VwGH 96/18/0362

VwGH96/18/036219.9.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte

Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Neumair, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 20. Juni 1996, Zl. SD 15/96, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

21964A1229(01) AssAbk Türkei ;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art1 Abs1;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art3 Abs1;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art3 Abs2;
ARB1/80 Art14 Abs1;
FrG 1993 §18;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20 Abs1;
21964A1229(01) AssAbk Türkei ;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art1 Abs1;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art3 Abs1;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art3 Abs2;
ARB1/80 Art14 Abs1;
FrG 1993 §18;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 20. Juni 1996 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 und Z. 2 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei zunächst mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 1. Dezember 1994 wegen § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz (SGG) rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Sodann sei er am 14. Februar 1995 vom Jugendgerichtshof Wien wegen § 12 Abs. 1 und 2, § 14a und § 16 Abs. 1 SGG zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten (davon zehn Monate bedingt) rechtskräftig verurteilt worden. Es bestehe kein Zweifel, daß damit der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG (in mehrfacher Hinsicht) erfüllt worden sei. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer aufgrund von sechs schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen (jeweils Verstöße gegen § 64 Abs. 1 KFG), derentwegen er rechtskräftig bestraft worden sei, sowie einer rechtskräftigen Bestrafung wegen Übertretung des Meldegesetzes den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG verwirklicht. Das sowohl in den Delikten nach dem Suchtgiftgesetz als auch in den Verwaltungsübertretungen zum Ausdruck kommende Fehlverhalten des Beschwerdeführers und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit rechtfertigten auch die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme.

Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer am 28. Juli 1993 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe und sich auch seine Mutter, sein Bruder und sein Onkel in Österreich aufhielten, liege ohne Zweifel ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben i.S. des § 19 FrG vor. Dessen ungeachtet sei aber die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele (hier: zur Verhinderung strafbarer Handlungen, zum Schutz der Gesundheit, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sowie im Interesse der Verkehrssicherheit) dringend geboten und daher zulässig. Das verpönte Verhalten des Beschwerdeführers wiege insofern schwer, als es mit aller Deutlichkeit dokumentiere, daß er keine Bedenken habe, sich über strafrechtliche wie auch verwaltungsrechtliche Normen hinwegzusetzen. Eine Zukunftsprognose könne angesichts der den Suchtgiftdelikten immanenten Wiederholungsgefahr und der beharrlichen Übertretung der kraftfahrgesetzlichen Bestimmungen nicht positiv ausfallen. Der negative Gesamteindruck werde noch dadurch abgerundet, daß der Beschwerdeführer am 31. Jänner 1996 wegen Verdachtes des PKW-Einbruchsdiebstahls und der Sachbeschädigung angezeigt worden sei.

Aufgrund dieser Gegebenheiten müsse auch die gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmende Interessenabwägung zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausschlagen. In diesem Zusammenhang sei auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden nicht rechtswidrig sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Auffassung der belangten Behörde, daß vorliegend sowohl der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG als auch jener des § 18 Abs. 2 Z. 2 leg. cit. verwirklicht und die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, begegnet auf dem Boden der unbestritten gebliebenen maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen keinen Bedenken. Die Beschwerde enthält zu diesen rechtlichen Beurteilungen keine Ausführungen.

2.1. Nach Ansicht der Beschwerde sei die "Abwägung im Sinn des § 19 FrG in Verbindung mit Art. 8 EMRK nur dem Schein nach vorgenommen (worden)". Beim Beschwerdeführer bestünden "intensivste Bindungen zur Republik Österreich, sodaß schon angesichts seines jugendlichen Alters die Vorstrafen verwaltungsrechtlicher oder gerichtlicher Art nicht ausreichen können, ein Aufenthaltsverbot auszusprechen".

2.2. Die belangte Behörde hat - zugunsten des Beschwerdeführers - die Auffassung vertreten, daß das vorliegende Aufenthaltsverbot "ohne jeden Zweifel einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben im Sinne des § 19 FrG darstellt". Den solcherart als gewichtig eingestuften persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Weiterverbleib in Österreich hat die belangte Behörde die Beurteilung folgen lassen, daß ungeachtet dessen (d.h. unter Bedachtnahme auf diese Einschätzung) die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zielen, nämlich zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, dringend geboten sei. Diese Rechtsansicht ist im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität insbesondere aus dem Blickwinkel des Schutzes der Gesundheit und der Sicherheit anderer sowie das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs unbedenklich. Die belangte Behörde hat demnach die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes nach § 19 FrG zutreffend bejaht.

2.3. An diesem Ergebnis vermag auch der Beschwerdehinweis auf das Assoziierungsabkommen EWG - Türkei ex 1963 und den auf dessen Grundlage gefaßten Beschluß Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG - Türkei nichts zu ändern. Denn diese beiden in Österreich seit dessen Beitritt zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995 unmittelbar anwendbaren Rechtsakte (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1996, Zl. 96/09/0088) schließen die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen türkische Staatsangehörige keineswegs aus. Vielmehr macht gerade Art. 14 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 ("Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.") deutlich, daß die die Beschäftigung und die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer regelnden Bestimmungen (Abschnitt 1 des Kapitels II des Beschlusses) der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegenstehen, wenn es aus einem oder mehreren der vorgenannten Gründe gerechtfertigt ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Jänner 1996, Zl. 95/18/1354). Im Beschwerdefall ist diese Rechtfertigung aus allen drei der angeführten Gründe gegeben: Die wiederholten Verstöße gegen das Suchtgiftgesetz und die zahlreichen Zuwiderhandlungen gegen § 64 Abs. 1 KFG - das Lenken eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung zählt zu den gröbsten Verstößen gegen das Kraftfahrgesetz (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom 27. Juni 1996, Zl. 96/18/0251, mwN) - lassen die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer im Interesse der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit notwendig erscheinen.

Stehen demnach das besagte Abkommen und der dazu ergangene Ratsbeschluß Nr. 1/80 - unter der Annahme, daß die Voraussetzung des Art. 6 des Ratsbeschlusses ("ordnungsgemäße Beschäftigung" während eines bestimmten Zeitraumes) auf den Beschwerdeführer überhaupt zutrifft, andernfalls die genannten Rechtsakte schon deshalb nicht zu seinen Gunsten anwendbar wären - dem gegenständlichen Aufenthaltsverbot nicht entgegen, so gilt hinsichtlich der von der Beschwerde darüber hinaus ins Treffen geführten Richtlinie des Rates der EWG 64/221/EWG (vom 25. Februar 1964) nichts anderes. Dies deswegen, weil diese Richtlinie gemäß ihrem Art. I Abs. 1 ausdrücklich nur für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates gilt, was für Staatsbürger der Türkei nicht zutrifft. Unbeschadet dessen ist festzuhalten, daß die im Art. III Abs. 1 und 2 der Richtlinie enthaltenen Grundsätze (ausschließliche Maßgeblichkeit des persönlichen Verhaltens der in Betracht kommenden Einzelperson bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit; strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen) in Ansehung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes innerstaatlich ohnehin in Gestalt der §§ 19 und 20 Abs. 1 FrG umgesetzt sind, welche Bestimmungen im Beschwerdefall anzuwenden sind. Daß § 19 FrG im Beschwerdefall dem Aufenthaltsverbot nicht hinderlich ist, wurde bereits dargetan (oben II.2.2.).

3.1. Zu § 20 Abs. 1 FrG macht die Beschwerde - ohne diese Bestimmung ausdrücklich zu nennen - geltend, daß die belangte Behörde den insoweit entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht festgestellt habe. So sei dem Bescheid nicht zu entnehmen, daß es sich beim Beschwerdeführer um einen langjährig in Österreich beschäftigten Arbeitnehmer handle, daß seine Gattin im dritten Monat schwanger sei, und daß seine Mutter schwer erkrankt sei. Völlig zu Unrecht sei hingegen als Entscheidungsgrundlage eine Anzeige wegen Verdachtes des PKW-Einbruchsdiebstahles und der Sachbeschädigung herangezogen worden.

3.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des Ergebnisses der nach § 20 Abs. 1 FrG vorgenommenen Interessenabwägung auf. Zunächst läßt die einschlägige Begründungspassage keinen Zweifel daran, daß die Erwähnung der besagten Anzeige ohne wesentlichen Einfluß auf das Ergebnis der bekämpften Entscheidung war. Selbst wenn es sich bei den Hinweisen auf die Schwangerschaft der Gattin und die schwere Erkrankung der Mutter des Beschwerdeführers nicht um erstmals in der Beschwerde erstattetes und demnach unzulässiges Vorbringen (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG) handeln sollte, und einzuräumen ist, daß der angefochtene Bescheid - wie im übrigen auch die Beschwerde - keine genauen Angaben über die Dauer des (erlaubten) Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich enthält, ist damit für den Beschwerdeführer im Ergebnis nichts gewonnen. Denn die Höherbewertung der für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer sprechenden maßgeblichen öffentlichen Interessen gegenüber den Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie durch die belangte Behörde stößt auch unter Bedachtnahme auf die von ihr als solche anerkannten beachtlichen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers auf keinen Einwand. Dies vor allem angesichts der wiederholten Verstöße gegen das Suchtgiftgesetz und der damit zum Ausdruck kommenden Neigung des Beschwerdeführers zur Begehung solcher, im Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebene öffentliche Interessen in massiver Weise gefährdender Straftaten und im Hinblick darauf, daß aufgrund der mit Suchtgiftdelikten verbundenen besonderen Gefahr für die Allgemeinheit selbst bei ansonsten völliger sozialer Integration eines Fremden die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nicht unzulässig ist (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1995, Zl. 95/18/1313, mwN); darüber hinaus aber auch mit Rücksicht auf die große Zahl schwerwiegender und geradezu mit Beharrlichkeit begangener Verstöße gegen das öffentliche Interesse an der Sicherheit im Straßenverkehr. Gegenüber dem insgesamt sehr großen Gewicht der durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers betroffenen öffentlichen Interessen hatten die gegenläufigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers zurückzustehen.

4. Da nach dem Gesagten die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Beschwerdeinhalt erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

5. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

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