Normen
AsylG 1968 §3 idF 1974/796;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1985010165.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein polnischer Staatsangehöriger, hält sich seit März 1981 im Bundesgebiet auf. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 1. März 1983 (zugestellt am 5. Mai 1983) wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention ist. Am 10. August 1983 reiste die Ehefrau des Beschwerdeführers in Begleitung ihrer Kinder in das Bundesgebiet legal ein und stellte am 26. August 1983 einen Asylantrag. Im Zuge dieses Feststellungsverfahrens wurde bekannt, daß der Beschwerdeführer nach Einbringung eines Asylantrages am 2. September 1982 sowie am 17. Februar 1983 im polnischen Konsulat in Wien zwecks Verlängerung der Gültigkeitsdauer seines Reisepasses vorstellig geworden war. Die begehrten Verlängerungen wurden erteilt. Weiters kam im Zuge dieses Verfahrens hervor, daß der Beschwerdeführer seit März 1983 in einem Vertragsverhältnis zu dem polnischen Außenhandelsunternehmen P-Service gestanden sei. In dem Vertrag habe er sich verpflichtet, monatlich S 1.500,-- an dieses Unternehmen zu zahlen; als Gegenleistung dafür wurde seiner Gattin sowie seinen Kindern ein gültiges Reisedokument für die Reisen nach Wien ausgestellt. Nach der Vertragsunterzeichnung mit P-Service hätte der Beschwerdeführer sich in die polnische Botschaft in Wien begeben, wo ihm eine Einladung für seine Ehefrau beglaubigt worden sei. Aufgrund dieser Einladung hätte seine Gattin dann einen Touristenpaß erhalten und sei am 15. April 1983 auf Besuch nach Wien gereist. Anfang Mai 1983 habe sich der Beschwerdeführer neuerlich mit seiner Ehefrau in die polnische Botschaft in Wien begeben, um eine neuerliche Einladung für seine Gattin sowie für seine Kinder nach Wien beglaubigen zu lassen. In den Folgemonaten hätte der Beschwerdeführer mehrmals bei P-Service persönlich vorgesprochen, um die im Vertrag fixierten Prozentzahlungen zur Einzahlung zu bringen. Als kurze Zeit später die Ehefrau des Beschwerdeführers in Begleitung ihrer beiden Kinder in das Bundesgebiet eingereist sei, sei sie im Besitze eines am 25. Juli 1983 ausgestellten und bis 25. Juli 1985 gültigen polnischen Dienstpasses gewesen.
Aufgrund dieses Sachverhaltes hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit Bescheid vom 22. März 1984 festgestellt, daß hinsichtlich des Beschwerdeführers einer der im Art. 1, Abschnitt C der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, genannten Tatbestände eingetreten und der Beschwerdeführer daher gemäß § 3 des Asylgesetzes nicht mehr als Flüchtling anzusehen sei.
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer berufen.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Februar 1985 wurde dieser Berufung nicht Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. In der Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, die belangte Behörde sei im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu der Ansicht gelangt, daß der Bescheid der Behörde erster Instanz zu Recht ergangen sei. Gemäß Art. 1 Abschnitt A, Z. 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge soll der Begriff "Flüchtling" für jene Personen gelten, die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Heimatlandes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen können oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen wollen. Als essentielles Merkmal dieser Bestimmung sei anzusehen, daß der Heimatstaat dem Flüchtling den Schutz verweigere bzw. der Flüchtling einen derartigen Schutz nicht in Anspruch nehmen könne. Nur wenn eine Person diese Kriterien erfülle, so qualifiziere sie sich prinzipiell für den Schutz der Vereinten Nationen, der durch den Hochkommissar gewährleistet werde. Daraus resultiere, daß gemäß Art. 1, Abschnitt C, Z. 1 der Konvention ein Flüchtling, der sich freiwillig erneut dem Schutze des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt habe, keinen internationalen Schutz mehr benötige. Unter "Schutzfunktion" sei zu verstehen, wenn ein Flüchtling die Dienste seines Heimatstaates beantragt und diese ihm gewährt werden. In der Beurteilung dieser Frage sei zu differenzieren, ob es sich hiebei um gelegentliche und beiläufige Kontakte mit den Behörden des Heimatstaates oder um einschneidende, auf zeitliche Dauer gerichtete Maßnahmen handle. Unter Einbeziehung des bisherigen Ermittlungsergebnisses sei die belangte Behörde zu der Überzeugung gelangt, daß die Kontakte und Vereinbarungen des Beschwerdeführers mit "P-Service", welche als Ausgliederung der polnischen Vertretungsbehörde in Österreich zu betrachten sei, sowie die Besuche des Beschwerdeführers in der polnischen Botschaft anläßlich seiner Paßverlängerung sowie der Beglaubigung der Einladungen für seine Familie, in Summe gesehen, zweifellos als freiwillige Inanspruchnahme von Dienstleistungen polnischer Behörden gewertet werden könnten. Da den Wünschen des Beschwerdeführers vollinhaltlich Rechnung getragen worden sei, könne daher in der Beurteilung seines Flüchtlingsstatus davon ausgegangen werden, daß er sich freiwillig erneut dem Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitze, unterstellt habe und daher keinen internationalen Schutz mehr benötige. Daß der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seine Heimat mit keinerlei Verfolgungen im Sinne der Genfer Konvention zu rechnen habe, sei unter anderem daraus ersichtlich, daß laut Angaben seiner Ehefrau vom 7. November 1983 die polnischen Behörden im Zuge der Paßausstellung davon in Kenntnis gewesen seien, daß er in Österreich einen Asylantrag eingebracht habe. Dieser Umstand habe sich jedoch in keiner Weise negativ ausgewirkt, sondern sei in weiterer Folge sogar der Ehefrau und ihren Kindern durch Ausstellung von Dienstpässen ihre Einreise nach Österreich ermöglicht worden. Die asylrechtlichen Bescheide hätten einen rein feststellenden und keinen rechtsbegründenden Charakter. Es sei somit die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe ab dem Zeitpunkt der bescheidmäßigen Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft keinen Kontakt mit der polnischen Botschaft in Wien gehabt, irrelevant, zumal festgestellt werde, daß er nach der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft persönlich im Büro des polnischen Außenhandelsunternehmens P-Service vorstellig gewesen sei, um dort die vereinbarten Einzahlungen vorzunehmen. Der Beschwerdeführer habe somit vor der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Kontakte zu polnischen Behörden angeknüpft und diese auch noch zu einem Zeitpunkt unterhalten, wo er bereits anerkannter Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention gewesen sei. Die belangte Behörde sei somit aufgrund des bisherigen Ermittlungsverfahrens zur Ansicht gelangt, daß der Bescheid der Behörde erster Instanz zu Recht ergangen sei. Das Amt des Hochkommissars der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge sei im Verfahren gemäß § 9 Abs. 3 des Asylgesetzes gehört worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Rechte auf Anerkennung als Flüchtling und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, verletzt.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 3 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGB1. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder nicht mehr Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn festgestellt wird, daß hinsichtlich seiner Person einer der im Art. 1 Abschnitt C oder F lit. a oder c der Konvention genannten Tatbestände eingetreten ist. Diese Feststellung ist von Amts wegen zu treffen.
Die belangte Behörde stützt ihren Bescheid im besonderen auf Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Konvention, wonach dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet werden wird, wenn sie sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat.
Soweit in der Beschwerde ausgeführt wird, die Annahmen der belangten Behörde im Feststellungsverfahren über die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers seien zutreffend gewesen und würden auch jetzt noch gelten, sind jene Ausführungen ohne Bedeutung, weil nach der Rechtslage im vorliegenden Fall allein die Frage maßgebend ist, ob sich der Beschwerdeführer wieder unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt hat.
Die belangte Behörde ist aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens zu dem Schluß gekommen, daß für den Beschwerdeführer eine begründete Furcht vor Verfolgung in seinem Heimatland nicht mehr bestehe, weil er sich freiwillig unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt hat, wobei ein tragendes Element des angefochtenen Bescheides die Feststellung ist, daß der Beschwerdeführer nach der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft persönlich im Büro der P-Service vorstellig wurde, um dort die vereinbarten Zahlungen vorzunehmen. Dies ist nicht ausreichend, weil in der Erfüllung eines Vertrages mit der P-Service und auch in der Verlängerung der Gültigkeitsdauer eines Reisepasses während des Berufungsverfahrens sowie in der angestrebten Beglaubigung einer Einladung für die in Polen lebende Ehefrau des Beschwerdeführers nach Österreich bei der polnischen Botschaft jedenfalls keine Unterschutzstellung im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 erblickt werden kann. Alleiniger Zweck des Inhaltes des Vertrages war die Ermöglichung der Ausreise seiner Familienangehörigen. Mit dieser Frage hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt, obwohl der Beschwerdeführer dies in der Berufung vorgebracht hat und den Akten zu entnehmen ist, daß der Inhalt des Vertrages der belangten Behörde bekannt war. Wenn jemand den Vertrag mit dem Heimatstaat ausschließlich zum Zwecke schließt, um die Familie zusammenzuführen, ist dies noch keine Unterschutzstellung.
Da die Begründung mangelhaft geblieben ist, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VWGG aufzuheben, da nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Da bereits in der Sache selbst eine Entscheidung getroffen worden ist, erübrigt es sich, über den Antrag der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, zu entscheiden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.
Wien, am 20. September 1985
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