dieser Antrag sei ab 1. Juli 2011 - dem In-Kraft-Treten des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 - FrÄG 2011 - als Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung" gemäß § 43 Abs. 3 NAG zu werten.

Nach Wiedergabe der Bestimmungen des § 43 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 NAG führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe angegeben, er wäre "im Bereich des Beruf- und Privatlebens integriert" und der deutschen Sprache mächtig. Im Hinblick auf seine Unbescholtenheit stellte die Erlassung der Ausweisung eine Verletzung von Art. 8 EMRK dar. Er wäre in der Lage sich selbst zu versorgen. In seinem Heimatland wäre er einer weiteren Verfolgung ausgesetzt. Er hätte eine Beeinträchtigung für Leib und Leben auf Grund seiner Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Jesiden zu befürchten. Er wäre verheiratet und sein Lebensmittelpunkt befände sich in Österreich. Er habe eine Unterstützungserklärung der Caritas Flüchtlingsbetreuung, eine Bestätigung über die Absolvierung eines Deutschkurses sowie Bestätigungen für von ihm erbrachte Hausmeistertätigkeiten sowie Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten vorgelegt. Weiters habe er vorgebracht, es hätten sich seine Kontakte zu anderen Österreichern intensiviert. Er wäre stets hilfsbereit und hätte handwerkliches Geschick sowie soziales Engagement.

Es habe aber bereits der Asylgerichtshof "unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Informationen" mit Erkenntnis vom 5. November 2009 festgestellt, dass eine Ausweisung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK verhältnismäßig sei. Dies schließe aus, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten wäre. Mit einer Zurückweisung des vom Beschwerdeführer gestellten Antrages wäre allerdings nur dann vorzugehen, wenn im Hinblick auf seit der rechtskräftigen Ausweisungsentscheidung eingetretene maßgebliche Sachverhaltsänderungen eine neuerliche Beurteilung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht erforderlich sei. Der Asylgerichtshof habe aber sämtliche nunmehr auch im Niederlassungsverfahren angeführten Gründe, wie etwa die Hausmeistertätigkeiten des Beschwerdeführers, die Deutschkurse und das Schreiben der Caritas, berücksichtigt. Über die von ihm in seinem Heimatland befürchtete Verfolgung sei im Asylverfahren abgesprochen worden.

Der Verwaltungsgerichtshof habe bereits in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass allein der Zeitablauf von etwa zwei Jahren zwischen Rechtskraft der Ausweisung und der im Aufenthaltstitelverfahren ausgesprochenen Zurückweisung noch keine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes darstelle. Im vorliegenden Fall handle es sich sogar bloß um einen Zeitraum von etwa einem Jahr.

Da aus den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht erkennbar sei, dass in der Zeit zwischen Rechtskraft der Ausweisung und der Entscheidung der Behörde erster Instanz ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Sinn des § 44b Abs. 1 NAG in Verbindung mit § 11 Abs. 3 NAG eingetreten wäre, sei in erster Instanz die Antragszurückweisung zu Recht ausgesprochen worden. Umstände, die nach Erlassung des erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheides eingetreten seien, hätten keinen Einfluss auf die Beurteilung, ob die auf § 44b Abs. 1 Z 1 NAG gegründete Entscheidung rechtmäßig sei. Die im Berufungsverfahren vorgelegten Urkunden könnten daher keine Berücksichtigung finden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde erwogen:

§ 43 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 NAG (in der Fassung des FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38) samt Überschrift lauten:

"'Niederlassungsbewilligung'

§ 43. …

(3) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine 'Niederlassungsbewilligung' zu erteilen, wenn

1. kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und

2. dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

§ 44b. (1) Liegt kein Fall des § 44a Abs. 1 vor, sind Anträge gemäß §§ 41a Abs. 9 oder 43 Abs. 3 als unzulässig zurückzuweisen, wenn

1. gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde, oder

2. rechtskräftig festgestellt wurde, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG jeweils auf Grund des § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 bloß vorübergehend unzulässig ist, oder

3. die Sicherheitsdirektion nach einer Befassung gemäß Abs. 2 in ihrer Beurteilung festgestellt hat, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG zulässig oder jeweils auf Grund des § 61 FPG bloß vorübergehend unzulässig ist,

und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt."

Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, der angefochtene Bescheid leide an Aktenwidrigkeit. Er habe nämlich den Asylantrag nicht, wie im Bescheid angeführt, am 8. April 2004, sondern bereits kurz nach seiner Einreise am 18. Juli 2003 gestellt. In diesem Zusammenhang ist aber nicht erkennbar, inwieweit der behauptete Feststellungsmangel Relevanz für den Ausgang des gegenständlichen Verfahrens hätte. Dies wird auch vom Beschwerdeführer nicht dargelegt.

Soweit der Beschwerdeführer rügt, die belangte Behörde hätte den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen feststellen und auch die im Berufungsverfahren geltend gemachten Umstände berücksichtigen müssen, ist ihm entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde zutreffend darauf hingewiesen hat, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf Grund der im § 43 Abs. 3 NAG enthaltenen Wortfolge "auf begründeten Antrag" dem Fremden (abgesehen von den Fällen des § 44a NAG) eine besondere Vorbringenslast auferlegt ist und auf Grund dessen die Niederlassungsbehörde nicht verpflichtet ist, zu nicht vorgebrachten Umständen amtswegig ergänzende Ermittlungen zur Integration des Fremden vorzunehmen. Außerdem hat der Verwaltungsgerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass im Grunde des § 44b Abs. 1 letzter Halbsatz NAG nach der Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung eingetretene Umstände keinen Einfluss auf die Beurteilung haben, ob die auf § 44b Abs. 1 Z 1 NAG gegründete Antragszurückweisung von der Erstbehörde zu Recht vorgenommen wurde (vgl. zum Ganzen das zu § 44b Abs. 1 NAG in der Fassung vor dem FrÄG 2011 ergangene, aber auch mangels relevanter Änderungen für die nunmehrige Rechtslage nach dem FrÄG 2011 maßgebliche hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2010, Zl. 2010/21/0142).

Auf dem Boden der Feststellungen im angefochtenen Bescheid, von denen vor dem Hintergrund des Gesagten auszugehen ist, begegnet aber die Ansicht der belangten Behörde, die Behörde erster Instanz habe die Antragszurückweisung zu Recht ausgesprochen, keinen Bedenken.

Der Beschwerdeführer lässt unbestritten, dass er vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 5. November 2009, das seit 9. November 2009 rechtskräftig ist, ausgewiesen wurde.

Der Sache nach ist der Zurückweisungsgrund des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG der Zurückweisung wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) nachgebildet. Die zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten Grundsätze für die Beurteilung, wann eine Änderung des Sachverhaltes als wesentlich anzusehen ist, kann daher auch für die Frage, wann maßgebliche Sachverhaltsänderungen im Sinn des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG vorliegen, herangezogen werden.

Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides (bezogen auf § 44b Abs. 1 Z 1 NAG: eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK) muss also zumindest möglich sein; in dieser Hinsicht hat die Behörde eine Prognose zu treffen. Dabei ist die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen Entscheidung erfahren hat (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 13. September 2011, Zlen. 2011/22/0035 bis 0039).

Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid im Ergebnis davon aus, dass eine in diesem Sinn maßgebliche Sachverhaltsänderung nicht eingetreten sei. Damit ist sie zunächst insofern im Recht, als der bloße Zeitablauf zwischen der rechtskräftigen Ausweisung und der erstinstanzlichen Antragszurückweisung - etwas mehr als ein Jahr - keine solche Sachverhaltsänderung, die eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK erforderlich gemacht hätte, bewirken konnte (vgl. zu einem Fall, in dem seit der rechtskräftigen Ausweisung zwei Jahre vergangen waren, das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, Zlen. 2011/22/0138 bis 0141). Daran ändert fallbezogen nichts, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers zufolge sich seine Kontakte mit anderen Österreichern intensiviert hätten und der Beschwerdeführer über Auftrag der Caritas in G Straßenreinigungsarbeiten durchführt. Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie beim vorliegenden Sachverhalt davon ausgegangen ist, dass angesichts des zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung erst relativ kurz verstrichenen Zeitraumes noch keine solche Sachverhaltsänderung vorgelegen ist, die geeignet wäre, im Hinblick auf die nach Art. 8 EMRK vorzunehmende Beurteilung - auch unter Berücksichtigung der mittlerweile vorliegenden Gesamtaufenthaltsdauer von etwas weniger als acht Jahren - zu einem anderen Ergebnis zu führen.

Die belangte Behörde durfte daher nach einer Prüfung, die sich auf die Prognose hinsichtlich eines auf Grund neuer Sachverhaltselemente potentiell anders lautenden Ergebnisses der nach Art. 8 EMRK gebotenen Interessenabwägung beschränkte, die Antragszurückweisung durch die Behörde erster Instanz bestätigen.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die geltend gemachte Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 23. Februar 2012

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