VwGH 87/11/0161

VwGH87/11/016121.6.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des WK in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in Wien VI, Mariahilferstraße 49/28, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 3. Juni 1987, Zl. MA 12‑11770/87A, betreffend Einstellung der Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes nach dem Wiener Sozialhilfegesetz, zu Recht erkannt:

Normen

SHG Wr 1973 §32 Abs1
SHG Wr 1973 §8 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1987110161.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit die dem Beschwerdeführer zuerkannte monatliche Geldleistung rückwirkend, nämlich „per 1.10.1983“, eingestellt wird, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer bezog auf Grund einer durch einen Impfschaden verursachten dauernden Invalidität seit 1975 monatlich wiederkehrende Geldleistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes im Sinne des § 13 des Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG). Mit Bescheid des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 30. Oktober 1986 wurden dem Beschwerdeführer gemäß § 2 Abs. 1 lit. a bis c des Impfschadengesetzes beginnend ab 1. Oktober 1983 monatlich wiederkehrende Geldleistungen in Form einer Beschädigtenrente (in einem die von der Sozialhilfebehörde bezogenen Leistungen übersteigenden Betrag) und in Form einer Pflegezulage der Stufe I zuerkannt.

Unter Hinweis auf die Gewährung einer Beschädigtenrente ab 1. Oktober 1983 wurde mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 10. Februar 1987 „gemäß den §§ 8, 12 und 13 des Wiener Sozialhilfegesetzes, LGBl. für Wien Nr. 11/73, ... von amtswegen die zuletzt mit Bescheid vom 17.2.1975 Herrn WK zuerkannte monatliche Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes per 1.10.1983 eingestellt ...“. Gemäß § 64 Abs. 2 AVG 1950 wurde die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen. Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 3. Juni 1987 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den genannten Bescheid abgewiesen und die erstbehördliche Entscheidung bestätigt.

In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde geht, wie schon die Erstbehörde, davon aus, daß dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 30. Oktober 1986 monatlich wiederkehrende Geldleistungen nach dem Impfschadengesetz zuerkannt wurden. Sie beruft sich bei ihrer Entscheidung, die bisher gewährte Geldleistung nach dem Wiener Sozialhilfegesetz einzustellen, auf den Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe, der sich aus § 8 Abs. 1 WSHG ergebe.

Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, es handle sich bei der durch Bescheid des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 30. Oktober 1986 zuerkannten Dauerleistung um einen Schadenersatz. Im Sinne der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der „Vorteilsausgleichung“ (§ 1312 ABGB) seien die nach dem Wiener Sozialhilfegesetz bezogenen Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nicht anrechenbar, sie seien daher auch nicht rückforderbar. Diese Geldleistung sei sohin zu Unrecht rückwirkend „aberkannt“ worden. In billiger Anwendung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wäre die Sozialhilfeleistung ab 1. November 1986 und nicht, wie hier geschehen, rückwirkend ab 1. Oktober 1983 einzustellen gewesen.

Dazu ist zunächst festzuhalten, daß der normative Inhalt des angefochtenen Bescheides sich in der „Einstellung“ der bisher gewährten wiederkehrenden Geldleistung nach dem Wiener Sozialhilfegesetz erschöpft; das ergibt sich aus dem klaren Wortlaut des mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten und damit übernommenen Spruches des erstinstanzlichen Bescheides. Eine Pflicht zur Rückzahlung wurde dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid nicht auferlegt. In der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides heißt es auch ausdrücklich, daß „über die Rückforderung des Überbezuges“ ein weiterer Bescheid ergehen werde. Es trifft daher entgegen dem Vorbringen in der Gegenschrift der belangten Behörde nicht zu, daß der angefochtene Bescheid sich auf die (die Ersatzpflicht des Empfängers der Hilfe regelnde) Bestimmung des § 26 Abs. 1 WSHG stützt. Damit gehen alle Beschwerdeausführungen, soweit sie die Rückforderbarkeit der dem Beschwerdeführer erbrachten Sozialhilfeleistungen zum Gegenstand haben, von vornherein ins Leere.

Zum Einwand der Unzulässigkeit der „rückwirkenden“ Einstellung ist zunächst zu bemerken: Das Wiener Sozialhilfegesetz kennt zwar den Begriff “Einstellung“ (§ 32 Abs. 1), enthält aber keine ausdrücklichen Regelungen über die Einstellung von Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes nach seinem zweiten Abschnitt; um eine solche Leistung, nämlich um Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 12 WSHG, handelte es sich bei der dem Beschwerdeführer gewährten wiederkehrenden Geldleistung gemäß § 13 leg. cit. Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes hat gemäß § 8 Abs. 1 WSHG, „wer den Lebensbedarf ... nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält“. Daraus ergibt sich, wie die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides zu Recht ausführt, der Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe. Dieser Grundsatz kommt im übrigen ganz allgemein in der Umschreibung der Aufgabe der Sozialhilfe im § 1 Abs. 1 WSHG zum Ausdruck, nämlich jenen Menschen die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen. Aus dem Gesagten folgt, daß ein Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes bei Wegfall der im § 8 Abs. 1 normierten Voraussetzungen nicht mehr besteht und deshalb - von dem hier nicht zu erörternden Ausnahmefall des § 4 zweiter Satz WSHG abgesehen - eine bisher gewährte Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes, sohin auch eine wiederkehrende Geldleistung gemäß § 13 WSHG, einzustellen ist.

Der Beschwerdeführer vermag unbestritten seinen Lebensbedarf, zu dessen Deckung er auf die Sozialhilfe angewiesen war, aus den ihm mit Bescheid des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 30. Oktober 1986 zuerkannten wiederkehrenden Geldleistungen nach dem Impfschadengesetz zu befriedigen. Daher entspricht die Einstellung der ihm bisher gewährten monatlichen Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes dem Gesetz. Hiebei ist ohne Belang, ob die in Rede stehenden Leistungen nach dem Impfschadengesetz als „Schadenersatz“ anzusehen sind, weil im vorliegenden normativen Zusammenhang auf eine derartige Qualifikation nicht abgestellt wird.

Der Beschwerdeführer wendet sich allerdings erkennbar nicht gegen die Einstellung der bisher gewährten Sozialhilfe an sich, sondern vielmehr dagegen, daß dies „rückwirkend“ erfolgte. Er ist insofern im Recht. Das Wiener Sozialhilfegesetz kennt keine „rückwirkende“ Einstellung von Sozialhilfeleistungen; auch ist die „Einstellung“ bereits erbrachter Leistungen schon begrifflich ausgeschlossen (siehe das zur vergleichbaren Rechtslage nach dem Tiroler Sozialhilfegesetz ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Jänner 1987, Zl. 86/11/0160). Daher hätte die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid insoweit ändern müssen, als mit diesem auch für die Zeit vor seiner Erlassung (am 13. Februar 1987) - also insoweit „rückwirkend“ - die Einstellung der dem Beschwerdeführer gewährten Sozialhilfeleistung ausgesprochen wurde. Da sie dies unterließ, hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid in dem angegebenen Umfang mit Rechtswidrigkeit belastet. Er war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Im übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 21. Juni 1988

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