VwGH 86/14/0107

VwGH86/14/010721.10.1986

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Hnatek, Dr. Pokorny und Dr. Karger als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Dorner, über die Beschwerde der K Gesellschaft mbH in V, vertreten durch Dr. A und Dr. J Rechtsanwälte in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 28. März 1986, Zl. 1/9-2/Er-1986, betreffend Aufhebung des Gewerbesteuerbescheides 1984 in Ausübung des Aufsichtsrechtes, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §21 Abs1;
BAO §23 Abs1;
BAO §24 Abs1 litd;
GewStG §7 Z6;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 8.330,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Eheleute E und G zwischen denen seit einem Ehepakt aus 1977 eine besondere Gütergemeinschaft unter Lebenden und auf den Todesfall bezüglich einer Liegenschaft besteht, schlossen 1980 einen Gesellschaftsvertrag über die Errichtung der beschwerdeführenden Gesellschaft m.b.H. auf unbestimmte Zeit. Gegenstand dieser Gesellschaft ist die Ausübung des Kühlmaschinenmechanikerhandwerkes, der Handel mit Waren aller Art und die Beteiligung an anderen Unternehmen gleicher oder ähnlicher Art. Vom Mindeststammkapital nach damaliger Rechtslage, auf welches ein Viertel bar einzubezahlen war, übernahm E S 25.000,-- und G die restlichen S 75.000,--. Die Festsetzung der Einzahlungstermine hinsichtlich des Restes wurde der Generalversammlung vorbehalten. Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer, wobei die Generalversammlung mit dem Bestellungsbeschluß das Vertretungsrecht der Geschäftsführer regelt. E wurde im Gesellschaftsvertrag auf die Dauer "seines Gesellschaftsverhältnisses" als Geschäftsführer bestellt und ihm Einzelzeichnungsberechtigung sowie Alleinvertretungsbefugnis eingeräumt. Ein Widerruf seiner Bestellung wurde auf besonders wichtige Gründe beschränkt, von denen einige demonstrativ angeführt sind. Laut dem Gesellschaftsvertrag werden die Beschlüsse grundsätzlich - soweit im Gesetz oder im Gesellschaftsvertrag keine strengeren Bestimmungen enthalten sind -

mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefaßt. Einer Mehrheit von 75 % der abgegebenen Stimmen bedürfen u.a. eine Änderung des Gesellschaftsvertrages, die Feststellung des Jahresabschlusses, die Verwendung des jährlichen Reingewinnes oder die Abdeckung eines allfälligen Verlustes sowie Rechtshandlungen, die über dem Umfang des laufenden Geschäftsbetriebes hinausgehen oder für das Unternehmen von grundsätzlicher Bedeutung sind. Die Gesellschaft kann von jedem Gesellschafter zum Ende des Geschäftsjahres und unter Einhaltung einer 12-monatigen Kündigungsfrist unter Einhaltung von näher beschriebenen Förmlichkeiten gekündigt werden. Im Falle der Kündigung unterbleibt die Auflösung und Liquidation bei Fortsetzung der Gesellschaft durch die übrigen Gesellschafter und Übernahme der Stammeinlage des kündigenden Gesellschafters durch jene. Dem Kündigenden steht der Abtretungspreis zu, welcher dem Bilanzwert zum Ausscheidungsstichtag auf Basis der Buchwerte des Anlagevermögens, zuzüglich allfälliger nicht behobener Gewinnanteile sowie unter Auflösung der durch steuerliche Sonderabschreibungen gebildeten stillen Reserven (hinsichtlich Liegenschaften unter Zugrundelegung des etwa höheren Einheitswertes) entspricht. Die Geschäftsanteile sind teilbar und übertragbar, die Abtretung bedarf - äußer bei Übertragung an Ehegatten oder Kinder - der Zustimmung aller Gesellschafter. Im Todesfall besteht gegenüber Erben oder sonstigen Rechtsnachfolgern - außerhalb des erwähnten Angehörigenkreises - ein näher geregelter Anspruch auf Übernahme des Geschäftsanteiles durch die übrigen Gesellschafter gegen Bezahlung des Abtretungspreises, der wie im Kündigungsfall zu ermitteln ist.

Bereits am Tage der Errichtung dieses Gesellschaftsvertrages bot G unter gleicher Bindung ihrer Rechtsnachfolger im Eigentum des Geschäftsanteiles dem E die Abtretung ihres Geschäftsanteiles um den Abtretungspreis in Höhe der einge-zahlten Stammeinlage (S 18.750,--) an und erklärte dem E mit dem Anbot bis 31. Dezember 1990 im Wort zu bleiben. Sie verpflichtete sich für diese Dauer, sich jedweder Verfügung über den Geschäftsanteil ohne Zustimmung des E zu enthalten. Die mit dem abzutretenden Geschäftsanteil verbundenen Rechte und Verbindlichkeiten gehen mit dem Tag der Annahme des Anbotes auf E über. Mit 1. Jänner 1981 begann eine GmbH und Co KG (in der Folge: KG), zu der sich die Beschwerdeführerin und E als Komplementäre sowie G als Kommanditist (Einlage S 5.000,--) zusammengeschlossen hatten. Der Gegenstand des Unternehmens der KG stimmt mit dem der Beschwerdeführerin überein. Aus den Jahresabschlüssen bis 1984 der Beschwerdeführerin ist ersichtlich, daß deren Gewinne, welche sich bis 1984 auf zusammen S 70.534,88 beliefen, bis dahin vorgetragen wurden. Mit Notariatsakt vom 24. Juni 1983 übertrug G einen Teil ihres Geschäftsanteiles im Nennbetrag von S 30.000,-- um S 7.500,--

an ihre Stieftochter (in der Folge: M), welche den Geschäftsanteil mit allen Rechten und Pflichten erwarb, die der G oblagen.

Mit dem nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde in Ausübung des Aufsichtsrechtes den Bescheid des Finanzamtes betreffend Gewerbesteuer 1984 der Beschwerdeführerin gemäß § 299 Abs. 2 BAO auf und wies das Finanzamt an, in der Sache neuerlich zu entscheiden. Aufgrund des oben erwähnten Anbotes der G an den E, das unter Familienfremden in dieser Form nicht abgeschlossen worden wäre, der aus dem Ehepakt des Jahres 1977 und dem mündlich vereinbarten Gesellschaftsvertrag über die KG zum Ausdruck kommenden wahren Absicht, könne eine ernst gemeinte Übernahme des Geschäftsanteiles nicht angenommen werden. E sei daher in wirtschaftlicher Betrachtungsweise für die Dauer des Bestehens des Anbotes als Alleininhaber der Stammanteile und damit als wesentlicher Beteiligter im Sinne des § 7 Z. 6 GewStG anzusehen. Da die Gehälter des E im Bescheid des Finanzamtes nicht hinzugerechnet worden seien, sei dieser Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der Beschwerde gegen diesen Bescheid mit Beschluß vom 7. Juni 1986, B 415/86-3, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den Bescheid der belangten Behörde in ihrem Recht darauf verletzt, daß in die Rechtskraft des Bescheides des Finanzamtes weder bei Fehlen der von § 299 Abs. 2 BAO geforderten inhaltlichen Rechtswidrigkeit des der aufsichtsbehördlichen Prüfung unterzogenen Bescheides eingegriffen werde noch vor Feststellung der für das Vorliegen einer solchen Rechtswidrigkeit entscheidungswesentlichen Tatsachen aufgrund eines gesetzmäßigen Verfahrens. Sie behauptet Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit und beantragt deshalb, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Soweit sie bei der Ermittlung des Gewinnes aus Gewerbebetrieb (§ 6) abgesetzt sind, werden diesem gemäß § 7 Z. 6 GewStG Gehälter und sonstige Vergütungen jeder Art wieder hinzugerechnet, die von einem im § 1 Abs. 2 Z. 2 und Abs. 4 GewStG bezeichneten Unternehmen an wesentlich Beteiligte für eine Tätigkeit im Betrieb gewährt worden sind. Unter wesentlich Beteiligten sind natürliche Personen zu verstehen. Eine Person ist an einem Unternehmen wesentlich beteiligt, wenn sie zu mehr als einem Viertel beteiligt ist. Beteiligung durch Vermittlung eines Treuhänders oder einer Gesellschaft steht einer unmittelbaren Beteiligung gleich. Die Beteiligung muß in einem Zeitpunkt des Bemessungszeitraumes bestanden haben, der für die Ermittlung des Gewerbeertrages maßgebend ist.

Daß G (oder M) hinsichtlich der von ihr übernommenen Geschäftsanteile im Streitjahr Treuhänder des E gewesen sei, wurde von der belangten Behörde nicht angenommen. Anhaltspunkte hiefür liegen nach dem Stand des Verwaltungsverfahrens nicht vor.

Da § 7 Z. 6 GewStG eine von wirtschaftlichen Vorstellungen getragene und daher der wirtschaftlichen Betrachtungsweise zugängliche Bestimmung ist, findet auch § 24 Abs. 1 lit. d BAO, welcher einen Fall der wirtschaftlichen Betrachtungsweise (§ 21 Abs. 1 BAO) darstellt, Anwendung (Verwaltungsgerichtshof 3. April 1984, Zl. 83/14/0143).

Das Abtretungsanbot der G, für dessen Dauer seines Bestehens die belangte Behörde "in wirtschaftlicher Betrachtungsweise" den E als "Alleininhaber der Stammanteile" und damit als wesentlich Beteiligten im Sinne des § 7 Z. 6 GewStG ansieht, verschaffte diesem indes nicht die Stellung eines "Inhabers der Stammanteile" im Sinne wirtschaftlicher Betrachtungsweise. Bei der Überprüfung der gegenteiligen Rechtsansicht der belangten Behörde ist allerdings -entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin - die der belangten Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides offensichtlich noch unbekannte Übertragung eines Teiles des Geschäftsanteiles der G an M unwesentlich, weil selbst dann, wenn auf M - entgegen dem Text des Vertrages -die Pflichten aus dem Anbot der G gegenüber E nicht übergegangen sein sollten, noch die Zurechnung des bei G verbliebenen Geschäftsanteiles vom Nominale S 45.000,-- ausreichten, um dem E die von § 7 Z. 6 geforderte Beteiligung von mehr als einem Viertel zu verschaffen. Wesentlich ist vielmehr, wie der Verwaltungsgerichtshof in dem bereits zitierten Erkenntnis ausgeführt hat, daß das Anbot seinem Adressaten (der keine "Sperrminorität" besitzt) nicht die Stellung eines "echten" Gesellschafters verschafft. Er kann nämlich aufgrund des Anbotes das mit dem ihm angebotenen Anteil verbundene Stimmrecht nicht ausüben und die auf den betreffenden Anteil entfallenden Erträge nicht ziehen. Ebensowenig hinderte das Anbot die G an der Ausübung der genannten Rechte. Es bedarf daher auch keiner Prüfung der Frage, ob die im Anbot von G übernommene Verpflichtung, sich jedweder Verfügung über den abzutretenden Geschäftsanteil zu enthalten, ein Verbot der Verpfändung des Geschäftsanteiles und/oder ein Verbot der Ausübung des Kündigungsrechtes laut Gesellschaftsvertrag unter Inanspruchnahme des Abtretungspreises in der für diesen Fall vorgesehenen Höhe enthält.

Unverständlich ist die Rechtsansicht der belangten Behörde, in wirtschaftlicher Betrachtungsweise sei E "für die Dauer des Bestehens des Anbotes" als Alleininhaber der Stammanteile (gemeint aller Geschäftsanteile) anzusehen, weil eine ernst gemeinte Übernahme der Geschäftsanteile nicht angenommen werden könne. Gemeint kann nach dem Zusammenhang der Begründung des angefochtenen Bescheides nur die Übernahme des Geschäftsanteiles durch G im Gesellschaftsvertrag sein. Sollte diese Übernahme nicht ernst gemeint gewesen sein, womit die belangte Behörde offenbar zum Ausdruck bringen will, daß ein Scheingeschäft vorlag, so hätte dies zur Folge, daß der Gesellschaftsvertrag betreffend die GmbH selbst ein Scheingeschäft darstellte, da die Gründung einer solchen Gesellschaft durch eine Person allein (E) nicht möglich gewesen wäre und dieser Vertrag folglich gemäß § 23 Abs. 1 BAO für die Erhebung von Abgaben keine Bedeutung hätte. Die Folge wäre jedoch nicht, daß E auf die Dauer des Anbotes, welches den Geschäftsanteil betrifft, den G aus der Sicht des Abgabenrechtes überhaupt nie erworben hätte und den sie daher auch dem E nicht zum Erwerb hätte anbieten können, in wirtschaftlicher Betrachtungsweise Eigentümer dieser Geschäftsanteile geworden wäre. Die von der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides gewählte Konstruktion ist daher in sich widersprechend und schon deshalb nicht geeignet, die Aufhebung des Bescheides des Finanzamtes zu tragen.

Die Behauptung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, unter Familienfremden wäre das Anbot in dieser Form nicht "abgeschlossen" worden, bedarf schon deshalb keiner Untersuchung auf ihre Richtigkeit, weil - wie bereits erwähnt - die steuerliche Unbeachtlichkeit des Anbotes nicht zur Folge haben könnte, daß der Geschäftsanteil der G dem E zuzurechnen wäre.

Entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob E 1984 an der Beschwerdeführerin wesentlich, d.h. mit mehr als einem Viertel beteiligt war, ist daher lediglich, ob ihm die Geschäftsanteile der G bereits in diesem Jahr übertragen waren. Eine nachvollziehbare Begründung, warum dies der Fall gewesen sein sollte, hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht gegeben. Ihrem Vorbringen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist im Zusammenhang entnehmbar, daß sie der Ansicht ist, es handle sich bei dem Vertrag über die Errichtung der GmbH und dem mit diesem im Zusammenhang stehenden Anbot um ein Scheingeschäft, nach Inhalt des verdeckten Geschäftes (§  23 Abs. 1 zweiter Satz BAO) habe G dem E die Anteile sogleich nach Abschluß des Gesellschaftsvertrages abgetreten. Sollte dies nicht zutreffen, so stelle die gewählte Vertragskonstruktion einen Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes dar, durch den die Abgabepflicht nicht umgangen oder gemindert werden könne (§ 22 Abs. 1 BAO), die Abgaben seien daher so zu erheben, wie sie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu erheben wären (§ 22 Abs. 2 BAO).

Für das Zutreffen der erstgenannten Behauptung bieten die bisher vorliegenden Ermittlungsergebnisse und die Behauptungen der belangten Behörde in der Gegenschrift keinen ausreichenden Anhaltspunkt. Als ein Indiz dafür, daß es sich bei dem Anbot um ein Scheingeschäft handeln könnte, welches eine sogleich nach Abschluß des Gesellschaftsvertrages erfolgte Übertragung der Geschäftsanteile der G an E verdeckt, ist den Akten zur Zeit lediglich die Tatsache entnehmbar, daß G, ungeachtet ihrer bis zur Übertragung von 30 % an M vorhandenen qualifizierten Mehrheit in der Gesellschaft, nicht auf Gewinnausschüttung gedrungen hat, obwohl ihr für den Fall der Anbotsannahme droht, keine Rendite des von ihr aufgewendeten Kapitals von S 18.750,-- erwarten zu dürfen. Dieses Indiz reicht aber zur Zeit schon deshalb für die Feststellung eines Scheingeschäftes und des erwähnten verdeckten Geschäftes nicht aus, weil es im Verwaltungsverfahren mit der Beschwerdeführerin überhaupt nicht erörtert wurde, für das geschilderte Verhalten der G jedoch eine durchaus verständliche Erklärung vorliegen könnte, etwa eine Entschädigung anderer Art, welche sie zur Zustimmung zur Gewinnfortschreibung veranlaßt haben könnte. Dergleichen vorzubringen hatte die Beschwerdeführerin auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren jedoch keinen Anlaß, weil der betreffende Umstand von der belangten Behörde erstmals in der Gegenschrift aufgegriffen worden ist. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist aber nicht dazu bestimmt, durch Ergänzung des Ermittlungsverfahrens Mängel des Verwaltungsverfahrens zu beseitigen.

Der Verwaltungsgerichtshof kann aufgrund des bisher bekannt gewordenen Sachverhaltes nicht finden, daß die Vertragsgestaltung an sich ungewöhnlich und unangemessen war. Da G mit ihrer Mehrheit von 75 % allein den Jahresabschluß und die Verwendung - und daher auch Ausschüttung - des jährlichen Reingewinnes ebenso beschließen konnte wie Weisungen an den Geschäftsführer zur Vermeidung stiller Reserven, brauchte sie auf Grund des Gesellschaftsvertrages um eine entsprechende Rendite für ihre Einzahlung auf den Geschäftsanteil für den Fall der Annahme ihres Anbotes nicht zu fürchten, es sei denn, die Geschäftstätigkeit der GmbH wäre von vornherein so konzipiert gewesen, daß mit Gewinnen überhaupt nicht zu rechnen ist, wogegen aber die erwähnten Geschäftsergebnisse sprechen.

Selbst dann, wenn man die Vertragsgestaltung aber auf Grund anderer, bisher nicht zu Tage getretener Ermittlungsergebnisse als ungewöhnlich und unangemessen ansehen müßte, wäre in ihr aber noch kein Mißbrauch im Sinne des § 22 Abs. 1 BAO zu erblicken, wenn der betreffende rechtliche Weg nicht nur zum Zweck der Steuervermeidung eingeschlagen wurde. Die belangte Behörde hätte daher für diesen Fall zu prüfen gehabt, ob der gewählte Weg noch sinnvoll erscheint, wenn man den abgabensparenden Effekt wegdenkt, oder ob er ohne das Resultat der Steuerminderung einfach unverständlich wäre.

Auch zu dieser Frage hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin vor Erlassung des angefochtenen Bescheides Gehör nicht gewährt, sodaß die Beschwerdeführerin erstmals in der Beschwerde in der Lage war, die außersteuerlichen Gründe für die vertragliche Konstruktion darzulegen. Danach seien die außerhalb des Steuerrechtes gelegenen Gründe für die Beteiligungsverhältnisse (und das Anbot) ein Kompromiß zwischen den Ehegatten gewesen, die jeweils höhere Beteiligungen angestrebt hätten. E sei bereits einmal geschieden und habe mit seiner Gattin die zweite Ehe geschlossen, sodaß er als Sicherheit seines beruflichen Fortkommens das Abtretungsanbot nur für die Eventualität einer Ehekrise oder Scheidung habe besitzen wollen. Ferner sei die Wahl der Beteiligungsverhältnisse erfolgt, um E, als einem angestellten Geschäftsführer, die Pflichtversicherung nach ASVG zu sichern.

Beide Gründe sind außersteuerlicher Natur und an sich geeignet, die Vertragsgestaltung der Anwendung des § 22 BAO zu entziehen; sie hätten folglich einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt durch die belangte Behörde bedurft, wenn der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren Gelegenheit zu ihrem Vortrag gegeben worden wäre.

Entgegen der in der Gegenschrift geäußerten Ansicht ist es keineswegs "widersinnig", der Gattin, mit der - wie behauptet - ein Kompromiß über die Höhe der Beteiligung geschlossen wurde, einerseits den ausgehandelten Geschäftsanteil bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages einzuräumen, sich jedoch durch das Kaufanbot hinsichtlich dieses Geschäftsanteiles für den Fall einer Ehekrise oder der Scheidung abzusichern.

Der belangten Behörde kann darin nicht gefolgt werden, daß sozialversicherungsrechtliche Gründe für die rechtliche Gestaltung auf Grund der bisher bekannten Tatsachen ausgeschlossen werden könnten. Nach der zum Sozialversicherungsrecht ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hindert nämlich jedenfalls eine Mehrheitsbeteiligung aber auch eine Sperrminorität die Dienstnehmereigenschaft des betreffenden Gesellschafter-Geschäftsführers. Diese Voraussetzungen auszuschließen, ist somit eine der Bedingungen, welche für den Bestand der Pflichtversicherung erforderlich sind. Ob trotz Fehlens einer Mehrheitsbeteiligung und einer Sperrminorität die Dienstnehmereigenschaft zu verneinen ist, hängt davon ab, ob die Bestimmungsfreiheit des Geschäftsführers in bezug auf Arbeitsort, Arbeitszeit und arbeitsbezogenes Verhalten nach der rechtlichen Gestaltung im Einzelfall ausgeschaltet ist oder nicht (VwSlg. Nr. 10140/A/1980). Alle Umstände, die nun in der Gegenschrift (siehe deren S. 10) von der belangten Behörde gegen die Dienstnehmereigenschaft von E ins Treffen geführt werden, sind Neuerungen, die im Verwaltungsverfahren keine Erörterung gefunden haben, zu denen Parteiengehör nicht gewährt wurde und die in den Ergebnissen eines gesetzmäßigen Ermittlungsverfahrens keine Deckung finden. Abgesehen davon dürfte aus dem Umstand allein, daß E bis 1980 ein Einzelunternehmen geführt hat, ohne Kenntnis der näheren Umstände, welche zur Gesellschaftsgründung geführt haben, nicht darauf geschlossen werden, daß ihm als Gesellschafter-Geschäftsführer der Beschwerdeführerin die für einen Dienstnehmer wesentliche Beschränkung der Bestimmungsfreiheit fehle. Dem Umstand, daß E im Streitjahr einziger Geschäftsführer der Beschwerdeführerin war, kommt für die Beurteilung der Frage, ob er Dienstnehmer war, schon deshalb keine wesentliche Bedeutung zu, weil auch ein Alleingeschäftsführer durch die rechtliche Gestaltung des Vertrages in seiner Bestimmungsfreiheit in bezug auf Arbeitsort, Arbeitszeit und arbeitsbezogenes Verhalten einem Dienstnehmer gleich beschränkt sein kann.

Mit der Frage, welche Vorteile die Dienstnehmereigenschaft E nach dem Sozialversicherungsrecht bringt, hat sich die belangte Behörde vor Erlassung des angefochtenen Bescheides überhaupt nicht befaßt, sodaß ihre in diesem Zusammenhang in der Gegenschrift geäußerten Zweifel jeder Grundlage im Sachverhalt entbehren. Ihre Behauptung, der Verwaltungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom 3. April 1984, Zl. 83/14/0143, diesen Grund bei einem ähnlichen Sachverhalt nicht als ausreichend anerkannt, findet keine Bestätigung im zitierten Erkenntnis.

Die belangte Behörde hat daher nicht nur durch die Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensvorschriften mißachtet, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, sondern auch den Sachverhalt in entscheidungswesentlichen Punkten unaufgeklärt gelassen, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Von der Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 21. Oktober 1986

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