VwGH 84/06/0031

VwGH84/06/003131.10.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Straßmann und die Hofräte Mag. Onder, DDr. Hauer, Dr. Würth und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kratzert, über die Beschwerde des ES und der AS in I, vertreten durch Dr. Josef Heis, Rechtsanwalt in Innsbruck, Anichstraße 10/I, gegen den Bescheid der Berufungskommission in Bausachen der Landeshauptstadt Innsbruck vom 6. Dezember 1983, Zl. St.S. 97/1983, betreffend Anrainereinwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: Dkfm. HH in S, vertreten durch Dr. Peter Lechner, Rechtsanwalt in Innsbruck, Schöpfstraße 6 b), zu Recht erkannt:

Normen

BauO Tir 1978 §6
BauRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1984060031.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben der Landeshauptstadt Innsbruck Aufwendungen in der Höhe von je S 1.380,-- (zusammen somit S 2.760,--) und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von je S 4.730,-- (zusammen somit S 9.460,--) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Februar 1983 stellte die mitbeteiligte Partei beim Stadtmagistrat Innsbruck den Antrag auf Erteilung der Baubewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses mit 12 Wohnungen, 4 Garagen sowie Abstellplätzen auf dem Grundstück Nr. 1713/3, KG. X. Das Grundstück grenzt im Norden an das Grundstück Nr. 1713/4 und im Osten an das mit der Nr. 1714/5. Die gegenständliche Grundfläche steht mit dem Grundstück Nr. 1714/4 der Beschwerdeführer im Nordosten lediglich in Punktberührung. Der maßgebende Bebauungsplan Nr. 63/ag vom 24. Juli 1962 weist zudem an der Ostgrenze der gegenständlichen Grundfläche gemäß den eingezeichneten Straßenfluchtlinien einen 3 m breiten Verbindungsweg in Richtung Norden zur B‑Gasse auf, wobei die (östlichen) Grundgrenzen zugleich die Straßenachse dieses verordneten Weges bilden, sodaß jeweils 1,50 m der Straßenbreite in die östlichen und die westlichen Grundstücke, darunter auch das der Beschwerdeführer, reicht. Der Weg setzt sich nach Süden zur W-gasse fort.

Bei der mündlichen Bauverhandlung vom 9. Mai 1983 erhoben die Beschwerdeführer insbesondere folgende Einwendungen:

„1) Zur Benützung des eröffneten Weges zwischen der verbauten Grundparzelle 1713/4 und unserer Grundparzelle 1714/4:

Es dürfte bekannt sein, daß der eröffnete Weg zwischen den beiden vorgenannten Grundparzellen bisher rechtlich noch nicht existiert, da noch keine Straßengrundabtretung verfügt und verbüchert wurde. Die ob unserer Liegenschaft ... verbücherte Dienstbarkeit der Zufahrt für Ing. EM bezieht sich nach dem Inhalt der Vertragsurkunde nur auf die Gp. 1714/5 ... und nur auf die Bewohner des eben erwähnten Wohnhauses. ...

2) Wir sind der Auffassung, daß im Hinblick auf die schon vor Jahren erfolgten Bauausführungen auf der Gp. 1713/4, bei der die Baulinie des Neubaues nach den Mindestabständen zu unserer Grundgrenze bewilligt wurde, nachträglich kein öffentl. Weg zwischen den Parzellen 1713/4 und 1714/4 mehr errichtet werden kann, ohne die vorgesehenen Mindestabstände nachträglich zu unterlaufen und gegenstandslos zu machen. ...

3) Zum Bauvorhaben an sich: Wir sind der Auffassung, daß bei diesem Bauvorhaben die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstände nicht eingehalten werden. So müßte an der Ostseite des geplanten Objektes bei einer Traufenhöhe von 8,10 m der Mindestabstand 8,10 x 0,7 = 5,67 m anstatt wie im Plan eingezeichnet 5,15 m betragen. Außerdem wäre unserer Meinung nach der Abstand von der lt. Bebauungsplan vorgesehenen Straßenfluchtlinie zu rechnen und nicht von der Grundstücksgrenze.“

Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom 18. August 1983 wurde gemäß § 31 Abs. 9 der Tiroler Bauordnung (BO) die Baubewilligung unter verschiedenen, hier nicht maßgebenden Auflagen erteilt und die gegenständlich relevanten Einwendungen betreffend Abstände gemäß § 30 in Verbindung mit § 6 BO und den Bestimmungen des Bebauungsplanes Nr. 63/ag als unbegründet abgewiesen. In der Baubeschreibung wurde u. a. darauf verwiesen, es handle sich um ein unterkellertes Wohnhaus mit einem Erd-, zwei Obergeschossen und einem Dachgeschoß. Das 17 (Nord- und Südgrenze) x 13 (Ost- und Westgrenze) x 8,28 m große Objekt werde so in das Grundstück gestellt, daß der Gebäudeabstand im Norden und Süden 6,75 m, im Westen 5,67 m und im Osten 6,65 m betrage. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die Zufahrt zum Bauplatz erfolge bis zur Realisierung des öffentlichen Weges vom Norden her vom Süden. Zur Ostgrenze weise das Gebäude einen Abstand von 6,65 m und zur Straßenfluchtlinie einen Abstand von 5,15 m auf. Gemäß § 6 BO sei der Abstand baulicher Anlagen von Verkehrsflächen (im Anlaßfall durch die Straßenfluchtlinien gekennzeichnet) durch die im Bebauungsplan festgelegte Baufluchtlinie bestimmt. Da der gegenständliche Bebauungsplan Nr. 63/ag jedoch keine Baufluchtlinien enthalte, sei im Sinne des § 6 Abs. 4 BO der Abstand des Gebäudes von der Verkehrsfläche so zu bemessen, daß den Erfordernissen des Verkehrs Rechnung getragen und der Schutz eines erhaltenswerten Orts- und Straßenbildes gewährleistet sei. Aus den gutächtlichen Stellungnahmen der Amtssachverständigen sei zu entnehmen, daß bei Einhaltung des geplanten Abstandes dem entsprochen werde. Weiters sei festgestellt, daß sogar entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer der Abstand zur östlichen Grundgrenze mehr als das 0,7-fache der Gebäudehöhe, nämlich 6,65 m betrage.

In der dagegen erhobenen Berufung vertraten die Beschwerdeführer u. a. die Meinung, daß der Bebauungsplan, da er insbesondere keine Baufluchtlinien aufweise, nicht als Grundlage für die Baubewilligung dienen könne, und die vorgeschriebenen Abstände nicht eingehalten worden seien.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 6. Dezember 1983 wurde der Berufung nicht Folge gegeben. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, laut Bebauungsplan Nr. 63/ag sei an der Ostseite des Bauplatzes ein 3 m breiter Zufahrtsweg zur B‑Gasse geplant und durch Straßenfluchtlinien ausgewiesen. Eine Baufluchtlinie sei zwar entgegen der Bestimmung des § 22 Tiroler Raumordnungsgesetz (LGBl. Nr. 10/1972: TROG) nicht ausgewiesen. Zum Zeitpunkt der Erlassung der gegenständlich maßgebenden Verordnung (Bebauungsplan) sei das Tiroler Raumordnungsgesetz noch nicht in Kraft gewesen und habe somit für den Verordnungsgeber eine Verpflichtung zur Aufnahme von Baufluchtlinien in den Bebauungsplan nicht bestanden. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer sei der als Verordnung zu qualifizierende Bebauungsplan im Anlaßfall anzuwenden, auch wenn er nicht alle im Raumordnungsgesetz enthaltenen Voraussetzungen erfülle. Für die Berechnung des Abstandes zu dem den Beschwerdeführern gehörenden und teilweise als Verkehrsfläche ausgewiesenen Grundstück Nr. 1714/4 sei daher ‑ wie die Erstbehörde richtig festgestellt habe ‑ zweifelsfrei § 6 BO (Abstände baulicher Anlagen von Verkehrsflächen) heranzuziehen. Danach werde zwar der Abstand baulicher Anlagen von Verkehrsflächen grundsätzlich durch die im Bebauungsplan enthaltene Baufluchtlinie bestimmt. Da jedoch der maßgebende Bebauungsplan keine enthalte, könne die Abstandsbestimmung nur gemäß § 6 Abs. 4 BO erfolgen, der besage, daß, soweit kein Bebauungsplan besteht, der Abstand zu den Verkehrsflächen im Einzelfall so zu bemessen ist, daß den Erfordernissen des Verkehrs Rechnung getragen, der Schutz eines erhaltenswerten Orts- und Straßenbildes gewährleistet wird und, soweit ein einheitlicher Mindestabstand bestehender Gebäude vorhanden ist, dieser nicht unterschritten wird. Das Fehlen eines Bebauungsplanes sei jedoch nach Ansicht der Berufungsbehörde, da eine andere Lösungsmöglichkeit weder aus den Bestimmungen der Bauordnung noch des Raumordnungsgesetzes abzuleiten sei, dem Umstand gleichzuhalten, daß im bestehenden Bebauungsplan der Abstand zu den Verkehrsflächen nicht durch Baufluchtlinien festgelegt wurde. Die Baubehörde sei daher unter Beachtung der obgenannten Kriterien berechtigt, den Abstand des geplanten Gebäudes von den als Verkehrsfläche im Bebauungsplan ausgewiesenen Gpn. 1713/4 und 1713/3 im Einzelfall zu bemessen. Da die im erstinstanzlichen Verfahren abgegebenen sachverständigen Stellungnahmen diesbezüglich auf fachlicher Ebene seitens der Beschwerdeführer nicht widerlegt werden konnten, sei dem in diese Richtung gehenden Berufungsvorbringen nicht Rechnung zu tragen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Ein gleichlautender Antrag wurde von der mitbeteiligten Partei in ihrer Gegenschrift gestellt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer teilen die Meinung der belangten Behörde, daß der Bebauungsplan Nr. 63/ag nach wie vor in Geltung steht, auf das gegenständlich relevante Bauvorhaben anzuwenden ist und demnach davon auszugehen ist, daß an den beiderseitigen gegenüberliegenden Grundgrenzen ein 3 m breiter Weg als Verkehrsfläche durch Straßenfluchtlinien festgelegt ist (vgl. hiezu § 3 Abs. 4 BO). Sie vertreten jedoch die Ansicht, möge auch dieser Bebauungsplan keine Baufluchtlinie für den maßgebenden Bereich enthalten, so könne dennoch nicht § 6 Abs. 4 BO zwecks Festlegung des Abstandes von dieser Verkehrsfläche herangezogen werden, zumal die Legende zum Bebauungsplan für den gegenständlichen Fall vorsehe, daß der Abstand des Gebäudes von der Verkehrsfläche das Zweifache des Grenzabstandes (Abstand eines Gebäudes zur Nachbargrundgrenze) zu betragen habe. Dieser Abstand sei aber nicht eingehalten worden. Vielmehr hätte ein Abstand festgelegt werden müssen, der mehr als das Doppelte des gegenständlich vorgesehenen ausmache.

Die von den Beschwerdeführern zitierte Legende zum Bebauungsplan (vom Gemeinderat am 27. April 1967 beschlossen, von der Landesregierung genehmigt am 15. Juni 1967) hat folgenden Wortlaut:

„Zum Bebauungsplan ... wird zur Legende für die Wohnbaufläche und gemischte Wohn- und Gewerbefläche der offenen Bauweise und der offenen Bauweise, Gruppen zugelassen, folgende Ergänzung beschlossen:

Abstandsbestimmungen:

Bei Baulängen bis zu 12 m = Grenzabstand mindestens 5.00 m; je Meter Mehrlänge = 0.20 m mehr Grenzabstand bis zu 10 m Grenzabstand.

Bei E + 2 und mehr muß jedoch ab Frontlänge über 15 m der Grenzabstand mindestens das 0.8‑fache der Gebäudehöhe betragen. Der Gebäudeabstand muß bei mehreren Gebäuden auf einer Parzelle bzw. an öffentlichen Verkehrsflächen (bestehend oder geplant) mindestens das 2‑fache des Grenzabstandes betragen.“

Dem Beschwerdevorbringen kommt jedoch keine Berechtigung zu.

Jeder Nachbar kann grundsätzlich nur jene Abstandsbestimmungen geltend machen, die sich gegenüber seiner Liegenschaft auswirken. Im vorliegenden Fall liegt die Grundfläche der Beschwerdeführer in keinem Punkt der Liegenschaft ‑ und schon gar nicht dem Gebäude ‑ der mitbeteiligten Partei gegenüber, sodaß die Beschwerdeführer in dem geltend gemachten Recht nicht verletzt wurden. Auch aus den Bestimmungen des zitierten Bebauungsplanes läßt sich keine andere Regelung ableiten. Die Erwähnung der Gebäudehöhe im Bebauungsplan dient nur als Hilfsmittel zur Berechnung der Abstände.

Da es somit den Beschwerdeführern nicht gelungen ist, die von ihnen behauptete Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides darzutun, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 31. Oktober 1985

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