European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1982:1981030294.X00
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach vom 12. August1981 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 5. Mai 1979 um 11.00 Uhr als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws auf der Rohrbacher Bundesstraße in Rohrbach beim Hintereinanderfahren in Richtung Linz nächst den Häusern Linzer Straße Nr. 15 und 17 den Fahrstreifen gewechselt, ohne sich davon überzeugt zu haben, daß dies ohne Gefährdung und Behinderung des nachfolgenden Fahrzeuglenkers möglich sei; weiters habe er den Fahrstreifenwechsel nicht so rechtzeitig angezeigt, daß sich andere Straßenbenützer darauf hätten einstellen können. Er habe hiedurch je eine Verwaltungsübertretung nach § 11 Abs. 1 und nach § 11 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen; gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO wurden Geldstrafen von je S 500,-- (Ersatzarreststrafen von je fünf Tagen) verhängt. In der Begründung wurde unter anderem ausgeführt, im Urteil des Landesgerichtes Linz vom 5. August 1980 (in einem Schadenersatzprozeß) komme zum Ausdruck, daß der Beschwerdeführer zur Tatzeit den Fahrstreifen gewechselt habe, ohne sich davon überzeugt zu haben, daß dies ohne Gefährdung des nachkommenden Verkehrs möglich sei. Ferner sei durch das Gericht erhoben worden, daß der Beschwerdeführer sein Blinkzeichen erst unmittelbar vor dem Fahrstreifenwechsel gegeben habe, also in einem Zeitpunkt, wo sich der hinter ihm fahrende Fahrzeuglenker nicht mehr habe darauf einstellen können. Damit fielen dem Beschwerdeführer die Übertretungen nach § 11 Abs. 1 und 2 StVO zur Last. Die Behörde sehe keinen Grund, an dieser rechtlichen Beurteilung des Gerichtes Zweifel zu hegen und nehme die umschriebenen Tatbestände als erwiesen an. Auf § 99 Abs. 6 lit. a StVO könne sich der Beschwerdeführer nicht berufen, weil keine Unfallsmeldung bei der nächsten Sicherheitsdienststelle und auch kein Identitätsnachweis erfolgt sei; es sei unentscheidend, ob diese Unterlassung vorsätzlich begangen wurde oder deshalb erfolgte, weil der Lenker den Unfall gar nicht bemerkt habe. Eine andere Rechtsauslegung wäre dem Zweck der letztzitierten Bestimmung nicht zuträglich.
In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung rügte der Beschwerdeführer, daß ihm die „Rechtswohltat“ des § 99 Abs. 6 lit. a StVO nicht zugute gekommen sei. Diese Bestimmung greife umso eher Platz, wenn für den Lenker gar keine Anzeigepflicht im Sinne des § 4 Abs. 5 StVO bestanden habe. Der Beschwerdeführer habe auch nicht vorsätzlich gehandelt, weshalb mit einer Ermahnung das Auslangen hätte gefunden werden können.
Mit Bescheid vom 12. Oktober 1981 wies die Oberösterreichische Landesregierung diese Berufung ab und bestätigte das erstinstanzliche Straferkenntnis im Schuldspruch und in der verhängten Strafe. In der Begründung wurde nach Darstellung des Ganges des Verwaltungsstrafverfahrens ausgeführt, richtig sei, daß dem Beschwerdeführer kein Vorwurf wegen unterlassener Unfallsmeldung gemacht worden sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei für die Anwendung des § 99 Abs. 6 lit. a StVO unter anderem erforderlich, daß nur Sachschaden entstanden sei, also überhaupt keine Person, auch nicht der vom Unfall betroffene Lenker selbst, verletzt worden sei. Daraus folge, daß wegen der Übertretungen nach § 11 Abs. 1 und 2 StVO die Rechtswohltat des § 99 Abs. 6 lit. a StVO nicht Platz greifen könne. Daher habe der Beschwerdeführer die ihm von der ersten Instanz vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen zu verantworten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Hierüber hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die in der Beschwerde erhobene Rüge der mangelhaften Begründung des angefochtenen Bescheides würde sich nur dann gerechtfertigt erweisen, wenn die Rechtsansicht der Beschwerde über das Verständnis des § 99 Abs. 6 lit. a StVO richtig wäre. Dies ist aber nicht der Fall.
Gemäß § 99 Abs. 6 lit. a StVO in der Fassung der 3. Novelle zur Straßenverkehrsordnung, BGBl. Nr. 209/1969, liegt eine Verwaltungsübertretung nicht vor, wenn durch die Tat lediglich Sachschaden entstanden ist und die Bestimmungen über das Verhalten bei einem Verkehrsunfall mit bloßem Sachschaden (§ 4 Abs. 5) eingehalten worden sind. Auch in der Stammfassung der Straßenverkehrsordnung und in der Fassung der 1. Novelle, BGBl. Nr. 204/1964, die bis zur dritten Novelle galt, findet sich in § 99 Abs. 6 lit. a die Wendung „wenn durch die Tat lediglich Sachschaden entstanden ist“; der Unterschied zur Fassung der Novelle besteht nur in der Umschreibung des auf die Tat folgenden Verhaltens, welches unter Umständen zur Straffreiheit führen kann.
Das Verständnis der Worte „wenn durch die Tat lediglich Sachschaden entstanden ist“ bereitete der Lehre Schwierigkeiten, wie sich aus dem Aufsatz Gaisbauers „Lenken eines Fahrzeuges im alkoholbeeinträchtigen Zustand und § 99 Abs. 6 lit. a StVO 1960“, ZVR 1964, Seite 4 ff ergibt. Zur Stammfassung vertraten z.B. Kammerhofer (ZVR 1961, Seite 1 ff) und Glassl (JBl. 1962, Seite 229 ff) die Ansicht, jederlei Übertretung der Straßenverkehrsordnung werde straflos, wenn durch sie nur Sachschaden verursacht wurde und wenn die Vorschriften über die Sachschadensmeldung eingehalten worden seien. Dem trat schon damals Gaisbauer entgegen und meinte, nur die Tat, auf die der Sachschaden unmittelbar zurückzuführen sei, bleibe straflos; liege Fahrt in alkoholbeeinträchtigtem Zustand und daraus folgender Sachschaden vor, so sei die Alkoholisierung stets nur eine entferntere Ursache für den Sachschaden und genieße daher als solche keine Straffreiheit. Nur jenes alkoholbedingte Fehlverhalten, welches zum Sachschaden führe, könne vom § 99 Abs. 6 lit. a StVO erfaßt sein.
Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat sich nie der vom Kammerhofer und Glassl vertretenen Meinung angeschlossen. Hingegen vertrat im Erkenntnis vom 15. Juni 1972, Zl. 2351/71, der Verwaltungsgerichtshof die gleiche Rechtsansicht wie Gaisbauer, wenn es zu § 99 Abs. 6 lit. a StVO heißt:
„Diese Vorschrift kann daher Straffreiheit nur für das zum Verkehrsunfall führende Verhalten bewirken. Dafür spricht auch, daß sich die Worte ‚lediglich Sachschaden entstanden ist‘ begrifflich nur auf die Worte ‚durch die Tat‘ beziehen können. Darnach muß die (straffrei bleibende) Tat die objektive Eignung besitzen, einen Sachschaden herbeizuführen.“
Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich in weiterem Verfolg dieser Rechtsprechung veranlaßt, sein Verständnis der auszulegenden Bestimmung des § 99 Abs. 6 lit. a StVO wie folgt darzustellen:
Voraussetzung für die Anwendung des § 99 Abs. 6 lit. a StVO ist, daß die Herbeiführung eines bloßen Sachschadens die als erwiesen angenommene Tat im Sinne des § 44 a lit. a VStG 1950 ist. Die Vermeidung des Sachschadens muß also Schutznorm im Sinne der Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang sein. Bei allen anderen Verwaltungsvorschriften, deren Schutzzweck nicht unmittelbar die Vermeidung von Sachschaden ist, kommt es zur Straffreiheit auch dann nicht, wenn die Bestimmungen über das Verhalten bei einem Verkehrsunfall mit bloßem Sachschaden eingehalten worden sind. Als Beispiel einer Verwaltungsvorschrift, deren Schutzzweck allein die Vermeidung von Sachschaden ist, könnte in § 7 Abs. 1 StVO in der Wendung „Der Lenker eines Fahrzeuges hat so weit rechts zu fahren, wie ihm dies unter Bedachtnahme auf die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zumutbar und dies ... ohne Beschädigung von Sachen möglich ist“ angeführt werden. Wird demnach so weit rechts gefahren, daß fremde Sachen beschädigt werden, und werden sodann die Bestimmungen über das Verhalten bei einem Verkehrsunfall mit bloßem Sachschaden eingehalten, so liegt keine Übertretung des § 7 Abs. 1 StVO vor. Kommt es aber allein oder auch deshalb zum Sachschaden, weil andere Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung verletzt wurden, deren Schutzzweck nicht oder nicht ausschließlich die Vermeidung von Sachschaden ist, so greift § 99 Abs. 6 lit. a StVO nicht Platz. Als solche Bestimmung kommt z.B. die des § 5 Abs. 1 StVO in Frage.
Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer wegen der Übertretungen nach §§ 11 Abs. 1 und 1.1 Abs. 2 StVO bestraft. Nach dem Wortlaut dieser beiden Gesetzesstellen ist deren Schutzzweck nicht allein die Vermeidung von Sachschaden - ist doch ihr Tatbestand verwirklicht, ob nun als kausale Folge Sachschaden eingetreten ist oder nicht. Daraus ergibt sich, daß alle Erwägungen des Beschwerdeführers, ihm müsse deswegen Straffreiheit zugebilligt werden, weil für ihn die Verpflichtung aus § 4 Abs. 5 StVO überhaupt nicht Platz gegriffen habe, verfehlt sind.
Zur weiteren Rechtsrüge, es liege Verfolgungsverjährung vor, ist darauf zu verweisen, daß wegen der Tat am 5. Mai 1979 ein Ladungsbescheid vom 6. August 1979 erging und dem Beschwerdeführer am 13. August 1979 zugestellt wurde, wobei im Ladungsbescheid die beiden dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen inhaltlich konkretisiert wurden. Verfolgungsverjährung ist daher nicht eingetreten.
Da es somit der Beschwerde nicht gelungen ist, die von ihr behaupteten Rechtswidrigkeiten des angefochtenen Bescheides darzutun, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 Abs. 2 lit. b, 48 Abs. 2 lit. a und b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I Z. 4 und 5 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221.
Wien, am 15. Dezember 1982
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