VwGH 86/04/0059

VwGH86/04/005920.10.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Griesmacher, Dr. Weiss, DDr. Jakusch und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Janistyn, über die Beschwerde des HB in G, vertreten durch Dr. Jürgen Hadler, Rechtsanwalt in Voitsberg, Hauptplatz 57, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 5. Februar 1986, Zl. 4-17 Bu 9/1-1986, betreffend Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages in einem Verfahren zur Entziehung von Gewerbeberechtigungen, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §22;
AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs1 Z1;
GewO 1973 §361;
VwGG §46 Abs1;
ZustG §16;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1987:1986040059.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Voitsberg vom 23. September 1985 wurden dem Beschwerdeführer gemäß § 87 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 361 GewO 1973 drei Gewerbeberechtigungen entzogen.

Eine Zustellung dieses Bescheides zu eigenen Handen des Beschwerdeführers wurde nicht angeordnet. Die den Bescheid enthaltende Sendung wurde laut Rückschein am 26. September 1985 von RB, der Schwägerin des Beschwerdeführers, als Mitbewohner der Abgabestelle übernommen.

Mit Anbringen vom 8. November 1985 richtete der Beschwerdeführer an die Bezirkshauptmannschaft Voitsberg einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Zugleich erhob er gegen den Bescheid vom 23. September 1985 Berufung.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Voitsberg vom 13. Dezember 1985 wurde der Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 abgewiesen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, im Wiedereinsetzungsantrag sei vorgebracht worden, daß der Bescheid vom 23. September 1985 von der Schwägerin des Beschwerdeführers übernommen worden sei und daß diese vergessen habe, die Sendung an den Beschwerdeführer weiterzuleiten. Dieser habe erst am 4. November 1985 vom Bescheidinhalt Kenntnis erlangt. Dem Antragsvorbringen sei entgegengehalten, daß die Ersatzzustellung zulässig gewesen sei und daß der Irrtum bzw. die Vergeßlichkeit der Schwägerin des Beschwerdeführers kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 darstelle.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 5. Februar 1986 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 abgewiesen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Norm, die für Fälle wie den des Bescheides vom 23. September 1985 die Zustellung zu eigenen Handen vorschreibe, existiere nicht. Es stehe daher im Ermessen der bescheiderlassenden Behörde, den Gewerbeentziehungsbescheid zu eigenen Handen zuzustellen. In dem Umstand, daß die Bezirkshauptmannschaft Voitsberg nicht die Zustellung zu eigenen Handen verfügt habe, liege daher keine Gesetzwidrigkeit. Die Ersatzzustellung an die Schwägerin des Beschwerdeführers sei daher zu Recht erfolgt, die Frist zur Einbringung der Berufung habe somit am 26. September 1985 zu laufen begonnen. Der wegen Fristversäumung gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei unter Zugrundelegung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Dezember 1949, Slg. N. F. Nr. 1141/A, abzuweisen gewesen. Es liege im Wesen der Ersatzzustellung, daß der Empfänger jenes natürliche Risiko zu vertreten habe, das sich aus der Übergabe eines für ihn bestimmten Schriftstückes ergibt. Das Versehen der Schwägerin des Beschwerdeführers falle daher kraft gesetzlicher Fiktion dem Beschwerdeführer selbst zur Last.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich in dem Recht auf Bewilligung der von ihm beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzt. Er trägt in Ausführung dieses Beschwerdepunktes vor, aus § 22 AVG 1950 ergebe sich, daß die Zustellung zu eigenen Handen des Empfängers nicht nur dann zu bewirken sei, wenn es gesetzlich vorgesehen ist, sondern auch dann, wenn besonders wichtige Gründe vorliegen. Gesetzlich vorgeschrieben sei die Zustellung zu eigenen Handen beispielsweise im § 19 Abs. 3 AVG 1950 und in den §§ 41 Abs. 3 und 42 Abs. 2 sowie § 48 Abs. 2 VStG 1950, demnach für Ladungen, in denen Zwangsmittel oder Säumnisfolgen angedroht werden, und für Strafverfügungen. Daraus sei zu ersehen, daß der Gesetzgeber dann eine Zustellung zu eigenen Handen gesetzlich vorsehe, wenn massiv in die Rechtssphäre des Einzelnen eingegriffen werden soll bzw. wird. Dieser massive Eingriff in die Rechtssphäre des Einzelnen sei auch der Maßstab für das Vorliegen besonders wichtiger Gründe. Wenn massiv in die Rechtssphäre des einzelnen eingegriffen werde, lägen gemäß § 22 AVG 1950 besonders wichtige Gründe vor und es sei die Zustellung zu eigenen Handen des Empfängers zu bewirken. Es dürfe daher nicht, wie im Bescheid der belangten Behörde ausgeführt, dem Ermessen der bescheiderlassenden Behörde überlassen werden, wann sie einen Bescheid zu eigenen Handen zustellt und wann nicht. Mit Bescheid vom 23. September 1985 seien dem Beschwerdeführer die Gewerbeberechtigungen entzogen worden. Dieser Bescheid habe deshalb eine sehr weittragende Bedeutung, da er dem Beschwerdeführer die Existenzgrundlage völlig entziehe. Es werde mit dem Bescheid vom 23. September 1985 massiv in dessen Rechtssphäre eingegriffen, weshalb eine Zustellung des Bescheides zu eigenen Handen des Beschwerdeführers von vornherein zwingend notwendig im Sinne des § 22 AVG 1950 gewesen wäre. Entgegen der Rechtsmeinung im angefochtenen Bescheid sei daher die RSb-Zustellung unzulässigerweise erfolgt, weshalb auch die Zustellung des Bescheides vom 23. September 1985 an die Schwägerin des Beschwerdeführers keine zulässige Ersatzzustellung gewesen sei. Weiters sei dem Beschwerdeführer der Bescheid nicht rechtzeitig ausgehändigt worden, sodaß der gesetzwidrige Zustellvorgang nicht geheilt worden sei. Der gesamte Zustellvorgang entsprechend den gesetzlichen Zustellvorschriften nach dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz und nach dem Zustellgesetz sei hinsichtlich des Bescheides vom 23. September 1985 daher gesetzwidrig erfolgt. Die Schwägerin des Beschwerdeführers habe in einer eidesstattlichen Erklärung, die am 5. November 1985 vorgelegt worden sei, bescheinigt, daß sie den Rückschein des Bescheides zwar unterzeichnet, den Beschwerdeführer aber vom Einlangen des Bescheides nicht benachrichtigt habe, sodaß der gegenständliche Bescheid dem Beschwerdeführer erst am 4. November 1985 ausgefolgt worden sei. Das Vorgehen der Schwägerin des Beschwerdeführers stelle für ihn ein unabwendbares und unvorhersehbares Ereignis dar, an dem ihn kein wie immer geartetes Verschulden treffe. Der Beschwerdeführer habe von der Zustellung des Bescheides keine Kenntnis erlangen können, da ihm die Sendung einerseits gesetzwidrig nicht zu eigenen Handen zugestellt worden sei und andererseits seine Schwägerin den Bescheid zwar entgegengenommen, den Beschwerdeführer aber in weiterer Folge nicht vom Einlangen des Bescheides benachrichtigt und ihm diesen auch nicht ausgefolgt habe. Es treffe den Beschwerdeführer daher an der Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen den Bescheid vom 23. September 1985 kein wie immer geartetes Verschulden. Die im angefochtenen Bescheid zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Dezember 1949, Slg. N. F. Nr. 1141/A, sei schon deshalb nicht anzuwenden, da die Zustellung des Bescheides vom 23. September 1985 zu eigenen Handen erfolgen hätte müssen und somit eine Ersatzzustellung von vornherein ausscheide.

Dem Beschwerdeführer ist zunächst zu entgegnen, daß unter Zugrundelegung der in der Beschwerde vertretenen Rechtsansicht, am 26. September 1985 sei keine rechtswirksame Zustellung zustandegekommen, und weiters unter Zugrundelegung der Behauptung, der Bescheid sei dem Beschwerdeführer erst am 4. November 1985 tatsächlich zugekommen (§ 7 des Zustellgesetzes), die Berufungsfrist nicht versäumt worden und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand demnach unzulässig gewesen wäre.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes trifft die Rechtsansicht, derzufolge der Beschwerdeführer die Ersatzzustellung vom 26. September 1985 für nicht rechtswirksam hält, nicht zu.

Wenn wichtige Gründe hiefür vorliegen, ist nach § 22 AVG 1950 eine schriftliche Ausfertigung mit Zustellnachweis zuzustellen. Bei Vorliegen besonders wichtiger Gründe oder wenn es gesetzlich vorgesehen ist, ist die Zustellung zu eigenen Handen zu bewirken.

Daß Bescheide über die Entziehung von Gewerbeberechtigungen (§ 361 GewO 1973) zu eigenen Handen zuzustellen seien, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Darüber hinaus vermag der Verwaltungsgerichtshof aber auch keinen Grund zu erkennen, demzufolge solche Bescheide etwa den Ladungsbescheiden oder Strafverfügungen hinsichtlich des Zustellvorganges schlechterdings gleichzustellen wären. Insbesondere unter dem vom Beschwerdeführer vorgetragenen Gesichtspunkt des "massiven" Eingriffes in die Rechtssphäre des Einzelnen ergibt sich kein normativer Gehalt des § 22 AVG 1950 dahin, daß Bescheide über die Entziehung von Gewerbeberechtigungen ausnahmslos zu eigenen Handen zuzustellen wären. Was die Zustellung solcher Bescheide anlangt, kommt es vielmehr darauf an, ob im Einzelfall besonders wichtige Gründe im Sinne des zweiten Satzes des § 22 AVG 1950 vorliegen. Mit dem auf die Rechtsansicht einer allgemeinen Erforderlichkeit der Zustellung von Bescheiden über die Entziehung von Gewerbeberechtigungen zu eigenen Handen gestützten Beschwerdevorbringen vermag der Beschwerdeführer somit keine Rechtswidrigkeit der Ansicht der belangten Behörde, der Bescheid vom 23. September 1985 sei am 26. September 1985 durch Ersatzzustellung erlassen worden, darzutun.

Gleichwohl ist der Beschwerdeführer mit seiner vorliegenden Beschwerde im Recht.

Nach § 71 Abs. 1 AVG 1950 ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn (lit. a) die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten.

Insoweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auf den hg. Beschluß vom 8. Dezember 1949, Slg. N. F. Nr. 1141/A, hinwies, verkannte sie, daß dieser Beschluß auf Grund des § 46 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes, BGBl. Nr. 208/1945, (in der Stammfassung) in Verbindung mit § 23 AVG, BGBl. Nr. 274/1925, also auf Grund von Bestimmungen erging, die im vorliegenden Fall von der belangten Behörde nicht anzuwenden waren. Die im vorliegenden Fall maßgebende Rechtsgrundlage liegt im § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 in Verbindung mit § 16 des Zustellgesetzes. Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, daß sich anläßlich einer Ersatzzustellung im Sinne des § 16 des Zustellgesetzes nach Maßgabe des jeweiligen Einzelfalles Geschehnisse zutragen können, die den Merkmalen eines Ereignisses im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 entsprechen.

Der Beschwerdeführer brachte in seinem Wiedereinsetzungsantrag vor, daß zwar seine Schwägerin RB als Ersatzempfängerin den erstinstanzlichen Bescheid am 26. September 1985 übernommen, eine Verständigung des Beschwerdeführers jedoch unterlassen und die Aushändigung des Bescheides an den Beschwerdeführer erst am 4. November 1985 vorgenommen habe. Die Qualifikation dieses aus dem Unterlassen der Verständigung und der erst späteren Aushändigung des Bescheides bestehenden, im Antragsvorbringen als verwirklicht behaupteten Geschehens als eines unvorhergesehenen bzw. unabwendbaren Ereignisses im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 hätte die belangte Behörde nicht von vornherein verneinen dürfen; sie wäre vielmehr verpflichtet gewesen, das Zutreffen des Antragsvorbringens des Beschwerdeführers und die Frage, ob den Beschwerdeführer im gegebenen Zusammenhang ein Verschulden trifft oder nicht, zu prüfen.

Da sie dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil Barauslagen (im Sinne des § 48 Abs. 1 Z. 1 VwGG) nicht angefallen sind.

Wien, am 20. Oktober 1987

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