VwGH 84/05/0155

VwGH84/05/015514.10.1986

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzende Senatspräsident Dr. Straßmann und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Würth, Dr. Degischer und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Gehart, über die Beschwerde des Dkfm. Dr. KK in W, vertreten durch Dr. Karl Scherer, Rechtsanwalt in Wien I, Rotenturmstraße 13, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 15. Juni 1984, Zl. MDR‑B XIV‑30/84, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: B GesmbH in W, vertreten durch Dr. Alfred Peter Musil, Rechtsanwalt in Wien XIX, Döblinger Hauptstraße 68), nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters, der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwalt Dr. Karl Scherer, sowie des Vertreters der mitbeteiligten Partei, Rechtsanwalt Dr. Alfred Peter Musil, und des Vertreters der belangten Behörde, Senatsrat Dr. FT, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §42
AVG §66 Abs4
BauO Wr §11
BauO Wr §116 Abs2
BauO Wr §76 Abs2
BauO Wr §79 Abs3
BauRallg implizit

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1986:1984050155.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 5.860,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 21.210,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 3. März 1981 beantragte die mitbeteiligte Partei die Baubewilligung für eine Wohnhausanlage mit „17 Reihenhäusern“ und einer Tiefgarage mit 18. Pkw‑Einstellplätzen (aus dem Plan ergibt sich, daß es sich um 3 Reihenhäuser mit insgesamt 17 Wohnungen handelt) in Wien 14, L Straße 38 - H Gasse, EZ 848, KG H, mit dem Grundstück Nr. 97/119. Am 14. Mai 1981 wurden die Bebauungsbestimmungen vom 4. März 1980, bestätigt am 23. April 1981, nachgebracht. Nach diesen gilt „Wohngebiet, Bauklasse I, offen oder gekuppelt“.

Bei der fortgesetzten mündlichen Bauverhandlung vom 19. Februar 1982, zu der der Beschwerdeführer unter Belehrung über die Folgen des § 42 AVG 1950 geladen worden war, erhob der Beschwerdeführer auf der von ihm unterschriebenen Niederschrift die Einwendung:

„Der Gehweg an der gemeinsamen Grundgrenze ist derart anzulegen, daß der Baumbestand bestehen bleibt.“

Mit Bescheid des Magistrates Wien vom 13. Februar 1984 wurde gemäß § 70 der Bauordnung für Wien und in Anwendung des Wiener Garagengesetzes die Bewilligung erteilt, nach den mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Plänen den Bau der Wohnhausanlage „bestehend aus 17, in drei Gruppen angeordneten, voll unterkellerten, zweigeschossigen, mit voll ausgebautem Dachgeschoß versehenen Reihenhäusern und einer Tiefgarage in der Größe einer Mittelgarage“ vorzunehmen. Die Einwendungen anderer Anrainer bezüglich der Lärm-, Geruchs- und Staubbelästigung durch die Garagenzufahrt wurden abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung mit der Begründung, daß über seine Einwendungen nicht erkannt worden sei, so sei insbesondere am 20. November 1981 vom Wiener Gemeinderat über das gegenständliche Stadtgebiet ein Bauverbot beschlossen worden. Da die Arbeiten noch nicht begonnen hätten, sei die Jahresfrist des § 11 der Bauordnung für Wien bereits abgelaufen und das Bauverbot wirksam geworden. Reihenhäuser entsprächen nicht der Vorschrift der offenen bzw. gekuppelten Bauweise, da sie weder einzeln stehen noch zu zweit gekuppelt sind.

Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde den Bescheid der Baubehörde erster Instanz und ergänzte ihn lediglich insofern, als die Einwendungen des Beschwerdeführers, der Gehweg an der gemeinsamen Grundgrenze sei derart anzulegen, daß der Baumbestand bestehen bleibe, als unzulässig zurückgewiesen werde. Begründend führte die belangte Behörde aus, daß gemäß § 15 AVG 1950 eine gemäß den Bestimmungen des § 14 leg. cit. aufgenommene Niederschrift, soweit nicht Einwendungen erhoben wurden, über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis liefere. Der Gegenbeweis bleibe zwar zulässig, jedoch habe der Beschwerdeführer einen Beweis dafür, daß die Verhandlungsschrift, deren Inhalt ihm bekannt sein müsse, den Verhandlungsverlauf unrichtig oder unvollständig wiedergebe, nicht angeboten. Die Aktenlage biete auch keinen Anlaß, an der Richtigkeit der Verhandlungsschrift zu zweifeln. Die vom Beschwerdeführer tatsächlich erhobene Einwendung erweise sich als unzulässig, weil die Bauordnung für Wien kein subjektiv öffentliches Nachbarrecht auf die Wahrung eines bestimmten Baumbestandes kenne. Der erstinstanzliche Bescheid sei daher durch einen Abspruch über die tatsächlich erhobene Einwendung zu ergänzen gewesen.

Mit den in der Berufung erstmals erhobenen, auf eine Bausperre und die Bebauungsbestimmungen gestützten Einwendung sei der Beschwerdeführer präkludiert. Allerdings hätten die Einwendungen auch dann nicht zur Versagung der Baubewilligung geführt, wenn sie nicht präkludiert gewesen wären. Offensichtlich habe der Beschwerdeführer die Bestimmung des § 11 der Bauordnung für Wien mißverstanden, da es nicht auf den Zeitpunkt des Baubeginns, sondern auf den Zeitpunkt der Einbringung des Bauansuchens ankomme. Im vorliegenden Fall sei das Bauansuchen zunächst ohne Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen, somit in verbesserungsbedürftiger Form, eingereicht, die fehlende Unterlage jedoch noch vor einem Verbesserungsverfahren nachgereicht worden. Das Bauansuchen sei somit jedenfalls mit einer gültigen Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen belegt gewesen.

Was die Errichtung von angeblich 17 Reihenhäusern anlange, so liege lediglich eine ungenaue sprachliche Ausdrucksweise der ersten Instanz vor. Im Sinne des § 116 Abs. 2 der Bauordnung für Wien seien als „Reihenhäuser“, wie dies in den Plänen ohnehin geschehen sei, die jeweils zusammengefaßten Gruppen von Wohnungen anzusehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch die Verletzung seines Rechtes auf Akteneinsicht, durch die Nichtberücksichtigung der Bausperre und der Bebauungsbestimmungen nach Art. II Abs. 2 lit. d und e der Bauordnung für Wien verletzt.

Sowohl die belangte Behörde als auch die mitbeteiligte Partei erstatteten Gegenschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung erwogen:

Vorweg sei darauf hingewiesen, daß die vom Beschwerdeführer in der Beschwerde gerügte Verweigerung der Akteneinsicht durch die belangte Behörde nach Ergehen des angefochtenen Bescheides keinen Einfluß auf dessen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit haben konnte. überdies hat der Beschwerdevertreter ohnehin inzwischen beim Verwaltungsgerichtshof von der Möglichkeit, Akteneinsicht zu nehmen, Gebrauch gemacht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seit dem grundlegenden Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. N. F. Nr. 10.317/A, ist klargestellt, daß sich die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde im Falle des Rechtsmittels einer Partei des Verwaltungsverfahrens mit beschränktem Mitspracherecht, wie dies auf die Nachbarn nach § 134 Abs. 3 der Bauordnung für Wien auch in der Fassung der Novelle 1976, LGBl. Nr. 18, (BO) zutrifft, auf jene Fragen beschränkt, hinsichtlich deren dieses Mitspracherecht als ein subjektiv öffentliches Recht im Sinn des § 134 Abs. 3 BO besteht. Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß wegen dieses von vornherein beschränkten Mitspracherechtes Nachbarn Verfahrensmängel nur insoweit geltend machen können, als sie dadurch in der Verfolgung ihrer noch geltend zu machenden subjektiv öffentlichen Rechte beeinträchtigt werden (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. November 1974, Slg. N. F. Nr. 8713/A, vom 8. November 1976, Slg. N. F. Nr. 9170/A, und zuletzt etwa vom 12. April 1984, Zl. 83/06/0246, BaurechtsSlg. Nr. 244).

Darüberhinaus wird die Prüfungsbefugnis der Rechtsmittelinstanz ebenso wie jene der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes durch eine gemäß § 42 AVG 1950 eingetretene Präklusion beschränkt.

Nach der u.a. auch vom Beschwerdeführer unterfertigten Niederschrift über die Verhandlung vom 19. Februar 1982 hat der Beschwerdeführer eine Einwendung nur hinsichtlich des Gehweges erhoben, die er vor dem Verwaltungsgerichtshof gar nicht mehr aufrecht erhalten hat. Die vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend gemachten Einwendungen betreffend Bausperre und geänderten Bebauungsplan sowie über Nachbarabstände scheinen hingegen nicht auf. Gemäß § 15 AVG 1950 liefert eine - wie hier - ordnungsgemäß aufgenommene Niederschrift, wenn keine Einwendungen erhoben wurden, vollen Beweis über den Verlauf und den Gegenstand der Verhandlung. Wohl ist ein Gegenbeweis zulässig, doch hat der Beschwerdeführer diesen nicht angetreten, da er keinerlei Beweisanträge im Verwaltungsverfahren gestellt hat. Die belangte Behörde konnte daher rechtmäßig von einer Präklusion hinsichtlich der den Gegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof bildenden Einwendungen ausgehen.

Aber selbst wenn man davon ausginge, daß der Beschwerdeführer diese Einwendungen rechtzeitig in der mündlichen Verhandlung erhoben hätte, könnte diese zu keinem für ihn günstigeren Ergebnis führen. Gemäß § 11 BO gilt die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen auf die Dauer eines Jahres und ist für alle innerhalb dieses Zeitraumes eingebrachten Ansuchen um Bewilligung eines der in § 9 Abs. 1 lit. a bis c genannten Vorhaben, also auch für die Bewilligung für einen Neubau, maßgebend. Wird neuerlich um Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen angesucht und haben sich diese nicht geändert, genügt die Bestätigung der Behörde über die weitere Gültigkeit der Bekanntgabe. Diese Bestätigung hat die gleiche Wirkung wie eine neuerliche Bekanntgabe. Nach ständiger Rechtsprechung erwächst dem Bauwerber daraus, daß er innerhalb der einjährigen Frist nach Ergehen (bzw. Bestätigung) des Bescheides über die Bebauungsbestimmungen - früher die Fluchtlinienbekanntgabe - ein Bauansuchen überreicht hat, ein subjektiv-öffentliches Recht, nach Maßgabe der so bekanntgegebenen Bebauungsbestimmungen den Bau auch dann auszuführen, wenn nachher eine Änderung der generellen Normen, insbesondere auch die Verhängung einer Bausperre, eingetreten ist (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 20. November 1967, Slg. N. F. Nr. 7223/A).

Zu den Bebauungsbestimmungen ist der Hinweis des Beschwerdeführers auf Art. II Abs. 2 lit. d und e BO insofern unverständlich, als es sich dabei um jene Übergangsbestimmungen handelt, die festlegen, wann früher anders bezeichnete Stadtgebiete zur Bauklasse I bzw. zu den Wohngebieten gehören, es im vorliegenden Fall aber völlig unbestritten ist, daß es sich um ein Wohngebiet der Bauklasse I handelt und daß die dafür geltenden Bestimmungen eingehalten wurden. Gemäß § 76 Abs. 2 BO müssen in der offenen Bauweise die Gebäude freistehend in den im § 79 Abs. 3 BO festgesetzten Mindestabständen von den Bauplatzgrenzen errichtet werden. Gemäß § 79 Abs. 3 BO muß der Abstand der Gebäude von den Nachbargrenzen in der Bauklasse I mindestens 6 m betragen. Wie sich aus den bewilligten Bauplänen ergibt, ist diese Bestimmung gegenüber allen Nachbarn eingehalten, somit auch gegenüber dem Beschwerdeführer; der geringste Abstand zu seiner Grundgrenze beträgt sogar 8,5 m. Das Verhältnis der Bauten auf einer einheitlich zu bebauenden Baufläche wird nämlich durch die Frage der offenen Bauweise überhaupt nicht geregelt. Darüber hinaus hat schon die belangte Behörde auf die Vorschrift des § 116 Abs. 2 BO verwiesen, wonach Reihenhäuser Wohnhäuser mit einer Gebäudehöhe von höchstens 7,50 m sind, wenn die einzelnen Wohnungen nicht übereinander angeordnet, voneinander durch bis in die Keller reichenden Brandmauern getrennt sind, jede einen unmittelbaren Ausgang ins Freie hat und für Betriebs- und Geschäftszwecke höchstens ein Geschoß eines solchen Brandabschnittes in Anspruch genommen wird. Damit ist kraft Legaldefinition festgelegt, daß nicht die einzelnen gesondert bewohnbaren Objekte als „Reihenhaus“ und damit als Gebäude anzusehen sind, sondern daß eine aneinander gebaute Gruppe als ein derartiges Reihenhaus (Gebäude) anzusehen ist, sodaß alle Überlegungen des Beschwerdeführers aus der irreführenden Bezeichnung der Baubewilligung erster Instanz ins Leere gehen.

Damit sind alle vom Beschwerdeführer behaupteten Verfahrensmängel im Hinblick auf diese beiden Einwendungen rechtlich bedeutungslos. Auch nach der vom Vertreter des Beschwerdeführers beim Gerichtshof vorgenommenen Akteneinsicht konnte der Beschwerdeführer keine weiteren zielführenden Ausführungen vornehmen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Verfahrensaufwand gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 14. Oktober 1986

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