VwGH 2004/07/0034

VwGH2004/07/003422.4.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Bumberger, Dr. Beck, Dr. Hinterwirth und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Kante, über die Beschwerde der Agesellschaft m.b.H. in Wien, vertreten durch Mag. Dr. Andreas Schuster, Rechtsanwalt in Wien, Währinger Straße 18, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 2. Jänner 2004, Zl. 9-U-0116/12, betreffend einen Behandlungsauftrag nach dem Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (weitere Partei: Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft), zu Recht erkannt:

Normen

31975L0442 Abfallrahmen-RL Art1 lita;
31975L0442 Abfallrahmen-RL Art4;
61997CJ0418 ARCO Chemie Nederland Ltd VORAB;
62000CJ0009 Palin Granit Oy VORAB;
AWG 2002 §1 Abs3;
AWG 2002 §2 Abs1;
AWG 2002 Anh1 Q16;
EURallg;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2004:2004070034.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 21. Juli 2003 verpflichtete die Bezirkshauptmannschaft (BH) die beschwerdeführende Partei gemäß § 73 des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002 (AWG 2002), folgende Maßnahmen auf dem Betriebsareal S, B-straße 200, durchzuführen:

1. Sämtliche Lagerungen von Kunststoffabfällen in der Lagerhalle an der B-straße 200, direkt nördlich der durch die Halle führenden Gleise im Ausmaß von ca. 1.500 m3 Feinfraktionen aus Kunststoffen (ca. 300 t), sind bis längstens 30. September 2003 zu entfernen und es sind die Abfälle ordnungsgemäß zu entsorgen.

2. Über die ordnungsgemäße Entsorgung ist der BH bis längstens 30. September 2003 ein Entsorgungsnachweis vorzulegen.

3. Die weitere Zulieferung von Kunststoffabfällen und die Ablagerung wird untersagt.

In der Begründung heißt es, die BH habe anlässlich einer Überprüfung festgestellt, dass die beschwerdeführende Partei in der Lagerhalle an der B-straße, direkt nördlich der durch die Halle führenden Gleise, Kunststoffabfälle in einem Ausmaß von ca. 1.500 m3 (ca. 300 t) gelagert habe. Für diese Lagerungen existiere weder eine baubehördliche noch eine gewerbebehördliche noch eine Bewilligung nach dem Abfallwirtschaftsgesetz.

Aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Amtssachverständigen für Abfallchemie ergebe sich, dass die in der Halle vorhandenen Kunststoffabfälle jedenfalls Abfälle aus fachlicher Sicht darstellten. In der Halle würden geschredderte Mischkunststoffe mit geringen Fremdstoffanteilen (z.B. Metallen, Fasern) gelagert.

Aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des bautechnischen Amtssachverständigen ergebe sich, dass der gesamte Hallenkomplex, dessen Teil auch jene Halle sei, in der die Abfälle gelagert seien, einen einzigen Brandabschnitt darstelle. Wie der brandschutztechnische Sachverständige ausgeführt habe, entsprächen die vorgefundenen Lagerungen der Kunststoffabfälle in keiner Form den brandschutzrechtlichen Richtlinien. Auf Grund des äußerst trockenen Kunststoffmaterials stellten diese Lagerungen eine äußerst hohe Brandgefahr sowie eine äußerst hohe Brandlast dar (äußerst schwer löschbares und stark qualmendes Gut). Im Falle eines Brandes sei ein Übergreifen auf die anderen Objekte nicht zu verhindern.

Aus diesen Gutachten ergebe sich somit eindeutig, dass durch die unsachgemäße Lagerung von Kunststoffabfällen eine hohe Brandgefahr bestehe. Eine Bewilligung für diese Lagerungen liege nicht vor.

Abfälle dürften außerhalb von hiefür genehmigten Anlagen oder für die Sammlung oder Behandlung vorgesehenen geeigneten Orten nicht gesammelt, gelagert oder behandelt werden.

Da die gegenständlichen Lagerungen über keine Genehmigung verfügten und überdies die Entfernung der Abfälle im öffentlichen Interesse gelegen sei, habe die ordnungsgemäße Entfernung der Kunststoffabfälle vorgeschrieben werden müssen.

Zur Räumfrist werde bemerkt, dass dann, wenn man eine Räumleistung von 300 t pro Tag zugrunde lege, die Räumung in 10 Tagen abgeschlossen sei. Die Räumfrist sei daher sehr großzügig bemessen.

Die beschwerdeführende Partei berief.

Die belangte Behörde führte eine mündliche Verhandlung unter

Beiziehung von Sachverständigen durch.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 2. Jänner 2004 wies die belangte Behörde die Berufung ab, wobei die Frist für die Durchführung des abfallwirtschaftspolizeilichen Auftrages bis 29. Februar 2004 verlängert wurde.

In der Begründung heißt es nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der angewandten Gesetzesbestimmungen, zunächst sei zu prüfen gewesen, ob es sich bei den vom erstinstanzlichen Bescheid erfassten Materialien um Abfall im Sinne des AWG 2002 handle.

Im Anhang 1 des AWG 2002 seien unter Q 16 "Stoffe oder Produkte aller Art, die nicht einer der oben erwähnten Gruppen angehören" als Gruppen von Abfällen genannt. Dem Anhang 1 komme auf Grund des Auffangtatbestandes Q 16 keine entscheidende Bedeutung für das Verständnis bzw. die Auslegung des Abfallbegriffes zu. Es sei daher auf die übrigen Kriterien des § 2 Abs. 1 AWG 2002 abzustellen. Es komme entweder auf die Entledigungsabsicht des Besitzers oder auf die Erforderlichkeit der Sammlung, Lagerung, Beförderung oder Behandlung als Abfall im öffentlichen Interesse an.

Wie vom brandschutztechnischen Sachverständigen ausgeführt, stellten die Lagerungen in der Halle eine äußerst hohe Brandgefahr sowie eine äußerst hohe Brandlast dar. Die Lagerungen in der Halle entsprächen nicht den brandschutztechnischen Richtlinien. Die Vermeidung einer Brandgefahr liege im öffentlichen Interesse. Daher seien die im erstinstanzlichen Bescheid genannten Lagerungen als Abfälle zu qualifizieren. Ihre Entfernung sei notwendig.

In der Berufungsverhandlung habe die beschwerdeführende Partei vorgebracht, dass die Halle bereits geräumt worden sei. Aus dem Gutachten des Amtssachverständigen für Deponietechnik und Gewässerschutz in der Berufungsverhandlung ergebe sich, dass die ursprünglichen Lagerungen in der Halle zwar aus dieser entfernt, jedoch auf eine Freilagerfläche gebracht worden seien. Dort aber stellten sie eine Gefahr für das Grundwasser dar.

Bezüglich der Entsorgungsfrist sei vom deponietechnischen Amtssachverständigen ausgeführt worden, dass von dem abgelagerten Material etwa 500 m3 pro Tag entfernt werden könne. Der beschwerdeführende Partei stehe es frei, die Abfälle zu entsorgen, wo sie wolle. Es sei aber nicht erforderlich, bei der Bemessung der Entsorgungsfrist Entsorgungen im Ausland zu berücksichtigen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die beschwerdeführende Partei bringt vor, zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde seien die beanstandeten Lagerungen bereits aus der Halle entfernt worden. Der Behandlungsauftrag sei daher gegenstandslos, der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund rechtswidrig.

Die vom Behandlungsauftrag erfassten Materialien stellten keinen Abfall dar. Es fehlten jegliche Feststellungen, unter welche der in Anhang 1 des AWG 2002 angeführten Gruppen diese Materialien fielen. Eine Zuordnung zum Anhang 1 des AWG 2002 und zur Abfallverzeichnisverordnung sei nicht möglich.

Der subjektive Abfallbegriff sei nicht erfüllt, weil keine Entledigung vorliege.

Die Materialien seien auch nicht Abfälle im Sinne des objektiven Abfallbegriffs. Nach dem AWG 2002 führe schon die bloße Möglichkeit der Beeinträchtigung öffentlicher Interessen gemäß § 1 Abs. 3 AWG 2002 dazu, dass ein bestimmter Stoff zu Abfall werde. Dies widerspreche dem Art. 4 der Richtlinie 75/442/EWG , wonach (lediglich bestehende) Abfälle so beseitigt werden müssten, dass die menschliche Gesundheit oder die Umwelt nicht geschädigt oder gefährdet würden. Die EU-Richtlinie setze daher die Abfalleigenschaft eines Materials voraus und normiere, dass dessen Beseitigung nicht gegen öffentliche Interessen verstoßen dürfe. Nach der österreichischen Rechtslage aber führe bereits die Beeinträchtigung von öffentlichen Interessen bei der Verwertung von Sachen dazu, dass diese zu Abfällen mutierten, ohne dass es einer Entledigungsabsicht oder dergleichen bedürfe. Das AWG 2002 stelle daher keine ordnungsgemäße Umsetzung des Art. 4 der Richtlinie 75/442/EWG dar. Werde diese Bestimmung ordnungsgemäß umgesetzt, müssten weitere Elemente des Abfallbegriffs geprüft worden, um eine Einordnung der Materialien als Abfall vornehmen zu können. Solche Kriterien (z.B. Weiterverwendungsmöglichkeiten, Marktfähigkeit, bestimmungsgemäße Verwendung, Produktionseignung etc.) seien "nicht einmal genannt, sodass eine umfassende Prüfung der gelagerten Materialien hinsichtlich ihrer Subsumierbarkeit unter den Abfallbegriff nicht erfolgt" sei.

Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht sei "diese Bestimmung" im Hinblick auf Art. 5 StGG bedenklich, könne doch eine bloße Verwertung einer Sache dazu führen, dass diese nur noch als Abfall zu qualifizieren sei und damit eine Enteignung stattfinde. Darüber hinaus könne ein Behandlungsauftrag auch unverhältnismäßig sein, weil gelindere Mittel ausreichten.

Das AWG 2002 normiere im § 2 Abs. 3 auch Ausnahmen vom objektiven Abfallbegriff. Es hätte geklärt werden müssen, ob die gelagerten Materialien nicht "in einer nach allgemeiner Verkehrsauffassung für sie bestimmungsgemäßen Verwendung" stünden.

Die belangte Behörde stütze sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf die eingeholten Gutachten, gehe aber nicht auf die Argumentation der beschwerdeführenden Partei ein, dass die Materialien zur Produktion im Probebetrieb bzw. zur Energiegewinnung dringend benötigt würden.

Die belangte Behörde habe keinerlei Ermittlungen dazu getätigt, an welchen Abnehmerkreis die neu produzierten Waren gelangten, insbesondere auch nicht darüber, ob diese wieder an die beschwerdeführende Partei zurück kämen und von ihr an dritte Abnehmer geliefert würden.

Keiner der Amtssachverständigen habe Proben entnommen, um feststellen zu können, welche Materialien tatsächlich auf dem Gelände gelagert gewesen seien. Das Material sei ohne weitere Untersuchung "augenscheinlich als Abfall aus fachlicher Sicht" bezeichnet worden. Wären Proben gezogen worden, so hätte deren Auswertung ergeben können, dass die gelagerten Stoffe nicht in die Abfallgruppen des Anhanges 1 des AWG 2002 bzw. in die Abfallverzeichnisverordnung eingeordnet werden könnten.

Darüber hinaus habe die belangte Behörde ohne Angabe von Gründen die Frist zur Erfüllung des Behandlungsauftrages willkürlich mit rund sechs Wochen festgelegt, obwohl bereits Konsens darüber bestanden habe, dass eine Frist von 16 Wochen erforderlich sei.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die für den Beschwerdefall relevanten Bestimmungen der §§ 1, 2, 15 und 73 des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 102/2002 (AWG 2002), lauten auszugsweise:

"§ 1.........

(3) Im öffentlichen Interesse ist die Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall erforderlich, wenn andernfalls

1. die Gesundheit der Menschen gefährdet oder unzumutbare Belästigungen bewirkt werden können,

2. Gefahren für die natürlichen Lebensbedingungen von Tieren oder Pflanzen oder für den Boden verursacht werden können,

3. die nachhaltige Nutzung von Wasser oder Boden beeinträchtigt werden kann,

4. die Umwelt über das unvermeidliche Ausmaß hinaus verunreinigt werden kann,

  1. 5. Brand- oder Explosionsgefahren herbeigeführt werden können,
  2. 6. Geräusche oder Lärm im übermäßigen Ausmaß verursacht werden können,

    7. das Auftreten oder die Vermehrung von Krankheitserregern begünstigt werden können,

    8. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gestört werden kann oder

    9. Orts- und Landschaftsbild erheblich beeinträchtigt werden können.

§ 2. (1) Abfälle im Sinne dieses Bundesgesetzes sind bewegliche Sachen, die unter die in Anhang 1 angeführten Gruppen fallen und

1. deren sich der Besitzer entledigen will oder entledigt hat oder

2. deren Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall erforderlich ist, um die öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) nicht zu beeinträchtigen.

(2) ......

(3) Eine geordnete Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist jedenfalls solange nicht im öffentlichen Interesse (§ 1 Abs. 3) erforderlich, solange

  1. 1. eine Sache nach allgemeiner Verkehrsauffassung neu ist oder
  2. 2. sie in einer nach allgemeiner Verkehrsauffassung für sie bestimmungsgemäßen Verwendung steht.

§ 15. .............

(3) Abfälle dürfen außerhalb von

  1. 1. hiefür genehmigten Anlagen oder
  2. 2. für die Sammlung oder Behandlung vorgesehenen geeigneten Orten nicht gesammelt, gelagert oder behandelt werden.

§ 73. (1)

1. Werden Abfälle nicht gemäß den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes oder nach diesem Bundesgesetz erlassenen Verordnungen gesammelt, gelagert oder behandelt,

2. werden Abfälle nicht gemäß den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes oder der EG-VerbringungsV befördert oder verbracht oder

3. ist die schadlose Behandlung der Abfälle zur Vermeidung von Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) geboten,

hat die Behörde die erforderlichen Maßnahmen, einschließlich der Untersagung des rechtswidrigen Handelns, dem Verpflichteten mit Bescheid aufzutragen."

Nach den von der beschwerdeführenden Partei unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid handelt es sich bei den vom Behandlungsauftrag erfassten Materialien um mit Anteilen von Fremdstoffen vermischte geschredderte Kunststoffe, die eine äußerst hohe Brandgefahr darstellen. Sie sind daher als Abfälle im objektiven Sinn einzustufen, weil ihre Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall erforderlich ist, da andernfalls öffentliche Interessen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 2, nämlich jene des § 1 Abs. 3 Z. 5 AWG 2002, beeinträchtigt werden.

Wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat, kommt der Zuordnung der Materialien zu einer der Abfallgruppen des Anhangs 1 des AWG 2002 für den Beschwerdefall keine entscheidende Bedeutung bei, da Anhang 1 mit "Q 16 Stoffe oder Produkte aller Art, die nicht einer der oben erwähnten Gruppen angehören" einen umfassenden Auffangtatbestand enthält (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Jänner 2004, 2003/07/0121).

Dass geschredderte Kunststoffe, die in einer Halle gelagert sind, nicht nach allgemeiner Verkehrsauffassung neu sind und dass es sich dabei auch nicht um eine Sache handelt, die in einer nach allgemeiner Verkehrsauffassung für sie bestimmungsgemäßen Verwendung steht, ist offenkundig.

Die Beschwerdeausführungen zeigen auch keinen Widerspruch des Abfallbegriffes des AWG 2002 zu der Richtlinie 75/442/EWG (Abfallrichtlinie) auf.

Die beschwerdeführende Partei meint, durch das AWG 2002 sei Art. 4 der Abfallrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden.

Art. 4 der Abfallrichtlinie lautet:

"Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Abfälle verwertet oder beseitigt werden, ohne dass die menschliche Gesundheit gefährdet wird und ohne dass Verfahren oder Methoden verwendet werden, welche die Umwelt schädigen können, insbesondere ohne dass

Die Mitgliedstaaten ergreifen ferner die erforderlichen Maßnahmen, um eine unkontrollierte Ablagerung oder Ableitung von Abfällen und deren unkontrollierte Beseitigung zu verbieten."

Die beschwerdeführende Partei verweist zur Untermauerung ihrer Auffassung, das AWG 2002 verstoße gegen Art. 4 der Abfallrichtlinie, auf Piska, Der Abfallbegriff des AWG 2002, Ein gelungenes Reformprodukt, JAP 2003/2004, 6. Dort heißt es:

"§ 2 Abs. 1 Z. 2 AWG definiert Abfälle im objektiven Sinn, wie eingangs erwähnt, als Sachen, "deren Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall erforderlich ist, um die öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) nicht zu beeinträchtigen". Es ist also zu prüfen, ob aufgrund der jeweiligen konkreten Umstände des Einzelfalles zu befürchten ist, dass Schutzgüter des § 1 Abs. 3 beeinträchtigt werden, maW: ob die Gefahr einer solchen Beeinträchtigung besteht (FN 21). Eine bereits konkret eingetretene Beeinträchtigung ist mithin nicht erforderlich. Zu diesem Zweck müssen auf faktischer Ebene uU Sachverständigengutachten eingeholt werden (FN 22).

§ 1 Abs. 3 legt in seinen neun Ziffern verschiedene öffentliche Interessen fest; sie reichen vom Schutz der Gesundheit (Z. 1) über den Umweltschutz (Z. 4) bis zum Schutz vor Geräuschen oder Lärm im übermäßigen Ausmaß (Z. 6). Die Tatbestände der Z. 6 und der Z. 9 (Schutz des Orts- und Landschaftsbildes vor erheblichen Beeinträchtigungen) greifen über die zugrundeliegende Bestimmung des Art. 4 Abs. 1 der europäischen AbfallRL hinaus. Denn Art. 4 dieser RL gebietet, Gefährdungen der aufgezählten öffentlichen Interessen bei der Abfallverwertung oder der Abfallbeseitigung zu vermeiden (FN 23). Es handelt sich dort um öffentliche Interessen, die bei der Entsorgung von Sachen, die schon Abfalleigenschaft aufweisen, beachtet werden müssen. Nach dem Konzept des AWG hingegen führt eine Beeinträchtigung der in Rede stehenden öffentlichen Interessen dazu, dass eine Sache zu objektivem Abfall wird - eine europarechtlich nicht intendierte Konsequenz."

Es kann dahin gestellt bleiben, ob die von Piska geäußerten Bedenken gegen § 1 Abs. 3 AWG 2002 zutreffen. Selbst wenn dies der Fall wäre, wäre daraus für die beschwerdeführende Partei nichts gewonnen. Die Bedenken Piskas richten sich nur gegen § 1 Abs. 3 Z. 6 und 9 AWG 2002. Diese Bestimmungen sind aber im Beschwerdefall gar nicht anzuwenden.

Soweit die beschwerdeführende Partei einen Verstoß des § 1 Abs. 3 AWG 2002 gegen Art. 4 der Abfallrichtlinie auch damit zu begründen versucht, dass bei ordnungsgemäßer Umsetzung des Art. 4 der Richtlinie "weitere Elemente des Abfallbegriffs geprüft werden müssten, um eine Einordnung unserer Materialien als Abfall vornehmen zu können", sind ihre Ausführungen unklar. Die beschwerdeführende Partei erläutert nicht, welcher Zusammenhang zwischen § 1 Abs. 3 AWG 2002, den von ihr ins Treffen geführten Kriterien und einer unzulänglichen Umsetzung des Art. 4 der Abfallrichtlinie bestehen sollte.

Die von der beschwerdeführenden Partei angeführten Urteile des EuGH vom 15. Juni 2000, Rs C-418/97 und 419/97 (Arco Chemie, Sammlung 2000 I-4475) und vom 18. April 2002, Rs C-9/00 (Palin Granit, Sammlung 2002 I-3533) beschäftigten sich mit der Abfalleigenschaft bestimmter Stoffe. Der EuGH hat in diesen Urteilen ausgeführt, dass die Frage, ob es sich bei einer Sache um Abfall handelt, an Hand sämtlicher Umstände nach Maßgabe der Begriffsbestimmung in Artikel 1 Buchstabe a der Abfallrichtlinie, also danach zu beurteilen ist, ob der Besitzer sich des betreffenden Stoffes entledigt, entledigen will oder entledigen muss und dass dabei die Zielsetzung der Richtlinie zu berücksichtigen und darauf zu achten ist, dass ihre Wirksamkeit nicht beeinträchtigt wird. Daraus ist für die von der beschwerdeführenden Partei behauptete nicht ordnungsgemäße Umsetzung des Art. 4 der Abfallrichtlinie durch das AWG 2002 nichts zu gewinnen.

Die Beschwerdeausführungen über verfassungsrechtliche Bedenken gegen "diese Bestimmung" sind unverständlich.

Der Beschwerde ist nicht einmal eindeutig zu entnehmen, gegen welche Bestimmung sich die verfassungsrechtlichen Bedenken richten. Wenn von "dieser Bestimmung" die Rede ist, deutet das darauf hin, dass eine Bestimmung gemeint ist, die in der Beschwerde unmittelbar vor dem Passus über die verfassungsrechtlichen Bedenken erwähnt wurde. Gemeint sein könnte § 1 Abs. 3 AWG 2002. Andererseits wird aber im Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Bedenken § 73 AWG 2002 erwähnt. Es ist somit nicht klar, welche Bestimmung von der beschwerdeführenden Partei angesprochen wird.

Unklar ist aber auch der Inhalt der verfassungsrechtlichen Bedenken. In der Beschwerde heißt es, "diese Bestimmung" sei im Hinblick auf Art. 5 StGG bedenklich, "kann doch eine bloße Verwertung einer Sache dazu führen, dass diese nur noch als Abfall zu qualifizieren ist und damit eine Enteignung stattfindet, darüber hinaus ein Behandlungsauftrag nach § 73 AWG auch unverhältnismäßig sein kann, weil gelindere Mittel ausreichen."

Diese Ausführungen sind unverständlich und es ist ihnen nichts zu entnehmen, was Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der auf den Beschwerdefall anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen hervorrufen könnte.

§ 73 Abs. 1 AWG 2002 sieht vor, dass die Behörde die "erforderlichen" Maßnahmen dem Verpflichteten aufzutragen hat. Der Vorwurf der beschwerdeführenden Partei an die belangte Behörde, sie habe nicht untersucht, ob nicht gelindere Mittel als die Entfernung der Abfälle in Betracht gekommen wären, erfolgt zu Unrecht, ist doch die beschwerdeführende Partei selbst nicht in der Lage, solche gelindere Mittel zu benennen.

Dass die Abfälle noch vor der Berufungsverhandlung entfernt wurden, machte den Beseitigungsauftrag entgegen der Auffassung der beschwerdeführenden Partei nicht gegenstandslos und die Aufrechterhaltung dieses Auftrages nicht rechtswidrig, da darin keine von der Berufungsbehörde wahrzunehmende Änderung des Sachverhaltes zu erblicken ist (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 6. Aufl., 913f, angeführte Rechtsprechung).

Der Behandlungsauftrag umfasst 1.500 m3. Nach den im Verfahren eingeholten Gutachten können pro Tag 300 m3 abtransportiert werden. Eine sechswöchige Frist ist daher mehr als ausreichend. Die 16 Wochen, welche die beschwerdeführende Partei anspricht, finden sich in der Niederschrift über die von der BH am 10. April 2003 durchgeführte Betriebsanlagenüberprüfung. Sie betrafen Lagerungen von Kunststoffabfällen im Freien im Ausmaß von ca. 25.644 m3 und können daher nicht als Beleg dafür herangezogen werden, dass die im angefochtenen Bescheid gesetzte Frist zu kurz ist.

Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Der Schriftsatzaufwand für die belangte Behörde beträgt gemäß § 1 Z. 2 lit. b der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003 EUR 330,40. Die belangte Behörde beantragt den Zuspruch von Schriftsatzaufwand in Höhe von EUR 333,40. Das über EUR 330,40 hinaus gehende Mehrbegehren war abzuweisen.

Wien, am 22. April 2004

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