Normen
VOG 1972 §1 Abs1 Z1;
VOG 1972 §1 Abs1 Z2;
VwRallg;
VOG 1972 §1 Abs1 Z1;
VOG 1972 §1 Abs1 Z2;
VwRallg;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin ist schuldig, dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit - formularmäßigem - Schreiben vom 14. Dezember 2007 stellte die Beschwerdeführerin den Antrag auf Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung nach den Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes, weil sie am 6. Dezember 2007 Zeugin eines Verbrechens gewesen sei, bei dem ein kleines Mädchen vom zweiten Stock eines Hauses gefallen, auf dem Boden aufgeprallt und kurz danach gestorben sei. Die Beschwerdeführerin sei währenddessen bei ihrem geparkten Auto, einige Meter entfernt, gestanden.
Aus der Strafanzeige vom 6. Dezember 2007 hinsichtlich der hier in Rede stehenden Tat ergibt sich, dass ein Mann am 6. Dezember 2007 in Ybbs an der Donau an einer näher bezeichneten Örtlichkeit nach einem Streit mit seiner Ehefrau wegen der von ihr angestrebten Trennung die gemeinsame 21-monatige Tochter aus dem Fenster des Kinderzimmers der im zweiten Stock befindlichen Wohnung geworfen hatte. Das Kind schlug nach 8,7 Meter Fallhöhe auf dem Asphalt auf und erlitt schwerste Kopfverletzungen, an denen es in weiterer Folge verstarb.
Unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin zu den im Zusammenhang mit dieser Tat stehenden Personen fremd ist.
Mit Bescheid des Bundessozialamtes, Landesstelle Wien, vom 9. Mai 2008 wurde dieser Antrag gemäß § 1 Abs. 1 und § 4 Abs. 5 des Verbrechensopfergesetzes - VOG abgewiesen. Die erstinstanzliche Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen, nach Darstellung der Rechtslage, damit, die Beschwerdeführerin habe angegeben, dass sie am Tatort gesehen habe, wie etwas aus großer Höhe heruntergefallen sei, die Aufprallstelle habe sie von ihrem Standort nicht gesehen. Erst nachdem eine Frau geschrieen habe, dass es sich um ein Kind handle, dessen Kopf gespalten sei, sei sie in Richtung Aufprallstelle gegangen. Nach der Judikatur des OGH komme eine Haftung - zusammengefasst - nur in Betracht, wenn der Dritte als Zeuge in ein Tatgeschehen unmittelbar einbezogen werde, insbesondere weil er sich als ernsthaft gefährdet habe betrachten müssen. Bloße Zeugenschaft, ohne ein hohes Gefährdungspotenzial durch Miteinbeziehung in das Tatgeschehen, reiche hingegen nicht aus. Daher könne eine Einbeziehung der Beschwerdeführerin in den Kreis der ersatzberechtigten Personen nicht abgeleitet werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung führte die belangte Behörde unter Bezugnahme auf die Strafanzeige und die mit der Beschwerdeführerin von der Polizei am 12. Dezember 2007 aufgenommene Niederschrift und ausgehend von § 1 VOG im Wesentlichen aus, die Ersatzfähigkeit von Schäden auf Grund einer psychischen Beeinträchtigung, die ein Dritter durch das Miterleben eines Geschehens erleide, werde von der Rechtsprechung nur unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt.
Ausgehend davon vertrat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Rechtsansicht, dass das Vorliegen einer psychischen Gesundheitsschädigung bei der Beschwerdeführerin schon deshalb nicht zu prüfen sei, weil ihre Zugehörigkeit zum Kreis der nach dem VOG anspruchsberechtigten Personen zu verneinen sei. Sie verwies dazu einerseits auf Entscheidungen des OGH, in denen zwar die Ersatzfähigkeit von Schockschäden, somit von psychischen Beeinträchtigungen, die ein Dritter durch das Miterleben eines Unfallgeschehens erlitten habe, unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt worden sei. Andererseits, was die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Z. 2 VOG betreffe, zeigten die Erläuterungen zu dieser Bestimmung, dass jene Personen, gegen die sich die verbrecherische Handlung nicht unmittelbar gerichtet habe, zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem VOG zählten, wenn sie "im Zusammenhang mit einer tatbildmäßigen Handlung" im Sinne des § 1 VOG - sei es durch Sicherheitsorgane oder andere Personen, vor allem infolge Waffengebrauchs - verletzt worden seien. Diese Formulierung bringe eine Eingrenzung des Personenkreises zum Ausdruck. Im vorliegenden Falle sei durch die bloße Zeugenschaft ohne direkte persönliche und örtliche Einbeziehung in das Geschehen kein solcher Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung, wie er in § 1 Abs. 1 Z. 2 VOG vorausgesetzt werde, gegeben.
Es könne zwar mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung vorgelegen sei. Da sich die Beschwerdeführerin jedoch nicht in unmittelbarer Nähe der Aufprallstelle befunden habe, diese ihren eigenen Angaben nach von ihrem Standort aus nicht einmal habe einsehen können, sei sie in das Geschehen nicht einbezogen worden und habe sich dadurch auch nicht selbst als ernstlich gefährdet betrachten müssen. Eine Sonderbeziehung bestehe jedenfalls nicht, die Beschwerdeführerin sei mit dem Opfer nicht verwandt oder bekannt gewesen. Ob die Beschwerdeführerin eine psychische Gesundheitsschädigung mit Krankheitswert erlitten habe, sei nicht zu prüfen, weil die Zugehörigkeit zum anspruchsberechtigten Personenkreis bereits auf Grund mangelnder Einbeziehung in das Geschehen und fehlender Gefährdung zu verneinen gewesen sei. Da ein Schockschaden im Sinne der dazu ergangenen Judikatur des OGH nicht vorliege und die Beschwerdeführerin auch nicht "Unbeteiligte im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 2 VOG" sei, sei ihr Antrag abzuweisen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes - VOG lauten auszugsweise:
"Kreis der Anspruchsberechtigten
§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie
1. durch eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder
2. als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,
und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.
(2) Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn
1. die mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen worden ist oder der Täter in entschuldigendem Notstand gehandelt hat,
2. die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist oder
3. der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.
(3) ...
...
Hilfeleistungen
§ 2. Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:
…
2. Heilfürsorge
…
Heilfürsorge
§ 4. (1) Hilfe nach § 2 Z 2 ist nur für Körperverletzungen und Gesundheitsschädigungen im Sinne des § 1 Abs. 1 zu leisten.
…"
Strittig ist im vorliegenden Fall zunächst die Rechtsfrage, ob die Beschwerdeführerin, die von der strafbaren Handlung nicht unmittelbar betroffen war, sondern als an der Tat Unbeteiligte eine Gesundheitsschädigung behauptet, aus § 1 Abs. 1 Z. 2 VOG einen Anspruch auf Hilfeleistung ableiten kann.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beantwortung dieser Frage auf der Rechtsgrundlage des Verbrechensopfergesetzes und nicht an Hand der in der zivilrechtlichen Rechtsprechung zu Schockschäden entwickelten Judikatur zu erfolgen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. April 2010, Zl. 2010/11/0058).
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Z. 2 VOG verneint, weil zwischen der behaupteten Gesundheitsschädigung der Beschwerdeführerin und der strafbaren Handlung nicht der geforderte "Zusammenhang" im Sinne der letztgenannten Bestimmung bestehe.
Dieser Rechtsauffassung ist aus folgenden Gründen beizupflichten:
Der zitierte § 1 Abs. 1 Z. 2 VOG geht auf die Novelle BGBl. Nr. 620/1977 zurück - die genannte Z 2 war damals allerdings noch im Abs. 2 VOG verankert -, zu der die Erläuterungen (RV 629 Blg NR XIV. GP) ausführen:
"Vielfach wurde es als Mangel empfunden, dass unbeteiligte Personen, die bei der Verfolgung fliehender Täter durch Organe der Sicherheitsbehörden oder andere Verfolger verletzt wurden, mit ihren Schadenersatzansprüchen leer ausgingen, weil zumeist das Amtshaftungsgesetz auf derartige Fälle nicht anwendbar ist. Künftighin soll in solchen Fällen unter der Voraussetzung Abhilfe geschaffen werden, dass die Körperverletzung des unbeteiligten Dritten im Zusammenhang mit einer rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung steht, die mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedroht ist.
...
Das Bundesgesetz über die Gewährung von Hilfeleistungen an Opfer von Verbrechen sieht die Hilfe für jene Opfer (Hinterbliebene) vor, die unmittelbare Geschädigte aus einer rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung sind, die mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedroht ist. Durch die vorgeschlagene Änderung soll nun klargestellt werden, dass auch jene Personen bzw. im Falle ihres Todes ihre Hinterbliebenen zum anspruchsberechtigten Personenkreis zu zählen sind, gegen die sich die verbrecherische Handlung nicht unmittelbar richtet, die aber im Zusammenhang mit einer tatbildmäßigen Handlung im Sinne des § 1 Abs. 2 Z. 1, sei es durch Sicherheitsorgane oder andere Personen - vor allem infolge Waffengebrauches - verletzt werden."
Im Ausschussbericht (AB 668 Blg NR XIV. GP) wird dargelegt, dass "durch die gegenständliche Regierungsvorlage … klargestellt werden (soll), dass auch jene Personen - im Falle ihres Todes ihre Hinterbliebenen - zum anspruchsberechtigten Personenkreis zu rechnen sind, gegen die sich die verbrecherische Handlung nicht richtet, die aber durch andere Personen (z.B. Sicherheitsorgane) verletzt werden. Die Hilfeleistung soll allerdings nur bewilligt werden, wenn nicht ein Anspruch nach dem Amtshaftungsgesetz besteht."
Darin (und nicht zuletzt auch in Gestalt der durch § 1 Abs. 1 Z. 2 VOG letzter Halbsatz angeordneten Subsidiarität gegenüber Amtshaftungsansprüchen) kommt mit besonderer Deutlichkeit die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, in den Begriff "Unbeteiligte, (die) im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z. 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben" nur solche Personen einzuschließen, deren Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung sich nicht als Folge der Tathandlung selbst darstellt, sondern auf ein weiteres - zwar mit der Tathandlung in einem "Zusammenhang" stehendes, nicht aber diese selbst darstellendes - Geschehen zurückzuführen ist, wie etwa auf den in den Materialien genannten Waffengebrauch durch Sicherheitsorgane. Die in Rede stehende Gesundheitsstörung der Beschwerdeführerin ist nach ihren Behauptungen nicht auf ein solches Geschehen zurückzuführen; die Voraussetzungen eines Anspruches nach § 1 Abs. 1 Z. 2 VOG liegen somit nicht vor.
Aber auch die Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs. 1 Z. 1 VOG sind im Beschwerdefall nicht verwirklicht. Nach der zitierten Vorschrift besteht ein Anspruch auf Hilfe für Personen, von denen mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie durch eine mit mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben. Maßgeblich ist nach diesem Gesetzesbegriff unter anderem, dass sich die Gesundheitsstörung als eine vom Tätervorsatz umfasste Folge des Verstoßes gegen eine bestimmte Verbotsnorm darstellt. Gegenstand des Vorsatzes ist das Tatobjekt (hier: das Kind) in seinen tatbildrelevanten Eigenschaften (Reindl in WK2 § 5 Rz. 9). Den Behauptungen der Beschwerdeführerin zufolge ist bei ihr eine psychische Störung mit Krankheitswert durch die Wahrnehmung eines Teiles eines Geschehens eingetreten, das sich zwar in Ansehung des Tatobjektes - des getöteten Kindes - als Vorsatzdelikt darstellt; in Ansehung der Beschwerdeführerin, bei der weder eine persönliche Verbundenheit mit den am Tatgeschehen beteiligten Personen noch eine unmittelbare Involvierung in dasselbe vorlag, ist jedoch die Anspruchsvoraussetzung einer "durch" eine Vorsatztat erlittenen Gesundheitsschädigung nicht verwirklicht, weil nicht mit Grund angenommen werden kann, der Vorsatz des Täters einer vorsätzlich begangenen strafbaren Handlung gegen Leib und Leben sei auf den Eintritt einer psychischen Störung mit Krankheitswert infolge Wahrnehmung von Teilen des Tatgeschehens bzw. seiner Folgen durch einen unbeteiligten Dritten gerichtet. Davon ausgehend ist die Beschwerdeführerin nicht anspruchsberechtigt im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 VOG.
Bei diesem Ergebnis war die belangte Behörde, wie sie im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, nicht verpflichtet, Ermittlungen zu den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen (Vorliegen einer Gesundheitsschädigung) anzustellen.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 29. März 2011
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