VwGH 82/01/0210

VwGH82/01/021027.2.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jurasek und die Hofräte Dr. Draxler, Dr. Hoffmann, Dr. Herberth und Dr. Kremla als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberrat im Verwaltungsgerichtshof Dr. Feitzinger, über die Beschwerde des RV in W, vertreten durch Dr. Margareta Appel, Rechtsanwalt in Wien XXI, Hermann-Bahr-Straße 14, gegen den Bescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom 7. Juni 1982, Zl. MDR-V 12/81, betreffend Müllabfuhr, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §63 Abs1
AVG §66 Abs4
BAO §250 Abs1
MüllabfuhrG Wr 1965 §4
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1982010210.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 2.620,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 11. März 1981 beim Magistrat der Stadt Wien, die ihm gehörige Liegenschaft EZ 105 des Grundbuches über die Katastralgemeinde X, im Sinne des § 4 Abs. 2 des Wiener Müllabfuhrgesetzes 1965, LGBl. Nr. 19, von der öffentlichen Müllabfuhr auszunehmen. Er lebe allein in dem auf der Liegenschaft befindlichen Haus. Da er keinen Haushalt im landläufigen Sinne führe und brennbare Abfälle im eigenen Ofen verheizt würden, falle praktisch kein Müll an.

Mit Bescheid vom 19. November 1981 wies der Wiener Magistrat diesen Antrag jedoch ab und setzte für die angeführte Liegenschaft die Zahl der aufzustellenden Müllsammelgefäße mit 1, die Gefäßart mit 110 l und die Anzahl der jährlichen Einsammlungen mit 52 fest. Zur Begründung der Abweisung des vom Beschwerdeführer ausdrücklich auf § 4 Abs. 2 des Müllabfuhrgesetzes 1965 gestützten Ausnahmeantrages führte die Behörde an, daß sich auf der Liegenschaft ein bewohntes einstöckiges Haus befände, bei dem nach der allgemeinen Verkehrsanschauung Müll entstehe und ein solcher auch tatsächlich anfalle. Was die übrigen Festlegungen betrifft, so berief sich die Behörde erster Instanz im wesentlichen lediglich auf § 8 Abs. 1 des Müllabfuhrgesetzes 1965, wonach die Art und Zahl der Sammelgefäße amtswegig jeweils nach den sanitären und betriebsmäßigen Erfordernissen festzusetzen sei und ein Rechtsanspruch auf eine bestimmte Art von Sammelgefäßen nicht bestehe, sowie auf § 8 Abs. 3 des Gesetzes, dem zufolge der Inhalt der Sammelgefäße im allgemeinen jährlich 52mal einzusammeln ist.

In seiner dagegen erhobenen Berufung beantragte der Beschwerdeführer, den erstinstanzlichen Bescheid aufzuheben und auszusprechen, daß die strittige Liegenschaft "weiterhin von der öffentlichen Müllabfuhr ausgenommen bleibt". Wenn die Behörde erster Instanz davon ausgehe, daß er einen formellen Antrag auf Änderung der bestehenden Ausnahme der Liegenschaft von der öffentlichen Müllabfuhr gestellt habe, so beruhe dies auf einem Irrtum. Einen derartigen Antrag auf Änderung des bestehenden Zustandes habe er gar nicht stellen wollen. Ein solches Verlangen wäre im übrigen ja auch sinnwidrig, weil die Ausnehmung der Liegenschaft schon längst bestehe. Hätte die Behörde den Sachverhalt dem Gesetz entsprechend ermittelt so hätte sie das ihr unterlaufene Mißverständnis erkennen können. In Wahrheit sei nämlich bereits seit dem Jahre 1945 und dem folgenden Wiederaufbau des kriegszerstörten Hauses, das nur noch von einer Person bewohnt werde, die Liegenschaft von der öffentlichen Müllabfuhr ausgenommen. In den weiteren Berufungsausführungen bekämpfte der Beschwerdeführer die vom Magistrat der Stadt Wien gemäß § 8 des Müllabfuhrgesetzes 1965 ausgesprochenen Festlegungen, wobei er im besonderen geltend machte, daß die vorgenommene Bestimmung der Sammelgefäßgröße und der Anzahl der Entleerungen willkürlich und rechtswidrig sei.

Im Zuge eines ergänzend durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde von der Berufungsbehörde eine Stellungnahme der Magistratsabteilung 48 des Magistrates der Stadt Wien vom 7. Jänner 1982 eingeholt, aus der unter anderem hervorgeht, daß die Liegenschaft des Beschwerdeführers bisher faktisch nicht in die öffentliche Müllabfuhr einbezogen gewesen sei, weil man sie auf Grund ihrer Situierung (Art Fahnenparzelle) übersehen habe.

Mit dem nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, in Ausfertigung des Sitzungsbeschlusses vom selben Tag ergangenen Bescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom 7. Juni 1982 wurde der erstinstanzliche Bescheid vom 19. November 1981 im Ausspruch über die Abweisung des vom Beschwerdeführer gemäß § 4 Abs. 2 des Müllabfuhrgesetzes 1965 gestellten Ausnahmeantrages aufgehoben. Im übrigen wurde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen und der angefochtene erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, daß die Festsetzung der Gefäßart, der Gefäßzahl und der jährlichen Einsammlungen ab 24. November 1981 erfolgt. Was den aufhebenden Teil des Berufungsbescheides angeht, so führte die belangte Behörde begründend aus, daß es sich bei der Ausnahme von der öffentlichen Müllabfuhr gemäß § 4 des Müllabfuhrgesetzes 1965 um einen antragsbedürftigen Verwaltungsakt handle. Der Beschwerdeführer habe zwar am 11. März 1981 einen auf die Erlassung eines derartigen Ausnahmebescheides gerichteten Antrag gestellt, diesen aber jedenfalls mit seiner Berufung zurückgezogen, so daß der erstinstanzliche Bescheid insoweit mangels Vorliegens eines entsprechenden Parteienbegehrens zu beheben war. Zur Frage der Anwendung des § 8 des Gesetzes führte die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung zunächst aus, daß die Liegenschaft seit 1926 im Abfuhrbereich liege und, wie der Beschwerdeführer selbst angebe, bis 1947 in die öffentliche Müllabfuhr einbezogen gewesen sei. Seit damals sei sie jedoch faktisch nicht mehr einbezogen gewesen, da sie aufgrund ihrer Lage (Fahnenparzelle) übersehen worden sei. Bereits laut Hauskehrichtabfuhrgesetz 1954 seien die Eigentümer nicht ausgeschlossener oder ausgenommener Liegenschaften zur Benützung der öffentlichen Hauskehrichtabfuhr verpflichtet gewesen. Mit Inkrafttreten des Müllabfuhrgesetzes 1965 (1. Juli 1965) seien Liegenschaften, die am Tage vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in die öffentliche Hauskehrichtabfuhr einbezogen waren, bis zu einem allfälligen Ausschluß oder einer allfälligen Ausnahme in die öffentliche Müllabfuhr einbezogen geblieben. Da die Liegenschaft seit 1926 im Abfuhrgebiet liege, weder nach § 3 bzw. 5 des Hauskehrichtabfuhrgesetzes 1954 noch gemäß § 3 bzw. 4 des Müllabfuhrgesetzes 1965 von der Müllabfuhr ausgeschlossen oder ausgenommen worden sei, sei für die Liegenschaft eine bescheidmäßige Einbeziehung in die Müllabfuhr nicht erforderlich gewesen. Auf der Liegenschaft befinde sich ein Haus, das auch während des Großteils des Jahres bewohnt werde. Wie der Beschwerdeführer selbst angebe, falle, wenn auch kein einigermaßen nennenswerter, so doch Müll an. Es entspreche auch der allgemeinen Verkehrsanschauung, daß durch die Haushaltsführung Müll anfalle. Ob ein Haushalt im landläufigen Sinne geführt werde oder in unkonventioneller Weise, sei kein Unterscheidungsmerkmal. Gemäß § 5 des Müllabfuhrgesetzes 1965 seien die Eigentümer durch die öffentliche Müllabfuhr einbezogener Liegenschaften berechtigt und verpflichtet, den auf ihren Liegenschaften anfallenden Müll durch die öffentliche Müllabfuhr wegbringen zu lassen. Es solle damit gewährleistet werden, daß Müll nicht auf andere Liegenschaften gebracht werde. Im vorliegenden Fall habe die Magistratsabteilung 48 mit Stellungnahme vom 7. Jänner 1982 darauf hingewiesen, daß die Festsetzung eines Müllsammelgefäßes mit dem Inhalt von 110 l aus betriebsmäßigen Erfordernissen notwendig sei, weil im ganzen Gebiet als kleinste Gefäßart 110 l-Gefäße eingestellt seien. Auch die Zahl der Einsammlungen, welche bereits von Gesetzes wegen 52 betrage, könne nicht reduziert werden, da eine Herabsetzung der im Gesetz vorgesehenen Zahl der jährlichen Einsammlungen den sanitären und betriebsmäßigen Erfordernissen nicht dienlich sei und die Liegenschaft in keinem Kleingartengebiet liege. Soweit es um die Festlegungen nach § 8 des Müllabfuhrgesetzes 1965 gehe, sei die Berufung daher abzuweisen und der erstinstanzliche Bescheid insoweit unter ergänzender Angabe des Zeitpunktes, ab dem die Festsetzung gilt (Zustellung des Bescheides vom 19. November 1981), zu bestätigen gewesen.

Gegen diesen Rechtsmittelbescheid richtet sich die vorliegende, sowohl Rechtswidrigkeit des Bescheidinhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde sowie über die von der belangten Behörde zusammen mit den Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegte Gegenschrift erwogen:

Nach der im Beschwerdefall gegebenen Sach- und Rechtslage steht aufgrund der unbedenklichen und insoweit in der Beschwerde auch gar nicht bestrittenen Feststellungen der belangten Behörde fest, daß die Liegenschaft des Beschwerdeführers im Pflichtbereich der von der Stadt Wien zu besorgenden öffentlichen Müllabfuhr liegt und für sie rechtlich weder ein Ausschluß von der öffentlichen Müllabfuhr im Sinne des § 3 des Müllabfuhrgesetzes 1965, noch eine Ausnahme gemäß § 4 des Gesetzes besteht. Im Einklang mit diesem Sachverhalt hat der Beschwerdeführer daher am 11. März 1981 an sich folgerichtig um eine Ausnahmebewilligung nach § 4 Abs. 2 leg. cit. angesucht, wonach der Magistrat der Stadt Wien auf schriftlichen Antrag Liegenschaften unbeschadet der Vorschriften des § 4 Abs. 1 auch dann von der öffentlichen Müllabfuhr auszunehmen hat, wenn auf ihnen durch eine Benützung, die für solche Liegenschaftsarten nach der allgemeinen Verkehrsanschauung üblich ist, kein Müll entsteht und auch durch die tatsächliche Benützung durch den hiezu Berechtigten kein Müll anfällt.

Mit ihrem Bescheid vom 19. November 1981 hat die Behörde erster Instanz über diesen Antrag eine wenn auch abweisliche Sachentscheidung getroffen, doch wurde diese mit dem nun in Beschwerde gezogenen Rechtsmittelbescheid vom 7. Juni 1982 von der belangten Behörde ersatzlos behoben und dies darauf gegründet, daß die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 4 Abs. 2 des Müllabfuhrgesetzes 1965 eines (schriftlichen) Antrages bedürfe, der Beschwerdeführer diesen Antrag aber "jedenfalls" mit seiner Berufung zurückgezogen habe.

In der nun vorliegenden Beschwerde wird unter dem Gesichtspunkt einer dem angefochtenen Bescheid anzulastenden inhaltlichen Rechtswidrigkeit geltend gemacht, daß die belangte Behörde zu Unrecht die Berufungsausführungen des Beschwerdeführers als eine Zurückziehung seines Antrages vom 11. März 1981 gedeutet habe und daher rechtsirrig von der Annahme ausgegangen sei, es liege kein auf die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 4 Abs. 2 des Gesetzes gerichteter Parteienantrag mehr vor.

Schon dieser Beschwerdeeinwand erweist sich nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes als berechtigt. Wenngleich einzuräumen ist, daß die diesbezüglichen Ausführungen in der vom Beschwerdeführer gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung, wie sie oben wiedergegeben wurden, durchaus Anlaß zu Mißdeutungen bieten konnten, so hat die belangte Behörde dennoch außer acht gelassen, daß nach der auch für außerhalb des Bereiches des Vertragsrechtes abgegebene einseitige Parteienerklärungen maßgebenden Regel des § 914 ABGB (vgl. hiezu u.a. auch die Ausführungen bei Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, Linz 1983, S. 64, und Rummel, Kommentar zum ABGB, Wien 1983, 1. Bd., S. 1029 ff) bei der Auslegung nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien (des Erklärenden) zu erforschen und der Vertrag (die Erklärung) so zu verstehen ist, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Geht man von diesem Interpretationsgrundsatz aus, so kann nach Meinung des Gerichtshofes kein ernstlicher Zweifel daran bestehen, daß der Beschwerdeführer in seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung nicht sein, ausdrücklich auf § 4 Abs. 2 des Müllabfuhrgesetzes 1965 gestütztes Verlangen, seine Liegenschaft (auch rechtlich) von der Abfuhrpflicht auszunehmen, widerrufen, sondern vielmehr den Fortbestand des bisher (allerdings bloß faktisch) bestehenden Zustandes gesichert sehen wollte. Da dieser Zustand auch nach der Sachverhaltsannahme der belangten Behörde jedoch gerade dadurch gekennzeichnet gewesen ist, daß die Liegenschaft des Beschwerdeführers - wenn auch nur aus einem Versehen heraus - während eines mehrere Jahrzehnte umfassenden Zeitraumes tatsächlich in die öffentliche Müllabfuhr nicht einbezogen war, konnten die Berufungsausführungen des Beschwerdeführers daher keine Grundlage für die Annahme bieten, der offenbar rechtsunkundige und damals auch nicht rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer habe seinen Antrag vom 11. März 1981 zurückziehen wollen. Durfte damit aber die Ausführung der Berufung des - zwischen der rechtlichen und der rein faktischen Ausnahme von der öffentlichen Müllabfuhr nicht zureichend unterscheidenden - Beschwerdeführers nicht als eine Antragsrückziehung gewertet werden, so war auch die auf der Annahme des Fehlens eines Antrages im Sinne des § 4 Abs. 2 des Müllabfuhrgesetzes 1965 beruhende Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides im Ausspruch über die Abweisung des Antrages vom 11. März 1981 rechtlich verfehlt. Angesichts der rechtlichen Verknüpfung des Abspruches über den Antrag des Beschwerdeführers vom 11. März 1981 mit den im Instanzenzug von der belangten Behörde dem Grund nach aufrechterhaltenen Festlegungen nach § 8 des Müllabfuhrgesetzes 1965, erweist sich damit aber der angefochtene Bescheid insgesamt als inhaltlich rechtswidrig. Ohne daß es eines weiteren Eingehens auf das Beschwerdevorbringen bedurfte, war er daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich, im Umfange des gestellten Kostenbegehrens, auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit Art. I lit. A Z. 1 der Verordnung vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221, über die Pauschalierung der Aufwandersätze im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Wien, am 27. Februar 1985

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