VwGH 85/11/0159

VwGH85/11/015918.12.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Dorner, Dr. Waldner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Tobola, über die Beschwerde des EB in W, vertreten durch Dr. Lothar Deutenhauser, Rechtsanwalt in Wien III, Keinergasse 18, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Jänner 1985, Zl. MA 70-VIII/B 86/84, betreffend Aufforderung nach § 75 Abs. 2 KFG 1967, zu Recht erkannt:

Normen

KFG 1967 §75 Abs2;
KFG 1967 §75 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (Verkehrsamt) vom 8. Oktober 1984 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 aufgefordert, sich innerhalb von drei Tagen ab Zustellung dieses Bescheides einer ärztlichen Untersuchung im Verkehrsamt der Bundespolizeidirektion Wien zu unterziehen. Für den Fall der "Nichterfüllung dieser Forderung" wurde ihm die Entziehung der Lenkerberechtigung angedroht. In der Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, daß anläßlich eines Vorfalles am 30. März 1984, an welchem der Beschwerdeführer mit dem Lohnkraftwagen W nn.nnn an einem Verkehrsunfall beteiligt gewesen sei und einen anderen Unfallbeteiligten mit einer Eisenstange attackiert habe, bei der Behörde Bedenken bestünden, ob er die geforderte gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen besitze. Nach der Aktenlage wurde versucht, dem Beschwerdeführer diesen Bescheid am 8. Oktober 1984 in einem Polizeigefangenenhaus zuzustellen. Der Beschwerdeführer habe aber - nach einem Aktenvermerk von diesem Tage - die Annahme des Bescheides verweigert; der Bescheid sei zu seinen Effekten gegeben worden. Im Verwaltungsakt erliegt ferner ein Anbringen des Beschwerdeführers vom 15. Oktober 1984, in dem es u.a. lautet: "Mir wurde soeben ein Bescheid des VA.-Wien im Bezug auf Führerschein und Taxilenkerausweisentzug (GZ. weiß ich im Moment keine) vorgehalten, gegen den ich innerhalb offener Frist Einspruch erhebe, bzw. berufe. Auch lehne ich ein Erscheinen vor dem Amtsarzt im VA dzt. ab! (solange ich in Haft bin)! Auf freien Fuß gesetzt, werde ich mir die Sache dann näher ansehen!"

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 14. November 1984 wurde diese Berufung als unzulässig zurückgewiesen, da der Beschwerdeführer beschränkt entmündigt und der erstinstanzliche Bescheid vom 8. Oktober 1984 mangels Zustellung an den Sachwalter nicht rechtswirksam erlassen worden sei. Dieser Berufungsbescheid und der erstinstanzliche Bescheid vom 8. Oktober 1984 wurden dem Sachwalter des Beschwerdeführers am 30. November 1984 zugestellt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der erstinstanzliche Bescheid vom 8. Oktober 1984 dahingehend abgeändert, daß sich der Beschwerdeführer "innerhalb einer Woche ab Zustellung dieses Berufungsbescheides im Verkehrsamt der Bundespolizeidirektion Wien ……… untersuchen zu lassen" habe.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde beantragt der Beschwerdeführer, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zunächst ist festzustellen, daß die an den Beschwerdeführer persönlich erfolgte Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides nicht dessen Erlassung im Rechtssinne bewirkt hat. Der Beschwerdeführer, der vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Sachwalterschaft für behinderte Personen, BGBl. Nr. 136/1983, beschränkt entmündigt worden war, stand zu diesem Zeitpunkt unter Sachwalterschaft und war einem mündigen Minderjährigen gleichgestellt (vgl. Art. X Z. 3 Abs. 1 leg. cit.). Vom Schutzzweck der Rechtsinstitute der Entmündigung bzw. der Sachwalterschaft ist davon auszugehen, daß jedenfalls der Entzug von Rechten nur unter Mitwirkung des Sachwalters erfolgen darf. Auf die Frage, ob eine unter Sachwalterschaft stehende Person sich auch zur Erlangung einer Berechtigung - hier einer Lenkerberechtigung - ihres Sachwalters zu bedienen hat, brauchte im gegebenen Zusammenhang nicht eingegangen zu werden. Was aber für die Entziehung der Berechtigung gilt, muß in gleicher Weise auch für alle behördlichen Maßnahmen gelten, die im Zuge eines von Amts wegen eingeleiteten Entziehungsverfahrens gesetzt werden, insbesondere dann, wenn sie - wie eine Aufforderung nach § 75 Abs. 2 KFG 1967 - unmittelbar die Entziehung der Berechtigung nach sich ziehen können. Die Aufforderung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, war daher dem Beschwerdeführer gegenüber erst mit der Zustellung des Bescheides der Bundespolizeidirektion Wien vom 8. Oktober 1984 an den Sachwalter rechtswirksam. Ob die belangte Behörde zu Recht die Zurückweisung der vom Beschwerdeführer selbst erhobenen Berufung ausgesprochen hat, kann angesichts der Rechtskraft dieses Zurückweisungsbescheides dahingestellt bleiben. Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid jedenfalls zu Recht eine Sachentscheidung über die vom Sachwalter namens des Beschwerdeführers eingebrachte Berufung gefällt.

2. Gemäß § 75 Abs. 1 KFG 1967 ist unverzüglich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wenn Bedenken, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Berechtigung noch gegeben sind, bestehen. Gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 ist vor der Entziehung der Lenkerberechtigung wegen mangelnder geistiger Eignung ein neuerliches ärztliches Gutachten einzuholen. Leistet der Besitzer einer Lenkerberechtigung einem rechtskräftigen Bescheid mit der Aufforderung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, keine Folge, so ist ihm die Lenkerberechtigung zu entziehen. Gemäß § 31 Abs. 1 KDV 1967 in der auf den Beschwerdefall anzuwendenden Fassung gelten Personen als geistesgesund, bei denen weder Geisteskrankheiten noch schwere geistige oder seelische Störungen noch wesentliche Störungen der Beobachtungs-, Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit sowie des Erinnerungsvermögens vorliegen.

Die Behörde begründete ihre Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers mit einem Vorfall vom 30. März 1984 und mit der Tatsache, daß der Beschwerdeführer wegen paranoider Querulanz "beschränkt entmündigt" sei (die Sachwalterschaft wurde laut Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 4. Oktober 1985, also nach Erlassung des angefochtenen Bescheides, mit der Maßgabe aufgehoben, daß sie nur in einem näher bezeichneten zivilgerichtlichen Verfahren aufrecht bleibe).

Die beschränkte Entmündigung des Beschwerdeführers war der belangten Behörde zum Zeitpunkt der Erteilung der Lenkerberechtigung an den Beschwerdeführer bekannt. Die ursprünglich im Hinblick auf Bedenken gegen die geistige Eignung des Beschwerdeführers nur befristet erteilte Lenkerberechtigung wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. April 1979 aufgehoben und dem Beschwerdeführer am 18. Mai 1979 durch Aushändigung eines entsprechenden Führerscheines eine unbefristete Lenkerberechtigung erteilt. Bedenken gegen den Fortbestand der Erteilungsvoraussetzungen müssen sich daher - allenfalls in Verbindung mit der aufrechten Entmündigung oder Sachwalterschaft - auf Umstände stützen, die sich seit der Erteilung der Lenkerberechtigung ereignet haben. Als solchen Umstand zieht die belangte Behörde ausschließlich den "Vorfall vom 30. 3. 84" heran. Diesbezüglich ist aktenkundig, daß auf Grund einer Aufforderung eines Taxilenkers gegen den Beschwerdeführer Anzeige wegen Verdachtes der Körperverletzung erstattet worden ist; der Beschwerdeführer (damals selbst Taxilenker) soll im Zuge eines Streites mit dem Aufforderer diesen mit einer Eisenstange geschlagen haben; der Beschwerdeführer hat dies bestritten und angegeben, daß er die Eisenstange in Notwehr ergriffen, damit aber nicht zugeschlagen habe; anschließend hat der Beschwerdeführer den Taxistandplatz mit seinem Pkw verlassen; der Aufforderer ist ihm dabei nachgefahren und es kam zwischen beiden zu einem Auffahrunfall. Wenngleich sich diesbezüglich keine weiteren Unterlagen im Verwaltungsakt befinden, insbesondere über den Ausgang allfälliger Strafverfahren vor Gerichten und Verwaltungsbehörden, und auch die Behörde nicht dargetan hat, auf Grund welcher konkreten Sachverhaltselemente sie welche Bedenken gegen die geistige Eignung des Beschwerdeführers geschöpft hat, vermag ihr der Verwaltungsgerichtshof doch insofern zu folgen, als das Führen einer Auseinandersetzung unter Berufskollegen unter Zuhilfenahme einer (60 cm langen) Eisenstange - und sei es tatsächlich nur zur Androhung von Abwehrhandlungen - in einem Maße unüblich und auffällig ist, daß Bedenken in der Richtung entstehen können, der Beschwerdeführer weise eine schwere geistige oder seelische Störung im Sinne des § 31 KDV 1967 auf. Die Behörde durfte von einer gewissen psychischen Labilität des Beschwerdeführers ausgehen, die sie zwar im Jahre 1979 als die geistige Eignung nicht beeinträchtigend qualifiziert hat, die jedoch eine verstärkte Wachsamkeit der Behörde gegenüber dem Beschwerdeführer rechtfertigt. Wenn auch der Vorfall, so wie er aktenkundig ist, für sich allein Bedenken an der geistigen Eignung des Beschwerdeführers nicht hätte hervorrufen können - auf die Frage der Verkehrszuverlässigkeit ist die belangte Behörde nicht eingegangen -, so durfte der Vorfall im Zusammenhang mit der für den Beschwerdeführer bestehenden Sachwalterschaft, die ebenfalls für sich allein im gegenständlichen Zusammenhang nicht ins Gewicht zu fallen vermag, Bedenken im Sinne des § 75 Abs. 1 KFG 1967 entstehen lassen (vgl. dazu die auf eine vergleichbare Konstellation bezughabenden Ausführungen im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. November 1981, Zl. 81/02/0173). Die belangte Behörde brauchte daher auf die weiteren aktenkundigen Vorfälle, in die der Beschwerdeführer verwickelt war, nicht zurückzugreifen.

Die Bedenken gegen die geistige Eignung des Beschwerdeführers waren somit berechtigt. Die Aufforderung, sich innerhalb einer Woche einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, war daher nicht gesetzwidrig. Es ist auch nicht erkennbar, aus welchem Grunde die Behörde eine längere Frist hätte setzen müssen. Anders als im Falle der Aufforderung, ein ärztliches Gutachten beizubringen, ist es möglich und zumutbar, einer Aufforderung, sich zur Behörde zu begeben und vom Amtsarzt untersuchen zu lassen, auch innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Frist nachzukommen. Unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit ist im Gegenteil sogar die Setzung einer möglichst kurzen Frist geboten.

Bemerkt wird, daß es der Aktenlage nach nicht darum geht, einen der Behörde mißliebigen und alle möglichen rechtlichen Schritte ausschöpfenden Verkehrsteilnehmer "aus den Akten und dem Bearbeitungsbereich der Behörde zu verbringen", wiewohl unter Umständen auch allfällige Schreibweisen gegenüber der Behörde Bedenken an der geistigen Eignung des Schreibers rechtfertigen können (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. April 1972, Zl. 1597/71). Bemerkt wird auch, daß das in der Beschwerde enthaltene Angebot des Beschwerdeführers, einen Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle beizubringen, für die Frage der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ohne Bedeutung ist.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet. Sie war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Hinsichtlich der zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes wird an Art. 14 Abs. 4 dessen Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 18. Dezember 1985

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte