VwGH 92/08/0189

VwGH92/08/018930.3.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der Kärntner Gebietskrankenkasse in Klagenfurt, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 29. Juli 1992, Zl. 123.308/2-7/92, betreffend Versicherungspflicht nach dem ASVG und dem AlVG (mP: 1.) Ing. Dr. V in M, 2.) A-GmbH in S, beide vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in S, 3.) PVA der Angestellten, Wien II, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 4.) Allgemeine UVA, Wien XX, Adalbert-Stifter-Straße 65), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1002;
ABGB §1151;
ABGB §1153;
ABGB §862;
AlVG 1977 §11 Abs3 lita;
AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs3 lita;
ASVG §11 Abs3 lita;
ASVG §35 Abs1;
ASVG §4 Abs2;
GmbHG §18;
ABGB §1002;
ABGB §1151;
ABGB §1153;
ABGB §862;
AlVG 1977 §11 Abs3 lita;
AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs3 lita;
ASVG §11 Abs3 lita;
ASVG §35 Abs1;
ASVG §4 Abs2;
GmbHG §18;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- und der erst- und zweitmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von je S 5.560,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde festgestellt, daß der Erstmitbeteiligte aufgrund seiner Beschäftigung bei der Zweitmitbeteiligten als Dienstgeberin ab 1. Mai 1989 der Versicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 2 ASVG sowie nach § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterliege.

Begründet wurde der Bescheid - soweit dies im Beschwerdefall noch von Bedeutung ist - wie folgt:

"Mit Bescheid vom 11. 10. 1989 hat die (Beschwerdeführerin) festgestellt, daß (der Erstmitbeteiligte) hinsichtlich seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der (Zweitmitbeteiligten) nicht der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterlag und die Anmeldung zur Pflichtversicherung per 1. 5. 1989 abgelehnt. Zur Begründung führte die (Beschwerdeführerin) an, die (Zweitmitbeteiligte) sei mit Gesellschaftsvertrag vom 16. 3. 1989 gegründet worden, mit dem gleichen Datum sei ein Abtretungsvertrag zwischen B und (dem Erstmitbeteiligten) geschlossen worden, auf Grund dessen dieser das Stammkapital von 1 Mio. S übernommen habe. Auf Grund § 6 des Gesellschaftsvertrages sei er zum Geschäftsführer für längstens die Dauer seiner Gesellschaftereigenschaft bestellt worden. Auf Grund zweier Treuhandverträge vom 16. 3. 1989 habe er einen Anteil von S 800.000,-- von Dr. G und einen Anteil von S 100.000,-- von Herrn W jeweils als Treuhänder übernommen. Im Außenverhältnis gelte er entgegen der vorgelegten Gesellschafterliste, die den erwähnten Abtretungsvertrag vom 16. 3. 1989 noch nicht berücksichtige, als einziger Gesellschafter. Da nach Lehre und Rechtsprechung ein Gesellschafter, der über 50 % und mehr des Stammkapitals verfügt, nicht in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu dieser Gesellschaft stehen kann, (der Erstmitbeteiligte) jedoch 100 % des Stammkapitals halte, sei seine Dienstnehmereigenschaft ausgeschlossen.

Gegen diesen Bescheid erhob (der Erstmitbeteiligte), ... am

30. 10. 1989 Einspruch und brachte darin vor, aus den vorgelegten Verträgen sei eindeutig zu erkennen, daß er nur mit 10 % am Stammkapital beteiligt und der Generalversammlung gegenüber weisungsgebunden sei. § 20 Ges.mbH.-Gesetz sehe für Weisungen regelmäßig die einfache Mehrheit vor. Somit sei eine Weisungsbindung dann gegeben, wenn der Gesellschafter einen Anteil von höchstens 49,9 % hat. Er verfüge in der Generalversammlung nur über ein Stimmrecht von 10 % und sei deshalb gegenüber Dr. G und Herrn W weisungsgebunden.

In einer Gegenstellungnahme von 1. 12. 1989 brachte die

(Beschwerdeführerin) dazu vor, ... (der Erstmitbeteiligte)

scheine als alleiniger Gesellschafter auf und sei alleiniger Geschäftsführer mit selbständigem Vertretungsrecht. Die Treugeber hätten kein Stimmrecht in der Generalversammlung, ihre Mitwirkung sei zur Gültigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen nicht erforderlich. Das Treuhandverhältnis wirke lediglich zwischen den Vertragsparteien. Dritten gegenüber werde jede unternehmerische Entscheidung vom (Erstmitbeteiligten) als Generalversammlungsbeschluß wirksam. Die Pflichtversicherung könne nicht davon abhängen, ob er die durch die Treuhand auferlegten Pflichten erfülle oder nicht. Der vorgelegte Dienstvertrag zwischen der (Zweitmitbeteiligten) und dem (Erstmitbeteiligten) sei ferner durch Selbstkontrahieren zustandegekommen, was die volle Gestaltungsfreiheit des Gesellschafters als Geschäftsführer belege.

(Der Erstmitbeteiligte) replizierte, aus dem erwähnten Dienstvertrag sei nach Inhalt und Umfang seine persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit erkennbar. Dieser Dienstvertrag sei nicht durch Selbstkontrahieren zustandegekommen. Auf seiten des Arbeitgebers sei dieser Vertrag vielmehr von Dr. G, dem Treugeber und Mehrheitseigentümer der (Zweitmitbeteiligten), unterfertigt. Dieser sei zu diesem Zweck durch Gesellschafterbeschluß zum Kollisionskuratur bestellt worden. Der Befund, daß (der Erstmitbeteiligte) alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer sei, möge im Außenverhältnis zutreffen. Die Willensbildung in der weisungsberechtigten Generalversammlung könne jedoch nur nach Maßgabe der Treuhandvereinbarungen erfolgen. Gegenüber der Generalversammlung sei er wie erwähnt weisungsgebunden. Die Ausübung der Treuhandschaft beruhe auf dem Dienstverhältnis (§ 3 lit. a bis f der Treuhandverträge). Das Stimmrecht habe er für seine Treuhänder so auszuüben, als ob die Treugeber selbst der Generalversammlung beiwohnten. Das Argument, eine Treuhand wirke nur im Innenverhältnis, sei unverständlich, da auch ein Dienstverhältnis grundsätzlich nur zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wirke und nach außen lediglich gewisse Reflexwirkungen erzeuge. Die Frage der Wirksamkeit einer Handlung nach außen könne kein Kriterium für die Beurteilung des Versicherungsverhältnisses bilden. Auch jedes Handeln eines Geschäftsführers oder Prokuristen, das einem Beschluß der Generalversammlung zuwiderläuft, sei Dritten gegenüber wirksam.

Mit Bescheid vom 18. 9 1990 gab der Landeshauptmann von Kärnten dem Einspruch keine Folge und bestätigte den Bescheid der Kärntner Gebietskrankenkasse. Der Landeshauptmann von Kärnten gründete seinen Bescheid auf einen Handelsregisterauszug vom 30. 6. 1990, Abt. B Nr. nn, wonach (der Erstmitbteiligte) mit 1 Mio. S an der (Zweitmitbeteiligten) beteiligt sei. Die innergesellschaftliche Wirkung der Treuhandverträge sei unerheblich. Die Treugeber hätten kein Stimmrecht in der Generalversammlung. Ihre Mitwirkung sei für das Zustandekommen eines Generalversammlungsbeschlusses nicht erforderlich. Die Treuhand bewirke lediglich eine Haftung zwischen Treugeber und Treunehmer. Im Außenverhältnis sei (der Erstmitbteiligte) als alleiniger Gesellschafter der (Zweitmitbeteiligten) anzusehen.

Gegen diesen Bescheid erhob (der Erstmitbeteiligte) am 2. 10. 1990 Berufung, wiederholte darin das bisherige Vorbringen und brachte vor, die Wirkung der Treuhandverträge sei für die Frage der Versicherungspflicht sehr wohl erheblich. Etwa habe der Treugeber ein Weisungsrecht und treffe den Treunehmer eine Berichts- und Verständigungspflicht. (Der Erstmitbeteiligte) sei in der Ausübung seines Stimmrechtes als Treuhänder an die Willensbildung und die Weisungen seiner Treugeber gebunden. Sein eigenes Stimmrecht übe er lediglich zu 10 % aus. Jedes Zuwiderhandeln als Treuhänder hätte zur Folge, daß er sich der Untreue gemäß § 153 StGB schuldig mache, was über § 879 Abs. 1 ABGB die Ungültigkeit solcher Beschlüsse zur Folge hätte. Die Mitwirkung der Treugeber in der Generalversammlung werde durch (den Erstmitbeteiligten) ausgeübt. Eine auftrags- und vollmachtslose Abstimmung wäre ungültig und könnte jederzeit durch Widerruf nach dem Ges.m.b.H.-Gesetz mit Wirkung nach außen angefochten werden. (Dem Erstmitbeteiligten) sei somit kein nennenswerter Einfluß auf die Willensbildung in der Gesellschaft eingeräumt, es wäre daher Vollversicherung anzunehmen. Die Unternehmungsführung durch ihn erfolge fremdbestimmt auf Rechnung des Treugebers.

In einer weiteren Stellungnahme vom 20. 11. 1990 brachte die (Beschwerdeführerin) dazu vor, (der Erstmitbteiligte) habe nach dem Ges.mbH-Gesetz ein alleiniges Vertretungs- und Zeichnungsrecht und unterliege keinen Arbeitsanweisungen. Er nehme als Gesellschafter Rechtshandlungen wie etwa die Stimmabgabe im eigenen Namen vor, sodaß diese Dritten gegenüber voll wirksam würden. Die Wirkung der Treuhandverträge bestehe ausschließlich in einer allfälligen Schadloshaltung im Innenverhältnis.

Mit Bescheid vom 30. 1. 1991 hob (die belangte Behörde) den Bescheid der (Beschwerdeführerin) auf. Zur Begründung führte (die belangte Behörde) an, der Spruch dieses Bescheides bringe nicht in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zum Ausdruck, hinsichtlich welchen Zeitraumes die Behörde absprechen wollte, da nicht einmal der Beginn dieses Zeitraumes im Spruch des Bescheides ausdrücklich genannt sei. Dies sei jedoch nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu fordern (Verwaltungsgerichtshof 89/08/0119, 25. 9. 1990).

......

Mit Erkenntnis vom 12. 5. 1992, 91/08/0045, hat der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid (der belangten Behörde) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. In seinen Entscheidungsgründen führte der Verwaltungsgerichtshof an, dem von (der belangten Behörde) herangezogenen Verwaltungsgerichtshoferkenntnis vom 25. 9. 1990 liege ein Sachverhalt zugrunde, der sich vom gegenständlichen Sachverhalt grundlegend unterscheide. Dem Bescheid der (Beschwerdeführerin) sei hinreichend deutlich zu entnehmen, daß über die Versicherungspflicht für einen mit 1. 5. 1989 beginnenden Zeitraum entschieden wurde. Mangels einer ausdrücklichen Bezeichnung der Beendigung dieses Zeitraumes falle das Ende mit dem Zeitpunkt der Entscheidung zusammen.

(Die belangte Behörde) hat nunmehr auf Grund der vorgelegten Verträge und der Vorbringen der Parteien folgendes erwogen:

(Es folgen Gesetzeszitate und Hinweise auf die Rechtsprechung zur Dienstnehmereigenschaft.)

Zur Frage der Dienstnehmereigenschaft des Geschäftsführers einer Ges.mbH., der zugleich Gesellschafter ist, stellt die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zunächst auf die Weisungsgebundenheit des Geschäftsführers gegenüber den Beschlüssen der Generalversammlung ab. Maßgebend ist hiebei neben den gesetzlichen Grundlagen das Ausmaß der Beteiligung am Stammkapital sowie allenfalls vereinbarte Sperrminoritäten und Stimmengewichtungen. Entscheidend ist somit die rechtliche Macht des Geschäftsführers, die Willensbildung der Gesellschaft maßgebend zu beeinflussen. Die Grenze bildet dabei die Möglichkeit, Beschlüsse der Generalversammlung zumindest verhindern zu können.

In seinem Erkenntnis vom 30. 6. 1983, Zl. 82/08/0083, 0084, hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden, daß ein geschäftsführender Gesellschafter, der die Geschäftsanteile treuhändig innehat und bereit ist, das Treuhandverhältnis gegenüber dem Versicherungsträger offen zu legen, nicht nach der nach außen in Erscheinung tretenden Gesellschaftereigenschaft zu beurteilen ist, sondern daß ein Durchgriff auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse vorzunehmen ist.

Bezogen auf den gegenständlichen Fall ergibt sich daraus folgendes:

Unbestritten blieb, daß (der Erstmitbeteiligte), legt man der Beurteilung lediglich jenen Geschäftsanteil von 10 % zugrunde, den er ohne treuhändische Bindung innehat, nicht als Gesellschafter mit maßgebendem Einfluß auf die Willensbildung der Gesellschaft anzusehen und gegenüber der Generalversammlung weisungsgebunden ist. Strittig war allein die Frage, ob er auf Grund der Treuhandverträge, die ihn rechtlich nach außen als alleinigen Gesellschafter in Erscheinung treten lassen, als ein die Willensbildung der Gesellschaft beherrschender Gesellschafter im Sinne der oben zusammengefaßten Judikatur anzusehen ist, oder ob bei Beurteilung seiner Sozialversicherungspflicht die der Treuhand zugrundeliegenden wahren wirtschaftlichen Verhältnisse heranzuziehen sind. Da nach ho. Ansicht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu folgen ist, (der Erstmitbeteiligte) 90 % der Geschäftsanteile nur treuhändig innehat und bereit war, die Treuhand dem Versicherungsträger gegenüber offenzulegen, ist er als Gesellschafter mit 10 % Geschäftsanteil und laut den vorgelegten Verträgen ohne einen die Gesellschaft beherrschenden Einfluß anzusehen. Zu folgen ist (dem Erstmitbeteiligten) ferner darin, daß zwischen der nach außen bestehenden Vertretungsmacht und der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit im Innenverhältnis kein zwingender Zusammenhang besteht. Im gegenständlichen Fall stellte laut vorgelegten Verträgen und laut den dem Akt zu entnehmenden Aussagen das Innenverhältnis der Treuhand ein Dienstverhältnis dar. Die Versicherungspflicht (des Erstmitbeteiligten) ist somit nach § 4 Abs. 1 Z. 1 und § 4 Abs. 2 ASVG sowie nach § 1 Abs. 1 lit. a AlVG zu bejahen.

...."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand. Die erst- und zweitmitbeteiligte Partei erstatteten eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG sind in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung aufgrund dieses Bundesgesetzes die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet.

Nach § 4 Abs. 2 ASVG ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.

Gemäß § 35 Abs. 1 ASVG gilt als Dienstgeber im Sinne dieses Bundesgesetzes derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, in dem der Dienstnehmer in einem Beschäftigungsverhältnis steht, auch wenn der Dienstgeber den Dienstnehmer durch Mittelspersonen in Dienst genommen hat oder ihn ganz oder teilweise auf Leistungen Dritter anstelle des Entgeltes verweist.

Unter einem "Beschäftigungsverhältnis" unter anderem im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG ist, wie sich aus § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit § 35 Abs. 1 ASVG ergibt - sieht man zunächst von den Fällen der Indienstnahme durch eine Mittelsperson ab - das dienstliche "Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit" des "Dienstnehmers" im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG zu dem "Dienstgeber" im Sinne des § 35 Abs. 1

1. Satz ASVG zu verstehen. Der Dienstgeber ist die "andere Seite" des abhängigen Beschäftigungsverhältnisses, ohne das die Pflichtversicherung nicht ausgelöst wird. Ob jemand in einem "Beschäftigungsverhältnis" steht, ist daher immer in bezug auf eine bestimmte andere Person (bestimmte andere Personen), nämlich - wiederum zunächst vom Fall der Indienstnahme durch Mittelspersonen abgesehen - den Dienstgeber (die Dienstgeber), zu prüfen (vgl. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, SlgNr. 12.325/A).

Die Arbeitslosenversicherungspflicht nach § 1 Abs. 1 lit. a AlVG knüpft an ein "Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt" im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG an und endet mit ihm (vgl. Erkenntnis vom 29. November 1984, SlgNr. 11.600/A).

Obwohl bei einer GmbH, die als juristische Person ihre Funktionen nicht selbst, sondern nur durch ihre Organe wahrnehmen kann, der Geschäftsführer der Gesellschaft als ein solches Organ grundsätzlich ihre Dienstgeberfunktion auszuüben hat (§ 18 GmbHG), kann er nach ständiger Rechtsprechung - unabhängig davon, ob er gleichzeitig auch Gesellschafter ist und es sich daher bei ihm um einen Gesellschafter-Geschäftsführer oder ein Fremd-Geschäftsführer handelt - Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG sein (vgl. dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, SlgNr. 12.325/A, unter Bezug auf das Erkenntnis vom 20. Mai 1980, SlgNr. 10.140/A, und zuletzt das Erkenntnis vom 7. Juli 1992, Zl. 88/08/0127).

Bei der Beurteilung der Dienstnehmereigenschaft eines Gesellschafter-Geschäftsführers ist allerdings zunächst (das heißt der nach § 4 Abs. 2 ASVG vorzunehmenden Klärung, ob die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit jene der Unabhängigkeit überwiegen, gedanklich vorgelagert) zu prüfen, ob und inwieweit der Geschäftsführer aufgrund der seine Beteiligung an der Gesellschaft regelnden gesetzlichen Bestimmungen und Vereinbarungen einen beherrschenden Einfluß auf sie hat. Es ist nämlich aufgrund des genannten dualistischen, auf der Verschiedenheit von Dienstgeber und Dienstnehmer aufbauenden Systems der Versicherungspflicht abhängig Beschäftigter die Annahme der Dienstnehmereigenschaft im Rahmen des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht nur in Ansehung jener Person ausgeschlossen, die selbst Dienstgeber ist, sondern auch für denjenigen, der aufgrund der genannten Beteiligung an der Gesellschaft die Beschlußfassung der Gesellschafter in der gesellschaftsrechtlich vorgesehenen Form, soweit sie die Ausübung der ihnen gemäß § 20 Abs. 1 GmbH zuständigen Weisungsrechte gegenüber dem Geschäftsführer in den für die persönliche Abhängigkeit maßgebenden Belangen (vgl. dazu unter anderem das schon zitierte Erkenntnis vom 10. Dezember 1986, SlgNr. 12.325/A) betrifft, bestimmen oder (aufgrund einer sogenannten "Sperrminorität") zumindest verhindern kann (vgl. außer dem eben genannten Erkenntnis unter anderem jenes vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0092).

Käme es bei einer nach diesen Grundsätzen im Beschwerdefall zunächst vorzunehmenden Beurteilung der Dienstnehmereigenschaft des Erstmitbeteiligten - wie die Beschwerdeführerin meint - nur auf die formale Tatsache an, daß der Erstmitbeteiligte im relevanten Zeitraum Alleingesellschafter der zweitmitbeteiligten Partei war, so wäre seine Dienstnehmereigenschaft im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG und damit seine Versicherungspflicht nach diesem Gesetz und dem AlVG jedenfalls zu verneinen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. außer dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis vom 30. Juni 1983, Zlen. 82/08/0083, 0084, das Erkenntnis vom 13. Oktober 1988, Zl. 87/08/0258) ist aber dann, wenn ein Geschäftsführer aufgrund eines Treuhandvertrages über die Mehrheit oder sogar die Gesamtheit der Gesellschaftsanteile verfügt und dieses Treuhandverhältnis im Verfahren auch offenlegt (wozu die Vorlage im Verfahren genügt und es nicht, wie die Beschwerdeführerin meint, der "Firmenbuchpublizität" bedarf), zur Beurteilung seiner Gesellschafterstellung und damit im Zusammenhang seines die Dienstnehmereigenschaft (nicht) ausschließenden beherrschenden Einflusses aufgrund dieser Stellung im obgenannten Sinn durch die formale gesellschaftsrechtliche Gestaltung auf die wahren rechtlichen Verhältnisse zwischen dem Treugeber und dem Treuhänder durchzugreifen, sofern nicht - aus der Sicht des Sozialversicherungsrechtes - insofern ein Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des Privatrechtes vorliegt.

Anhaltspunkte für einen solchen Mißbrauch bestehen im Beschwerdefall nicht; die von der Beschwerdeführerin angesprochenen "Zielsetzungen (z.B. günstige steuerliche Auswirkungen)" stellen keinen solchen Mißbrauch dar und werden im übrigen auch von der Beschwerdeführerin nicht als solche angesehen. Ihr Einwand, es werde bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung der Eintritt der "ex lege"-Versicherung doch dem Gestaltungswillen der Parteien überlassen, übersieht, daß

Die Beschwerdeführerin meint aber, die belangte Behörde habe übersehen, daß auch bei Zugrundelegung ihrer Auffassung über den erforderlichen Durchgriff durch die formalrechtliche Gestaltung auf die Treuhandverhältnisse zu überprüfen gewesen wäre, inwieweit nicht tatsächliche Umstände die Annahme gerechtfertigt erscheinen ließen, daß der Erstmitbeteiligte auch jene Rechte in Anspruch nehme, die ihm aufgrund seiner nach außen hin aufscheinenden Rechtsstellung als alleiniger Gesellschafter der Zweitmitbeteiligten auch zukommen könnten. Die Behörde hätte - auch ohne Einvernahme des Erstmitbeteiligten - anhand der im Akt erliegenden Vereinbarungen ein Übergewicht zugunsten der Merkmale der selbständigen Ausübung der Erwerbstätigkeit und damit der Versicherungsfreiheit nach dem ASVG feststellen müssen. Die mit Dienstvertrag überschriebene Vereinbarung vom 5. Juni 1989 übertrage nämlich dem Erstmitbeteiligten als Geschäftsführer die gesamte organisatorische Leitung des Unternehmens, die Gestaltung, Überwachung und Kontrolle der Organisation des gesamten Unternehmens, um dessen wirtschaftliche Grundlage zu sichern und zu verbessern. Neben den sonstigen aus seiner Organstellung folgenden Pflichten seien ihm auch die Begründung und Beendigung von Dienstverträgen, der Abschluß von Betriebsvereinbarungen und Rechtsgeschäften im Namen und auf Rechnung der Gesellschaft übertragen. Dadurch komme ihm die umfassende Leitungsbefugnis im Betrieb der zweitmitbeteiligten Partei zu. Er allein besitze jene Kenntnisse und Fähigkeiten, die zur Führung des Betriebes notwendig seien. Weiters seien seine Einzelzeichnungsberechtigung und die Tatsache, daß die Bestimmung über die Bindung an die beschlußmäßige Zustimmung der Generalversammlung in einigen Belangen inhaltlich ihre Bedeutung verlören, weil sich die Stimmberechtigung in der Generalversammlung nach den Gesellschaftsanteilen, aufscheinend im Anteilsbuch, richte, und diese allein dem Erstmitbeteiligten zukomme, weitere unterscheidungskräftige Merkmale, die beim Abwägen gemäß § 4 Abs. 2 ASVG zu berücksichtigen gewesen wären. Schließlich sei es für ein Beschäftigungsverhältnis auch untypisch, daß die Geschäftsführereigenschaft des Erstmitbeteiligten bereits im Gesellschaftsvertrag an seine Gesellschaftereigenschaft geknüpft sei.

Diese Einwände sind nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Denn die von der Beschwerdeführerin hervorgehobenen umfassenden Leitungs- und Vertretungsbefugnisse des Erstmitbeteiligten vermögen - nach der zitierten Judikatur zur Dienstnehmereigenschaft des Geschäftsführers einer GmbH - bei bestehender Bindung an (die für die persönliche Abhängigkeit maßgebenden Belange betreffenden) Weisungen der Gesellschafter in der gesellschaftsrechtlich vorgesehenen Form (bei Bestehen einer Treuhand: an jene der Treugeber) seine Dienstnehmereigenschaft nicht auszuschließen, mag auch die Ausübung des Weisungsrechtes gegenüber jener durch eine physische Person als Dienstgeber praktisch erschwert sein (vgl. Erkenntnis vom 25. Februar 1988, Zl. 87/08/0109). Wurde daher die Geschäftsführerfunktion des Erstmitbeteiligten entsprechend den Treuhandverträgen und dem Dienstvertrag ausgeübt, so stellt, wie die belangte Behörde zutreffend angenommen hat, "das Innenverhältnis der Treuhand ein Dienstverhältnis dar". Einem Vertrag kommt allerdings zunächst die Vermutung seiner Richtigkeit zu, das heißt die Annahme, daß er den wahren Sachverhalt widerspiegelt. Soweit ein Vertrag von den tatsächlichen Gegebenheiten nicht abweicht (das heißt soweit es sich nicht um einen Scheinvertrag handelt), ist er als Teil der vorzunehmenden Gesamtbeurteilung (anhand der in der Judikatur herausgearbeiteten Kriterien) in diese einzubeziehen, weil er die von den Parteien in Aussicht genommenen Konturen des Beschäftigungsverhältnisses sichtbar werden läßt (vg. das schon zitierte Erkenntnis vom 15. Dezember 1992, Zl. 91/08/0077). Anhaltspunkte dafür, daß die tatsächliche Beschäftigung des Erstmitbeteiligten als Geschäftsführer nicht entsprechend den Treuhandverträgen und dem Dienstvertrag ausgeübt worden sei, haben sich im Verfahren aber nicht ergeben und vermag auch die Beschwerdeführerin nicht aufzuzeigen.

Soweit die Beschwerdeführerin schließlich der belangten Behörde vorwirft, sie habe übersehen, daß der Beginn der Tätigkeit des Erstmitbeteiligten als Geschäftsführer im Dienstvertrag bereits mit 3. April 1989 bestimmt gewesen sei, verkennt sie, daß, wie der Verwaltungsgerichtshof schon im Vorerkenntnis vom 12. Mai 1992, Zl. 91/08/0045, ausgesprochen hat, die Beschwerdeführerin mit ihrem Bescheid lediglich über die Versicherungspflicht des Erstmitbeteiligten ab 1. Mai 1989 abgesprochen hat und daher die belangte Behörde im Rahmen der Sache gemäß § 66 Abs. 4 AVG daran gebunden war.

Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, daß die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten weder wegen der geltend gemachten noch wegen einer vom Verwaltungsgerichtshof aus eigenem aufzugreifenden Rechtswidrigkeit verletzt worden ist. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

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