VwGH 92/18/0176

VwGH92/18/017624.3.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Wien vom 5. März 1992, Zlen. MA 63-K 36/91/Str. und MA 63-K 37/91/Str., betreffend Einstellung von Strafverfahren wegen Übertretungen des Arbeitsruhegesetzes (mitbeteiligte Partei: R in W, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in B), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
HGB §48;
HGB §50;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs4;
AVG §45 Abs2;
HGB §48;
HGB §50;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs4;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1. Mit zwei Straferkenntnissen des Magistrates der Stadt Wien vom 11. Februar 1991 wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe es als verantwortlicher Beauftragter einer näher bezeichneten Gesellschaft m.b.H. zu verantworten, daß in einem näher bezeichneten Großmarkt der Gesellschaft in Wien am Samstag, dem 2. Dezember 1989, 80 namentlich genannte Arbeitnehmer und am Samstag, dem 13. Jänner 1990, 48 namentlich genannte Arbeitnehmer nach Beginn der Wochenendruhe in näher bezeichnetem Ausmaß beschäftigt worden seien, wobei diese Arbeitnehmer nicht mit unbedingt notwendigen Abschluß-, Reinigungs-, Instandhaltungs- oder Instandsetzungsarbeiten beschäftigt worden seien. Über den Mitbeteiligten wurden wegen 80 bzw. 48 Verwaltungsübertretungen nach § 3 Abs. 2 Arbeitsruhegesetz Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.

2. Mit den Bescheiden vom 5. März 1992 gab der Landeshauptmann von Wien (die belangte Behörde) den Berufungen des Mitbeteiligten Folge, hob die erstinstanzlichen Straferkenntnisse auf und stellte die Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. b VStG 1950 ein.

In der Begründung dieser Bescheide führte die belangte Behörde aus, aus § 9 Abs. 2 VStG folge, daß nur die zur Vertretung nach außen Berufenen einer juristischen Person verantwortliche Beauftragte bestellen könnten. Zur Vertretung nach außen berufen seien die (handelsrechtlichen) Geschäftsführer, nicht aber Prokuristen. Aus einer der erstinstanzlichen Behörde zugekommenen Fotokopie einer Urkunde vom 10. Februar 1989 gehe hervor, daß der Vorstand der X-Österreich angeblich den Mitbeteiligten zum Marktleiter für einen näher bezeichneten Großmarkt in Wien bestellt habe. Diese Urkunde sei jedoch nicht von einem handelsrechtlichen Geschäftsführer der Gesellschaft, sondern von einem Prokuristen unterfertigt worden. Trotz der Zustimmung des Mitbeteiligten zu seiner Bestellung sei diese nicht wirksam, weil sie nicht durch einen Geschäftsführer der Gesellschaft, sondern durch einen Prokuristen erfolgt sei. Damit sei die Verantwortlichkeit nicht vom vertretungsbefugten Organ auf den Mitbeteiligten übergegangen, weshalb die erstinstanzlichen Straferkenntnisse aufzuheben und die Strafverfahren einzustellen gewesen seien.

3. Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gemäß § 9 Abs. 2 ArbIG 1974.

Die belangte Behörde hat die Akten der Verwaltungsverfahren vorgelegt und - ebenso wie der Mitbeteiligte - die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

II.

1. Gemäß § 9 Abs. 1 VStG ist für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder Personengemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs. 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist.

Zufolge § 9 Abs. 2 leg. cit. sind die zur Vertretung nach außen Berufenen berechtigt und, soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist, auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden.

Gemäß § 9 Abs. 4 leg. cit. kann verantwortlicher Beauftragter nur eine Person mit Wohnsitz im Inland sein, die strafrechtlich verfolgt werden kann, ihrer Bestellung nachweislich zugestimmt hat und der für den ihrer Verantwortung unterliegenden klar abzugrenzenden Bereich eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen ist.

2. Der vorgelegte urkundliche Nachweis betreffend die Zustimmung des Mitbeteiligten zu seiner Bestellung hat folgenden Wortlaut:

"Sehr geehrter Herr R,

der Vorstand X Österreich hat Sie, wie bereits mit Ihnen mündlich besprochen, zum Marktleiter für den Großmarkt S bestellt.

Ihr Einsatz in der X S beginnt mit 13. Februar 1989. Ab diesem Zeitpunkt sind Sie natürlich auch verantwortlich Beauftragter für die Einhaltung der Arbeitszeitbestimmungen, der Arbeitsnehmerschutzvorschriften und der Gewerbeordnung. Zum Zeichen Ihres Einverständnisses bitten wir Sie die Kopie dieses Schreibens zu unterfertigen.

Wir wünschen Ihnen in diesem sehr schwierigen Markt viel Erfolg

und verbleiben

mit freundlichen Grüßen"

Dieses Schreiben ist versehen mit einer Stampiglie der Gesellschaft und einer Unterschrift, die nach den Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde von einem Prokuristen der Gesellschaft stammt.

Am Ende dieser vorgelegten Urkunde befindet sich die mit 13. Februar 1989 datierte und vom Mitbeteiligten eigenhändig unterfertigte Einverständniserklärung.

3.1. Die Annahme der belangten Behörde, die Bestellung des Mitbeteiligten zum verantwortlichen Beauftragten sei durch den Prokuristen der Gesellschaft erfolgt, ist durch den Inhalt der Urkunde nicht gedeckt. Die vorliegende Urkunde stellt eine Verständigung des Mitbeteiligten von der erfolgten Bestellung dar, nicht aber den Bestellungsakt selbst. Die Bestellung wurde nach dem Inhalt der Urkunde vom Vorstand der Gesellschaft vorgenommen. Zweifel an der Richtigkeit dieser Urkunde hat der anwaltlich vertretene Mitbeteiligte im erstinstanzlichen Verfahren nicht geäußert, im Gegenteil, sein Vertreter hat am 20. Mai 1990 mitgeteilt, daß der Mitbeteiligte verantwortlich sei. Ferner wurde in der Stellungnahme des Mitbeteiligten vom 2. Juli 1990 im Punkt 1. ausdrücklich behauptet, daß sich aus der vorliegenden Urkunde seine Bestellung zum verantworlichen Beauftragten ergebe.

3.2. Die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Rechtsansicht, daß einen verantwortlichen Beauftragten nur die zur Vertretung nach außen Berufenen im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG bestellen können, begegnet im Hinblick auf den Wortlaut des § 9 Abs. 2 VStG keinen Bedenken. Ebenso ist der Auffassung beizupflichten, daß ein Prokurist nicht zu den zur Vertretung nach außen berufenen Personen im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG gehört (siehe dazu die hg. Erkenntnisse vom 8. Oktober 1992, Zl. 90/19/0532, und vom 8. Juli 1993, Zl. 93/18/0140, jeweils mwN). Nicht geteilt werden kann hingegen die dem angefochtenen Bescheid erkennbar zugrundeliegende Auffassung, daß die Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten durch eine Urkunde nachzuweisen sei, die von dem zur Vertretung nach außen Berufenen gefertigt ist. Die Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten und die Zustimmung des zum verantwortlichen Beauftragten Bestellten können grundsätzlich formfrei erfolgen. Erforderlich ist nur, daß die Zustimmung gemäß § 9 Abs. 4 VStG nachweislich erfolgt ist, was nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet, daß nur ein die Zustimmung zur Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten betreffendes Beweisergebnis aus der Zeit vor der Begehung der strafbaren Handlung zur Erbringung des Nachweises geeignet ist (vgl. auch dazu das oben zitierte Erkenntnis vom 8. Oktober 1992, mwN).

4. Dem in der Gegenschrift des Mitbeteiligten enthaltenen Hinweis, daß der im vorgelegten Schreiben vom 10. Februar 1989 verwendete Begriff "Vorstand" dem Recht der Aktiengesellschaften vorbehalten sei, ist - abgesehen davon, daß eine unklare oder unrichtige Bezeichnung des zur Vertretung nach außen Berufenen nicht schaden würde - die Überschrift zum ersten Titel des zweiten Abschnittes des GesmbH-Gesetzes ("Die Geschäftsführer. (Der Vorstand.)") entgegenzuhalten.

5. Da nach dem Gesagten die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, hat sie ihre Bescheide mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes belastet. Sie waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

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