VwGH 94/20/0743

VwGH94/20/074314.3.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des N in S, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. August 1994, Zl. 4.321.562/11-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §13 Abs1;
VwGG §63 Abs1;
VwGG §13 Abs1;
VwGG §63 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, ist am 22. August 1991 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 28. August 1991 einen Asylantrag gestellt.

Der vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtene Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. August 1994 - mit dem die am 2. Dezember 1991 erhobene Berufung des Beschwerdeführers gegen den am 18. November 1991 erlassenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg abgewiesen und damit die Asylgewährung versagt wurde - ist der im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG (am 30. August 1994) erlassene Ersatzbescheid nach der mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Juni 1994, Zl. 94/19/0298, erfolgten Aufhebung des Berufungsbescheides vom 4. März 1993, Zl. 4.321.562/2-III/13/91, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Zur Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird - zur Vermeidung unnötiger Wiederholung - auf das vorbezeichnete hg. Erkenntnis verwiesen.

In der Begründung des Ersatzbescheides vertritt die belangte Behörde den Standpunkt, dem Vorbringen des Beschwerdeführers könnten konkrete, im zeitlichen Konnex zu seiner Ausreise stehende und individuell gegen ihn sowie die Intensität einer Verfolgung erreichende Maßnahmen nicht entnommen werden. Die vorgebrachte Verletzung des Beschwerdeführers durch die Polizei Ende 1987/Anfang 1988 liege nicht im zeitlichen Naheverhältnis zu seiner Ausreise und könne die Flüchtlingseigenschaft nicht indizieren. Der Beschwerdeführer sei 1988 nach Bajpur geflohen und habe sich dort bis 1991 aufgehalten; er habe in diesem Landesteil Indiens keine Verfolgungen zu befürchten gehabt. Daraus folgerte die belangte Behörde, daß für den Beschwerdeführer offensichtlich eine innerstaatliche Fluchtalternative vorgelegen habe. Es erscheine der belangten Behörde nicht plausibel, daß der Beschwerdeführer sich aus objektiver Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde. Die Asylgewährung sei zu versagen gewesen, weil der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie sich zu den im angefochtenen Ersatzbescheid geäußerten Rechtsauffassungen bekennt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt, die belangte Behörde habe kein ergänzendes Ermittlungsverfahren unternommen. Der Ersatzbescheid sei deshalb neuerlich mit den im Vorerkenntnis vom 16. Juni 1994 aufgezeigten Mängeln behaftet. Die belangte Behörde habe sich in ihrem Ersatzbescheid nur darauf beschränkt, einige der im aufgehobenen Berufungsbescheid gebrauchten Argumente nicht mehr zu wiederholen, ohne aber in ihrem Ersatzbescheid neue Argumente aufzuzeigen. Diesen Ausführungen kann vor dem Hintergrund des Vorerkenntnisses vom 16. Juni 1994 die Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind die Verwaltungsbehörden im Falle einer der Beschwerde stattgebenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. An die im vorangegangenen Erkenntnis niedergelegte Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes sind in dem betreffenden Fall nicht nur die Verwaltungsbehörden, sondern auch der Verwaltungsgerichtshof selbst gebunden. Der Beschwerdeführer hat einen Rechtsanspruch darauf, daß die durch § 63 Abs. 1 VwGG bewirkte Bindung an die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes beachtet werde. Daher kann der Verwaltungsgerichtshof, wenn eine Bindung an eine bestimmte Rechtsanschauung durch ein aufhebendes Erkenntnis bereits eingetreten ist, in dem betreffenden Falle auch nicht durch einen verstärkten Senat von seiner bereits geäußerten Rechtsanschauung abgehen.

Einen gemäß § 63 Abs. 1 VwGG erlassenen Ersatzbescheid kann der Verwaltungsgerichtshof (über neuerliche Beschwerde) daher nur dahin prüfen, ob er der im vorangegangenen aufhebenden Erkenntnis geäußerten Rechtsanschauung entspricht. Die Bindung der Behörde (und des Verwaltungsgerichtshofes) erstreckt sich auf die im vorausgangenen Erkenntnis ausdrücklich niedergelegte Rechtsauffassung und auf solche Fragen, die notwendige Voraussetzung für den Inhalt des aufhebenden Erkenntnisses darstellen. Der von der Behörde im Ersatzbescheid eingenommene Rechtsstandpunkt darf sich - soweit nicht zwischenzeitig Änderungen der Sach- und Rechtslage erfolgten - nämlich nicht als mit dem aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes unvereinbar erweisen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. April 1969, Slg. Nr. 7.549/A, eines verstärkten Senates vom 13. Mai 1980, Slg. Nr. 10.128/A, vom 16. April 1991, Zl. 90/08/0103, und vom 18. März 1994, Zl. 92/07/0043).

Ein solcher Fall der Unvereinbarkeit des im Ersatzbescheid eingenommenen Rechtsstandpunktes mit dem aufhebenden hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1994, Zl. 94/19/0298, liegt aber hier vor: Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem vorbezeichneten hg. Erkenntnis ausdrücklich ausgeführt, daß die von der belangten Behörde hinsichtlich einer nationalen Fluchtalternative und bezüglich der Zielsetzungen der Polizeieinsätze angestellten Erwägungen bloß Mutmaßungen sind, denen entsprechende Sachverhaltsgrundlagen fehlen. Ausdrücklich wurde im aufhebenden Erkenntnis ausgesprochen, daß ohne weitere Ermittlungen und ergänzende Feststellungen über die näheren Umstände, die zu der Verletzung des Beschwerdeführers führten und die folgenden Nachforschungen nach der Person des Beschwerdeführers ein Vorgehen der Polizeikräfte gegen den Beschwerdeführer als Mitglied einer Separationsbewegung nicht von vorneherein ausgeschlossen werden könne. Desweiteren hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis ausdrücklich ausgeführt, daß im Hinblick auf die dargelegte oppositionelle Betätigung des Beschwerdeführers gegen das herrschende Regime seines Heimatlandes und die damit verbundene Infragestellung der staatlichen Einheit Indiens seinen erstinstanzlichen Angaben die grundsätzliche Eignung, daraus seine - in seiner politischen Gesinnung begründete - Flüchtlingseigenschaft abzuleiten, jedenfalls nicht abgesprochen werden könne.

Wenn die belangte Behörde diese vorerwähnten Fragestellungen ohne die aufgetragene ergänzende sachverhaltsmäßige Klärung in ihrem Ersatzbescheid abschließend beurteilt, in dem sie eine inländische Fluchtalternative annimmt und dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft abspricht, dann entfernt sie sich damit nicht nur vom Inhalt des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes, sondern stützt ihren (bereits deshalb mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belasteten) Bescheid neuerlich auf bloße Mutmaßungen. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde diese ohne ausreichende Sachverhaltsgrundlagen abschließend beantworteten Fragestellungen einem ergänzenden Ermittlungsverfahren zu unterziehen bzw. zuzuführen haben.

Vor dem Hintergrund der im aufhebenden Erkenntnis eingenommenen Rechtsauffassung war der belangten Behörde aber die im Ersatzbescheid - ohne Änderung bzw. Ergänzung der Sachverhaltsgrundlagen - geäußerte Auffassung, die gegen den Beschwerdeführer gerichtet gewesenen Maßnahmen hätten ihre asylrelevante Wirksamkeit im Zeitpunkt seiner Ausreise aus Indien bereits verloren gehabt und der Beschwerdeführer habe sein Heimatland deshalb nicht aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen, gleichfalls verwehrt, weil der Verwaltungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers als nicht abschließend geklärt angesehen hat und davon ausging, daß insoweit eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erforderlich ist. In diesem Zusammenhang übersieht die belangte Behörde nämlich, daß der von ihr bloß auf der Basis von Mutmaßungen als "inländische Fluchtalternative" gewertete Geschehensablauf mit der Fragestellung, ob sich der Beschwerdeführer in Bajpur "versteckt gehalten hat" oder in diesem Landesteil bereits Verfolgungssicherheit erlangt hat, in untrennbarem Zusammenhang steht und demnach der gemeinsamen Klärung durch Ergänzung des Ermittlungsverfahrens bedarf.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte