VwGH 97/08/0596

VwGH97/08/05963.10.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. Günter Niebauer und Dr. Karl Schaumüller, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Bauernmarkt 10/18, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien vom 30. September 1997, Zl. LGS-W Abt. 12/1218/56/1997, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §7 Abs1 Z1;
AlVG 1977 §7 Abs2;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z1;
AlVG 1977 §9;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der mit 31. Jänner 1997 aus seinem letzten unselbständigen Beschäftigungsverhältnis ausgeschiedene Beschwerdeführer war seit dem 1. Februar 1997 als Handelskaufmann bzw. Handelsagent selbständig erwerbstätig. Am 14. April 1997 beantragte er unter Hinweis auf diese Erwerbstätigkeit die Zuerkennung von Arbeitslosengeld und gab in insgesamt sechs formularmäßigen Niederschriften vom 28. April 1997 zusammengefasst an, dass sein Einzelunternehmen jeden Tag von 8.00 bis 17.00 Uhr geöffnet sei, dass er ca. 60 Stunden pro Woche in seiner Firma verbringe und dass er öfter im Ausland sei. Sein Verlust im laufenden Wirtschaftsjahr werde S 300.000,-- bis S 500.000,-- betragen. Er nehme zur Kenntnis, dass er Einkommen- bzw. Umsatzsteuerbescheide (gemäß § 36c Abs. 5 und 6 AlVG) binnen 14 Tagen nach deren Erlassung vorzulegen habe. Er erklärte ferner, dass er aus selbständiger Erwerbstätigkeit ein Bruttoeinkommen bzw. einen Umsatz (unter Berücksichtigung allfälliger Hinzurechnungsbeträge gemäß § 36a Abs. 3 AlVG) in folgender Höhe erzielt habe:

Zeitraum

Einkommen

brutto

Zeitraum

Umsatz

 

2/97

0

2/97

0

 

3/97

ca. 15.000,--

3/97

ca. 80.000,--

 

4/97

0

4/97

0

 

Mit Bescheid vom 30. April 1997 gab die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien dem Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 iVm § 12 AlVG keine Folge, weil der Beschwerdeführer seit dem 1. Februar 1997 selbständig erwerbstätig und nicht arbeitslos sei.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung und wies darauf hin, er habe seine "schriftliche Einstimmung gegeben, daß ich bereit bin mich von Ihnen jederzeit gerne vermitteln zu lassen." Er legte eine von seinem Steuerberater erstellte "Gewinn- und Verlustrechnung" über den Zeitraum vom 1. Februar bis zum 31. Mai 1997 vor, aus der sich für den angegebenen Zeitraum ein Aufwand von S 193.111,06, ein Ertrag von S 75.485,-- und sohin ein Verlust von S 117.626,06 ergab.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung mit folgender Begründung keine Folge:

"Im Zuge des Berufungsverfahrens gaben Sie bei Ihrer Vorsprache an, trotz Ihrer ursprünglichen Angaben, etwa 60 Stunden pro Woche in Ihrem Gewerbebetrieb zu arbeiten, jederzeit eine vom Arbeitsmarktservice zugewiesenen, zumutbare Beschäftigung auch am Vormittag annehmen zu wollen. Dazu legten Sie eine Bilanz für die Zeit vom 1.2.97 bis 31.5.97.

Sie gaben am 28.4.97 bei Ihrer niederschriftlichen Einvernahme durch das Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste an, daß Sie im Monat März 97 ein Einkommen von S 15.000,-- und einen Umsatz von ca. S 80.000,-- erzielten.

Da Sie im beurteilungsrelevanten Zeitraum vom Februar bis April 97 ein Einkommen erzielten, welches im Durchschnitt (15.000,- - : 3) die Geringfügigkeitsgrenze von brutto S 3.740,-- monatlich übersteigt, ist gem. § 12 Abs. 6 lit. c und § 36a Abs. 5 AlVG Arbeitslosigkeit trotz Ihrer Arbeitswilligkeit nicht gegeben und ist der erstinstanzliche Bescheid zu bestätigen."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt vor, der - mit 1. Februar 1997 begonnene -Aufbau einer selbständigen Existenz habe sich wesentlich schwieriger gestaltet als angenommen. Er habe später von der Möglichkeit erfahren, unter gewissen Voraussetzungen auch bei selbständiger Erwerbstätigkeit Arbeitslosengeld zu beziehen und am 28. April 1997 bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien angegeben, dass er im März 1997 ein Einkommen von ca. S 15.000,-- und einen Umsatz von ca. S 80.000,-- erzielt habe. Im Zeitpunkt der Niederschrift habe er jedoch keine genaue Vorstellung vom Inhalt der verwendeten Begriffe gehabt. Der Begriff "Einkommen brutto" sei für ihn insofern missverständlich gewesen, als er darunter den Bruttogewinn aus dem erzielten Umsatz im jeweiligen Monat (im Sinne von Deckungsbeitrag, Gewinnspanne) verstanden habe. Er habe diesem Begriff nicht jenen Inhalt beigemessen, der ihm im gegebenen Zusammenhang beizumessen gewesen wäre. Diesen Irrtum beweise auch der Umstand, dass er für die Monate Februar und April 1997 das Einkommen mit S 0,-- angegeben habe. Hätte er den Begriff "Einkommen brutto" richtig verstanden, wäre in diesen Monaten natürlich ein negatives Einkommen anzugeben gewesen. Er habe seit Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit laufende monatliche Betriebsausgaben gehabt, welche - wenn im jeweiligen Monat keine Umsätze erzielt worden seien - zu Monatsverlusten geführt hätten. Seinen Irrtum hätte die belangte Behörde erkennen müssen, weil er in einer Beilage zur Niederschrift vom 28. April 1997 für seine gewerbliche Tätigkeit im laufenden Kalenderjahr insgesamt einen Verlust von S 300.000,-- bis S 500.000,-- angegeben habe. Aus der vorgelegten Ergebnisrechnung hätte die belangte Behörde ersehen können, dass er weder im beurteilungsrelevanten Zeitraum noch überhaupt bis jetzt im Geschäftsjahr 1997 ein Einkommen oder Umsätze erzielt habe, die die in § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG angeführten Beträge überstiegen hätten.

Mit diesem Vorbringen vermag der Beschwerdeführer im Ergebnis keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Es kann dahin gestellt bleiben, welches Einkommen bzw. welcher Umsatz dem Beschwerdeführer iS des § 12 Abs. 6 lit. c iVm § 36a und § 36 b AlVG zuzurechnen gewesen wäre, weil die von der belangten Behörde festgestellte Art und Intensität der Inanspruchnahme des Beschwerdeführers durch seine selbständige Tätigkeit die Annahme rechtfertigt, dass sich der Beschwerdeführer während dieser Beschäftigung nicht im Sinne des § 7 Abs. 3 Z 1 AlVG "zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt

üblicher Weise angebotenen ... versicherungspflichtigen

Beschäftigung" bereit gehalten habe.

§ 7 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201, lautet in den ersten drei Absätzen:

"Voraussetzungen des Anspruches

§ 7. (1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer

  1. 1. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht,
  2. 2. die Anwartschaft erfüllt und
  3. 3. die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.

(2) Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.

(3) Eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf, wer

1. sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und

kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält und

2. sich zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich aufhalten darf (Abs. 4)."

Die Verfügbarkeit des Arbeitslosen iSd § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG erfordert dessen Vermittelbarkeit für eine die Arbeitslosigkeit ausschließende Beschäftigung. Diese muss nicht unbedingt eine Vollbeschäftigung sein, denn die Bereitschaft des Arbeitslosen, nach entsprechender Vermittlung eine Vollbeschäftigung anzunehmen, wäre erst in Bezug auf die Voraussetzung der Arbeitswilligkeit iSd § 9 AlVG zu beurteilen. Der Mangel der Verfügbarkeit iS des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG ist aber bei Vorliegen solcher Umstände anzunehmen, die die unwiderlegliche Vermutung des Gesetzes rechtfertigen, dass die betreffende Person während dieser Zeit nicht an einer neuen Beschäftigung iSd § 12 Abs. 1 AlVG, sondern an anderen Zielen interessiert ist (vgl. das Erkenntnis vom 27. Juli 2001, Zl. 2000/08/0216, mwN).

Bei der Beurteilung der Verfügbarkeit reicht es daher nicht aus, die Arbeitswilligkeit dadurch zu bekunden, dass die Bereitschaft erklärt wird, jede vom Arbeitsmarktservice vermittelte Beschäftigung anzunehmen, wenn auf Grund konkreter Umstände aller Grund zur Annahme besteht, dass im Hinblick auf die anzunehmende zeitliche Beanspruchung des Arbeitslosen nicht die Eingliederung in den Arbeitsmarkt, sondern (zB) die Gründung und Betreibung eines eigenen Unternehmens das von ihm verfolgte Ziel ist. Bereits im Erkenntnis vom 31. Mai 2000, Zl. 97/08/0519, hat der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit einer Betriebsgründung die Auffassung vertreten, dass eine (damals festgestellte) zeitliche Inanspruchnahme von täglich 10 bis 12 Stunden die Annahme rechtfertige, der Arbeitslose habe sich nicht zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen versicherungspflichtigen Beschäftigung bereitgehalten.

 

Ein solcher Fall liegt auch hier vor:

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die von der belangten Behörde getroffene Feststellung, dass er etwa 60 Stunden pro Woche in seinem Gewerbebetrieb arbeite. Er hat diese Angaben in der Niederschrift vom 28. April 1997 dahingehend näher erläutert, dass seine Firma täglich von 8.00 bis 17.00 Uhr geöffnet sei und er sich auch öfter im Ausland aufhalten müsse. Die in der vorgelegten Gewinn- und Verlustrechnung über den Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Mai 1997 verzeichneten Aufwendungen in Höhe von insgesamt S 193.111,06 stehen mit diesen Angaben im Einklang. Diese intensive Inanspruchnahme durch die selbständige Tätigkeit des Beschwerdeführers bedeutet eine Bindung faktischer Art, die erst beseitigt werden müsste, damit eine die Arbeitslosigkeit beendende Beschäftigung aufgenommen werden könnte. Solange dies nicht geschehen ist, ist die Verfügbarkeit nicht gegeben (vgl. die genannten Erkenntnisse vom 31. Mai 2000, Zl. 97/08/0519, mwN, und vom 27. Juli 2001, Zl. 2000/08/0216, mwN).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 3. Oktober 2002

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte