VwGH 86/14/0068

VwGH86/14/00689.5.1989

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr Reichel sowie die Hofräte Dr Schubert, Dr Hnatek, Dr Pokorny und Dr Karger als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr Egger, über die Beschwerde des AF in L, vertreten durch Dr Alois Fuchs, Rechtsanwalt in 6500 Landeck, Malserstraße 74, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Tirol vom 6. März 1986, Zl 40.037-4/86, betreffend Haftung für Lohnsteuer für den Zeitraum vom 1. Jänner 1981 bis 31. Dezember 1983, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §115 Abs4
BAO §236 Abs1
BAO §237 Abs1
EStG 1972 §68 Abs1
EStG 1972 §68 Abs3
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1989:1986140068.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen von 2.760 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer betreibt eine Tankstelle. Auf Grund eines mit der M AG abgeschlossenen Vertriebsübereinkommens ist er verpflichtet, die Tankstelle ganzjährig in der Zeit von 07.00 Uhr bis 20.00 Uhr einschließlich Sonn- und Feiertagen offen zu halten. Im Streitzeitraum beschäftigte er drei Tankwarte, deren Arbeitszeiten in einem Schichtplan festgelegt waren. Aus dem Schichtplan ergibt sich, daß jeder Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum (Kalendermonat) unter Berücksichtigung eines einmonatigen Urlaubes an Werktagen insgesamt rund 18 und an Sonn- und Feiertagen insgesamt rund 19 Überstunden leistete. Der Beschwerdeführer zahlte jedem Arbeitnehmer im Streitzeitraum monatlich unveränderte Zuschläge für Überstunden bzw. für Sonn- und Feiertagsarbeiten (im folgenden nur mehr: Zuschläge) von 1.400 S steuerfrei iS des § 68 Abs 1 EStG aus.

Strittig ist, ob die steuerfreie Auszahlung der Zuschläge gerechtfertigt war oder nicht. Die belangte Behörde vertritt im Einklang mit den Ausführungen des Finanzamtes - das sich auf die unbestrittenen Feststellungen im Zug einer Lohnsteueraußenprüfung stützen konnte - die Ansicht, die Zuschläge könnten nur dann steuerfrei ausbezahlt werden, wenn die genaue Anzahl und zeitliche Lagerung aller im einzelnen tatsächlich geleisteten Überstunden und die genaue Höhe der dafür über das sonstige Arbeitsentgelt hinaus mit den Entlohnungen für diese Überstunden bezahlten Zuschlägen feststünden. Im Streitfall seien keine Vereinbarungen über pauschal abzugeltende Überstunden abgeschlossen worden. Eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben könne nicht darin erblickt werden, daß bei früheren Lohnsteueraußenprüfungen die steuerfreie Auszahlung der Zuschläge nicht beanstandet worden sei. Der Beschwerdeführer meint hingegen, die Forderung, die genaue Anzahl und die zeitliche Lagerung aller Überstunden aufzuzeichnen, komme dann einem überspitzten Formalismus gleich, wenn die Anzahl der über die Normalarbeitszeit hinaus geleisteten Überstunden zweifelsfrei feststehe. Die mit den Arbeitnehmern geschlossenen Vereinbarungen über zu leistende Schichtdienste könnten sehr wohl als solche über pauschal abzugeltende Überstunden angesehen werden. Schließlich habe die Abgabenbehörde den Grundsatz von Treu und Glauben verletzt, weil bei früheren Lohnsteueraußenprüfungen die immer gleich gehandhabte steuerfreie Auszahlung der Zuschläge nicht beanstandet worden sei.

In der vorliegenden Beschwerde wird sowohl inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides als auch dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

In ihrer Gegenschrift beantragt die belangte Behörde, die Beschwerde möge als unbegründet und kostenpflichtig abgewiesen werden.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Aufzeichnung der Überstunden

Wie der Verwaltungsgerichtshof seit dem Jahr 1978 in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat (vgl das hg Erkenntnis vom 2. Juli 1985, Zl 85/14/0031, Slg Nr 6018/F, und die darin zitierte Vorjudikatur), können Zuschläge iS des § 68 Abs 1 EStG nur dann steuerfrei bzw steuerbegünstigt ausbezahlt werden, wenn die genaue Anzahl und zeitliche Lagerung aller im einzelnen tatsächlich geleisteten Überstunden und die genaue Höhe der dafür über das sonstige Arbeitsentgelt hinaus mit den Entlohnungen für diese Überstunden bezahlten Zuschläge feststehen, es sei denn, daß eine steuerlich anzuerkennende Vereinbarung über eine Überstundenpauschalvergütung besteht (siehe unten unter 2.). Dies gilt auch hinsichtlich der an Sonn- und Feiertagen geleisteten Überstunden. Wenn auch der Nachweis der zeitlichen Lagerung der Überstunden grundsätzlich an keine bestimmten Beweismittel gebunden ist, werden diesen Nachweis dann, wenn es wie im Beschwerdefall um eine Vielzahl von Überstunden in mehreren Jahren geht, in aller Regel doch nur zeitnah erstellte Aufzeichnungen zu erbringen vermögen, aus denen hervorgeht, an welchem Tag zu welchen Tagesstunden der einzelne Arbeitnehmer die Überstunden leistete. Nachträgliche Zeugenaussagen und Bestätigungen der Arbeitnehmer können diese Aufzeichnungen im allgemeinen nicht ersetzen. Gleiches gilt für eine nachträgliche Rekonstruktion der zeitlichen Lagerung der Überstunden.

Der Ansicht des Beschwerdeführers, das Verlangen nach derartigen Aufzeichnungen komme dann einem überspitzten Formalismus gleich, wenn die im Jahresdurchschnitt geleisteten Überstunden feststünden, vermag sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anzuschließen. Der Lohnsteuerprüfer war zunächst nicht in der Lage, die Berechnung der Zuschläge auf Grund des vorgelegten Schichtplanes nachzuvollziehen (vgl beispielsweise die Ausführungen in der Berufungsvorentscheidung vom 25. April 1985). Erst auf Vorhalt der belangten Behörde legte der Beschwerdeführer die Berechnungsmodalitäten offen. Dabei ging er jedoch davon aus, daß die im Schichtplan angegebenen Überstunden von jedem Arbeitnehmer tatsächlich geleistet worden seien. Er unterließ es hiebei, die Arbeitszeiten der als Aushilfen beschäftigten Personen sowie seine eigenen in die Berechnung einzubeziehen. Es erscheint auch unwahrscheinlich, daß in einem Zeitraum von drei Jahren keiner der drei Arbeitnehmer jemals krank gewesen wäre. Die belangte Behörde konnte daher zu Recht davon ausgehen, daß die laut Schichtplan zu leistenden Arbeitsstunden nicht den tatsächlich geleisteten entsprechen. Bei dieser Sachlage kann daher das Verlangen der Abgabenbehörde, die Überstunden exakt aufzuzeichnen, nicht als überspitzter Formalismus abgetan werden, weil nur dadurch die Gewähr besteht, daß ausschließlich die für tatsächlich geleistete Überstunden gewährten Zuschläge steuerfrei bleiben. Es geht nicht an, durch nachträgliche Zeugenaussagen und Berechnungen die Anzahl und zeitliche Lagerung geleisteter Überstunden rekonstruieren zu wollen, um so Zuschläge von monatlich 1.400 S für drei Arbeitnehmer durch drei Jahre hindurch als gerechtfertigt ansehen zu können.

2. Überstundenpauschalvergütung

Voraussetzung für die Anerkennung von Überstundenpauschalvergütungen ist (vgl Hofstätter-Reichel, Die Einkommensteuer-Kommentar, § 68, Tz 8, sowie in jüngerer Zeit das hg Erkenntnis vom 13. September 1988, Zl 87/14/0131), daß

a) derartige Pauschalien nach der gegebenen Sachlage wirtschaftlich fundiert sind,

b) an Hand von Aufzeichnungen über die tatsächlich geleisteten Überstunden von Arbeitnehmern in mehreren bereits abgelaufenen Lohnzahlungszeiträumen die gerechtfertigte Höhe der Pauschalien nachgewiesen bzw glaubhaft gemacht wird, wobei gleichbleibende Verhältnisse vorliegen müssen und

c) für den Bereich des Abgabenrechtes anzuerkennende Vereinbarungen über Pauschalien in bestimmter Höhe getroffen worden sind.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde - entgegen der Meinung des Beschwerdeführers - die erst im Berufungsverfahren von den Arbeitnehmern des Beschwerdeführers vorgelegten Erklärungen, die Einhaltung des Schichtplanes sei bereits bei Abschluß des jeweiligen Dienstvertrages vereinbart worden, zu Recht nicht als taugliche Grundlage für die Leistung von Überstundenpauschalvergütu ngen angesehen. Es mag dahingestellt bleiben, ob derartige Pauschalien iS von a) wirtschaftlich fundiert gewesen wären oder nicht. Die vorgelegten Erklärungen können jedoch auf keinen Fall als Vereinbarungen über Pauschalien angesehen werden, weil ihnen im Sinn der obigen Ausführungen unter b) und c) sowohl jegliche Berechnungsgrundlage als auch eine Vereinbarung über die Höhe mangelt.

Bei dieser Sach- und Rechtslage geht die Rüge des Beschwerdeführers, die belangte Behörde hätte auch zu prüfen gehabt, ob nicht etwa anzuerkennende Überstundenpauschalierungen vorlagen, ins Leere, weil - wie eben ausgeführt - die hiefür erforderlichen Erfordernisse von vornherein nicht gegeben waren.

3. Treu und Glauben

Ein Verstoß der Abgabenbehörde gegen den Grundsatz von Treu und Glauben setzt einerseits voraus, daß ein (unrechtes) Verhalten der Behörde, auf das der Abgabepflichtige vertraut hat, eindeutig und unzweifelhaft für ihn zum Ausdruck gekommen ist, anderseits, daß der Abgabepflichtige seine Dispositionen danach eingerichtet und er nur als Folge hievon einen abgabenrechtlichen Nachteil erlitten hat. Dieser Grundsatz ist zB verletzt, wenn der Abgabepflichtige Lohnsteuer für eine Reihe von Jahren und für mehrere Arbeitnehmer einer nach § 90 EStG erteilten Auskunft des Finanzamtes folgend entsprechend einbehält und abführt (vgl das hg Erkenntnis vom 25. Juni 1985, Zl 85/14/0028, Slg Nr 6015/F).

Der Beschwerdeführer meint, daß bereits bei zwei vorangegangenen Lohnsteueraußenprüfungen die Frage der Überstundenabrechnung erörtert und dabei festgestellt worden sei, die Zuschläge seien zu Recht steuerfrei belassen worden. Wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt, wurde die Lohnsteuer zuletzt bis zum Ablauf des Jahres 1980 geprüft. Berichte über frühere Lohnsteueraußenprüfungen befinden sich nicht in den Verwaltungsakten. Die belangte Behörde stellt nicht in Abrede, daß anläßlich der früheren Lohnsteueraußenprüfungen die Überstundenabrechnungen nicht beanstandet worden seien. Nun mag es dahingestellt bleiben, ob die Zuschläge in den Vorjahren zu Recht oder zu Unrecht steuerfrei belassen wurden, weil der Beschwerdeführer aus einer unrechten und auch nicht gerügten Vorgangsweise in den Vorjahren nicht ableiten durfte, daß diese auch in den Folgejahren als richtig angesehen werde. Bis zum Jahr 1978 fehlte es nämlich an einer Rechtsprechung zur Frage, ob für die Steuerfreiheit der Zuschläge auch der Nachweis der zeitlichen Lagerung der tatsächlich geleisteten Überstunden notwendig sei oder nicht. Ein Ausspruch dieses Inhaltes findet sich erstmals im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Feber 1978, Zl 2488/77, Slg Nr 5227/F, mit dem eine entsprechende und darauf folgende ständige Rechtsprechung eingeleitet wurde. Die unterlassene Beanstandung läßt sich mit der Verwaltungspraxis rechtfertigen, die erst auf Grund des eben erwähnten Erkenntnisses geändert wurde. Wenn daher bis zum Ablauf des Jahres 1980 trotz des im Jahr 1978 ergangenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Überstundenverrechnung keine Beanstandung erfolgt ist, so läßt sich dies damit erklären, daß die Abgabenbehörde das Vertrauen des Beschwerdeführers auf die bisherige Verwaltungspraxis noch für den damaligen Prüfungszeitraum berücksichtigt hat. Der Beschwerdeführer durfte daher nicht davon ausgehen, daß er ohne Nachweis der genauen Anzahl und der zeitlichen Lagerung die Überstunden auf Grund eines Schichtplanes auch ab dem Jahr 1981 errechnen konnte (vgl das hg Erkenntnis vom 22. September 1987, Zl 87/14/0079). Der Beschwerdeführer hat für den strittigen Zeitraum auch niemals eine Auskunft iS des § 90 EStG vom Finanzamt der Betriebsstätte verlangt. Ob ihm für Zeiträume nach dem 31. Dezember 1983 eine derartige Auskunft zu Recht oder zu Unrecht verweigert wurde, ist nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Die belangte Behörde hat somit den Grundsatz von Treu und Glauben nicht verletzt, zumal der Beschwerdeführer aus einer - nunmehr von der Abgabenbehörde als unrichtig erkannten - Vorgangsweise keine Rechte für sich ableiten kann.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl Nr 243.

Hinsichtlich der (noch) nicht in der Amtlichen Sammlung enthaltenen zitierten hg Erkenntnisse wird an Art 14 Abs 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl Nr 45/1965, erinnert.

Wien, am 9. Mai 1989

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