VwGH 84/17/0007

VwGH84/17/000713.12.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Hnatek, Dr. Wetzel und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Tobola, über die Beschwerde der K‑Jugend in W, vertreten durch Dr. Othmar Slunsky, Rechtsanwalt in Wien I., Schottenring 28/1/4, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom 15. November 1983, Zl. MDR‑K 33/82 und K 34/82, betreffend Nachsicht von Vergnügungssteuer, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §236 Abs1
LAO Wr 1962 §182 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1984170007.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Bezüglich der Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 1982, Zlen. 81/17/0215, 0216, verwiesen. In dieser Entscheidung vertrat der Verwaltungsgerichtshof im wesentlichen die Rechtsanschauung, daß die damals und nunmehr belangte Behörde über die Anträge der Beschwerdeführerin auf Nachsicht von Vergnügungssteuer (betreffend das Jahr 1976) gemäß § 37 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963, LGBl. Nr. 11, in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 37/1976 zufolge Aufhebung dieser Bestimmung durch Art. I Z. 26 der Novelle LGBl. Nr. 16/1981 auf der Grundlage des hiedurch auch insoweit anwendbar gewordenen § 182 Abs. 1 WAO zu entscheiden habe.

Im fortgesetzten Berufungsverfahren gab die belangte Behörde der Beschwerdeführerin Gelegenheit zu einer ergänzenden Stellungnahme. In ihrer Äußerung führte die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf frühere Schriftsätze sinngemäß aus, die Einhebung der vom Nachsichtsbegehren umfaßten Vergnügungssteuerschuldigkeiten sei zufolge einer rückwirkenden Gesetzesänderung unbillig (gemeint ist die mit 1. Jänner 1976 in Kraft gesetzte Neufassung der Befreiungsbestimmung des § 5 Abs. 1 Z. 3 Vergnügungssteuergesetz durch die Novelle LGBl. Nr. 37/1976 in Verbindung mit der mit 1. Jänner 1977 in Kraft getretenen Anfügung unter anderem des Abs. 3 in § 37 Vergnügungssteuergesetz durch die genannte Novelle, wodurch der Stadtsenat ermächtigt wurde, in Einzelfällen über schriftliches Ansuchen die Veranstalter von kulturell wertvollen Vergnügungen für ein Kalenderjahr im vorhinein von der Entrichtung der Vergnügungssteuer unter den dort näher umschriebenen Voraussetzungen zu befreien). Die Rechtsentwicklung sei für die Beschwerdeführerin nicht vorhersehbar gewesen, sodaß auch keine entsprechende Vorsorge bei der Kalkulation der Eintrittspreise für Konzertveranstaltungen getroffen worden sei. Die Beschwerdeführerin sei eine gemeinnützige, nicht auf Gewinn gerichtete Vereinigung ohne Betriebskapital, aus dem unvorhergesehene und unvorhersehbare Zahlungen geleistet werden könnten. Für nachträgliche Kostenerhöhungen sei keine Deckung vorhanden. Die Entrichtung der Abgabenschuld in Raten erfolge aus den laufenden Umsätzen nach dem Prinzip: „ein Loch aufreißen und damit das andere zustopfen“, d.h. es bestünden die größten Schwierigkeiten, die nachträglich vorgeschriebene Steuer zu finanzieren. Wenn die Vergnügungssteuer eingehoben würde, „müßten wir unsere Tätigkeit einstellen“.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin unter Verneinung der Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im Sinne des § 182 Abs. 1 WAO abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, daß eine rückwirkende Änderung der für die Steuerpflicht maßgebenden Bestimmungen für sich keine Unbilligkeit im Sinne der zitierten Gesetzesstelle darstelle, zumal die Nachsichtsgewährung voraussetze, daß im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber nicht beabsichtigtes Ergebnis eintrete. Daß die Beschwerdeführerin keine Vorsorge für die Entrichtung der Vergnügungssteuer getroffen habe, könnte nur dann eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung begründen, wenn es der Beschwerdeführerin auf Grund objektiver Gegebenheiten nicht möglich sei, die Abgabe auch in Zukunft zu entrichten. Ein derartiges begründetes Vorbringen habe aber die Beschwerdeführerin nicht erstattet. Daß sie eine gemeinnützige Vereinigung sei, vermöge nicht darzutun, «weshalb eine Abgabenentrichtung nicht möglich sei, zumal nicht ersichtlich sei, weswegen die Abgabenschuld nicht bei der Kalkulation der Kosten künftiger Veranstaltungen als deren Bestandteil berücksichtigt werde. Zudem zeige die Überprüfung der Ausgaben der Beschwerdeführerin für das Jahr 1976, daß in anderen Bereichen eine eher großzügige Geldgebarung vorherrsche, sodaß die Beschwerdeführerin bei strikter Sparsamkeit die aushaftende Vergnügungssteuer zumindest ratenweise ohne Beeinträchtigung ihres Zieles entrichten könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch einen „Verstoß des § 182 WAO“ sowie durch Nichteinhaltung von Verfahrensvorschriften in ihren Rechten verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 182 Abs. 1 WAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig ist. Abs. 1 findet auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung. Ein solcher Antrag ist gemäß Abs. 2 leg. cit. nur innerhalb der Frist des § 184 zulässig.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere auch zur inhaltsgleichen Bestimmung des § 236 Abs. 1 BAO setzt eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im allgemeinen voraus, daß die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen steht, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder einen Steuergegenstand ergeben, daß also ein wirtschaftliches Mißverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im subjektiven Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen vorliegt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1985, Zl. 82/17/0021, und die dort zitierten Vorentscheidungen). Eine aus dem Gesetz selbst folgende Unbilligkeit ist der Beseitigung im Wege der Nachsicht grundsätzlich entzogen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 8. November 1973, 21. 797/72). Eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann aber gegeben sein, wenn bei Anwendung des Gesetzes im Einzelfall ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 27. Oktober 1972, Zl. 582/72, und vom 24. September 1979, Zl. 2203/77).

Im vorliegenden Fall ist nun zunächst der belangten Behörde darin beizupflichten, daß die von der Beschwerdeführerin in den Vordergrund ihrer Betrachtung gerückte Gesetzeslage bzw. Änderung derselben für sich allein eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nicht begründen konnte. Die Beschwerdeführerin hat aber schon im Verwaltungsverfahren auf eine Reihe tatsächlicher Umstände hingewiesen, die insgesamt die Beurteilung rechtfertigen, eine Unbilligkeit der in Rede stehenden Art liege gegenständlich vor. Denn es trifft zu, daß die Beschwerdeführerin bei der Kalkulation der Preise für Karten zum Besuch ihrer Veranstaltungen im Jahre 1976 im Vertrauen auf die damalige Rechtslage nicht damit zu rechnen brauchte, ihr werde in diesem Zusammenhang durch eine spätere rückwirkende Gesetzesänderung nachträglich eine zu diesem Zeitpunkt auf die seinerzeitigen Besucher nicht mehr überwälzbare Vergnügungssteuerschuld erwachsen. Die Behauptung der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren, die Entrichtung dieser Schuld würde sie in ihrer Eigenschaft als gemeinnütziger Verein ohne Betriebskapital vor größte finanzielle Probleme stellen, weswegen die Abgabeneinhebung unbillig wäre, blieb unwiderlegt.

Wenn die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides hiezu ausführt, daß die Beschwerdeführerin ein begründetes Vorbringen, die Abgaben auf Grund objektiver Gegebenheiten in Zukunft nicht entrichten zu können, nicht „erstattet“ habe, so ist dies im Hinblick auf die konkreten Ausführungen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht zutreffend. Der Beschwerdeführerin ist auch in bezug auf die Führung des Nachweises der Richtigkeit ihrer Behauptungen kein Vorwurf zu machen, weil sie die von den Verwaltungsinstanzen zur Entscheidung über die Nachsichtsansuchen für erforderlich gehaltenen Unterlagen vorgelegt hat und sogar eine abgabenbehördliche Prüfung bei ihr vorgenommen wurde.

Daß die Beschwerdeführerin als gemeinnütziger Verein nicht gehindert sei, die Abgabenbelastung bei der Kostenkalkulation für zukünftige Veranstaltungen zu berücksichtigen, kann den angefochtenen Bescheid schon deswegen nicht vor seiner Aufhebung bewahren, weil ein solcher Schluß voraussetzt, daß eine Erhöhung der Preise für Karten zum Besuch von Veranstaltungen der Beschwerdeführerin überhaupt und gegebenenfalls auch ohne Verstoß gegen die von einem gemeinnützigen Verein zu beobachtende Geschäftsgebarung möglich ist. Feststellungen, die diesen Schluß rechtfertigen könnten, hat aber die belangte Behörde nicht getroffen.

Die belangte Behörde hat dadurch, daß sie die eine Rechtsvoraussetzung für eine Nachsicht gemäß § 182 Abs. 1 WAO darstellende Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im Beschwerdefall zu Unrecht verneinte, das Gesetz verkannt. Infolgedessen mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2. Stempelgebührenersatz war nur für die zur Beschwerdeführung erforderlichen Unterlagen zuzuerkennen.

Wien, am 13. Dezember 1985

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte