Normen
AlVG 1977 §10 Abs1
AlVG 1977 §12
AlVG 1977 §9
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1989:1988080162.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Arbeitsamtes Versicherungsdienste Wien vom 12. Oktober 1987 wurde ausgesprochen, daß die Beschwerdeführerin gemäß § 38 in Verbindung mit § 10 AlVG für den Zeitraum vom 14. September 1987 bis 11. Oktober 1987 den Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, nicht sie habe die Beschäftigung abgelehnt, vielmehr habe die zugewiesene Firma eine Einstellung abgelehnt. Die Beschwerdeführerin habe bei der Vorstellung gefragt, ob es möglich sei, mit Überstunden den Lohn aufzubessern, hierauf sei ihr erklärt worden, daß es sich nur um eine Halbtagsarbeit handle und eine andere Bewerberin vorgezogen würde, da bei der Beschwerdeführerin ein baldiger Wechsel zu einer Firma mit längerer Arbeitszeit zu befürchten sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 38 in Verbindung mit den §§ 9 Abs. 2 und 10 Abs. 1 AlVG ab. Nach der Bescheidbegründung habe das Arbeitsamt Persönliche Dienste‑Gastgewerbe zum Berufungsvorbringen mitgeteilt, daß der Beschwerdeführerin nicht nur die Halbtagsbeschäftigung bei der Firma X-AG, sondern zusätzlich auch eine ergänzende weitere Halbtagsarbeit bei der Firma H mangels einer geeigneten Ganztagsbeschäftigung vermittelt worden sei und die Firma H gleich vorweg von der Beschwerdeführerin abgelehnt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe jedoch letztere Angabe des Arbeitsamtes in Abrede gestellt und angegeben, daß ihr die Firma H gänzlich unbekannt sei. Laut Mitteilung des Facharbeitsamtes seien bereits sieben erfolglose Vermittlungsversuche vorgenommen worden, die vor allem an den hohen Lohnforderungen (S 11.000,-- netto monatlich, annähernd dem Ausmaß der Notstandshilfe) gescheitert seien. Anläßlich der Vorsprache habe die Beschwerdeführerin angegeben, bei einer angebotenen Vollbeschäftigung auch mit einem geringerem Anfangseinkommen zufrieden zu sein, wenn die Firma weitere Arbeitsmöglichkeiten für einen zusätzlichen Verdienst biete. Im Hinblick darauf, daß die Beschwerdeführerin bereits seit 21. April 1986 mit kurzen Unterbrechungen im Leistungsbezug stünde und während dieses Zeitraumes keine vermittelte Beschäftigung angenommen bzw. auch die Eigeninitiative zur Aufnahme einer solchen nicht ergriffen habe, und das Facharbeitsamt glaubhaft vorbringen habe können, daß der Beschwerdeführerin am 7. September 1987 zwei hinsichtlich Arbeitszeit ergänzende Teilbeschäftigungen von 8.00 bis 13.00 Uhr bei der Firma X‑AG und von 16.00 bis 20.00 Uhr bei der Firma H (mangels Vorliegens geeigneter Ganztagsarbeit) angeboten worden sei, sei spruchgemäß entschieden worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Bezug der Notstandshilfe im angeführten Zeitraum verletzt. Zunächst führt die Beschwerdeführerin aus, die belangte Behörde verkenne, daß mit dem Anbieten zweier Teilzeitbeschäftigungen durch das Arbeitsamt der Anspruchsverlust auf Notstandshilfe im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG keineswegs begründet werden könne. Es sei nicht entscheidungserheblich, ob tatsächlich zwei Teilzeitbeschäftigungen angeboten wurden, vielmehr könne nach § 10 Abs. 1 AlVG nur die Weigerung, eine zugewiesene und zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder die Vereitelung der Annahme einer Beschäftigung den Anspruchsverlust zur Folge haben. Dabei erfordere die Vereitelung der Annahme einer Beschäftigung ein vorsätzliches Handeln des Vermittelten, ein bloß fahrlässiges Verhalten rechtfertige nicht den Anspruchsverlust nach § 10 Abs. 1 AlVG. Feststellungen hinsichtlich der angelasteten Schuldform enthalte aber weder der Bescheid des Arbeitsamtes Versicherungsdienste noch der angefochtene Bescheid. Die belangte Behörde unterliege einem Rechtsirrtum, wenn sie ihre Entscheidung mit dem Hinweis auf das Anbot zweier Teilzeitbeschäftigungen begründe und auch auf vergebliche Vermittlungsversuche in der Vergangenheit verweise. Daß die Beschwerdeführerin zumindest mit bedingtem Vorsatz die Annahme zumutbarer Beschäftigungen vereitelt oder verweigert hätte, sei der angefochtenen Entscheidung jedenfalls nicht zu entnehmen.
Weiters wird ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, daß bezüglich der Teilzeitbeschäftigung bei der Firma H nicht sie eine Anstellung abgelehnt habe, sondern dies von seiten der zugewiesenen Firma erfolgt sei. Die belangte Behörde habe hiezu keine Sachverhaltsfeststellungen getroffen, bei inhaltlich widerstreitenden Ermittlungsergebnissen wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, eindeutig auszusprechen, welcher der verschiedenen Versionen sie folge und aus welchen Gründen sie eine Version zur Tatsachenfeststellung erhebe. Der Hinweis im letzten Absatz der Bescheidbegründung über ein „glaubhaftes Vorbringen des Facharbeitsamtes“ könne fehlende Sachverhaltsfeststellungen nicht ersetzen, zumal in dem angefochtenen Bescheid keineswegs die Angaben der Beschwerdeführerin als unglaubwürdig bezeichnet würden. Es sei auch denkbar, daß beide Vorbringen den Tatsachen entsprächen, der Beschwerdeführerin aber die Namhaftmachung der Firma H nicht bewußt geworden sei. Die Gespräche mit dem zuständigen Sachbearbeiter des Arbeitsamtes hätten nicht immer in einem sachlich ruhigen Klima stattgefunden, sodaß sich die Behörde mit den entscheidungswesentlichen Sachverhaltsvarianten auseinander zu setzen gehabt hätte, um eine taugliche Entscheidungsgrundlage zu erhalten.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 10 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 AlVG verliert der Arbeitslose, der sich weigert, eine ihm vom Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden vier Wochen den Anspruch auf Notstandshilfe. Gemäß § 9 Abs. 2 leg. cit ist eine Beschäftigung zumutbar, die den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist und dem Arbeitslosen eine künftige Verwendung in seinem Beruf nicht wesentlich erschwert. Die letzte Voraussetzung bleibt bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Beschäftigung unter näher angeführten Voraussetzungen außer Betracht.
Voraussetzung für den Verlust der Notstandshilfe ist somit neben dem Vorliegen einer vom Arbeitsamt zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung auch die Arbeitslosigkeit. Unbestritten ist, daß der Beschwerdeführerin bei der Firma H eine Beschäftigung als Bedienerin im Ausmaß von 25 Wochenstunden mit einer Entlohnung von insgesamt S 5.500,-- brutto monatlich angeboten worden war, diese Tätigkeit den körperlichen Fähigkeiten der Beschwerdeführerin angemessen war und ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdete. Zur angemessenen Entlohnung im Sinne des § 9 Abs. 2 AlVG ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das nach dem (im konkreten Fall anzuwendenden) Kollektivvertrag gebührende Entgelt anzusehen (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 13. September 1985, Zl. 83/08/0210, vom 22. Dezember 1954, Slg. Nr. 3612/A, sowie vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0161).
Wenn nun die Beschwerdeführerin zunächst ausführt, durch das Anbieten (gemeint wohl: durch die Ablehnung) zweier Teilzeitbeschäftigungen (anstelle einer Ganztagsbeschäftigung) könne der Anspruchsverlust auf Notstandshilfe im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG keineswegs eintreten, vermag der Verwaltungsgerichtshof diese Ansicht nicht zu teilen.
Der Begriff der Arbeitslosigkeit ist im § 12 AlVG normiert. Nach Abs. 6 lit. a leg. cit gilt als arbeitslos, wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die im § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt.
Gemäß § 7 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist. Arbeitswillig ist gemäß § 9 Abs. 1 leg. cit., wer bereit ist, eine durch das Arbeitsamt vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- und umschulen zu lassen oder von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld - und gemäß § 38 AlVG somit auch auf Notstandshilfe - setzt daher Arbeitsfähigkeit, Arbeitswilligkeit und Arbeitslosigkeit voraus. Den Zusammenhang zwischen § 12 AlVG (Begriff der Arbeitslosigkeit) und § 9 AlVG hat auch Schrammel in „Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit als Leistungsvoraussetzungen in der Arbeitslosenversicherung“ in der Reihe Wiener Beiträge zum Arbeits- und Sozialrecht, Band 16, Seite 41 ff, dargelegt. Die Arbeitswilligkeit setzt nach Schrammel die Bereitschaft voraus, von einer „sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen“, er verweist in diesem Zusammenhang auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Slg. Nr. 3344/A u.a.), die unter der „sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit“ jede Beschäftigung versteht, die den Zustand der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 AlVG ausschließt.
Nicht nur eine Ganztagsbeschäftigung schließt die Arbeitslosigkeit aus, sondern auch jede Teilzeitbeschäftigung, die mit einem über dem in § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG festgelegten Betrag entlohnt ist, wobei nur der kollektivvertragliche Stundenlohn eingehalten werden muß.
Eine diesen Erfordernissen entsprechende Beschäftigung hätte daher die Beschwerdeführerin auch annehmen müssen. Klärungsbedürftig ist, ob die Beschwerdeführerin die Annahme einer solchen Beschäftigung abgelehnt oder vereitelt hat.
Unter dem Begriff der „Vereitelung“ in § 10 Abs. 1 AlVG ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein auf das zugewiesene Beschäftigungsverhältnis bezogenes Verhalten des Vermittelten zu verstehen, das ‑ bei gegebener Zumutbarkeit der Beschäftigung - das Nichtzustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses herbeiführt. Das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses muß nicht nur in der Sphäre des Vermittelten, sondern darüber hinaus in einem auf das Nichtzustandekommen gerichteten oder dies zumindest in Kauf nehmenden Tun des Vermittelten seinen Grund haben (vgl. Erkenntnis vom 14. März 1989, Zl. 89/08/0012, und die dort zitierte Vorjudikatur). In dem Erkenntnis vom 14. März 1989 wird auch ausgeführt, der Tatbestand der Vereitelung sei auch dann verwirklicht, wenn ein Arbeitssuchender beim Vorstellungsgespräch, wenn auch wahrheitsgemäß, seine Intention zum Ausdruck bringt, die mit der Spezifikation einer Dauerstellung angebotene zumutbare Beschäftigung nur als Übergangslösung zu betrachten, weil er damit - bezogen auf den konkret angebotenen Arbeitsplatz als Dauerstellung - seine Arbeitswilligkeit in Zweifel stelle. Gleiches muß auch dann gelten, wenn ein Arbeitssuchender beim Vorstellungsgespräch bei einer angebotenen Teilzeitbeschäftigung zum Ausdruck bringt, nur an einer Ganztagsbeschäftigung interessiert zu sein, weil dann ebenfalls seine Arbeitswilligkeit bezogen auf den konkret angebotenen Arbeitsplatz in Zweifel gestellt ist.
Sollte die Beschwerdeführerin die Annahme vereitelt haben, verlöre sie unter der weiteren Voraussetzung, daß die angebotene Beschäftigung angemessen entlohnt gewesen wäre, ihren Anspruch auf Notstandshilfe. Entsprechende Feststellungen wurden von der belangten Behörde nicht getroffen.
Durch das Unterlassen dieser Feststellungen hat die belangte Behörde den Bescheid mit einem relevanten verfahrensrechtlichen Mangel belastet. Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Das Kostenmehrbegehren hinsichtlich der Umsatzsteuer war abzuweisen, da im pauschalierten Aufwandersatz die Umsatzsteuer bereits enthalten ist.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes angeführt wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Wien, am 19. September 1989
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