VwGH 93/10/0108

VwGH93/10/010827.3.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Novak, Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des J in X, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 2. Dezember 1992, Zl. U-8303/65, betreffend naturschutzrechtliche Bewilligung und Beseitigungsauftrag, zu Recht erkannt:

Normen

NatSchG Tir 1975 §6 Abs4 idF 1990/052;
NatSchG Tir 1975 §6 Abs4;
NatSchG Tir 1975 §6 idF 1990/052;
NatSchG Tir 1991 §17 Abs1 litb;
NatSchG Tir 1991 §17 Abs1;
NatSchG Tir 1991 §44 Abs1;
NatSchG Tir 1991 §45 Abs7;
NatSchG Tir 1991 §7;
NatSchG Tir 1991 Art3 Abs8;
NatSchGNov Tir 1990 Art3 Abs8;
NatSchGNov Tir 1990;
VwRallg;
NatSchG Tir 1975 §6 Abs4 idF 1990/052;
NatSchG Tir 1975 §6 Abs4;
NatSchG Tir 1975 §6 idF 1990/052;
NatSchG Tir 1991 §17 Abs1 litb;
NatSchG Tir 1991 §17 Abs1;
NatSchG Tir 1991 §44 Abs1;
NatSchG Tir 1991 §45 Abs7;
NatSchG Tir 1991 §7;
NatSchG Tir 1991 Art3 Abs8;
NatSchGNov Tir 1990 Art3 Abs8;
NatSchGNov Tir 1990;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen im Betrag von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde unter Punkt I ein Antrag des Beschwerdeführers vom 20. Oktober 1989 auf nachträgliche Bewilligung eines Anbaues auf dem Grundstück Nr. 1826/2 der KG X gemäß § 13 Abs. 1, 3 und 4 des Tiroler Naturschutzgesetzes LGBl. Nr. 15/1975 (TNSchG) abgewiesen. Unter Punkt II wurde in Bestätigung des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 24. Oktober 1990 dem Beschwerdeführer gemäß § 17 Abs. 1 des Tiroler Naturschutzgesetzes 1991, LGBl. Nr. 29 (TNSchG 1991), aufgetragen, den auf dem vorhin genannten Grundstück konsenslos errichteten Anbau binnen 6 Monaten ab Rechtskraft des Bescheides zu entfernen.

Die Versagung der Bewilligung begründete die belangte Behörde zum einen damit, daß der Anbau, der unbestritten innerhalb geschlossener Ortschaft, innerhalb des gemäß § 6 Abs. 4 TNSchG geschützten 50 m breiten Uferstreifens des W-Sees liege, Eigenart und Schönheit des Landschaftsbildes beeinträchtige und von einem Überwiegen öffentlicher Interessen an der Verwirklichung dieses Vorhabens keine Rede sein könne (§ 13 Abs. 1 lit. a und b und Abs. 3 TNSchG). Zum anderen sei die begehrte Bewilligung deshalb nicht zu erteilen, weil die für das Vorhaben erforderliche baubehördliche Bewilligung rechtskräftig versagt worden sei. Dies verhindere gemäß § 13 Abs. 4 TNSchG die Erteilung der beantragten Bewilligung. Den auf § 17 Abs. 1 TNSchG 1991 gestützten Entfernungsauftrag begründete die belangte Behörde mit dem Fehlen der für den Anbau erforderlichen naturschutzrechtlichen Bewilligung. Die Anwendung unterschiedlicher Rechtslagen auf die beiden Spruchpunkte (auf den ersteren jene des Tiroler Naturschutzgesetzes in der Stammfassung, auf den letzteren jene in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 52/1990, nunmehr unter LGBl. Nr. 29/1991 wiederverlautbart als Tiroler Naturschutzgesetz 1991) begründete die belangte Behörde wie folgt: Nach Art. III Abs. 8 der Novelle LGBl. Nr. 52/1990 (im folgenden: Novelle 1990) seien zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens (1. September 1990) anhängige Verwaltungsverfahren nach den zu diesem Zeitpunkt in Geltung gestandenen Bestimmungen weiterzuführen. Am 1. September 1990 sei das Bewilligungsverfahren für den gegenständlichen Anbau bereits anhängig gewesen. Hingegen sei das Verfahren betreffend Erlassung eines Entfernungsauftrages erst mit der Erledigung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 2. Oktober 1990 eingeleitet worden. Daher sei insoweit bereits die geänderte Rechtslage anzuwenden.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 22. März 1993, B 65/93, die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde abgelehnt und mit Beschluß vom 10. Mai 1993, Zl. wie oben, die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

In seiner Beschwerdeergänzung macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend; er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der unbestritten gebliebenen Annahme der belangten Behörde (Seite 5 des angefochtenen Bescheides) liegt der gegenständliche Anbau "innerhalb geschlossener Ortschaft, innerhalb des geschützten Uferstreifens - 50 m vom Ufer des W-Sees (§ 6 Abs. 4 NSchG)". Unter Hinweis auf diese Annahme bringt die Beschwerde im Zusammenhang mit dem Entfernungsauftrag vor, seit der Novelle 1990 sei ein besonderer Schutz der Gewässer (einschließlich ihrer Uferbereiche) nur noch AUßERHALB geschlossener Ortschaften vorgesehen. Mangels Bewilligungspflicht nach der nunmehr geltenden Rechtslage hätte daher ein Beseitigungsauftrag nicht mehr ergehen dürfen.

Damit stellt sich zunächst die Frage nach der Bewilligungspflicht für den gegenständlichen Anbau. Sie ist - auf dem Boden der Annahme, der Anbau liege INNERHALB geschlossener Ortschaft (von dieser unbestritten gebliebenen Annahme hat der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Bescheides gemäß § 41 Abs. 1 VwGG auszugehen) - zu verneinen.

§ 6 TNSchG, der mit "Schutz der Gewässer und ihrer Uferbereiche" überschrieben war, verbot in seinem Abs. 3 lit. a im Bereich eines 500 m breiten Geländestreifens unter anderem an stehenden Gewässern mit einer Wasserfläche von mehr als 2000 m2 die Errichtung, Aufstellung und Anbringung von Anlagen ohne behördliche Bewilligung. Nach seinem Abs. 4 verringerte sich die Breite des geschützten Uferstreifens innerhalb geschlossener Ortschaften auf 50 m.

§ 6 (=§ 7 in der Fassung der Wiederverlautbarung) wurde durch die Novelle 1990 neu gefaßt; er erhielt nunmehr die Überschrift "Schutz der Gewässer AUßERHALB GESCHLOSSENER ORTSCHAFTEN" (Hervorhebung durch den Gerichtshof). Nach seinem Abs. 4 bedürfen im Bereich eines 500 m breiten, vom Ufer stehender Gewässer mit einer Wasserfläche von mehr als 2000 m2 landeinwärts zu messenden Geländestreifens die unter den lit. a bis f angeführten Vorhaben (unter anderem die Errichtung und Änderung von Anlagen) einer Bewilligung. Abs. 5 ermächtigt die Landesregierung, durch Verordnung die Breite des im Abs. 4 festgelegten Geländestreifens zu vergrößern oder zu verkleinern.

Schon in der neuen Überschrift des § 6 kommt zum Ausdruck, daß der Gewässer- und Uferschutz nur noch für Bereiche AUßERHALB geschlossener Ortschaften gilt. Dafür spricht auch das Fehlen einer dem § 6 Abs. 4 TNSchG vergleichbaren Bestimmung in dem durch die Novelle 1990 neu gefaßten § 6. Daß diese räumliche Einschränkung des Uferschutzbereiches auch beabsichtigt war, zeigt die Entstehungsgeschichte der besagten Novelle mit jeden Zweifel ausschließender Klarheit. Nach den Erläuternden Bemerkungen zum Entwurf (S. 4, S. 21 D 3, S. 49) und dem "Bericht und Antrag" der mit der Novelle befaßten Landtagsausschüsse (S. 1 B 1) bezweckte diese Novelle u.a., den Anwendungsbereich des Gesetzes auf Vorhaben an Gewässern AUßERHALB geschlossener Ortschaften einzuschränken.

Auf den vorliegenden Fall angewendet folgt daraus auf dem Boden der Annahme der belangten Behörde, der gegenständliche Anbau befinde sich INNERHALB geschlossener Ortschaft, daß der Anbau nach der durch die Novelle 1990 geschaffenen Rechtslage nicht mehr bewilligungspflichtig ist.

Die dem angefochtenen Bescheid unausgesprochen zugrundeliegende gegenteilige Ansicht kann nicht auf die von der belangten Behörde genannte Übergangsbestimmung des Art. III Abs. 8 der Novelle 1990 (Art. III der Wiederverlautbarungskundmachung LGBl. Nr. 29/1991) gestützt werden. Nach dieser Bestimmung sind Verwaltungsverfahren aufgrund des Tiroler Naturschutzgesetzes, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits anhängig sind, nach den gesetzlichen Bestimmungen, wie sie beim Inkrafttreten dieses Gesetzes in Geltung standen, weiterzuführen. Damit wird klargestellt, welche Rechtslage auf anhängige Bewilligungsverfahren anzuwenden ist. Ihrer Funktion als Übergangsbestimmung entsprechend kommt diese Bestimmung von vornherein nur bei Vorhaben zum Tragen, die auch nach der neuen Rechtslage bewilligungspflichtig sind. Bei nunmehr bewilligungsfreien Vorhaben stellt sich, da ein Bewilligungsverfahren nicht in Betracht kommt, die Frage nach der darauf anzuwendenden Rechtslage gar nicht. Die Annahme des Weiterbestehens der Bewilligungspflicht für "Altmaßnahmen" wie der gegenständlichen wäre im übrigen mit der dargelegten, durch die Novelle 1990 verfolgten Absicht der Einschränkung des Uferschutzes unvereinbar. Die Unhaltbarkeit dieser Annahme zeigt schließlich auch die Überlegung, daß es dem Beschwerdeführer jederzeit freisteht, seinen Antrag zurückzuziehen und damit der Behörde die Grundlage für eine meritorische Entscheidung nach § 6 Abs. 4 TNSchG zu entziehen. Ein neuerliches Bewilligungsverfahren käme aber im Hinblick auf die Herausnahme der innerhalb geschlossener Ortschaften gelegenen Uferbereiche von der Bewilligungspflicht nicht mehr in Betracht.

Den bekämpften Entfernungsauftrag hat die belangte Behörde unter Hinweis auf die Einleitung dieses Verfahren nach dem 1. September 1990 auf § 17 Abs. 1 TNSchG 1991 gestützt. In der Gegenschrift verweist sie dazu auf § 45 Abs. 7 TNSchG 1991. Keine der beiden Bestimmungen kommt indes als Grundlage für den Entfernungsauftrag in Betracht.

§ 17 TNSchG 1991 ist mit "Rechtswidrige Vorhaben" überschrieben. Nach seinem Abs. 1 lit. b ist die Wiederherstellung des früheren Zustandes unter anderem dann aufzutragen, wenn ein nach diesem Gesetz bewilligungspflichtiges Vorhaben ohne Bewilligung ausgeführt wird. Voraussetzung für einen Auftrag nach dieser Bestimmung ist somit eine rechtswidriges Vorhaben NACH DIESEM GESETZ. Wie vorhin dargelegt, entfiel mit dem Inkrafttreten der Novelle 1990 die Bewilligungspflicht für Anlagen innerhalb geschlossener Ortschaften. Daher kann - auf dem Boden der Annahme, der Anbau liege INNERHALB geschlossener Ortschaft - keine Rede davon sein, es handle sich hiebei um ein rechtswidriges (weil konsensloses) Vorhaben im Sinne des § 17 TNSchG 1991.

Nach der Übergangsbestimmung des § 45 Abs. 7 TNSchG 1991 gilt § 17 für die dort erwähnten, vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes errichteten Anlagen nur dann, wenn sie, obwohl nach einer naturschutzrechtlichen Vorschrift bewilligungspflichtig, ohne die erforderliche Bewilligung errichtet wurden. Dieses Gesetz trat mit 1. Mai 1975 in Kraft (§ 44 Abs. 1 TNSchG 1991). Da § 45 Abs. 7 TNSchG 1991 auf Maßnahmen abstellt, die vor dem genannten Zeitpunkt gesetzt würden, kann der erst später errichtete gegenständliche Anbau keinesfalls unter diese Übergangsbestimmung fallen.

Die Unhaltbarkeit der dem Entfernungsauftrag zugrundeliegenden Ansicht der belangten Behörde zeigt auch die Überlegung, daß danach zwar die zwangsweise Entfernung des gegenständlichen Anbaues zulässig wäre, dieser aber, weil nicht mehr bewilligungspflichtig, sofort wieder errichtet werden könnte, ohne daß die Naturschutzbehörde dagegen einschreiten könnte.

Die belangte Behörde hat somit die Rechtslage sowohl in der Frage der Bewilligungspflicht als auch hinsichtlich der Zulässigkeit eines Entfernungsauftrages verkannt. Sie hätte auf dem Boden ihrer mehrfach genannten Annahme und der durch die Novelle 1990 geschaffenen Rechtslage über den Bewilligungsantrag des Beschwerdeführers nicht meritorisch (abweisend) entscheiden und den bekämpften Beseitigungsauftrag nicht bestätigen dürfen. Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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