VwGH 2008/08/0146

VwGH2008/08/014625.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der M GmbH in F, vertreten durch Kaan Cronenberg & Partner Rechtsanwälte in 8010 Graz, Kalchberggasse 1, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 22. August 2007, Zl. FA11A 61- 26n36/23-2007, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Steiermärkische Gebietskrankenkasse in 8010 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1), zu Recht erkannt:

Normen

ArbVG §21 Abs1;
ArbVG §22 Abs1;
ArbVG §22;
ArbVG §24 Abs1;
ArbVG §24 Abs2;
ArbVG §24;
ASVG §44 Abs1;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs6;
B-VG Art18 Abs2;
VwRallg;
ArbVG §21 Abs1;
ArbVG §22 Abs1;
ArbVG §22;
ArbVG §24 Abs1;
ArbVG §24 Abs2;
ArbVG §24;
ASVG §44 Abs1;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs6;
B-VG Art18 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat mit Bescheid vom 21. Februar 2005 die beschwerdeführende GmbH wegen der im Zuge der Beitragsprüfung im Zeitraum Februar bis März 2004 festgestellten Meldedifferenzen verpflichtet, für die in der Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 13. April 2004 zu einem näher bezeichneten Dienstgeberkonto bzw. in den beiden Rückverrechnungsanzeigen vom 22. September 2004 und vom 14. Februar 2005 angeführten Dienstnehmer die dort ausgewiesenen allgemeinen Beiträge, Nebenumlagen, Sonderbeiträge und Zuschläge nach den jeweils angeführten Beitragsgrundlagen und für die jeweils näher bezeichneten Zeiten im Betrag von insgesamt EUR 64.476,30 nachzuentrichten (die Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 13. April 2004 sowie die beiden Rückverrechnungsanzeigen vom 22. September 2004 und vom 14. Februar 2005 wurden zum integrierenden Bestandteil des Bescheides erklärt).

Dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch der beschwerdeführenden Partei hat die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid keine Folge gegeben und den erstinstanzlichen Bescheid vollinhaltlich bestätigt.

In ihrer Bescheidbegründung stellte die belangte Behörde nach Darlegung des Verfahrensganges und Zitierung der maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen fest, dass die beschwerdeführende GmbH für den Betrieb eines Pflegeheimes im April 1999 gegründet worden sei und Anfang Juli 1999 die ersten Dienstnehmer aufgenommen worden seien, welche hauptsächlich in der Pflege als auch in der Seniorenbetreuung und in der Reinigung tätig gewesen seien. Die beschwerdeführende Gesellschaft sei zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt weder Mitglied der Wirtschaftskammer gewesen, noch habe ein Kollektivvertrag auf zu ihr bestehenden Arbeitsverhältnisse seine Anwendung gefunden; am 15. August 2001 sei sie dem Verband Alten- und Betreuungsheime, welcher seit dem 1. Oktober 1996 kollektivvertragsfähig sei, beigetreten. Bis zum Ende des von der mitbeteiligten Kasse durchgeführten Prüfungszeitraumes, dem 31. Dezember 2002, sei es zu keinem Abschluss eines Kollektivvertrages gekommen. Die beschwerdeführende Gesellschaft habe während des Prüfungszeitraumes auf die Beschäftigungsverhältnisse weder den Mindestlohn für im Haushalt Beschäftigte noch den Mindestlohntarif für Arbeitnehmer in den Betrieben sozialer Dienste angewendet. Im Zuge der - vom Februar bis März 2004 seitens der mitbeteiligten Kasse durchgeführten - Beitragsprüfung seien jene Dienstnehmer, welche zwischen dem 1. Juli 1999 und dem 15. August 2001 bei der beschwerdeführenden GmbH aufgenommen worden seien, dem Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte bzw. dem Mindestlohntarif für Arbeitnehmer in den Betrieben sozialer Dienste unterstellt, die Nachwirkung der Mindestlohntarife bis zum Abschluss des Prüfungszeitraumes festgestellt und die dadurch anfallenden Beiträge mit Anzeige vom 13. April 2004 bzw. Rückverrechnungsanzeigen vom 22. September 2004 und vom 14. Februar 2005 nachverrechnet worden.

Zur Beurteilung der im Verwaltungsverfahren strittigen Fragen, ab welchem Zeitpunkt die beschwerdeführende GmbH tatsächlich dem Verband der Alten- und Betreuungsheime beigetreten ist, ob im prüfungsrelevanten Zeitraum die betroffenen Beschäftigten dem Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte bzw. dem Mindestlohntarif für Arbeitnehmer in den Betrieben sozialer Dienste unterstellt werden können, sowie zur Nachwirkung der Mindestlohntarife, führte die belangte Behörde aus (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Nachdem es sich beim Seniorenheim M um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung handelt, welche selbständig Inhaberin ihrer Rechte und Pflichten ist, ist es nach ständiger Judikatur nicht möglich, dass eine andere Körperschaft für die (beschwerdeführende) GmbH verbindlich Rechte und Pflichten vereinbaren kann, selbst wenn der (beschwerdeführenden) GmbH laut ha. Aussage von Herrn Geschäftsführer F eine K-GmbH übergeschaltet wurde. Eine konkrete Vereinbarung beispielsweise über eine Mitgliedschaft kann nicht durch die K-GmbH, sondern nur durch die (beschwerdeführende) GmbH selbst abgeschlossen werden. Bei der Vereinbarung zwischen dem Verband Alten- und Betreuungsheime und Herrn F, in welcher anlässlich des Beitrittes der S-GmbH rechtlich-verbindlich erklärt worden sein soll, dass auch alle von der S-GmbH zukünftig gegründeten Pflegeheime automatisch dem Verband der Alten- und Betreuungsheime beitreten, kann es sich nur um eine Absichtserklärung für eine zukünftige Vorgehensweise handeln, welche aber erst durch eine konkrete Handlung der (beschwerdeführenden) GmbH und in weiterer Folge einer konkreten Mitgliedschaftsvereinbarung zwischen der (beschwerdeführenden) GmbH und dem Verband Alten- und Betreuungsheime rechtswirksam sein kann.

Aus den vorgelegen Beweismaterialien ergibt sich hier eindeutig, dass die (beschwerdeführende Gesellschaft) keine mit Datum konkretisierte Vereinbarung zwischen dem Verband Alten- und Betreuungsheime und der (beschwerdeführenden) GmbH betreffend einer Mitgliedschaft vorlegen konnte. Selbst wenn die Statuten des Verbandes der Alten- und Betreuungsheime - wie im Gutachten von Prof. M ausgeführt - eine mündliche Beitrittserklärung zum Verband akzeptieren, ist der Zeitpunkt des Beitrittes seitens der (beschwerdeführenden Gesellschaft) zu beweisen.

Erst die mit 15.08.2001 beim Verband … eingegangene Beitrittserklärung des Seniorenhauses M lässt auf eine konkrete Vereinbarung zwischen dem Verband … und der (beschwerdeführenden) GmbH schließen.

Ebenfalls wurde erstmalig ein Mitgliedsbeitrag in der Höhe von EUR 900,-- anteilig für das 2. Halbjahr 2001 an den Verband bezahlt. Belegsmäßig wurden vor dem 2. Halbjahr 2001 keine Beweise für die Bezahlung der Mitgliedsbeiträge vorgelegt.

Aus diesem Grund ist Schluss zu folgern, dass vor dem 2. Halbjahr 2001 keine Mitgliedsbeiträge seitens der (beschwerdeführenden) GmbH an den Verband … bezahlt worden sind, welche wiederum - entgegen der Auffassung im Gutachten von Prof. M, nach welchem finanzielle Konditionen irrelevant für die Mitgliedschaft zum Verband sind - auf eine mangelnde konkrete Vereinbarung zwischen der (beschwerdeführenden) GmbH und den Verband … betreffend der Mitgliedschaft hinweisen.

Die am 16.03.2004 vorgelegte Bestätigung des Verbandes der … betreffend des Bestandes der Mitgliedschaft des Betriebes M mit seiner Gründung zum angeführten Verband, welche bedingt durch die Mitgliedschaft des 'Mutterhauses' der Gruppe, dem Seniorenhaus K per 1998 gewesen sein soll, bestätigt nur im Nachhinein die angebliche Mitgliedschaft vor dem 15.08.2001 und ist daher unterschwellig zu werten.

Faktum ist rein die Beitrittserklärung, eingegangen am 15.08.2001 beim Verband …, sowie die anteilige Bezahlung der Mitgliedsbeiträge ab der 2. Hälfte des Jahres 2001. Selbst wenn im Gutachten von Prof. M erläutert wird, dass mündliche Mitgliedsvereinbarungen mit den Statuten des o.a. Verbandes konform gehen, sowie Herr Geschäftsführer F in der ha. Einvernahme vom 09.08.2007 aussagt, dass der Hintergrund der Nichtbezahlung von vorherigen Mitgliedsbeiträgen in der Verhandlung über Beitragshöhen betreffend eines Gruppentarifes für alle Heime des Unternehmens liege, ist dem entgegen zu halten, dass kaum ein Verband freiwillig auf seine Mitgliedsbeiträge verzichtet.

Bezugnehmend auf das Versäumungsurteil vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Y, in welchem festgestellt wurde, dass die (beschwerdeführende) GmbH als klagende Partei mit dem Zeitpunkt ihrer Gründung, das ist der 07.05.1999, Mitglied der beklagten Partei wurde und diese Mitgliedschaft nach wie vor ununterbrochen aufrecht bestehe ist auszuführen, dass gemäß § 49 Abs. 6 ASVG die Versicherungsträger und die Verwaltungsbehörden grundsätzlich an rechtkräftigen Entscheidungen der Gerichte in denen Entgeltansprüche des Dienstnehmers festgestellt werden, gebunden sind, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der gerichtlichen Entscheidung ein streitiges Verfahren vorangegangen ist. Im Falle eines Versäumungsurteiles ist kein streitiges Verfahren vorangegangen (…).

Nachdem es sich bei dem oben angeführten Urteil des Landesgerichtes für ZRS Y vom 25.10.2005 um ein Versäumungsurteil handelt, ist die (belangte B)ehörde nicht an dieses Urteil gebunden, zumal der gerichtlichen Entscheidung kein streitiges Verfahren vorangegangen ist.

Im Gesamten betrachtet ist daher davon auszugehen, dass die Mitgliedschaft der (beschwerdeführenden) GmbH zum Verband … mit 15.08.2001 begründet wurde.

Gemäß § 1 ist der Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte Steiermark, räumlich für das Bundesland Steiermark und fachlich und persönlich für ArbeitnehmerInnen, die entweder unter das Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz fallen oder nicht in das Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz fallen, jedoch bei ArbeitgeberInnen, für die keine kollektivvertragsfähige Körperschaft besteht oder die nicht selbst kollektivvertragsfähig sind oder die nach Inkrafttreten des Mindestlohntarifes die Kollektivvertragsfähigkeit erlangen oder einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft beitreten, solange bis kein Kollektivvertrag abgeschlossen wird und sie einschlägige Reinigungs- und Aufräumungsarbeiten verrichten, zur Anwendung zu bringen.

Gemäß § 1 des Mindestlohntarifes für Angestellte in sozialen Diensten gilt dieser persönlich für Angestellte, deren ArbeitgeberInnen Tätigkeiten verrichten, die in einer der angeführten Beschäftigungsgruppen angeführt sind und deren ArbeitgeberInnen, weder selbst kollektivvertragsfähig noch Mitglied einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft sind oder wenn diese nach Inkrafttreten des Mindestlohntarifes die Kollektivvertragsfähigkeit erlangen oder einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft beitreten, solange bis kein Kollektivvertrag abgeschlossen wird.

Nachdem die (beschwerdeführende Gesellschaft) erst mit 15.08.2001 Mitglied des Verbandes … geworden ist und aus diesem Grund vor dem 15.08.2001 keiner kollektivvertragsfähigen Körperschaft auf Arbeitgeberseite zugehörig war, sind entsprechend des Gesetzestextes und der Judikatur Mindestlohntarife - bei deren Existenz - zur Anwendung zu bringen. Nachdem bei der (beschwerdeführenden Gesellschaft) einerseits Personen beschäftigt waren, die Tätigkeiten im Rahmen des Mindestlohntarifes für im Haushalt Beschäftigten verrichten und andererseits Arbeitnehmer, die Tätigkeiten im Rahmen des Mindestlohntarifes für Angestellte in sozialen Diensten verrichten, ist von der Rechtswirksamkeit und der Anwendbarkeit der beiden Mindestlohntarife in der Zeit vom 01.07.1999 - dem Beginn der ersten Beschäftigungsverhältnisse - bis 15.08.2001 - Beitritt der (beschwerdeführenden Gesellschaft) zum Verband der … - auszugehen.

Gemäß § 24 Abs. 4 ArbVG bleiben die Rechtswirkungen des Mindestlohntarifes nach seinem Erlöschen für Arbeitsverhältnisse, die unmittelbar vor seinem Erlöschen durch ihn erfasst waren so lange aufrecht, als für diese Arbeitsverhältnisse nicht ein neuer Mindestlohntarif, ein Kollektivvertrag oder eine Satzung wirksam oder mit den betreffenden ArbeitnehmerInnen eine neue Einzelvereinbarung abgeschlossen wird.

Erlangt eine Berufsvereinigung während des Bestandes eines Mindestlohntarifes die Kollektivvertragsfähigkeit für dessen Geltungsbereich (bzw. tritt der Arbeitgeber einer kurz zuvor kollektivvertragsfähig gewordenen Berufsvereinigung bei), so bewirkt dieser Umstand allein nicht das Erlöschen des Mindestlohntarifes. Erst der Abschluss eines Kollektivvertrages bewirkt die Beendigung der Rechtswirkungen des Mindestlohntarifes (OGH 23.04.2003, 9 ObA 236/02z).

Eindeutig geht hierbei sowohl die Gesetzeslage als auch die Rechtsprechung von der Nachwirkung eines Mindestlohntarifes, auch nach dem Beitritt eines Arbeitgebers zu einer kollektivvertragsfähig gewordenen Berufsvereinigung aus, sodass die beiden Mindestlohntarife für im Haushalt Beschäftigte Steiermark und der Mindestlohntarif für Angestellte im sozialen Dienst auch für Beschäftigungsverhältnisse, die vor dem 15.08.2001 (Beitritt der (beschwerdeführenden Gesellschaft) zum Verband der …) bestanden haben nachwirken, soweit für den späteren Zeitpunkt nicht ein Kollektivvertrag abgeschlossen wurde. Der Verband … hat zwar seit dem 01.10.1996 die Kollektivvertragsfähigkeit während des Prüfungszeitraumes vom 01.07.1999 bis 31.12.2002 wurde jedoch seitens des Verbandes kein Kollektivvertrag abgeschlossen, sodass die beiden oben angeführten Mindestlohntarife für Beschäftigungsverhältnisse, die vor dem 15.08.2001 begründet worden sind, weiter ihre Anwendung finden bis zur Beendigung des Prüfungszeitraumes, dem 31.12.2002."

Dem Verjährungseinwand der beschwerdeführenden Gesellschaft hielt die belangte Behörde entgegen, dass es sich bei den hier anzuwendenden Mindestlohntarifen um generelle Rechtssetzungsakte handle, die im Amtsblatt der Wiener Zeitung gemäß § 25 Abs. 6 iVm § 21 Abs. 1 ArbVG gehörig kundgemacht worden seien. Die beschwerdeführende Partei hätte sich bei gehöriger Sorgfalt erkundigen müssen, welche Mindestlohntarife auf bestehende Dienstverhältnisse während des Berechnungszeitraumes Anwendung finden, und diese in weiterer Folge vollziehen und anwenden müssen; sie könne sich nicht damit entschuldigen, dass ihr diese nicht bekannt gewesen seien, sodass eine Verlängerung der Verjährungsfrist beim Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen auf fünf Jahre gemäß § 68 Abs. 1 (dritter Satz) ASVG gerechtfertigt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die nach Ablehnung durch den Verfassungsgerichtshof und Abtretung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit Beschluss vom 10. Juni 2008, B 1899/07-4, für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde, in welcher inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Kasse - eine Gegenschrift, in welcher die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 44 Abs. 1 erster Satz ASVG ist Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge für Pflichtversicherte der im Beitragszeitraum gebührende Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2 ASVG. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinne gilt bei pflichtversicherten Dienstnehmern und Lehrlingen das Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1, 3, 4 und 6 ASVG.

Nach § 49 Abs. 1 leg. cit. sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr-)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus aufgrund des Dienst(Lehr-)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.

Demnach ist für die Bemessung der allgemeinen Beiträge nicht lediglich das im Beitragszeitraum an den pflichtversicherten Dienstnehmer (Lehrling) tatsächlich gezahlte Entgelt (die Geld- und Sachbezüge) maßgebend, sondern, wenn es das tatsächlich gezahlte Entgelt übersteigt, jenes Entgelt, auf dessen Bezahlung bei Fälligkeit des Beitrages ein Rechtsanspruch des pflichtversicherten Dienstnehmers (Lehrlings) bestand.

Ob ein Anspruch auf einen Bezug besteht, ist nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen. Danach haben Dienstnehmer, für die ein Mindestlohntarif im Sinne der §§ 22 ff ArbVG gilt, jedenfalls Anspruch auf das in diesem Mindestlohntarif festgesetzte Mindestentgelt. Sondervereinbarungen (Betriebsvereinbarung, Arbeitsvertrag) sind nach § 24 Abs. 2 ArbVG nur gültig, soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger sind oder Ansprüche betreffen, die im Mindestlohntarif nicht geregelt sind (vgl. das Erkenntnis vom 19. Jänner 1999, Zl. 97/08/0095).

Mindestlohntarife sind Rechtsverordnungen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 8652/1979, mit einem Hinweis auf VfSlg.Nr. 5291/1966 und 6624/1971), in denen bei Fehlen entsprechender gesetzlicher, kollektivvertraglicher oder satzungsgemäßer Regelungen vom Bundeseinigungsamt Mindestentgelte und Mindestbeträge für den Ersatz von Auslagen festgesetzt werden (§ 22 ArbVG). Der Mindestlohntarif tritt - mit zwingender Wirkung für den Einzelarbeitsvertrag - als ergänzende Rechtsquelle neben den Kollektivvertrag und die Erklärung von Kollektivverträgen zur Satzung (vgl. Strasser/Jabornegg/Resch, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz, Rz 1 f zu § 22 ArbVG).

Gemäß § 22 Abs. 3 ArbVG darf ein Mindestlohntarif nur für Gruppen von Arbeitnehmern festgesetzt werden, für die ein Kollektivvertrag nicht abgeschlossen werden kann, weil kollektivvertragsfähige Körperschaften auf Arbeitgeberseite nicht bestehen und sofern eine Regelung von Mindestentgelten und Mindestbeträgen für den Ersatz von Auslagen durch die Erklärung eines Kollektivvertrages zur Satzung nicht erfolgt ist.

Nach § 49 Abs. 6 ASVG sind die Versicherungsträger und die Verwaltungsbehörden an rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte, in denen Entgeltansprüche des Dienstnehmers (Lehrlings) festgestellt werden, gebunden. Dieser Bindung steht die Rechtskraft der Beitragsvorschreibung nicht entgegen. Diese Bindung tritt nicht ein, wenn der gerichtlichen Entscheidung kein streitiges Verfahren vorangegangen ist oder ein Anerkenntnisurteil gefällt oder ein gerichtlicher Vergleich geschlossen wurde.

Gemäß § 68 Abs. 1 ASVG verjährt das Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen bei Beitragsschuldnern und Beitragsmithaftenden binnen drei Jahren vom Tag der Fälligkeit der Beiträge. Hat der Dienstgeber Angaben über Versicherte bzw. über deren Entgelt nicht innerhalb der in Betracht kommenden Meldefristen gemacht, so beginnt die Verjährungsfrist erst mit dem Tage der Meldung zu laufen. Diese Verjährungsfrist der Feststellung verlängert sich jedoch auf fünf Jahre, wenn der Dienstgeber oder eine sonstige meldepflichtige Person (§ 36) keine oder unrichtige Angaben bzw. Änderungsmeldungen über die bei ihm beschäftigten Personen bzw. über deren jeweiliges Entgelt (auch Sonderzahlungen im Sinne des § 49 Abs. 2) gemacht hat, die er bei gehöriger Sorgfalt als notwendig oder unrichtig hätte erkennen müssen. Die Verjährung des Feststellungsrechtes wird durch jede zum Zwecke der Feststellung getroffene Maßnahme in dem Zeitpunkt unterbrochen, in dem der Zahlungspflichtige hievon in Kenntnis gesetzt wird. Die Verjährung ist gehemmt, solange ein Verfahren in Verwaltungssachen bzw. vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes über das Bestehen der Pflichtversicherung oder die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen anhängig ist.

2. Soweit sich im vorliegenden Fall die beschwerdeführende Partei in ihrer Verfahrensrüge gegen die Feststellung wendet, dass ihr Beitritt zum Verband Alten- und Betreuungsheime erst mit 15. August 2001 erfolgt sei, und darin (auch) eine "Aktenwidrigkeit" erblickt, jedoch damit der Sache nach lediglich die Beweiswürdigung der belangten Behörde bekämpft, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Beweiswürdigung ein Denkprozess ist, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053).

Die belangte Behörde hat in ihrer Bescheidbegründung nachvollziehbar dargelegt, warum sie erst mit Eingang der Beitrittserklärung beim Verband Alten- und Betreuungsheime die Mitgliedschaft angenommen hat und dass - insbesondere angesichts der rechtlichen Konstruktion der Trägerschaft des gegenständlichen Seniorenhauses - die von der beschwerdeführenden Gesellschaft ins Treffen geführten Angaben des Geschäftsführers, dass es 1998 im Zuge der Gründung eines anderen "Hauses" Gespräche und Vereinbarungen mit dem Obmann des genannten Verbandes gegeben habe, wonach auch künftig entstehende "Häuser" Verbandsmitglieder sein sollten, nur eine Absichtserklärung für eine künftige Vorgehensweise darstellen können. Dem vermag die beschwerdeführende Partei mit der bloßen Wiederholung ihrer bisherigen Argumente nichts Stichhaltiges entgegenzusetzen, zumal die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde über "zukünftige Gründungen" zutrifft. Auch der Einwand aus der Behauptung einer Bindungswirkung des (nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides der mitbeteiligten Kasse vom 21. Februar 2005) am 2. November 2005 ergangenen Versäumungsurteils verfängt nicht. § 49 Abs. 6 ASVG zukommt. § 49 Abs. 6 ASVG ordnet an, dass einerseits eine später eintretende Bindung an ein Urteil über Entgeltansprüche eines Dienstnehmers (Lehrling) die Rechtskraft des früheren Beitragsbescheides bricht und dass andererseits aber Urteile und Vergleiche ohne vorhergehendes streitiges Verfahren sowie Anerkenntnisurteile keine Bindungswirkung entfalten. Diese Bestimmung ist auf Grund ihres Normzweckes nicht nur auf Urteile anzuwenden, in denen Entgeltansprüche von Dienstnehmern festgestellt werden, sondern konsequenterweise auch auf solche Urteile, in denen andere Hauptfragen entschieden werden, die bei Beurteilung von Grund und Höhe des Entgeltanspruchs eines Dienstnehmers als Vorfrage oder als Tatbestandsmoment von Bedeutung sind.

Dass die hier anzuwendenden Mindestlohntarife bereits gesetzwidrig zustande gekommen wären, behauptet die beschwerdeführende Partei nicht. Sie wendet allerdings ein, dass die Mindestlohntarife "auf Grund der Existenz" des kollektivertragsfähigen Verbandes nicht angewendet werden können.

Damit ist die beschwerdeführende Partei aber nicht im Recht:

Ausgehend von der aus einem mängelfreien Ermittlungsverfahren resultierenden Feststellung über den Zeitpunkt des Beitritts der beschwerdeführenden Gesellschaft zum Verband Alten- und Betreuungsheime (mit 15. August 2001) sowie der unbekämpften Feststellung, dass der genannte Verband zwar seit dem 1. Oktober 1996 kollektivvertragsfähig ist, jedoch während des entscheidungsrelevanten Zeitraumes keinen Kollektivvertrag abgeschlossen hat, vermag die Argumentation in der Rechtsrüge, wonach die beschwerdeführende Partei nicht dem Anwendungsbereich eines Mindestlohntarifes unterliege, der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen: Soweit sich diese auf den Zeitraum vor dem Beitritt (am 15. August 2001) bezieht, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt. Hinsichtlich des daran anschließenden Zeitraumes wird verkannt, dass - wie schon die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat - nicht bereits der Beitritt des Arbeitgebers zu einer kollektivvertragsfähigen Berufsvereinbarung die Rechtswirkungen des Mindestlohntarifes außer Kraft setzt, sondern erst der Abschluss eines Kollektivvertrages (vgl. auch Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG, Rz 5 zu § 24 sowie Arb 12.137 mwN).

Die belangte Behörde hat auch zu Recht die fünfjährige Verjährungsfrist des § 68 Abs. 1 ASVG angenommen:

Es begegnet nämlich keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde das Vorliegen eines Sorgfaltsverstoßes durch die Unterlassung der Informationseinholung seitens der beschwerdeführenden Partei über die Anwendbarkeit bzw. die anschließende Anwendung der (gehörig kundgemachten) Mindestlohntarife auf die betroffenen Dienstnehmer als gegeben und in der bloßen Verantwortung, diese seien nicht bekannt gewesen, keinen tauglichen Entschuldigungsgrund sieht, zumal es dem Meldepflichtigen obliegt darzutun, aus welchem Grund ihn ausnahmeweise kein Verschulden an der Meldepflichtverletzung trifft. Die Beitragsforderung ist daher auch nicht verjährt.

3. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 25. Mai 2011

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