VwGH 87/14/0034

VwGH87/14/003419.1.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Hnatek, Dr. Pokorny und Dr. Karger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Mag. Piffl, über die Beschwerde des FS in S, vertreten durch Dr. Wolfgang Broesigke, Rechtsanwalt in Wien VI, Gumpendorfer Straße 14/22, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Salzburg vom 14. Jänner 1987, Zl. 337/1- GA2-DO/86, betreffend Bescheidbehebung gemäß § 299 Abs. 1 lit. c BAO, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §115 Abs1;
BAO §200 Abs1;
BAO §200;
BAO §299 Abs1 idF 1980/151;
BAO §299 Abs1 litc;
BAO §299 Abs2 idF 1980/151;
BAO §299 Abs2;
EStG 1972 §2 Abs4;
BAO §115 Abs1;
BAO §200 Abs1;
BAO §200;
BAO §299 Abs1 idF 1980/151;
BAO §299 Abs1 litc;
BAO §299 Abs2 idF 1980/151;
BAO §299 Abs2;
EStG 1972 §2 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wies in seiner Einkommensteuererklärung für 1984 (Beilage) für das Grundstück A einen Überschuß der Werbungskosten über die Einnahmen von S 633.248,20 aus. Aus einer weiteren Beilage zur Einkommensteuererklärung für 1984 (Hausertragsrechnung) geht hervor, daß auf dem vom Beschwerdeführer 1983 erworbenen Grundstück A in den Jahren 1983 und 1984 ein Mietobjekt (Wohnhaus) errichtet worden ist. Die Hausertragsrechnung spricht von einer "Vermietung ab 1985" und wirft für das Streitjahr 1984 an Einnahmen lediglich eine Betriebskosten-Akontozahlung von S 1.400,-- aus, der Werbungskosten von S 634.648,20 gegenüberstehen.

Das Finanzamt berücksichtigte in dem Einkommensteuerbescheid vom 30. Juli 1986 den erklärten Werbungskostenüberschuß aus dem Grundstück A. Weiters trug es im Umsatzsteuerbescheid vom 23. Juli 1986 den in der Umsatzsteuererklärung für 1984 ausgewiesenen Vorsteuern voll Rechnung.

Aufgrund einer Feststellung von Beteiligungseinkünften des Beschwerdeführers gemäß § 188 BAO erließ das Finanzamt im Hinblick auf § 295 BAO mit Datum 23. Oktober 1986 einen neuen Einkommensteuerbescheid für 1984, dem ebenfalls der Werbungskostenüberschuß aus dem Grundstück A von S 633.248,20 zugrunde lag.

Mit dem angefochtenen Bescheid behob die belangte Behörde die Bescheide des Finanzamtes gemäß § 299 Abs. 1 lit. c BAO. Diese Bescheidbehebung ist folgendermaßen begründet:

In Anbetracht der Höhe des 1984 erlittenen Verlustes im Rahmen der Vermietung des Objektes A erhebt sich die Frage, ob diese Tätigkeit auf Dauer gesehen Gewinne erwarten läßt und somit als Einkunftsquelle in Betracht kommt. Andernfalls liegt einkommensteuerlich unbeachtliche Liebhaberei vor, mit der Konsequenz, daß daraus resultierende Verluste und etwaige Zufallsgewinne steuerlich unberücksichtigt bleiben. Umsatzsteuerlich gilt Liebhaberei nicht als Unternehmertätigkeit.

Gemäß § 200 BAO kann die Abgabenbehörde Abgaben vorläufig festsetzen, wenn die Abgabepflicht zwar ungewiß, aber wahrscheinlich oder wenn der Umfang der Abgabepflicht noch ungewiß ist. Da noch Ungewißheit darüber herrscht, ob das Mietobjekt A als Einkunftsquelle in Betracht kommt, hätte das Finanzamt bei richtiger Ermessensübung hinsichtlich der Umsatz- und Einkommensteuer für das Kalenderjahr 1984 nur vorläufige Veranlagungen im Sinne des § 200 BAO durchführen dürfen. Wegen Mißachtung dieser Verfahrensvorschrift werden daher die im Spruch genannten Bescheide in Ausübung freien Ermessens aufgehoben.

Abschließend enthält die Begründung des angefochtenen Bescheides die Erwägungen, die es nach Ansicht der belangten Behörde rechtfertigten, das ihr in § 299 BAO eingeräumte Ermessen im Sinne der Bescheidbehebung auszuüben.

Vorliegende Beschwerde macht sowohl inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides als auch dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

In ihrer Gegenschrift beantragt die belangte Behörde die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Beschwerdeführer gab zur Gegenschrift eine Stellungnahme ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die belangte Behörde meint, das Finanzamt hätte bei richtiger Ermessensübung eine vorläufige Veranlagung durchführen müssen, "da noch Ungewißheit darüber herrscht, ob das Mietobjekt A als Einkunftsquelle in Betracht kommt".

Würde tatsächlich noch Ungewißheit über die Ertragsfähigkeit des Mietobjektes A herrschen, so müßte bei dem von der belangten Behörde vertretenen Standpunkt eine vorläufige Veranlagung erfolgen, ohne daß es weiterer Verfahrensschritte des Finanzamtes bedürfte. Der Vorwurf, wegen der Ungewißheit der Ertragsfähigkeit wäre vorläufig zu veranlagen gewesen, hat daher in Wahrheit keine Verfahrensrüge, sondern eine Rechtsrüge zum Inhalt. Deren Berechtigung hinge davon ab, ob die Ungewißheit der Ertragsfähigkeit sachverhaltsmäßig feststeht (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 25. Mai 1971, Zl. 1275/69, Slg. Nr. 4235/F, vom 12. Jänner 1978, Zl. 1374/77, Slg. Nr. 5209/F, und vom 11. Juni 1987, Zl. 87/16/0024). Dies trifft aus folgenden Gründen nicht zu:

Die vorläufige Veranlagung sollte der Möglichkeit Rechnung tragen, daß das Mietobjekt A keine Einkunftsquelle bildet (siehe auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Februar 1985, Zl. 83/13/0056 ff). Die Eignung, eine Einkunftsquelle zu bilden, steht bei einem Mietobjekt aber erst in Frage, wenn es auf Dauer gesehen keinen Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten erwarten läßt. Die Möglichkeit eines Einnahmenüberschusses kann grundsätzlich erst nach Ablauf eines mehrjährigen Beobachtungszeitraumes beurteilt werden. Ausnahmsweise kann sich die Möglichkeit oder Notwendigkeit, über die Ertragsfähigkeit einer Tätigkeit (eines Mietobjektes) abzusprechen, allerdings auch schon nach einem Jahr oder gar noch vor Aufnahme der Tätigkeit (hier Vermietungstätigkeit) ergeben (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. November 1979, Zl. 2846/78, und vom 19. Februar 1985, Zl. 84/14/0079). In allen Fällen kommt es aber darauf an, ob - und sei es auch nur vorausschauend (prognostizierend) - auf Dauer gesehen Einnahmenüberschüsse zu erwarten sind. Ein, wenn auch hoher Verlust eines Jahres allein läßt diese Frage noch nicht verneinen, weil entsprechend hohe Einnahmen in den Folgejahren durchaus auf Dauer gesehen Einnahmenüberschüsse herbeiführen können. Stellt aber der (wenn auch hohe) Verlust für sich allein die Ertragsfähigkeit eines Mietobjektes noch nicht in Frage, so läßt er für sich allein auch die Abgabepflicht (ihren Umfang) nicht als im Sinne des § 200 Abs. 1 BAO ungewiß erscheinen. Dies zeigt auch die Überlegung, daß nicht nur ein hoher Verlust, sondern auch ein hoher Einnahmenüberschuß (Gewinn) eines Jahres nicht ausschließt, daß ein Mietobjekt (eine Tätigkeit) auf Dauer gesehen nicht ertragsfähig ist, nämlich dann nicht, wenn in den Folgejahren hohe Aufwendungen zu laufenden Werbungskostenüberschüssen (Verlusten) führen. Es müßte daher letztlich zu Beginn einer Tätigkeit bei jedem Ergebnis - ob Einnahmenüberschuß (Gewinn) oder Werbungskostenüberschuß (Verlust) - die Ertragsfähigkeit als "ungewiß" angesehen werden. Dem Begriff der "Ungewißheit" des § 200 Abs. 1 BAO kann dieses Verständnis jedoch nicht zugrunde gelegt werden. Denn wenn auch die Abgabepflicht gemäß § 200 Abs. 1 BAO zwar noch ungewiß ist, so muß sie doch nach dem Gesetz wahrscheinlich sein. Es genügt also nicht, daß die (höhere) Abgabepflicht wegen Nichtausgleichsfähigkeit eines aus "Liebhaberei" erlittenen "Verlustes" möglich ist, sondern sie muß wahrscheinlich sein. Ein, wenn auch hoher Verlust eines Jahres allein läßt aber "Liebhaberei" lediglich möglich, für sich aber noch nicht wahrscheinlich erscheinen. Wahrscheinlichkeit (noch immer aber keine Gewißheit) tritt erst ein, wenn zu Beginn einer Tätigkeit die prognostizierte Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben (Aufwendungen) auf Dauer gesehen einen Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten (oder Gewinne) nicht erwarten läßt. Feststellungen in diese Richtung hat die belangte Behörde jedoch nicht getroffen. Es ist für sie somit auch daraus nichts zu gewinnen, wenn entgegen dem Spruch des angefochtenen Bescheides dem Wortlaut der Begründung entsprechend unterstellt wird, daß der angefochtene Bescheid den Bescheiden des Finanzamtes (auch) inhaltliche Rechtswidrigkeit vorwirft.

2. Spruch und Begründung im Zusammenhalt gesehen, ließe sich der angefochtene Bescheid auch so verstehen, daß die belangte Behörde in Anbetracht der Höhe des 1984 beim Mietobjekt A erlittenen Verlustes (Werbungskostenüberschusses) Ermittlungen des Finanzamtes darüber vermißt, ob das Mietobjekt als Einkunftsquelle in Betracht kommt und ob nicht wegen der fraglichen Ertragsfähigkeit des Mietobjektes eine vorläufige Veranlagung hätte erfolgen müssen. Dieses Verständnis läßt den angefochtenen Bescheid ebenfalls nicht als rechtmäßig erscheinen. Kann doch nicht unterstellt werden, daß dem Finanzamt der Verlust in seiner geltend gemachten Höhe entgangen ist, zumal ja der Verlust beiden Einkommensteuerbescheiden für 1984 zugrunde gelegt wurde. Das Finanzamt hat also die selbständige rechtliche Beurteilung des Erscheinungsbildes überhaupt unterlassen, indem es sich unkritisch bezüglich der Abzugsfähigkeit (Ausgleichsfähigkeit) des aus dem Mietobjekt A 1984 angefallenen Werbungskostenüberschusses der rechtlichen Beurteilung durch den Abgabepflichtigen anschloß. Eine solche Vorgangsweise kann aber, wie der Verwaltungsgerichtshof in dem vom Beschwerdeführer zu Recht ins Treffen geführten Erkenntnis vom 3. April 1984, Zl. 81/14/0143, darlegte, ebenso wie eine unrichtige rechtliche Beurteilung nur zu einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des betreffenden Bescheides führen. Handelt es sich doch bei derartigen Mängeln um das Fehlen bzw. um die Fehlerhaftigkeit eines Denkprozeßes, der jenen Schritt der behördlichen Willensbildung kennzeichnet, in dem der festgestellte Sachverhalt auf seine Tatbestandsmäßigkeit hin untersucht wird. Ein Verfahrensmangel kann der Abgabenbehörde in diesem Stadium der Rechtsfindung nicht unterlaufen. Dies hat die belangte Behörde offensichtlich als Folge eines Rechtsirrtums in erster Linie verkannt.

Der Behebung der beiden hier in Rede stehenden Bescheide des Finanzamtes durch die belangte Behörde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit hätte jedoch, wie schon in Punkt 1. aufgezeigt, eine Abklärung des Sachverhaltes durch die belangte Behörde selbst vorangehen müssen. Abgesehen davon zeigt der angefochtene Bescheid aus den in Punkt 1 dargestellten Gründen nicht mehr als die Möglichkeit inhaltlicher Rechtswidrigkeit der Bescheide des Finanzamtes auf, was nach dem Erkenntnis Zl. 81/14/0143 eine Bescheidbehebung gemäß § 299 Abs. 2 BAO noch nicht rechtfertigt.

3. Die Ausführungen zu den Punkten 1. und 2. bedeuten allerdings nicht, daß nicht auch Abgabenbescheide deshalb gemäß § 299 Abs. 1 lit. c BAO behoben werden können, weil das Finanzamt prüfen hätte müssen, ob nicht wegen wahrscheinlicher "Liebhaberei" eine vorläufige Veranlagung geboten war. Dies zeigen auch die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. September 1986, Zl. 86/14/0063, und vom 21. Oktober 1986, Zl. 86/14/0138. Die Bescheidbehebungen dürfen sich allerdings nicht nur auf den vom Finanzamt in unrichtiger oder fehlender rechtlicher Wertung anerkannten Verlust stützen. Wenn eine Abgabenbehörde einen Bescheid gemäß § 299 Abs. 1 lit. c BAO aus dem Rechtsbestand beseitigen will, hat sie vielmehr konkret jene Verfahrensmängel darzutun, deren Vermeidung zu einem anderslautenden Bescheid hätte führen können. Bei einer wegen "Liebhaberei" in Betracht kommenden vorläufigen Veranlagung können insbesondere aktenkundige Daten über die Erfolgsentwicklung, aber auch sonstige Kenntnisse über höchstens zu erzielende Einnahmen und mindestens anfallende Aufwendungen oder überhaupt die erkennbare Notwendigkeit, unter Mitwirkung des Abgabepflichtigen die künftige Erfolgsentwicklung abzuschätzen, eine Bescheidbehebung wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften rechtfertigen. Der angefochtene Bescheid läßt jedenfalls nicht erkennen, welche weiteren Ermittlungen des Finanzamtes die belangte Behörde vermißt. In der Gegenschrift ist sogar davon die Rede, daß die bestehende Ungewißheit im Zeitpunkt der Veranlagung auch durch weitere Erhebungen nicht zu beseitigen gewesen wäre.

4. Aus dem in Punkt 2. aufgezeigten Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG und die Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 19. Jänner 1988

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