VwGH 88/05/0167

VwGH88/05/016718.6.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Würth und Dr. Degischer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pichler, über die Beschwerde der A gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 19. März 1988, Zl. MA 64-164/87/Str, betreffend Verwaltungsübertretung nach der Wiener Bauordnung, zu Recht erkannt:

Normen

BauO Wr §129 Abs10;
BauO Wr §135 Abs1;
BauRallg;
VStG §1 Abs1;
VStG §31 Abs2;
VStG §5 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1991:1988050167.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 27. Jänner 1981 erteilte der Magistrat der Stadt Wien der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann als den Eigentümern der Liegenschaft Wien 14., B-Weg, EZ N1 der KG Unter Baumgarten, den Auftrag, näher bezeichnete Baulichkeiten auf diesem Grundstück abtragen zu lassen, wobei der Auftrag nicht gelte, wenn innerhalb der gleichen Frist die nachträgliche Baubewilligung erwirkt werde. Mit Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 28. August 1981 wurde die dagegen erhobene Berufung als unbegründet abgewiesen. Dieser Bescheid ist nach der Aktenlage unbekämpft geblieben.

Mit Straferkenntnis des Magistrates Wien vom 10. September 1987 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, als Eigentümer der auf der schon genannten Liegenschaft befindlichen Baulichkeiten in der Zeit vom 10. März 1981 bis 20. Juni 1986 insofern Abweichungen von den Bauvorschriften nicht behoben und den vorschriftswidrigen Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden sei, nicht beseitigt zu haben, als sie es unterlassen habe,

1) das an zwei Seiten mit gemauerten Wänden geschlossene und mit Holz und Wellblech gedeckte Gebäude im Ausmaß von ca. 4,00 m x 12,00 m und einer maximalen Höhe von 2,60 m an der rechten rückwärtigen Grundgrenze,

2) den gemauerten, ca. 0,90 m unter dem anschließenden Gartenniveau gelegenen Zubau im Ausmaß von ca. 3,50 m x 8,00 m und einer maximalen Gesamthöhe von 2,50 m an der Gartenseite des bestehenden Wohnhauses,

3) die Wand aus Glasprofilelementen in der Länge von ca. 3,00 m und einer Höhe von ca. 2,10 m an der rechten Grundgrenze im Bereich der im Punkt 2) bezeichneten Terrasse und

4) die Wand aus Betonschalsteinen in einer Länge von ca. 3,00 m und einer Höhe von ca. 0,70 m und teilweise 1,15 m an der linken Grundgrenze, im Bereich der im Punkt 2) bezeichneten Terrasse

abtragen zu lassen.

Die Beschwerdeführerin habe dadurch § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien verletzt; wegen dieser Verwaltungsübertretung werde über sie gemäß § 135 Abs. 1 leg. cit. eine Geldstrafe von S 5.000,-- (im Nichteinbringungsfall Ersatzarrest von fünf Tagen) verhängt.

Begründend führte die Strafbehörde erster Instanz aus, daß entgegen der Rechtfertigung der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Anzeigelegung (24. Juni 1986) kein Bauansuchen zur Erwirkung einer nachträglichen Baubewilligung der genannten Baulichkeiten anhängig gewesen sei.

In der dagegen erhobenen Berufung wies die Beschwerdeführerin darauf hin, daß das Verfahren über die begehrte Baubewilligung nach Bauverhandlungen am 17. Oktober 1984, 26. November 1984 und 9. September 1985 nach wie vor nicht rechtskräftig abgeschlossen sei. Es sei auch unrichtig, daß das am 24. November 1983 eingebrachte Bauansuchen zurückgezogen worden sei; vielmehr sei das Bauansuchen nach wie vor im Berufungsstadium anhängig.

Daraufhin hielt die belangte Behörde dem Vertreter der Beschwerdeführerin einen am 17. Juni 1986 bei der MA 37 eingelangten Antrag vor, in dem ausdrücklich nochmals erklärt wurde, daß in der Verhandlung vom 9. September 1985 die Anträge hinsichtlich der Zubauten zurückgezogen worden seien und lediglich die Anträge hinsichtlich "baulicher Änderungen" aufrecht geblieben seien. Dieser im Protokoll nicht ausdrücklich festgehaltene Antrag werde nochmals wiederholt. In seiner Stellungnahme hiezu führte die Beschwerdeführerin aus, daß sie stets bemüht gewesen sei, die nachträgliche Baugenehmigung für die Baulichkeiten zu erlangen, sich jedoch im Zuge des Bauverfahrens herausgestellt habe, daß die im Bauakt der Baubehörde erliegenden Pläne über den bestehenden Baukonsens äußerst ungenau seien und miteinander im Widerspruch stünden. Daher habe ihr Vertreter bei der Bauverhandlung vom 9. September 1985 mit dem Verhandlungsleiter Ing. K. besprochen, das Bewilligungsverfahren in "zwei Stufen" abzuwickeln und vorerst durch Erlangen einer rechtskräftigen Baubewilligung über die unstrittigen Punkte einen nachvollziehbaren Baukonsens zu schaffen, auf den man sodann in einem zweiten Schritt aufbauen könne. Insbesondere sollte ein nachvollziehbarer "Ist-Zustand" geschaffen werden. Auf Grund dieser mit dem Verhandlungsleiter abgestimmten Vorgangsweise seien vorerst sämtliche Punkte, die mit der Frage des Ausmaßes der "verbauten Fläche" im Zusammenhang stünden, aus dem ersten Bauansuchen herausgenommen worden; sie sollten erst "nach Vorliegen einer rechtskräftigen Baubewilligung aufbauend auf dem durch diese Baubewilligung geschaffenen klaren ‚Ist-Zustand' in einem neuen Bauansuchen" neu geltend gemacht werden. Diese Vorgangsweise sei anläßlich einer Vorsprache des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin beim Verhandlungsleiter im Berufungsverfahren Dr. T. von diesem ausdrücklich als zweckmäßig bezeichnet worden. Erst als sich herausgestellt habe, daß insbesondere durch einen Wechsel des Verhandlungsleiters bei der Baubehörde erster Instanz die erste Baubewilligung doch nicht so rasch wie zunächst abbesprochen von der Baubehörde erteilt werde, sei das zweite Bauansuchen eingebracht worden, in dem nochmals die Punkte laut Bescheid vom 27. Jänner 1981 angeführt seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde auf Grund der Berufung des Beschwerdeführers das erstinstanzliche Straferkenntnis mit der Maßgabe, daß die Tatzeit auf 10. September 1985 bis 20. Juni 1986 eingeschränkt werde. Die Strafe werde gemäß § 51 Abs. 4 VStG auf S 2.000,-- (bei Uneinbringlichkeit 48 Stunden Arrest) herabgesetzt. Hinsichtlich des restlichen Tatzeitraumes wurde das erstinstanzliche Straferkenntnis behoben bzw. hinsichtlich des Tatzeitraumes 24. November 1983 bis 9. September 1985 gemäß § 45 Abs. 1 lit. b VStG und hinsichtlich des Tatzeitraumes 18. März 1981 bis 23. November 1983 gemäß § 45 Abs. 1 lit. c VStG eingestellt. Begründend führte die belangte Behörde aus, auch die Beschwerdeführerin bestreite nicht, daß die im Spruch genannten Baulichkeiten ohne Baubewilligung errichtet worden seien; der objektive Tatbestand einer Verwaltungsübertretung gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien sei daher als gegeben anzusehen. Es könne aber auch dem Vorbringen nicht gefolgt werden, daß die Beschwerdeführerin kein Verschulden treffe, da sie sich intensiv um die Erlangung einer Baubewilligung bemühe. Die Beschwerdeführerin habe zwar um nachträgliche Baubewilligung für die genannten Baulichkeiten angesucht, dieses Ansuchen jedoch am 9. September 1985 im Rahmen einer Bauverhandlung zurückgezogen und mit Schriftsatz vom 16. Juni 1986 diese Zurückziehung ausdrücklich bestätigt. Aus welchen Motiven das Ansuchen um nachträgliche Baubewilligung eingeschränkt worden sei, sei weder aus dem Verhandlungsprotokoll vom 9. September 1985, noch aus dem Schreiben des damaligen Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin vom 16. Juni 1986 erkennbar. Auch bei Durchsicht des Bauaktes hätten keinerlei Hinweise darauf gefunden werden können, daß das Ansuchen um nachträgliche Baubewilligung, wie von der Beschwerdeführerin behauptet werde, auf Anraten baubehördlicher Organe zurückgezogen worden sei. Auch wenn der "alte" bewilligte Zustand aus den aufliegenden Plänen nicht zweifelsfrei ersichtlich sei, so habe doch keine Veranlassung bestanden, Baulichkeiten aus dem Ansuchen um nachträgliche Baubewilligung herauszunehmen, von denen längst bekannt gewesen sei, daß sie ohne Baubewilligung errichtet worden seien. Soweit die Beschwerdeführerin auf die lange Dauer des Verfahrens um Erlangung einer Baubewilligung verweise, werde auf § 73 AVG verwiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

Gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien sind Abweichungen von den Bauvorschriften zu beheben und es ist der vorschriftswidrige Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist, zu beseitigen. Wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat, stellt die Nichtbeseitigung eines Bauwerkes, für welches eine nachträgliche Baubewilligung nicht erteilt wurde, ein Unterlassungsdelikt dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. September 1963, Slg. Nr. 6080/A), jedoch ist während der Anhängigkeit eines Ansuchens um Erteilung einer nachträglichen Baubewilligung eine Bestrafung nicht zulässig (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1969, Slg. Nr. 7657/A). Wenn also die Beschwerdeführerin darauf hinweist, daß im Zeitpunkt der Anzeige, die zur späteren Bestrafung führte, das Bauansuchen bereits wieder eingebracht worden ist, verkennt sie, daß die Vorschrift des § 129 Abs. 10 in Verbindung mit § 135 Abs. 1 der Bauordnung für Wien nicht etwa eine Beugestrafe darstellt, sondern eine Verwaltungsübertretung, die - innerhalb der Verjährungsfrist -

auch dann zu ahnden ist, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung im Verwaltungsstrafverfahren der rechtswidrige Zustand weggefallen ist.

Objektiv ist der belangten Behörde auch insofern zuzustimmen, als die Notwendigkeit einer "Zweiteilung" des Bauansuchens nicht erkennbar, vor allem aber nicht einsichtig ist, warum nicht die beiden Bauansuchen getrennt eingebracht worden sind, sodaß eine selbständige oder sukzessive Behandlung möglich gewesen wäre.

Eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes liegt daher nicht vor.

Hingegen kann der Verwaltungsgerichtshof der Ansicht der belangten Behörde im Rahmen der Prüfung der subjektiven Tatseite nicht folgen, daß sich aus der objektiven Zweckwidrigkeit schon ergebe, daß die von der Beschwerdeführerin ausdrücklich unter Beweisanboten aufgestellte Behauptung, der Verhandlungsleiter der Baubehörde erster Instanz habe ihrem Vertreter die Vorgangsweise angeraten oder zumindest mit ihm vereinbart und ein Referent der Bauoberbehörde habe dies nicht als unzweckmäßig gefunden, unrichtig sei. Träfe nämlich die von der Beschwerdeführerin aufgestellte Behauptung zu, so kann einem Bauwerber nicht als Verschulden angelastet werden, dem Rat eines Organwalters der Baubehörde gefolgt zu sein. Die belangte Behörde hätte daher die Behauptung durch Aufnahme der beantragten Zeugenbeweise und allenfalls Vernehmung auch der namentlich genannten Beamten prüfen müssen. Da sie dies unterließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, sodaß er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

Wien, am 18. Juni 1991

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte