VwGH 83/13/0047

VwGH83/13/004729.6.1983

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Iro, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Sperlich, über die Beschwerde der RJ in W, vertreten durch Dr. Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt in Wien I, Fleischmarkt 28, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 20. Dezember 1982, Zl. GA 7-2050/1/82, betreffend Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §236 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1983:1983130047.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 8.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit ihrer Eingabe vom 25. Februar 1982 an das zuständige Finanzamt stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, ihre Abgabenschuldigkeiten zu erlassen und abzuschreiben. Sie begründete ihr Begehren unter Hinweis auf ihre Sorgepflichten mit der Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz.

Das Finanzamt wies dieses Ansuchen "um Bewilligung einer Nachsicht in der Höhe von S 291.494,80" mit der Begründung ab, daß das bisherige steuerliche Verhalten der Beschwerdeführerin eine Nachsicht nicht rechtfertige.

In ihrer gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung machte die Beschwerdeführerin neben neuerlichen Hinweisen auf das Bestehen und die Ursachen ihrer Zahlungsunfähigkeit zusätzlich geltend, die Zustellung der Steuerbescheide, aus welchen sich die offenen Abgabenforderungen ergäben, sei "nicht in Ordnung" gewesen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung als unbegründet ab. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird ausgeführt, der Abgabenrückstand zum 21. Oktober 1982 betrage S 303.341,80 und setze sich im wesentlichen aus Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 1971 bis 1973 zusammen. Das Vorliegen des in § 236 Abs. 1 BAO geforderten Tatbestandes der Unbilligkeit werde angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin angenommen. Bei der nun zutreffenden Ermessensentscheidung sei jedoch zu bedenken, daß die Beschwerdeführerin hinsichtlich der Umsatzsteuer-, Einkommensteuer- und Gewerbesteuerbescheide 1971, 1972 und 1973 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt habe und das hiezu anhängige Berufungsverfahren noch nicht erledigt sei. Solange also die maßgeblichen Abgabenschuldigkeiten noch streitverfangen seien, halte die belangte Behörde eine Nachsichtsmaßnahme nicht für zweckmäßig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Nach § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, daß die Einhebung der vom Nachsichtsantrag umfaßten, nicht nur fälligen, sondern der Beschwerdeführerin auch bereits in rechtskräftigen Bescheiden vorgeschriebenen Abgaben im Beschwerdefall unbillig wäre. Ihre nichtsdestoweniger für die Beschwerdeführerin ungünstige Ermessensentscheidung hat die belangte Behörde ausschließlich auf Zweckmäßigkeitserwägungen verfahrensrechtlicher Art gestützt.

Nun hat die Rechtsprechung und Lehre dem Begriff der "Zweckmäßigkeit", wie ihn § 20 BAO für den Fall von Ermessensentscheidungen vorsieht, bisher nicht Überlegungen der Verfahrensökonomie, sondern vielmehr die Bedeutung "öffentliche Anliegen, insbesondere an der Einbringung der Abgaben", beigemessen (vgl. dazu Stoll, BAO-Handbuch, S 46, sowie Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. März 1981, Zlen. 16/0747, 0749/79). Auch verfahrensökonomische Überlegungen mögen grundsätzlich geeignet sein, eine Zweckmäßigkeit im Sinne des § 20 BAO zu begründen. Für die von der belangten Behörde gewählte Begründung trifft dies aber nicht zu.

Im angefochtenen Bescheid wird nämlich nur dargetan, daß die belangte Behörde eine Nachsichtsmaßnahme nicht für zweckmäßig erachte, solange die maßgeblichen Abgabenschuldigkeiten noch "streitverfangen" seien. Mit dieser Begründung hätte die belangte Behörde allenfalls das bei ihr anhängige Berufungsverfahren über den Nachsichtsantrag gemäß § 281 BAO aussetzen können, für die meritorische Entscheidung über den Nachsichtsantrag erweist sie sich hingegen als unzulänglich. Die belangte Behörde übersieht dabei nicht nur, daß dem Nachsichtsantrag der Beschwerdeführerin ungeachtet ihres Wiedereinsetzungsantrages bereits rechtskräftig vorgeschriebene Abgaben zu Grunde lagen, sondern daß mit der von ihr gewählten Begründung auch jeder nach § 236 BAO zulässigerweise bereits vor Rechtskraft der Vorschreibung gestellte Antrag auf Nachsicht fälliger Abgaben als unzweckmäßig abgewiesen werden könnte, ohne daß seine meritorische Begründung an den vom Gesetz aufgestellten Voraussetzungen geprüft werden müßte.

Die belangte Behörde hat die Abweisung des Nachsichtsantrages der Beschwerdeführerin mit einer im Gesetz nicht gedeckten Begründung bestätigt; sie hat daher von ihrem freien Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht und dadurch den angefochtenen Bescheid mit der in der Beschwerde behaupteten Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb dieser Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 lit. b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht einerseits darauf, daß das Gesetz eine gesonderte Vergütung der Umsatzsteuer neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand nicht kennt, andererseits darauf, daß die Beschwerdeführerin Verfahrenshilfe genießt und daher von der Entrichtung von Stempelgebühren befreit ist.

Wien, am 29. Juni 1983

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