VwGH 2010/15/0112

VwGH2010/15/011223.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde der A GmbH in G, vertreten durch die Baumgartner & Grienschgl GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 8010 Graz, Elisabethstraße 40, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom 5. Mai 2010, Zl. RV/0400- G/07, betreffend Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für 1996 bis 2000, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §147;
BAO §151;
BAO §209 Abs1;
BAO §323 Abs18;
VwRallg;
BAO §147;
BAO §151;
BAO §209 Abs1;
BAO §323 Abs18;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde und dem in Kopie vorgelegten angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:

Bei der beschwerdeführenden Gesellschaft begann das Finanzamt am 1. Oktober 2001 eine Prüfung der Lohnabgaben. Mit Bescheid vom 27. Dezember 2005 erließ das Finanzamt unter Hinweis auf den Bericht über das Ergebnis der Lohnsteuerprüfung Bescheide betreffend Haftung für Lohnsteuer und Vorschreibung von Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für den Zeitraum 1. Jänner 1996 bis 31. Dezember 2000.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Sie verwies auf § 209 Abs. 1 BAO idF AbgÄG 2004, BGBl I Nr. 180/2004, wonach sich nunmehr die Verjährungsfrist durch nach außen erkennbare Amtshandlungen lediglich um ein Jahr verlängere. Somit sei Verjährung für die Abgaben des Jahres 1996 mit Ende 2002, für die Abgaben 1997 mit Ende 2003 und für die Abgaben 1998 mit Ende 2004 eingetreten. Unter Hinweis auf die Verjährung beantragte die Beschwerdeführerin, die betroffenen Abgaben nicht festzusetzen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab.

Das Inkrafttreten von § 209 Abs. 1 BAO idF AbgÄG 2004 werde in § 323 Abs. 18 BAO geregelt. Für Nachforderungen als Folge einer Außenprüfung sei demnach die Neufassung des § 209 Abs. 1 BAO erst ab 1. Jänner 2006 anzuwenden, wenn der Beginn der Amtshandlung vor dem 1. Jänner 2005 gelegen sei. In den ErlRV zum AbgÄG 2004 werde u. a. ausgeführt:

"Verjährungsbestimmungen sind Normen des Verfahrensrechts (VwGH 22. 9. 1989, 87/17/0271). Daher bedeutet eine Änderung solcher Bestimmungen, dass ab In-Kraft-Treten grundsätzlich die neue Rechtslage auch dann anzuwenden ist, wenn die betreffenden Abgabenansprüche vor dem In-Kraft-Treten entstanden sind.

Die Sonderregelung (im § 323 Abs. 18 erster Satz BAO) für 'offene' Außenprüfungen gewährleistet, dass die Auswertung von vor dem 1. Jänner 2005 begonnenen abgabenbehördlichen Prüfungen (§ 147 BAO) auch dann noch im Jahr 2005 erfolgen darf, wenn der Beginn der Amtshandlung in einem Jahr erfolgte, in dem die Verjährungsfrist durch Unterbrechungshandlungen (§ 209 Abs. 1 BAO in der Fassung vor BGBl. I Nr. 57/2004) noch nicht abgelaufen ist, jedoch unter Berücksichtigung der Neufassung bereits Ende 2004 (oder früher) ablaufen würde."

Die bis zum Inkrafttreten des AbgÄG 2004, BGBl. I Nr. 180/2004, geltende Fassung des § 209 Abs. 1 BAO habe gelautet:

"Die Verjährung wird durch jede zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§ 77) von der Abgabenbehörde unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen."

Im gegenständlichen Fall umfasse der Prüfungszeitraum den Zeitraum vom 1. Jänner 1996 bis 31. Dezember 2000. Der Prüfungsauftrag sei am 29. August 2001 erstellt und die Prüfung ebenfalls am 29. August 2001 angekündigt worden. Der Prüfungsbeginn sei mit 1. Oktober 2001 anzusetzen. Die Schlussbesprechung habe am 5. November 2001 stattgefunden, der Berichtsentwurf sei am 6. November 2001 erstellt worden.

Die Verjährungsfrist betrage grundsätzlich fünf Jahre. Gemäß § 208 Abs. 1 BAO beginne die Verjährung in den Fällen des § 207 Abs. 2 BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden sei.

Für den gegenständlichen Prüfungszeitraum und die im Bescheid des Finanzamtes festgesetzten ältesten Abgaben habe demnach die fünfjährige Verjährungsfrist mit Ende des Jahres 1996 zu laufen begonnen und hätte mit Ende des Jahres 2001 geendet. Die Verjährungsfrist sei aber durch den Beginn der Prüfungshandlungen im Jahr 2001 unterbrochen worden, habe mit Ablauf des Jahres 2001 neu zu laufen begonnen und habe gemäß § 209 Abs. 1 BAO in der ursprünglichen Fassung nach fünf Jahren mit Ablauf des Jahres 2006 geendet.

Nach der neuen Gesetzeslage des § 209 Abs. 1 BAO idF AbgÄG 2004 verlängere sich die Verjährungsfrist, wenn Verlängerungshandlungen gesetzt wurden, nur mehr um ein Jahr. Die Neufassung sei grundsätzlich auch für die am Tag ihres Inkrafttretens "offenen" Verfahren anzuwenden. Ausnahmen hievon sehe § 323 Abs. 18 BAO vor. § 323 Abs. 18 zweiter Satz BAO besage, dass für Nachforderungen als Folge einer Außenprüfung die Neufassung des § 209 Abs. 1 BAO erst ab 1. Jänner 2006 anzuwenden ist, wenn der Beginn der Amtshandlung vor dem 1. Jänner 2005 liege. Dadurch werde aus Verjährungssicht die Fortsetzung einer Ende 2004 noch nicht abgeschlossenen Außenprüfung bzw. die Auswertung der Prüfungsergebnisse im Jahr 2005 ermöglicht.

Nach Lehre und Rechtsprechung gelte als Beginn der Amtshandlung der Zeitpunkt, in dem der Prüfer zur Vorlage der Bücher, Aufzeichnungen oder sonstigen Unterlagen auffordere (Hinweis u.a. auf das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1998, 93/14/0178).

Nach den ErlRV zu den §§ 209 und 323 Abs. 18 BAO idF AbgÄG 2004 (neue Rechtslage) gewährleiste die Sonderregelung des § 323 Abs. 18 BAO lediglich für "offene" Außenprüfungen, dass die Auswertung von vor dem 1. Jänner 2005 begonnenen abgabenbehördlichen Prüfungen (§ 147 BAO) auch dann noch im Jahr 2005 erfolgen dürfe, wenn der Beginn der Amtshandlung in einem Jahr erfolgt sei, in dem die Verjährungsfrist durch Unterbrechungshandlungen noch nicht abgelaufen sei, jedoch unter Berücksichtigung der Neufassung bereits Ende 2004 (oder früher) ablaufen würde. Zur Beendigung einer Außenprüfung und damit zur Beantwortung der Frage, ob die gegenständliche Außenprüfung noch "offen" sei, sei Folgendes auszuführen:

Nach Stoll (BAO, 1658) ende das Prüfungsverfahren erst durch den formellen (bescheidmäßigen) Abschluss, somit etwa durch Bescheide gem. § 307 Abs 1 BAO oder solche, dass keine Wiederaufnahme zu verfügen sei. Das durch Bescheid (Prüfungsauftrag) eingeleitete Verfahren müsse stets auch durch Bescheid beendet werden (Stoll, BAO, 1654). Auch nach der Schlussbesprechung seien weitere Prüfungshandlungen zulässig (Stoll, BAO, 1662). Die belangte Behörde folge dieser Rechtsmeinung. Die Schlussbesprechung bedeute das Ende der Prüfungshandlungen, sie sei aber nicht der formale Abschluss des Prüfungsverfahrens.

Somit sei im gegenständlichen Fall die Lohnsteuerprüfung eine noch nicht abgeschlossene und somit offene Prüfung gewesen.

Die Verwertung des Prüfungsergebnisses sei sohin im gegenständlichen Fall entsprechend der Übergangsregelung des § 323 Abs. 18 BAO bis 31. Dezember 2005 möglich gewesen. Da die Bescheide des Finanzamtes am 27. Dezember 2005 erlassen worden seien, sei die von der Beschwerdeführerin eingewendete Verjährung nicht eingetreten und die Berufung daher abzuweisen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

§ 224 BAO idF BGBl Nr. 151/1980 lautet auszugsweise:

"(1) Die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. ...

(2) Die Bestimmungen des Einkommensteuerrechtes über die Geltendmachung der Haftung für Steuerabzugsbeträge bleiben unberührt.

(3) Die erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anlässlich der Erlassung eines Haftungsbescheides gemäß Abs. 1 ist nach Eintritt der Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Abgabe nicht mehr zulässig."

§ 207 BAO lautet auszugsweise:

"(1) Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung.

(2) Die Verjährungsfrist beträgt ... bei allen übrigen

Abgaben fünf Jahre. ..."

Gemäß § 209 Abs. 1 BAO in der Stammfassung wird die Verjährung durch jede zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§ 77) von der Abgabenbehörde unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen, wobei mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, die Verjährungsfrist neu zu laufen beginnt.

§ 209 Abs. 1 idF AbgÄG 2004, BGBl I Nr. 180/2004, lautet:

"Werden innerhalb der Verjährungsfrist (§ 207) nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§ 77) von der Abgabenbehörde unternommen, so verlängert sich die Verjährungsfrist um ein Jahr. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist."

Zum Inkrafttreten des § 209 Abs 1 idF AbgÄG 2004 regelt § 323 Abs. 18 BAO:

"§ 209 Abs. 1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 180/2004 ist ab 1. Jänner 2005 anzuwenden. Für Nachforderungen bzw. Gutschriften als Folge einer Außenprüfung (§ 147 Abs. 1) ist die Neufassung des § 209 Abs. 1 jedoch erst ab 1. Jänner 2006 anzuwenden, wenn der Beginn der Amtshandlung vor dem 1. Jänner 2005 gelegen ist. § 209 Abs. 1 zweiter Satz in der Fassung BGBl. I Nr. 180/2004 gilt sinngemäß für im Jahr 2004 unternommene Amtshandlungen im Sinn des § 209 Abs. 1 in der Fassung vor BGBl. I Nr. 57/2004.

§ 209a Abs. 1 und 2 gilt für den Fall der Verkürzung von Verjährungsfristen durch die Neufassungen des § 207 Abs. 2 zweiter Satz durch BGBl. I Nr. 57/2004, des § 209 Abs. 1 durch BGBl. I Nr. 180/2004, des § 209 Abs. 3 durch BGBl. I Nr. 57/2004 sowie des § 304 durch BGBl I Nr. 57/2004 sinngemäß. Wegen der Verkürzung der Verjährungsfristen des § 209 Abs. 3 durch BGBl. I Nr. 57/2004 dürfen Bescheide nicht gemäß § 299 Abs. 1 aufgehoben werden."

Die Übergangsregelung des § 323 Abs. 18 BAO gilt für Außenprüfungen und Buch- und Betriebsprüfungen iSd § 147 BAO idF vor dem SteuerreformG 2005 sowie für die Prüfung der Aufzeichnungen iSd § 151 BAO idF vor dem SteuerreformG 2005 (vgl. Ritz, BAO3, § 209 Tz 45). Für Nachforderungen bzw Gutschriften als Folge solcher Prüfungen ist gemäß § 323 Abs. 18 BAO die Neufassung des § 209 Abs. 1 BAO nicht vor dem 1. Jänner 2006 anzuwenden, wenn die Beginn der betreffenden Amtshandlung vor dem 1. Jänner 2005 gelegen ist.

In der Beschwerde wird vorgebracht, es bestehe kein Streit darüber, dass bei Anwendbarkeit des § 209 Abs. 1 BAO in der Fassung vor dem AbgÄG 2004 im gegenständlichen Fall Verjährung noch nicht eingetreten sei. Die Beschwerdeführerin gehe jedoch davon aus, dass § 209 Abs. 1 BAO bereits in der Fassung des AbgÄG 2004 anzuwenden sei. Diesfalls wäre Verjährung eingetreten, weil die im Jahr 2001 vom Finanzamt gesetzte Prüfungshandlung die Verjährungsfrist bloß um ein einziges Jahr verlängerte. Die ErlRV zu § 323 Abs. 18 BAO (AbgÄG 2004) brächten zum Ausdruck, diese Inkrafttretensregelung solle für "offene" Außenprüfungen gewährleisten, dass die Fortsetzung einer vor Ende 2004 begonnenen Prüfung möglich sei. Im gegenständlichen Fall habe die Prüfung im Jahr 2001 begonnen. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin sei sie hingegen zum Ablauf des Jahres 2004 nicht mehr "offen" gewesen. Zwar habe das Finanzamt bei Ablauf des Jahres 2004 die Bescheide (auf der Grundlage der Prüfungsfeststellungen) noch nicht erlassen gehabt, es sei aber bereits die "Beendigung" der Außenprüfung eingetreten, weil die Prüfungshandlungen abgeschlossen gewesen seien.

Im weiteren Beschwerdevorbringen setzt sich die Beschwerdeführerin ausführlich mit der Frage auseinander, ob eine Außenprüfung bereits vor der Schlussbesprechung beendet sei oder erst mit bzw nach der Schlussbesprechung. Sie bringt dann vor, im gegenständlichen Fall sei einzig strittig, ob die Prüfung noch "offen" gewesen sei. Da die Prüfung bei Ablauf des Jahres 2004 nicht mehr offen gewesen sei, hätte die belangte Behörde § 209 Abs. 1 BAO bereits in der Fassung des AbgÄG 2004 anwenden müssen.

Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt. Die Inkrafttretensregelung des § 323 Abs. 18 BAO stellt darauf ab, ob der "Beginn" der Amtshandlung vor dem 1. Jänner 2005 gelegen ist. Diese Voraussetzung ist im gegenständlichen Fall zweifelsfrei gegeben. Solcherart ist die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen, dass bei Erlassung der auf der Grundlage der Prüfung ergangenen Bescheide des Finanzamtes § 209 Abs. 1 BAO nicht in der Fassung des AbgÄG 2004 anzuwenden war.

Erläuterungen zur Regierungsvorlage kommt keine normative Bedeutung zu, hat doch der Gesetzgeber keinen wie immer gearteten Einfluss auf deren Inhalt. Daran ändert nichts, dass solche ErlRV im Rahmen der Interpretation des Gesetzes einen Hinweis auf das Verständnis des Gesetzes bieten können. Im gegenständlichen Fall ist von Bedeutung, dass das Gesetz (§ 323 Abs. 18 BAO) nicht von "offenen" Prüfungen spricht. Auf das Beschwerdevorbringen zur Frage, ob Prüfungen bei bzw nach einer Schlussbesprechung noch "offen" sind, braucht daher nicht eingegangen zu werden.

Ergänzend sei darauf verwiesen, dass die Literatur (Ritz, BAO3, § 209 Tz 47) sogar Fälle, in denen aufgrund einer Außenprüfung bereits Bescheide erlassen worden sind, die jedoch im Jahre 2005 (beispielsweise nach § 299 BAO) aufgehoben werden, dem Anwendungsbereich des § 323 Abs. 18 BAO zuordnet.

Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die von der beschwerdeführenden Partei behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 23. September 2010

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