VwGH 89/13/0044

VwGH89/13/004421.2.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte

Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin

Mag. Wimmer, über die Beschwerde des X gegen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 17. Jänner 1989, GZ GA 7-1014/20/88, betreffend Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §20;
BAO §236 Abs1;
BAO §20;
BAO §236 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.620,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Gesellschafter-Geschäftsführer der PB GmbH, in welche Gesellschaft 1980 gemäß dem Strukturverbesserungsgesetz das Einzelunternehmen EB & Co eingebracht wurde. 1983 wurde über das Vermögen der Gesellschaft der Konkurs eröffnet, 1986 stimmten die Gläubiger einem Zwangsausgleich zu.

Mit Bescheid vom 9. März 1987 wies das zuständige Finanzamt ein Ansuchen des Beschwerdeführers um Bewilligung einer Abgabennachsicht in der Höhe von S 1,286.009,-- ab. Dieser Rückstand resultierte im wesentlichen aus Steuern, welche dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der Umwandlung des Einzelunternehmens in eine GesmbH vorgeschrieben worden waren.

Innerhalb offener Frist erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid Berufung, in welcher er ausführte, daß von dem ihm "durch die Masse zur Entnahme freigegebenen Betrag von monatlich S 15.000,--" jeweils S 5.000,-- "an die Sozialversicherungsanstalt und an die Finanzbehörde für die laufenden Steuern zu entrichten" seien. Die Abdeckung der Steuerverbindlichkeiten würde daher auch bei einer verbesserten finanziellen Situation zwei Jahrzehnte währen.

Bei Beurteilung des Nachsichtsansuchens sei auch unberücksichtigt geblieben, daß der Beschwerdeführer zur Rettung seines Betriebes vor dem Insolvenzverfahren Haftungen übernommen habe, zu deren Erfüllung er nunmehr nach Abschluß desselben herangezogen würde. Ein Regreßrecht gegenüber der GesmbH "besteht durch den Zwangsausgleich nicht mehr". Derzeit betrage die Schuldverpflichtung aus den Haftungsübernahmen über S 3,300.000,--, "zu denen die Steuerschuld noch hinzutritt".

Die Finanzverwaltung habe sich "bei den Betriebsschulden der allgemeinen Quote angeschlossen und auf 80 Prozent ihrer Forderungen verzichtet". Die Sanierung des Betriebes sei aber nur mit gleichzeitiger Sanierung des Beschwerdeführers "vorstellbar, um ein privates Insolvenzverfahren zu vermeiden".

Dieses Rechtsmittel wies das Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung ab. In der Begründung derselben vertrat es die Ansicht, daß in der Einhebung des in Rede stehenden Rückstandes keine unbillige Härte zu erblicken sei.

Fristgerecht beantragte der Beschwerdeführer hierauf die Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vorzulegen. In dem betreffenden Schriftsatz vertrat er zunächst die Auffassung, daß die Einhebung der fraglichen Abgaben sehr wohl eine unbillige Härte darstelle. Weiters führte er aus, daß er nach Aufhebung des Konkursverfahrens zufolge des bestätigten Zwangsausgleiches von seinen persönlichen Gläubigern (das seien solche, gegenüber welchen er die persönliche Haftung für die Erfüllung der Verbindlichkeiten der PB GmbH, vor Konkurseröffnung habe übernehmen müssen) folgendermaßen in Anspruch genommen worden sei:

  1. 1. Von der Marktgemeinde P mit S 551.540,20 und
  2. 2. von der Österreichischen L-AG mit S 4,712.412,20.

In der Folge hätte sich jedoch die genannte Marktgemeinde mit der Bezahlung von S 121.540,50, die L-AG mit der Entrichtung eines Betrages von S 1,100.000,-- in Raten zufrieden gegeben.

Da sich demnach auch die "sonstigen persönlichen Gläubiger" des Beschwerdeführers "mit dem Erhalt einer Quote von rund 20 Prozent für abgefunden" erklärt hätten, könne - wie dies die Abgabenbehörde erster Instanz getan habe - keinesfalls davon gesprochen werden, der Beschwerdeführer versuche, "die Sanierung der anderen Gläubiger auf Kosten der Finanzverwaltung mit diesem Nachsichtsansuchen anzustreben".

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde das Rechtsmittel ab und führte begründend im wesentlichen aus:

Nach § 236 Abs. 1 BAO habe die Abgabenbehörde zunächst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliege, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" entspreche. Verneint sie diese Frage, sei für eine Ermessensentscheidung kein Raum. Wenn nun der Beschwerdeführer vorbringe, "eine Bewältigung der Steuerverpflichtung sei selbst bei einem leistungsentsprechenden Anheben seines Einkommens nur unter Sanierungsmaßnahmen denkbar, so kann diesem Vorbringen nicht entgegengetreten werden". Werde aber die Rechtsfrage, ob die Einhebung der Abgabenschuldigkeiten "im vorliegenden Fall unbillig ist", bejaht, sei die Voraussetzung für eine zu treffende Ermessensentscheidung gegeben. Übe die belangte Behörde dieses Ermessen nicht in einem für den Beschwerdeführer positiven Sinn aus, "so ist darauf hinzuweisen, daß die begehrte Nachsicht keine Sanierung des Beschwerdeführers, der selbst eine Bankhaftung von mehr als S 3 Mio und nicht näher bezifferte private Verpflichtungen anführt, bringen könnte".

Im übrigen dürfe nicht übersehen werden, daß eine Nachsicht nur den übrigen Gläubigern des Beschwerdeführers zugute käme, selbst wenn man berücksichtige, daß - wie der Beschwerdeführer einwende - sowohl die Marktgemeinde P als auch die Österreichische L auf "einen bedeutenden Teil ihrer Forderungen verzichtet" hätten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Nach dieser Gesetzesbestimmung hat die Abgabenbehörde im Falle eines Ansuchens um Nachsicht zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" entspricht. Verneint sie diese Frage, dann ist für die Ermessensentscheidung kein Raum mehr, demnach ist der entsprechende Antrag abzuweisen. Nur wenn die Abgabenbehörde das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes bejaht, hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden (vgl. auch Stoll, BAO, Wien 1980, Seite 583).

Wie sich nun aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt, hat die belangte Behörde im Gegensatz zu der vom Finanzamt vertretenen Auffassung, die Rechtsfrage, ob die Einhebung der Abgabenschuldigkeiten im vorliegenden Fall unbillig ist, bejaht, womit die Voraussetzung für eine von ihr zu treffende Ermessensentscheidung gegeben erscheint. Bei Ermessensentscheidungen beschränkt sich die Überprüfung durch den Gerichtshof darauf, ob vom eingeräumten Ermessen innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen Gebrauch gemacht wurde, oder ob dies - in Form einer Ermessensüberschreitung oder eines Ermessensmißbrauches - nicht der Fall gewesen ist (vgl. hg. Erkenntnis vom 14. November 1984, Zl. 83/13/0086, und die dort angeführte hg. Vorjudiaktur). Ermessensentscheidungen sind daher von der Behörde insoweit zu begründen, als dies die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erfordert. Die Behörde hat demnach in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen soweit aufzuzeigen, daß den Parteien des Verwaltungsverfahrens die Verfolgung ihrer Rechte und dem Verwaltungsgerichtshof die rechtliche Kontrolle des Ermessens möglich ist. Letztlich hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch auch zu überprüfen, ob das Verwaltungsverfahren, das mit der Ermessensentscheidung geendet hat, den gesetzlichen Verfahrensbestimmungen entsprach oder nicht (vgl. Stoll, BAO, Wien 1980, Seite 46 f).

Als Begründung dafür, warum die belangte Behörde das ihr durch § 236 BAO eingeräumte Ermessen nicht im für den Beschwerdeführer positiven Sinn gehandhabt hat, weist sie lediglich darauf hin, daß eine "Sanierung des Beschwerdeführers" auch durch die beantragte Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten in Höhe von S 1,286.009,-- keinesfalls erreicht werden könne, weil derselbe mit einer Bankhaftung von mehr als S 3 Mio und nicht näher bezifferten privaten Verpflichtungen belastet sei.

Diese Argumentation allein vermag aber den angefochtenen Bescheid schon deshalb nicht zu tragen, weil sie die von der belangten Behörde nicht in Abrede gestellten Ausführungen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren ignoriert, wonach die in Rede stehenden Bankhaftungen des Beschwerdeführers nicht mehr "mehr als S 3 Mio", sondern - nach entsprechenden Nachlässen zweier Gläubiger - insgesamt nur noch

S 1,221.540,50, demnach weniger als die aushaftenden Steuerschuldigkeiten, betragen. Bei dieser Sachlage jedoch, und ohne daß sich die belangte Behörde mit den angeblich noch bestehenden "nicht näher bezifferten privaten Verpflichtungen" des Beschwerdeführers auseinandersetzte, kann ohne weiteres weder davon gesprochen werden, daß durch die Gewährung der begehrten Nachsicht eine Sanierung der Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers auf keinen Fall zu erreichen ist, noch kann der lapidaren Behauptung im angefochtenen Bescheid beigestimmt werden, daß eine von der Finanzverwaltung gewährte Abgabennachsicht "nur den übrigen Gläubigern" des Beschwerdeführers zugute kommt.

Da sich nach dem Gesagten der angefochtene Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet erweist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

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