VwGH 87/11/0238

VwGH87/11/023819.2.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Dorner, Dr. Waldner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des FV in Mannheim, BRD, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth, Rechtsanwalt in Wien I, Petersplatz 3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 3. September 1987, Zl. MA 70-8/377/87, betreffend Feststellung über die Ausübung einer ausländischen Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

JN §66 Abs1;
KFG 1967 §64 Abs5;
StbG 1965 §5;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.930,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 20. Juli 1987 stellte die Bundespolizeidirektion Wien gemäß § 64 Abs. 5 KFG 1967 in der Fassung der 7. Novelle, BGBl. Nr. 631/1982, fest, daß der Beschwerdeführer - ein Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland - nicht das Recht habe, von seinem "deutschen Führerschein, Zl. LNr. 6311/82, erteilt am 7.5.1982 von der Stadt Mannheim für die Kl. I, II, III, auf dem Gebiet der Republik Österreich Gebrauch zu machen". Begründend wurde ausgeführt, daß der Beschwerdeführer seit 30. Dezember 1983 seinen "Ständigen Wohnsitz in Österreich" habe.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Berufung "wegen unangebrachten Sachbestandes und falscher Auskunft, erhalten Fremdenpolizei Beckergasse".

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichte Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 64 Abs. 5 KFG 1967 in der Fassung der 7. Novelle ist das Lenken eines Kraftfahrzeuges aufgrund einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung durch Personen mit dem ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet zulässig, wenn seit der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Bundesgebiet nicht mehr als ein Jahr verstrichen ist; § 79 Abs. 3 bleibt unberührt. Gemäß § 79 Abs. 3 leg. cit. können Personen, die sowohl im Bundesgebiet als auch im Ausland einen ordentlichen Wohnsitz haben, von einem ausländischen Führerschein, der vom Staat ihres Wohnsitzes ausgestellt ist, im Bundesgebiet Gebrauch machen, wenn sie eine Bestätigung der Behörde, in deren örtlichem Wirkungsbereich der Wohnsitz liegt, vorweisen, in der das Vorliegen eines Doppelwohnsitzes festgestellt wird. Solche Bestätigungen sind auf Antrag jeweils nur für die Dauer eines Jahres auszustellen. Personen ohne ordentlichen Wohnsitz im Inland können nach Maßgabe der §§ 84 ff. leg. cit. aufgrund ihrer ausländischen Lenkerberechtigung Kraftfahrzeuge im Inland lenken.

Der Beschwerdeführer bestreitet, in Österreich einen ordentlichen Wohnsitz zu besitzen. Er studiere an der Universität Mannheim und an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er sei zwar an einer Wiener Adresse polizeilich gemeldet, diese "Behausung" stelle aber nur eine "Schlafgelegenheit" dar, "weil die tägliche Rückfahrt aufgrund der Entfernung nicht möglich" sei.

Die belangte Behörde stützte ihre Annahme, der Beschwerdeführer habe in Wien einen ordentlichen Wohnsitz, auf die polizeiliche Meldung und auf die Tatsache, daß er sich in Wien vor dreieinhalb Jahren niedergelassen habe, um hier zu studieren.

Als ordentlicher Wohnsitz ist jener Ort anzusehen, an dem sich die betreffende Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, ihn bis auf weiteres zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu wählen; hiebei ist es unerheblich, ob die Absicht darauf gerichtet war, für immer an diesem Ort zu bleiben. Dieser Begriff nach § 66 Abs. 1 JN und nach § 5 Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 ist auch zur Auslegung derjenigen Bestimmungen des Kraftfahrgesetzes 1967 heranzuziehen, in denen vom "ordentlichen Wohnsitz" die Rede ist. Eine Person kann auch mehrere ordentliche Wohnsitze in diesem Sinn haben (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 1982, Zl. 82/11/0054).

Die Meldung nach dem Meldegesetz ist für die Beurteilung, wo eine Person ihren ordentlichen Wohnsitz hat, nicht entscheidend. Es mag zutreffen, daß die Absolvierung eines Hochschulstudiums ein gewichtiges Indiz dafür darstellt, daß der Studierende am Studienort einen ordentlichen Wohnsitz hat. Es ist aber auf der anderen Seite die Absolvierung eines Hochschulstudiums nicht notwendigerweise mit der Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes am Studienort verbunden. So kann - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift richtig erkennt - aus der bloßen Immatrikulation für die Lösung der vorliegenden Frage nichts gewonnen werden.

Wenn die belangte Behörde lediglich aus den Tatsachen der polizeilichen Meldung und der Immatrikulation an einer inländischen Universität auf einen ordentlichen Wohnsitz im Inland geschlossen hat, hat sie die Rechtslage verkannt. Wenngleich der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren bei seiner einzigen Äußerung, nämlich in seiner Berufung, keine konkreten Behauptungen aufgestellt hat, so hat er doch der Sache nach vorgebracht, daß der erstinstanzliche Bescheid auf unrichtigen Sachverhaltsannahmen beruhe. Dies hätte die belangte Behörde veranlassen müssen, in eine Prüfung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes einzutreten. Insbesondere hätte sie den Beschwerdeführer auffordern müssen, konkrete Behauptungen darüber aufzustellen und diese zu belegen. Entgegen der in der Gegenschrift vertretenen Auffassung handelt es sich dabei nicht nur um die rechtliche Würdigung eines Sachverhaltes, sondern um dessen Ermittlung und Feststellung. Der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt ist für eine abschließende rechtliche Würdigung noch unzureichend.

Da die belangte Behörde - ausgehend von einer unrichtigen Rechtsaufassung - den Sachverhalt in wesentlichen Punkten unvollständig belassen und Verfahrensvorschriften verletzt hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätten kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Hinsichtlich der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes wird an Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 19. Februar 1988

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