VwGH 2002/15/0003

VwGH2002/15/000331.1.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. U. Zehetner, über die Beschwerde der M WirtschaftstreuhandgesmbH in G, vertreten durch Dr. Klein, Dr. Wuntschek, Dr. Mayerbrucker und Mag. Ulm, Rechtsanwälte in Graz, Grazbachgasse 39/III, 1. gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark (Berufungssenat) vom 9. Juli 1998, RV 49/1-10/98, betreffend Umsatzsteuer 1996, und 2. gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 21. Dezember 1998, AO 720/7-10/98, betreffend Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 1997, zu Recht erkannt:

Normen

31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art17 Abs2;
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art17 Abs6;
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art17 Abs7;
61999CJ0409 Metropol Treuhand VORAB;
EStG 1972 Kleinbusse Erlaß BMF 18.November 1987;
Steuerliche Einstufung von Kraftfahrzeugen 1996 §10;
UStG 1972 §12 Abs2 Z2 litc;
UStG 1994 §12 Abs2 Z2 litb idF 1996/201;
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art17 Abs2;
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art17 Abs6;
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art17 Abs7;
61999CJ0409 Metropol Treuhand VORAB;
EStG 1972 Kleinbusse Erlaß BMF 18.November 1987;
Steuerliche Einstufung von Kraftfahrzeugen 1996 §10;
UStG 1972 §12 Abs2 Z2 litc;
UStG 1994 §12 Abs2 Z2 litb idF 1996/201;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.816,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte in ihren Umsatzsteuererklärungen für 1996 und 1997 den Abzug von Vorsteuern für den Betrieb eines Kraftfahrzeuges der Marke Pontiac TransSport.

Das Finanzamt setzte die Umsatzsteuer für 1996 ohne Berücksichtigung der Vorsteuer aus dem Betrieb des Kraftfahrzeuges mit Bescheid vom 27. April 1998 fest. Unter Hinweis auf die vom Bundesministerium für Finanzen erlassene Verordnung BGBl 273/1996 führte das Finanzamt aus, Kraftfahrzeuge der Marke Pontiac TransSport seien vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen.

Das Finanzamt änderte jedoch in der Folge seine Rechtsauffassung. Im Umsatzsteuerbescheid 1997 vom 6. November 1998 gewährte es den Vorsteuerabzug für den Betrieb desselben Kraftfahrzeuges.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen den Umsatzsteuerbescheid 1996 Berufung. Österreich dürfe gem Art 17 Abs 6 Unterabs 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie nur jene Vorsteuerausschlüsse beibehalten, die bereits im Zeitpunkt des Beitritts zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995 bestanden hätten. Am 1. Jänner 1995 hätten Kleinbusse zur Gänze zum Vorsteuerabzug berechtigt. Durch die Verordnung BGBl 273/1996 sei der Vorsteuerabzug jedoch auf einige wenige Kleinbusse eingeschränkt worden.

Mit dem, vor dem Verwaltungsgerichtshof unter Zl 2002/15/0003, vormals 98/15/0136, angefochtenen Bescheid vom 9. Juli 1998 wies die belangte Behörde (Berufungssenat) die Berufung gegen den Umsatzsteuerbescheid 1996 als unbegründet ab. Die belangte Behörde stellte dabei außer Streit, dass Kraftfahrzeuge der Marke Pontiac TransSport vor Inkrafttreten der Verordnung BGBl 273/1996 tatsächlich als "Kleinbusse" eingestuft wurden und daher vorsteuerabzugsberechtigt waren. Sie führte weiters aus, es sei in sachverhaltsmäßiger Hinsicht unbestritten, dass das Fahrzeug nicht in den durch die genannte Verordnung umschriebenen Kreis der "Klein-Autobusse" falle und daher als Personenkraftwagen vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen sei. Die neue Rechtslage der Verordnung BGBl 273/1996 wäre aber mit Art 17 Abs 6 Unterabs 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar. Die Definition des "Kleinbusses" in der Verordnung sei nämlich in Anlehnung an die bereits vor 1995 bestehende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfolgt. Man habe lediglich eine zu liberale Verwaltungspraxis korrigiert.

Mit dem, vor dem Verwaltungsgerichtshof unter Zl 2002/15/0004, vormals 99/15/0022, angefochtenen Bescheid vom 21. Dezember 1998 hob die belangte Behörde den Umsatzsteuerbescheid 1997 gemäß § 299 Abs 2 BAO von Amts wegen in Ausübung ihres Aufsichtsrechtes auf. Die Zuerkennung des Vorsteuerabzugs für 1997 sei rechtswidrig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden - Beschwerden erwogen:

Lieferungen und sonstige Leistungen, die im Zusammenhang mit der Anschaffung, Miete oder dem Betrieb von Personenkraftwagen, Kombinationskraftwagen oder Krafträdern stehen (ausgenommen Fahrschulkraftfahrzeuge, Vorführkraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuge, die ausschließlich zur gewerblichen Weiterveräußerung bestimmt sind, sowie Kraftfahrzeuge, die zu mindestens 80 % dem Zweck der gewerblichen Personenbeförderung oder der gewerblichen Vermietung dienen) berechtigen gemäß § 12 Abs. 2 Z 2 lit. b UStG 1994 nicht zum Vorsteuerabzug. Die genannte Gesetzesbestimmung wurde unverändert aus der bis zum Beitritt Österreichs zur EU geltenden Bestimmung des § 12 Abs. 2 Z 2 lit. c UStG 1972 übernommen.

Im Erlass Z 09 1202/4-IV/9/87 des Bundesministers für Finanzen vom 18. November 1987, AÖF 330/1987, wird darauf verwiesen, dass Kleinbusse nicht unter die für Personenkraftwagen und Kombinationskraftwagen geltenden einschränkenden umsatzsteuerlichen Bestimmungen fielen, für Kleinbusse vielmehr die Möglichkeit des Vorsteuerabzuges bestehe. Sodann wird ausgeführt:

"Unter einem Kleinbus ist nach Ansicht des Bundesministeriums für Finanzen ein Fahrzeug zu verstehen, das ein kastenwagenförmiges Äußeres sowie Beförderungsmöglichkeiten für mehr als sechs Personen (einschließlich des Fahrzeuglenkers) aufweist. Bei der Beurteilung der Personenbeförderungskapazität ist nicht auf die tatsächlich vorhandene Anzahl der Sitzplätze, sondern auf die maximal zulässige Personenbeförderungsmöglichkeit abzustellen. Es ist auch unmaßgebend, ob ein nach diesen Kriterien als Kleinbus anerkanntes Fahrzeug Zwecken des Personentransportes oder des Lastentransportes dient oder kombiniert eingesetzt wird. Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung ist allerdings die nachweislich überwiegende unternehmerische bzw. betriebliche Nutzung des Fahrzeuges."

Auf Grund der Verordnungsermächtigung des § 12 Abs. 2 Z 2 lit. b UStG 1994 in der Fassung Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. 201, erließ der Bundesminister für Finanzen die Verordnung über die steuerliche Einstufung von Fahrzeugen als Personenkraftwagen und Kombinationskraftwagen, BGBl. 273/1996 (im folgenden Verordnung). § 10 dieser Verordnung lautet:

"Klein-Autobusse, auch wenn sie kraftfahrrechtlich und zolltarifarisch als Personenkraftwagen oder Kombinationskraftwagen eingestuft sind, sind steuerrechtlich keine Personenkraftwagen oder Kombinationskraftwagen, wenn sie eine einem Autobus entsprechende Form aufweisen und weiters eine der folgenden Voraussetzungen erfüllen:

1. Das Fahrzeug ist kraftfahrrechtlich für eine Beförderung von mindestens neun Personen (einschließlich des Fahrzeuglenkers) zugelassen und enthält zusätzlich einen Gepäcksraum im Fahrzeuginneren. Die erste Sitzreihe ist bereits werkseitig mit drei fixen Sitzplätzen ausgestattet.

2. Das Fahrzeug ist kraftfahrrechtlich für die Beförderung von mindestens sieben Personen (einschließlich des Fahrzeuglenkers) zugelassen und weist bereits werkseitig hinter der dritten Sitzreihe in hinterster Position einen Laderaum mit einer Länge von mindestens 500 mm auf. Diese Länge muss im Durchschnitt vom Laderaumboden bis zur Höhe von 500 mm über dem Laderaumboden erreicht werden."

Der Verwaltungsgerichtshof hat im gegenständlichen Verfahren mit Beschluss vom 22. September 1999, 98/15/0136, 99/15/0022 und 99/15/0088, dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 17 Absatz 6 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer, 77/388/EWG, dahingehend auszulegen, dass es einem Mitgliedstaat verwehrt ist, bestimmte Kraftfahrzeuge nach Inkrafttreten der Richtlinie vom Vorsteuerabzug auszuschließen, wenn der Vorsteuerabzug für diese Kraftfahrzeuge vor Inkrafttreten der Richtlinie aufgrund einer, von den Verwaltungsbehörden tatsächlich geübten Praxis gewährt worden ist ?

2. Falls Frage 1 zu bejahen ist: Ist Artikel 17 Absatz 7 Satz 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer, 77/388/EWG dahingehend auszulegen, dass es einem Mitgliedstaat ohne vorhergehende Konsultationen iSd Artikel 29 der Richtlinie erlaubt ist, zur Konsolidierung des Budgets bestehende Vorsteuerausschlüsse auf die in Frage 1 genannte Art und Weise unbefristet auszuweiten?

Der EuGH hat nunmehr das Urteil vom 8. Jänner 2002, C-409/99 , erlassen. In diesem Urteil wird ausgeführt, die Regelung eines Mitgliedstaates, die nach dem Inkrafttreten der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie 77/388/EWG, im Folgenden Richtlinie (für Österreich ist die Richtlinie zum Zeitpunkt des Beitrittes zur EU am 1. Jänner 1995 in Kraft getreten), die bestehenden Vorsteuerausschlusstatbestände erweitere und sich damit vom Ziel der Richtlinie entferne, verstoße gegen deren Art. 17 Abs. 2 und stelle keine nach Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 zulässige Ausnahme dar. Art. 17 Abs. 6 der Richtlinie enthalte eine Stand-still-Klausel, die die Beibehaltung der innerstaatlichen Ausschlusstatbestände vom Vorsteuerabzugsrecht vorsehe, die vor dem Inkrafttreten der Richtlinie in Geltung gestanden seien. Mit dieser Bestimmung sollten die Mitgliedstaaten ermächtigt werden, bis zum Erlass der gemeinschaftsrechtlichen Regelung der Tatbestände des Ausschlusses vom Vorsteuerabzugsrecht durch den Rat alle Regelungen des innerstaatlichen Rechts über den Ausschluss des Vorsteuerabzugs beizubehalten, die ihre Behörden zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie tatsächlich angewandt hätten. "Angesichts dieses besonderen Zweckes umfasst der Begriff innerstaatliche Rechtsvorschriften im Sinne von

Artikel 17 Absatz 6 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie nicht nur Rechtsetzungsakte im eigentlichen Sinne, sondern auch die Verwaltungsakte und Verwaltungspraktiken der Behörden des betroffenen Mitgliedstaats" (Rz 49).

Der EuGH betont im Vorabentscheidungsurteil, es sei einem Mitgliedstaat nach Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie verwehrt, die Ausgaben für bestimmte Kraftfahrzeuge nach dem Inkrafttreten der Richtlinie vom Recht auf Vorsteuerabzug auszuschließen, wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie für solche Ausgaben das Recht auf Vorsteuerabzug nach ständiger, auf einem Ministerialerlass beruhender Praxis der Verwaltungsbehörden dieses Mitgliedstaates gewährt worden sei.

In rechtlicher Hinsicht ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH für den gegenständlichen Fall, dass der Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit dem Betrieb des Fahrzeuges der Beschwerdeführerin nicht deshalb versagt werden darf, weil dieses Fahrzeug nicht die im § 10 der Verordnung festgelegten Anforderungen erfüllt, wenn nur die im Erlass des Bundesministers für Finanzen vom 18. November 1987, AÖF 330/1987, angegebenen Voraussetzungen erfüllt sind.

Dass das von der Beschwerdeführerin betriebene Fahrzeug den Voraussetzungen des Erlasses des Bundesministers für Finanzen vom 18. November 1987, AÖF 330/1987, entspricht, steht im gegenständlichen Fall nicht in Streit. Mit den angefochtenen Bescheiden ist sohin der von der Beschwerdeführerin beantragte Vorsteuerabzug in Verkennung der Rechtslage nicht anerkannt worden.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen der gestellten Anträge - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl II 501/2001.

Wien, am 31. Jänner 2002

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