VwGH 2007/18/0741

VwGH2007/18/074115.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des A S in W, geboren am 2. April 1972, vertreten durch Dr. Wolf-Georg Schärf, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tiefer Graben 21/3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 13. Juli 2007, Zl. E1/290.455/2007, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

11997E234 EG Art234;
22000A0621(01) AssAbk Israel Art29;
22000A0621(01) AssAbk Israel;
61981CJ0283 CILFIT und Lanificio di Gavardo VORAB;
EURallg;
11997E234 EG Art234;
22000A0621(01) AssAbk Israel Art29;
22000A0621(01) AssAbk Israel;
61981CJ0283 CILFIT und Lanificio di Gavardo VORAB;
EURallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 13. Juli 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen israelischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei im Jahr 2001 nach Österreich eingereist und habe seit dem Jahr 2003 über eine Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck verfügt. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 9. April 2003 sei er mit einer Geldstrafe belegt worden, weil er als handelsrechtlicher Geschäftsführer ein Gewerbe ohne die hiefür erforderliche Gewerbeberechtigung ausgeübt habe. In weiterer Folge sei er rechtskräftig bestraft worden, weil er ein Gewerbe außerhalb des Standortes seiner Gewerbeberechtigung ausgeübt, eine notwendige Anzeige an die Gewerbebehörde nicht bzw. nicht rechtzeitig erstattet und die Straße ohne Bewilligung zu verkehrsfremden Zwecken benutzt habe.

Trotz Ermahnung durch die Erstbehörde, sich künftig an die österreichische Rechtsordnung zu halten, sei er neuerlich straffällig geworden. Er sei am 5. Oktober 2006 vom Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß § 15, § 146, § 147 Abs. 3, § 133 Abs. 1 und 2, § 169 Abs. 1 und § 298 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren, davon 16 Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt worden. Er habe vom 6. bis zum 15. September 2005 in drei Angriffen Versicherungsvertreter zur Auszahlung von Schadensversicherungssummen zu verleiten versucht, wobei er zuvor (wahrheitswidrig) den Diebstahl eines versicherten Fahrzeugs (BMW 730D) gemeldet bzw. in seinen Firmenräumlichkeiten einen Brand gelegt habe (behaupteter Sachschaden zumindest EUR 283.000,--). Er habe das Fahrzeug, das im Eigentum der Leasinggeberin B-Bank gestanden sei, zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor dem 24. August 2005 veräußert oder sonst weitergegeben, um anschließend Vertretern der Versicherung gegenüber zu behaupten, dieses sei ihm in P gestohlen worden. Er habe am 8. September 2005 in den gemieteten Räumlichkeiten seines Firmenstandortes mittels Brandbeschleunigern an mehreren Stellen ein Feuer gelegt, das erst durch den Einsatz der Feuerwehr habe gelöscht werden können. Er habe schließlich am 5. September 2005 einem Beamten der Bundespolizeidirektion Wien wissentlich die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung vorgetäuscht, indem er behauptet habe, sein Fahrzeug sei in P gestohlen worden.

Der im § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierte Tatbestand sei verwirklicht. Das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit - hier: das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität - in erheblichem Ausmaß, sodass die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der §§ 61 und 66 leg. cit. - auch im Grund des § 60 Abs. 1 FPG gegeben seien.

Der Beschwerdeführer lebe seit 2001 im Bundesgebiet. Im Inland befänden sich seine Ehefrau sowie seine beiden Kinder. Es sei von einem mit der vorliegenden Maßnahme verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens) dringend geboten und sohin im Grund des § 66 Abs. 1 FPG zulässig. Sein strafbares Verhalten verdeutliche, dass er nicht gewillt sei, die für ihn maßgeblichen Rechtsvorschriften seines Gastlandes einzuhalten. Es könne keine zu seinen Gunsten ausfallende Verhaltensprognose gestellt werden. Die Straftaten, die zu seiner gerichtlichen Verurteilung geführt hätten, seien von sehr hoher krimineller Energie (in einem sehr kurzen Zeitraum) gekennzeichnet.

Im Rahmen der nach § 66 Abs. 2 FPG vorzunehmenden Interessenabwägung sei darauf Bedacht zu nehmen, dass sich der Beschwerdeführer mittlerweile seit ca. sechs Jahren im Bundesgebiet aufhalte. Ungeachtet dessen könne er sich aber nicht mit Erfolg auf eine daraus ableitbare relevante Integration seiner Person berufen. Diese erfahre bereits durch den Umstand, dass die dafür erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich gemindert worden sei, eine wesentliche Relativierung.

Seinen - solcherart geschmälerten - privaten und familiären Interessen stünden die genannten hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen, insbesondere jene an der Einhaltung der strafrechtlichen Normen, gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessen wögen die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Art und Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten könne sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet auch unter Berücksichtigung seiner familiären Situation im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens nicht in Kauf genommen werden.

Mit dem Vorbringen, er habe in Israel drei Terroranschläge, bei denen er auch verletzt worden sei, überlebt und sei daher aus psychischen und physischen Gründen nicht mehr in der Lage, in Israel zu leben, zeige der Beschwerdeführer weder auf, dass sein Leben von einer medizinischen oder psychotherapeutischen Behandlung in Österreich abhängig, noch, dass für ihn keine Aussicht bestehe, sich in einem anderen Land der für ihn lebensnotwendigen Behandlung zu unterziehen. Ein weiteres Eingehen auf dieses Vorbringen erübrige sich daher.

Das Aufenthaltsverbot sei unbefristet auszusprechen, weil nicht vorhergesehen werden könne, wann der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Grund, nämlich die erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, weggefallen sein werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung (Beschluss vom 25. September 2007, B 1581/07-6) an den Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Verletzung gesetzlich gewährleisteter Rechte aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die Beschwerde bringt vor, um die im Kapitel "Niederlassungsrecht und Erbringung von Dienstleistungen" (Art. 29) des Europa-Mittelmeer-Abkommens mit Israel genannten Ziele zu erreichen, würde ein Assoziationsrat die erforderlichen Empfehlungen aussprechen. Andere Assoziationsabkommen, wie jenes mit Tunesien, würden Niederlassungsfreiheit einräumen. Unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips gelte dies auch für Israelis. Die Ausweisung eines israelischen Staatsbürgers auf Grund einer strafgerichtlichen Verurteilung sei mit diesen Rechten nicht in Einklang zu bringen.

1.2. Art. 29 des Titels III, Niederlassungsrecht und Erbringung von Dienstleistungen, des Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Staat Israel andererseits, BGBl. III Nr. 109/2000 (ABl. Nr. L 147 vom 21. Juni 2000, S. 3 ff), lautet:

"Artikel 29

(1) Die Vertragsparteien kommen überein, das Recht von Gesellschaften der einen Vertragspartei auf Niederlassung im Gebiet der anderen Vertragspartei und die Liberalisierung der Erbringung von Dienstleistungen durch Gesellschaften der einen Vertragspartei für Leistungsempfänger in der anderen Vertragspartei in den Geltungsbereich dieses Abkommens einzubeziehen.

(2) Der Assoziationsrat spricht die für die Erreichung des in Absatz 1 genannten Ziels erforderlichen Empfehlungen aus. Bei diesen Empfehlungen berücksichtigt der Assoziationsrat die Erfahrungen bei der gegenseitigen Einräumung der Meistbegünstigung sowie die jeweiligen Verpflichtungen der Vertragsparteien aus dem Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (im folgenden "GATS" genannt), insbesondere aus dessen Artikel V.

(3) Die Erreichung dieses Ziels wird im Assoziationsrat spätestens drei Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens erstmals geprüft."

Eine Regelung über die Freizügigkeit ist weder dieser noch anderen Bestimmungen des genannten Abkommens zu entnehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2009, Zl. 2008/21/0015, wonach selbst die weiter gehenden Bestimmungen des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Marokko nicht die Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zum Gegenstand haben). Im Hinblick auf den Umstand, dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt, war die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EG nicht erforderlich (vgl. das Urteil des EuGH vom 6. Oktober 1982, Rs 283/81, "Cilfit").

2.1. In Anbetracht der unbestrittenen rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren begegnet die - unbekämpfte - Beurteilung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

2.2. Nach den im angefochtenen Bescheid getroffenen ebenso unbestrittenen Feststellungen hat der Beschwerdeführer nach Brandlegung einen Brandschadensversicherungsfall sowie einem Beamten der Bundespolizeidirektion Wien einen Fahrzeugdiebstahl vorgetäuscht, um sodann in drei Angriffen zu versuchen, Versicherungsvertreter zur Auszahlung von Schadensversicherungssummen zu verleiten. In Anbetracht dieses Gesamtfehlverhaltens kann die Ansicht der belangten Behörde, dass die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, nicht als rechtswidrig erkannt werden, besteht doch ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. März 2007, Zl. 2005/18/0701) sowie an der Verhinderung gemeingefährlicher strafbarer Handlungen, wie der vorliegenden Brandstiftung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. März 2002, Zl. 98/18/0207). Die Straftaten lagen bei Erlassung des angefochtenen Bescheides auch noch nicht so lange zurück, dass auf Grund des bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides verstrichenen Zeitraumes von einem Wegfall oder zumindest einer Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Interessen auszugehen wäre.

3. Bei der Interessenabwägung nach § 66 Abs. 1 und 2 FPG hat die belangte Behörde den rechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers seit dem Jahr 2001 sowie seine Bindungen zu seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern berücksichtigt und zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben angenommen. Wenn die belangte Behörde dennoch angesichts der vom Beschwerdeführer verübten Straftaten die Erlassung dieser Maßnahme im Lichte des § 66 Abs. 1 FPG für zulässig, weil zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten, erachtet hat, so ist diese Beurteilung in Ansehung des im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten bedeutenden öffentlichen Interesses an der Verhinderung strafbarer Handlungen und am Schutz der Rechte anderer nicht zu beanstanden.

Unter Zugrundelegung dieses maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 66 Abs. 2 FPG vorgenommenen Abwägung als unbedenklich. Wenngleich die für einen Verbleib in Österreich sprechenden persönlichen Interessen des Beschwerdeführers beträchtlich sind, kommt diesen doch kein größeres Gewicht zu als dem durch sein Fehlverhalten nachhaltig gefährdeten Allgemeininteresse, hat er doch in mehreren Angriffen Versicherungsbetrug zu verüben versucht und Brandstiftung begangen.

Wenn die Beschwerde der belangten Behörde zum Vorwurf macht, den Beschwerdeführer nicht dazu angeleitet zu haben, die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens hinsichtlich "seiner psychischen Belastung einer Rückkehr nach Israel infolge von traumatischen Schäden wegen Verletzungen, die durch erlebte Terroranschläge entstanden sind", zu beantragen, so ist dies - ungeachtet des Umstands, dass der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten war - schon deswegen nicht zielführend, weil die Beschwerde weder ausführt, welche konkreten gesundheitlichen Folgen die "psychische Belastung" für sein Leben in Israel hätte, noch, dass eine diesbezügliche medizinische Behandlung nicht möglich wäre, und somit die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht aufzeigt (vgl. § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG).

4. Schließlich sind auch keine Umstände ersichtlich, die die belangte Behörde hätten veranlassen müssen, von dem ihr eingeräumten Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen.

5. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 15. Dezember 2009

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