Normen
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
AVG §71 Abs1;
AVG §71 Abs2;
AVG §72 Abs4;
VwGG §46 Abs1 impl;
VwGG §46 impl;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1987:1987100049.X00
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
In einem über Antrag der Beschwerdeführerin eingeleiteten Feststellungsverfahren gemäß § 5 des Forstgesetzes 1975 gab der Landeshauptmann von Kärnten mit Bescheid vom 18. Februar 1986 der Berufung der Beschwerdeführerin "keine Folge"; zugleich änderte er jedoch den vor ihm bekämpften Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom 21. Jänner 1985 teilweise ab. Der Berufungsbescheid wurde der Beschwerdeführerin am 21. März 1986 zugestellt.
Mit Datum 21. April 1986 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen den besagten Berufungsbescheid; gleichzeitig legte sie die Berufung (Schriftsatz vom 1. April 1986) vor. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsbegehrens führte die Beschwerdeführerin aus, sie habe fristgerecht am 1. April 1986 das Rechtsmittel der Berufung ausgearbeitet. Schon vor deren Fertigstellung habe sie mit Dipl.- Ing. WM, Zivilingenieur für Forst- und Holzwirtschaft, vereinbart, daß zu den unrichtigen Luftbildvermutungen des Amtssachverständigen ein Gegengutachten erstellt werden solle. Ein Entwurf hievon sei im Berufungsvorbringen bereits verarbeitet worden. Da Dipl.-Ing. WM sein Gutachten nochmals habe ergänzen bzw. neu schreiben lassen wollen, habe sie ihm das Original-Exemplar ihrer Berufung fertig kuvertiert und frankiert mit dem Ersuchen übergeben, es samt der Reinschrift seines Gutachtens fristgerecht - spätestens am 4. April 1986 - postalisch abfertigen zu lassen. Auch seien von ihr bereits die erforderlichen Stempelmarken aufgeklebt und der Aufgabeschein geschrieben worden. Zu ihrem großen Entsetzen habe sie dann am 16. April 1986 den (in Kopie beigelegten) Brief des Dipl.-Ing. WM vom 14. April 1986 erhalten, wonach dieser zufolge seiner durch besondere Umstände bewirkten Überlastung usw. die Berufungsfrist versäumt hatte. Es sei für die Beschwerdeführerin völlig unvorhersehbar gewesen, daß das seriöse und leistungsfähige Zivilingenieur-Büro des Dipl.-Ing. WM die in Gesprächen und in der Korrespondenz klar zum Ausdruck gebrachte Frist 4. April 1986 versäumen würde. In dem erwähnten Brief des Dipl.-Ing. WM vom 14. April 1986 teilte dieser der Beschwerdeführerin mit, es sei durch einen von ihm persönlich verursachten Fehler in seiner Kanzlei der Absendetermin für die Berufung um eine Woche verspätet wahrgenommen worden. Das Versäumnis sei durch Terminüberlastung wegen eines Waldankaufes verursacht worden.
Der Wiedereinsetzungsantrag wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom 15. Juli 1986 gemäß §§ 71 und 72 AVG 1950 als unbegründet abgewiesen. Die Beschwerdeführerin habe Dipl.-Ing. WM mit der rechtzeitigen Einbringung der Berufung beauftragt. Das verspätete Einbringen derselben falle der Beschwerdeführerin zur Last, weil der Vertretene grundsätzlich für Handlungen und Unterlassungen seines Vertreters einzustehen habe. Die durch "besondere Umstände bewirkte Überlastung usw." könne die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht rechtfertigen.
In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin unter Vorlage eines weiteren Schreibens des Dipl.-Ing. WM "ergänzend" vor, dieser sei am 4. April 1986 (dem letzten Tag der Berufungsfrist) unvorhergesehen an einem fiebrigen Brechdurchfall erkrankt, der es ihm unmöglich gemacht habe, "sein WC/Badezimmer zu verlassen".
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 15. September 1986 wurde der Berufung keine Folge gegeben. In der Begründung wurde ausgeführt, Dipl.-Ing. WM könne im weitesten Sinne als Erfüllungsgehilfe angesehen werden. Nach ständiger Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtshofes könne ein Fehler oder Versehen eines Erfüllungsgehilfen nicht als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis angesehen werden. Das Berufungsvorbringen hinsichtlich der Erkrankung des Dipl.-Ing. WM sei im Hinblick auf dessen Aussage in seinem Schreiben vom 14. April 1986 nicht glaubhaft. Auch wäre es dem Genannten ungeachtet seiner Erkrankung möglich gewesen, im Wege seiner Kanzlei oder seiner Ehefrau die Übergabe des fertigen Berufungsschriftsatzes an die Post zu veranlassen. Schließlich wäre es der Beschwerdeführerin möglich gewesen, sich telefonisch zu vergewissern, ob das Schriftstück rechtzeitig zur Post gegeben worden sei. Darin, daß die Beschwerdeführerin sich darum nicht weiter gekümmert habe, sei ein fahrlässiges Verhalten der Beschwerdeführerin zu erblicken.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung rügte die Beschwerdeführerin das Unterbleiben von Ermittlungen und Feststellungen über die Erkrankung des Dipl.-Ing. WM. Auch sei im Unterlassen eines Anrufes bei dem Genannten kein fahrlässiges Verhalten ihrerseits zu erblicken. Sie habe nämlich bei Dipl.- Ing. M. als einem berufsmäßig zur Besorgung fremder Angelegenheiten verpflichteten, außergewöhnlich gewissenhaften Zivilingenieur nach der Erfahrung eines Durchschnittsmenschen davon ausgehen können, er werde die ihm erteilte Weisung zuverlässig ausführen. Im übrigen hätten sie wie auch ihr Ehemann am 4. April 1986 wiederholt - leider ergebnislos - versucht, telefonisch Kontakt mit Dipl.-Ing. WM aufzunehmen.
Diese Berufung wies der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §§ 66 Abs. 4 und 71 AVG 1950 ab. Den Ausführungen im Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 15. September 1986 werde vollinhaltlich beigepflichtet. Dieser habe im übrigen zu Recht weitere Erhebungen zum Thema Erkrankung des Dipl.-Ing. WM unterlassen, weil sie zu keinem anderen Ergebnis geführt hätten. Unglaubwürdig sei nicht nur die erstmals nach Zustellung des Bescheides der Erstbehörde aufgestellte Behauptung einer plötzlichen Erkrankung des Genannten, sondern auch, daß diese es ihm unmöglich gemacht habe, für die rechtzeitige Postaufgabe der Berufung zu sorgen. Desgleichen sei unglaubwürdig, daß die Beschwerdeführerin (und ihr Ehemann) am 4. April 1986 wegen der behaupteten "Ereignisse" Dipl.-Ing. WM nicht hätten erreichen können und daß sie, hätten sie davon Kenntnis gehabt, nach Villach "gerast" wären, um den Termin einzuhalten. Aber selbst wenn dieses Vorbringen zutreffen sollte, sei die Reaktion auf das Nichtmelden des Sachverständigen unrichtig gewesen, weil die Beschwerdeführerin in diesem Fall mit dem nicht rechtzeitigen Einbringen der Berufung rechnen und vorsorglich eine Durch- oder Zweitschrift der Berufung hätte zur Post geben müssen.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend; sie beantragt deshalb die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 ist unter anderem gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle muß der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Woche nach Aufhören des Hindernisses gestellt werden.
Die Beschwerdeführerin rügt als Verletzung von Verfahrensvorschriften das Unterbleiben von Ermittlungen und Feststellungen über die Art, Intensität und Dauer der plötzlichen Erkrankung des Dipl.-Ing. WM; dieser Mangel verhindere eine zutreffende rechtliche Beurteilung der Frage, ob den Genannten ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Berufungsfrist treffe. Mit dieser Verfahrensrüge vermag die Beschwerdeführerin keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun, weil, wie noch auszuführen sein wird, Dipl.-Ing. WM nicht als Vertreter fungiert hat und deshalb sein (allfälliges) Verschulden an der Nichteinhaltung der Berufungsfrist die Beschwerdeführerin nur unter der Voraussetzung eines ihr unterlaufenen Auswahl- und/oder Überwachungsverschuldens treffen konnte.
Inhaltlich rechtswidrig sei - so die Beschwerde weiter - der angefochtene Bescheid, weil die Beschwerdeführerin selbstverständlich davon habe ausgehen dürfen, daß ein berufsmäßig zur Besorgung fremder Angelegenheiten Verpflichteter, wie etwa ein beeideter Zivilingenieur, ihm erteilte Weisungen auf alle Fälle zuverlässig ausführe. Eine andere Auffassung wäre offenkundig unrichtig. Übergebe nun eine Partei einem Zivilingenieur eine Berufung zur fristgerechten Weiterleitung und nehme dieser - wie im Beschwerdefall - den Auftrag vorbehaltlos an, so falle der Partei kein Verschulden zur Last, wenn der Sachverständige - aus welchen der Partei nicht bekanntgewordenen Gründen immer - den Auftrag gleichwohl nicht fristgerecht ausführe.
Bei der Beurteilung dieses Vorbringens ist davon auszugehen, daß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Verschulden des Vertreters (im Sinne des § 12 AVG) einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist (Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Jänner 1977, Slg. Nr. 9226/A). Das Verschulden (Mitverschulden) von Personen, die nicht Vertreter der Partei sind (z.B. Bedienstete der Partei oder des Vertreters, Erfüllungsgehilfen, Boten), an der Fristversäumung ist dann der Partei zuzurechnen, wenn es die Partei (der Vertreter) bei der Auswahl dieser Personen und/oder ihrer Überwachung an der zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Sorgfalt hat fehlen lassen (Erkenntnis vom 29. Mai 1985, Zlen. 84/11/0187, 0189, 0191, 0194, 0196, 0197, mit weiteren Judikaturhinweisen). Wie der Verwaltungsgerichtshof im zuletzt zitierten Erkenntnis (in Gegenüberstellung zur Funktion eines Boten) ausführlich dargetan hat, gibt ein Vertreter im Sinne des § 12 AVG 1950 anstelle des Vertretenen und mit Wirkung für diesen eine eigene Erklärung ab, er bildet selbst den Willen, er "vollzieht das Geschäft"; der Vertreter hat also ein mehr oder weniger großes Maß an Entscheidungsfreiheit.
Nach dem hier allein maßgeblichen Vorbringen der Beschwerdeführerin innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist hat sie Dipl.-Ing. WM ersucht, die von ihr mit Datum 1. April 1986 verfaßte, kuvertierte und frankierte Berufung innerhalb der ihm angegebenen Frist zur Post zu geben. Damit kam dem Genannten - in bezug auf die Berufung - nicht die Stellung eines Vertreters sondern eines Boten zu. Daran vermag der Zusatzauftrag, der Berufung die Reinschrift eines von ihm verfaßten Gutachtens anzuschließen, nichts zu ändern, weil dieses als bloßes Beweismittel auch noch nach Ablauf der Berufungsfrist hätte nachgereicht werden können. Daher hat die belangte Behörde die Rechtslage insofern verkannt, als sie die Säumigkeit des nicht als Vertreter fungierenden (von der belangten Behörde in Übereinstimmung mit dem Landeshauptmann von Kärnten als Erfüllungsgehilfe bezeichneten) Dipl.-Ing. WM im Sinne der nur Vertreter (§ 12 AVG 1950) betreffenden Rechtsprechung einer von der Beschwerdeführerin selbst verschuldeten Säumigkeit gleichgehalten hat.
Dieses Verkennen der Rechtslage führt jedoch im Hinblick auf die weitere Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zu dessen Aufhebung. Dieser (im Wege der Verweisung auf den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 15. September 1986 übernommenen) Begründung zufolge liege ein (eigenes) Verschulden der Beschwerdeführerin an der Fristversäumung darin, daß sie es unterlassen habe, sich allenfalls fernmündlich davon zu überzeugen, ob Dipl.-Ing. WM ihrem Auftrag entsprochen habe. Der Sache nach wirft die belangte Behörde damit der Beschwerdeführerin die Außerachtlassung der gebotenen Überwachungspflicht vor.
§ 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 enthält das Gebot, schon im Antrag auf Wiedereinsetzung den Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft zu machen, das heißt zumindest die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens des behaupteten Ereignisses und das Nichtvorliegen eines Verschuldens des Wiedereinsetzungswerbers an der Fristversäumung darzutun (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1980, Zl. 2786/78 mwH). In einem vergleichbaren, einen Boten betreffenden Fall hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß alle Wiedereinsetzungsgründe innerhalb der gesetzlichen Frist vorzubringen und glaubhaft zu machen sind (Erkenntnis vom 6. Dezember 1985, Zlen. 85/18/0347, 0348).
Im Lichte dieser Rechtsprechung erweist sich die Beschwerde als nicht begründet:
Die Beschwerdeführerin hat die von ihr selbst verfaßte Berufung einige Tage vor Ablauf der Berufungsfrist dem Dipl.- Ing. WM mit dem Ersuchen um Postaufgabe spätestens am 4. April 1986 übergeben. Da der Genannte, wie dargetan, in bezug auf die Berufung nur mit der postalischen Abfertigung beauftragt war, blieb die Beschwerdeführerin weiterhin allein für die rechtzeitige Einbringung der Berufung verantwortlich. Daß sie nun Dipl.-Ing. WM in entsprechender Weise überwacht habe, hat die Beschwerdeführerin innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nicht vorgebracht. Im Hinblick darauf konnte die belangte Behörde rechtlich unbedenklich jener Begründung im Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 15. September 1986 beipflichten, derzufolge sich die Beschwerdeführerin um die rechtzeitige Übergabe der Berufung an die Post "nicht weiter gekümmert" habe. Konnte demnach die belangte Behörde nicht vom Fehlen eines Verschuldens der Beschwerdeführerin an der Fristversäumung ausgehen, so entspricht die mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte Versagung der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dem Gesetz.
Auf die in der Beschwerde angesprochenen verfassungsrechtlichen Bedenken wegen der nach Meinung der Beschwerdeführerin sachlich nicht gerechtfertigten unterschiedlichen Regelung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in § 71 Abs. 1 AVG 1950 einerseits und in § 146 ZPO in der Fassung der ZPO-Novelle 1983 andererseits brauchte schon deshalb nicht eingegangen zu werden, weil im Beschwerdefall nicht ein Versehen der Beschwerdeführerin als Ursache der Fristversäumung behauptet wurde, daher auch nicht zu beurteilen war, ob es sich hiebei allenfalls um einen "minderen Grad des Versehens" im Sinne des § 146 ZPO handelte.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.
Wien, am 11. Mai 1987
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