LVwG Steiermark LVwG 50.32-2742/2020

LVwG SteiermarkLVwG 50.32-2742/20205.2.2021

BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z1
BauG Stmk 1995 §26 Abs4
ROG Stmk 2010 §42 Abs8 Z1
ROG Stmk 2010 §42 Abs9 Z2
ROG Stmk 2010 §42

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGST:2021:LVwG.50.32.2742.2020

 

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat durch die Richterin Dr. Rotschädl über die Beschwerde der A Genossenschaft mbH, V, A, vertreten durch Mag. C D der E Rechtsanwälte GmbH, G, Hgasse, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Krottendorf-Gaisfeld vom 28.08.2020, GZ: 0857/2018 (mitbeteiligte Partei des Verfahrens: B GmbH, S, Pstraße, vertreten durch Mag. F H, Rechtsanwalt, G, J); (weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung) eine Bauangelegenheit betreffend

 

z u R e c h t e r k a n n t:

 

I. Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG wird der Beschwerde wegen Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin

 

F o l g e g e g e b e n

 

und der angefochtene Bescheid behoben.

 

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

1. Die mitbeteiligte Partei des Verfahrens suchte am 21.09.2018 um die Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung ua. diverser Wohnbauten auf den Liegenschaften mit den GStNr. xx, xy und xz, KG X an.

 

2. Die Beschwerdeführerin hat gegen das Bauvorhaben fristgerecht Einwendungen im Hinblick auf eine heranrückende Wohnbebauung betreffend Lärm und Staub vorgebracht.

 

3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 28.08.2020 wurde der mitbeteiligten Partei die Baubewilligung erteilt. Die Einwendung der heranrückenden Wohnbebauung der Beschwerdeführerin wurde als unzulässig zurückgewiesen.

 

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende fristgerechte Beschwerde vom 30.09.2020, die am 09.11.2020 beim Landesverwaltungsgericht einlangte.

 

5. Mit Schriftsatz vom 26.11.2020 replizierte die mitbeteiligte Partei auf das Beschwerdevorbringen.

 

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat erwogen:

 

Spruchpunkt I:

 

I.1. Feststellungen:

Die mitbeteiligte Partei des Verfahrens beabsichtigt auf den Liegenschaften mit den GStNr. xx, xy und xz, KG X ein Wohnbauprojekt zu realisieren. Der Bauplatz ist nach dem Flächenwidmungsplan 3.0 der Gemeinde Krottendorf-Gaisfeld als Dorfgebiet bzw. Sanierungsgebiet gewidmet. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin der Liegenschaften mit den GStNr. xx und xy, die unmittelbar an den Bauplatz angrenzen. Auf diesen Liegenschaften betreibt die Beschwerdeführerin ein landwirtschaftliches Lagerhaus. Die Beschwerdeführerin hat mit Eingabe vom 21.06.2019 fristgerecht Einwendungen gegen das Bauvorhaben der mitbeteiligten Partei vorgebracht. Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass es während der Betriebszeiten des landwirtschaftlichen Lagerhauses zu entsprechenden Fahrbewegungen von Lastkraftwagen, Traktoren und anderen Kraftfahrzeugen auf den betreffenden Liegenschaften kommen würde. In der Warenmanipulation mit Schaufellader und Hubstapler sei zudem mit einer üblichen Staub- und Lärmentwicklung zu rechnen.

Die belangte Behörde hat die Einwendungen der Beschwerdeführerin als unzulässig zurückgewiesen, da die Widmungskategorie „Dorfgebiet“ gemäß § 23 Abs. 5 lit f Stmk. ROG 1974 keinen Immissionsschutz enthalte und daher die Einwendung der heranrückenden Wohnbebauung gemäß § 26 Abs. 4 iVm Abs. 1 Stmk. BauG nicht erhoben werden könne, weshalb diese - ohne auf das diesbezügliche Vorbringen inhaltlich einzugehen - als unzulässig zurückzuweisen sei.

 

I.2. Beweiswürdigung:

Die zuvor getroffenen Feststellungen ergeben sich nachvollziehbar aus dem Verfahrensakt der belangten Behörde und wurden sachverhaltsbezogen von den Verfahrensparteien nicht bestritten.

 

I.3.1 Rechtslage:

 

§ 23 ROG 1974

Bauland

(1) Als vollwertiges Bauland dürfen (…)

(…)

(5) Im Bauland sind entsprechend den örtlichen Erfordernissen Baugebiete festzulegen. Als Baugebiete kommen hiebei in Betracht:

a) (…)

(…)

f) Dorfgebiete, das sind Flächen, die vornehmlich für Bauten land- und forstwirtschaftlicher Betriebe in verdichteter Anordnung bestimmt sind, wobei auch Wohngebäude und Gebäude, die den wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und kulturellen Bedürfnissen der Bewohner dienen, errichtet werden dürfen.

(…)

§ 8 St. ROG 2010

Rechtswirkung der Planungsinstrumente

(1) Verordnungen der Gemeinden auf Grund dieses Gesetzes (Örtliche Entwicklungskonzepte, Flächenwidmungspläne, Bebauungspläne und Bausperren) dürfen Gesetzen und Verordnungen des Bundes und des Landes nicht widersprechen. Zusätzlich dürfen Flächenwidmungspläne nicht dem örtlichen Entwicklungskonzept und Bebauungspläne nicht dem Flächenwidmungsplan und dem örtlichen Entwicklungskonzept widersprechen.

(2) (…)

§ 19 St. ROG 2010

Aufgaben

(3) Aufgaben der örtlichen Raumordnung sind insbesondere

(4) 1. auf Grund der Bestandsaufnahme die örtliche zusammenfassende Planung für eine den Raumordnungsgrundsätzen entsprechende Ordnung des Gemeindegebietes aufzustellen, anzupassen und zu entwickeln;

(5) 2. raumbedeutsame Maßnahmen der Gemeinde sowie anderer Planungsträger und Unternehmen besonderer Bedeutung unter Zugrundelegung der Raumordnungsgrundsätze aufeinander abzustimmen (Koordinierung);

3. bei der Raumordnung und den Fachplanungen des Bundes und des Landes sowie bei der Raumordnung der angrenzenden Gemeinden auf die Wahrung der Belange der örtlichen Raumordnung der Gemeinde hinzuwirken. Insbesondere sind die strategischen Lärmkarten und die Aktionspläne, die auf Grund von Vorschriften betreffend Umgebungslärm erlassenwurden, zu berücksichtigen.

 

§ 25 St. ROG 2010

Flächenwidmungsplan

(1) Jede Gemeinde hat in Durchführung der Aufgaben der örtlichen Raumordnung (§ 19) für ihr Gemeindegebiet durch Verordnung einen Flächenwidmungsplan aufzustellen und fortzuführen.

(…)

 

§ 30 St. ROG 2010

Baugebiete

(1) Als Baugebiete kommen in Betracht:

1. (…)

(…)

7. Dorfgebiete, das sind Flächen, die für Bauten land- und forstwirtschaftlicher Nutzung in verdichteter Anordnung bestimmt sind, wobei auch Wohnbauten außerhalb einer land- und forstwirtschaftlichen Nutzung mit nicht mehr als zwei Wohneinheiten und sonstige Nutzungen zulässig sind, die den wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und kulturellen Bedürfnissen der Bewohner von Dorfgebieten dienen und sich der Eigenart des Dorfgebietes entsprechend einordnen lassen, soweit sie keine diesem Gebietscharakter widersprechenden Belästigungen der Bewohnerschaft verursachen;

(…)

§ 42 St. ROG 2010

Fortführung der örtlichen Raumordnung

(1) Die örtliche Raumordnung ist nach Rechtswirksamkeit des örtlichen Entwicklungskonzeptes (§ 21) und des Flächenwidmungsplanes (§ 25) nach Maßgabe der räumlichen Entwicklung fortzuführen.

(2) Der Bürgermeister hat spätestens alle zehn Jahre aufzufordern, Anregungen auf Änderungen des örtlichen Entwicklungskonzeptes und des Flächenwidmungsplanes einzubringen (Revision). Diese Frist ist jeweils vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des durch die letzte Revision geänderten Planungsinstrumentes zu berechnen. Diese Aufforderung hat insbesondere zu enthalten:

(…)

(…)

(5) Nach Ablauf der Frist hat der Gemeinderat zu beschließen, ob die Voraussetzungen für eine Änderung gegeben sind oder nicht.

(6) Sind die Voraussetzungen für eine Änderung gegeben, so sind die entsprechenden Änderungsverfahren (§§ 24 oder 38) durchzuführen.

(7) (…)

(8) Eine Änderung des örtlichen Entwicklungskonzeptes und des Flächenwidmungsplanes ist ungeachtet der Revisionsfrist von zehn Jahren jedenfalls vorzunehmen, wenn dies

1. durch eine wesentliche Änderung der Planungsvoraussetzungen,

2. zur Vermeidung oder Behebung von Widersprüchen zu Gesetzen und Verordnungen des Bundes und des Landes,

3. zur Abwehr schwerwiegender volkswirtschaftlicher Nachteile oder

4. wegen Aufhebung des Vorbehaltes gemäß § 37 Abs. 3 und 7 erforderlich ist.

(9) Das Verfahren zur Fortführung des örtlichen Entwicklungskonzeptes und des Flächenwidmungsplanes ist

1. aus Anlass der Revision (Abs. 2) nach Ablauf der Zehnjahresfrist (Revisionsfrist),

2. nach Eintritt wesentlich geänderter Planungsvoraussetzungen (Abs. 8 Z 1)

spätestens innerhalb von zwei Jahren abzuschließen. Der Gemeinderatsbeschluss ist mit den dazugehörigen Unterlagen sofort der Landesregierung zur Genehmigung vorzulegen. Das Verfahren zur Fortführung gemäß Abs. 8 Z 2 und 3 ist ehestmöglich einzuleiten, abzuschließen und zur Genehmigung vorzulegen, sofern in Bezug auf Abs. 8 Z 2 die betreffenden landes- oder bundesgesetzlichen Regelungen in Übergangsbestimmungen nichts anderes bestimmen.

(…)

§ 62 St. ROG 2010

Aufsichtsbehördliche Maßnahmen

(1) Kommt eine Gemeinde der ihr nach § 42 auferlegten Verpflichtung nicht fristgerecht nach, hat die Landesregierung ein örtliches Entwicklungskonzept oder einen Flächenwidmungsplan anstelle und auf Kosten der Gemeinde selbst zu erlassen. In diesem Fall gelten hinsichtlich des Verfahrens die Bestimmungen der §§ 24, 38 und 42. Falls die Erlassung einer Bausperre notwendig erscheint (§ 9), kann auch diese von der Landesregierung erlassen werden.

(2) Kommt die Gemeinde den Verpflichtungen nach § 22 Abs. 8 und 9 sowie nach § 40 Abs. 8 aus eigenem Verschulden nicht fristgerecht nach, können diese durch die Landesregierung auf Kosten der Gemeinde erfüllt werden.

§ 67 St. ROG 2010

Übergangsbestimmungen

(1) (…)

(…)

(14) Das örtliche Entwicklungskonzept und der Flächenwidmungsplan der Gemeinden sind spätestens im Zuge der nächsten Revision (§ 42) an die durch dieses Gesetz geänderte Rechtslage anzupassen.

(…)

§ 26 Stmk. BauG

Nachbarrechte

(1) Der Nachbar kann gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv-öffentlichrechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über

1. die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan und einem Bebauungsplan, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist

2. die Abstände (§ 13);

3. den Schallschutz (§ 77 Abs. 1)

4. die brandschutztechnische Ausführung der Außenwände von Bauwerken an der Nachbargrenze (§ 52 Abs. 2)

5. die Vermeidung einer sonstigen Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung bzw. unzumutbaren Beeinträchtigung (§ 57 Abs. 2, § 58, § 60 Abs. 1, § 66 zweiter Satz und § 88)

6. die Baueinstellung und die Beseitigung (§ 41 Abs. 6).

(2) (Anm: derogiert durch § 82 Abs. 7 AVG)

(3) Wird von einem Nachbarn die Verletzung eines Rechtes behauptet, das im Privatrecht begründet ist (privatrechtliche Einwendung), so hat die Behörde zunächst eine Einigung zu versuchen. Kommt keine Einigung zustande, so ist der Beteiligte mit seinen privatrechtlichen Einwendungen auf den ordentlichen Rechtsweg zu verweisen.

(4) Bei Neu- oder Zubauten sowie Nutzungsänderungen, die dem Wohnen dienen, sind auch Einwendungen im Sinn des § 26 Abs. 1 Z 1 zu berücksichtigen, mit denen Immissionen geltend gemacht werden, die von einer/einem genehmigten benachbarten:

1. gewerblichen Betriebsanlage oder

2. Seveso-Betrieb, der dem Steiermärkischen Seveso-Betriebe Gesetz 2017 unterliegt, oder

3. land- oder forstwirtschaftlichen Betriebsanlage

ausgehen und auf das geplante Bauvorhaben einwirken (heranrückende Wohnbebauung). Dies gilt jedoch nur in Bezug auf rechtmäßige Emissionen, deren Zulässigkeit vom Nachbarn zu belegen ist.

(…)

 

I.3.2. Rechtliche Würdigung:

Die Beschwerdeführerin sieht sich in ihren subjektiven Rechten zusammengefasst dahingehend verletzt, als die betroffene Gemeinde, deren gesetzlicher Verpflichtung, den Flächenwidmungsplan 3.0 der Gemeinde Krottendorf-Gaisfeld iSd Bestimmungen des § 42 Abs. 8 StROG 2010 bzw. des § 67 Abs. 14 StROG 2010 abzuändern, nicht nachgekommen sei. Durch dieses Versäumnis sei die Baulandkategorie „Dorfgebiet“ aufgrund der „Versteinerungstheorie“ entsprechend der Bestimmung des § 23 Abs. 5 lit f Stmk. ROG 1974 zu beurteilen, die – entgegen der nunmehr geltenden Bestimmung des § 30 Abs. 1 Z 7 StROG 2010 – keinen Immissionsschutz vorsehe und dem Nachbarn damit kein Mitspracherecht gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 iVm § 26 Abs. 4 Stmk. BauG einräume. Diese Vorgehensweise würde subjektive Rechte der Beschwerdeführerin verletzen.

 

Die vorliegende Beschwerde erweist sich als zulässig. Der Beschwerde kommt aus der Sicht des Landesverwaltungsgerichtes auch inhaltliche Berechtigung zu:

 

Vorab wird festgehalten hat, dass das Landesverwaltungsgericht im Beschwerdefall zu prüfen hat, ob die zurückweisende Entscheidung der belangten Behörde rechtskonform erfolgte.

 

Gemäß § 8 Abs. 1 StROG 2010 dürfen Verordnungen der Gemeinden auf Grund dieses Gesetzes (Örtliche Entwicklungskonzepte, Flächenwidmungspläne, Bebauungspläne und Bausperren) Gesetzen und Verordnungen des Bundes und des Landes nicht widersprechen. Zusätzlich dürfen Flächenwidmungspläne nicht dem örtlichen Entwicklungskonzept und Bebauungspläne nicht dem Flächenwidmungsplan und dem örtlichen Entwicklungskonzept widersprechen.

 

Gemäß § 25 StROG 2010 hat jede Gemeinde in Durchführung der Aufgaben der örtlichen Raumordnung (§ 19) für ihr Gemeindegebiet durch Verordnung einen Flächenwidmungsplan aufzustellen und fortzuführen. Gemäß 42 Abs. 2 StROG 2010 hat der Bürgermeister spätestens alle zehn Jahre aufzufordern, Anregungen auf Änderungen des örtlichen Entwicklungskonzeptes und des Flächenwidmungsplanes einzubringen (Revision). Der Gemeinderat beschließt gemäß § 42 Abs. 5 StROG 2010 darüber, ob die Voraussetzungen für eine Änderung gegeben sind oder nicht. Sind die Voraussetzungen für eine Änderung gegeben, so sind die entsprechenden Änderungsverfahren durchzuführen.

 

Ungeachtet der Revisionsfrist von zehn Jahren ist eine Änderung des örtlichen Entwicklungskonzeptes und des Flächenwidmungsplanes jedenfalls vorzunehmen, wenn dies gemäß § 42 Abs. 8 Z 1 St. ROG 2010 durch eine wesentliche Änderung der Planungsvoraussetzungen (§ 8 StROG 2010) erforderlich ist. Gemäß § 42 Abs. 9 Z 2 StROG 2010 ist das Verfahren zur Fortführung des örtlichen Entwicklungskonzeptes und des Flächenwidmungsplanes nach Eintritt wesentlich geänderter Planungsvoraussetzungen (Abs. 8 Z 1) spätestens innerhalb von zwei Jahren abzuschließen. Kommt eine Gemeinde der ihr nach § 42 StROG 2010 auferlegten Verpflichtung nicht fristgerecht nach, hat die Landesregierung gemäß § 62 Abs. 1 StROG 2010 ein örtliches Entwicklungskonzept oder einen Flächenwidmungsplan anstelle und auf Kosten der Gemeinde selbst zu erlassen.

 

Das Steiermärkische Raumordnungsgesetz 2010 – StROG 2010 ist am 01.07.2010 in Kraft getreten. Die Widmungskategorie „Baugebiete“ erfuhr mit Inkrafttreten des Gesetzes in der Bestimmung des § 30 St.ROG 2010 (vormals § 23 ROG 1974 „Bauland“) eine generelle Neuregelung. Dies betrifft auch die Baulandkategorie „Dorfgebiet“ gemäß § 30 Abs. 1 Z 7 St.ROG 2010 (vormals § 23 Abs. 5 lit f ROG 1974). Durch die Neufassung wurde im letzten Teilsatz ein Immissionsschutz für die Bewohnerschaft vorgesehen, der den Nachbarn im Baubewilligungsverfahren ein entsprechendes Mitspracherecht eröffnet (siehe dazu auch die EB zu LT-Beschluss 23.03.2010). In den Übergangsbestimmungen wurde in § 67 Abs. 14 St.ROG 2010 festgelegt, dass das örtliche Entwicklungskonzept und der Flächenwidmungsplan der Gemeinden an die durch das St.ROG 2010 geänderte Rechtslage spätestens im Zuge der nächsten Revision (§ 42) anzupassen ist.

 

Im Gegenstandsfall ist der Flächenwidmungsplan 3.0 der Gemeinde Krottendorf-Gaisfeld am 26.03.2004 in Kraft getreten und befindet sich nach wie vor im Rechtsbestand. Aufgrund des Inkrafttretens des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 2010 wäre die Gemeinde in zweierlei Hinsicht zur Revision des Flächenwidmungsplanes aus dem Jahr 2004 gesetzlich verpflichtet gewesen:

 

Durch die in Kraft getretene Neufassung des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes wäre der Flächenwidmungsplan 3.0 der Gemeinde allein aufgrund der Übergangsbestimmung des § 67 Abs. 14 St.ROG 2010 – spätestens im Zuge der nächsten Revision, also im Jahr 2014, zumindest im Hinblick auf die Widmungskategorien anzupassen gewesen. Unabhängig davon wäre die Gemeinde auf der Rechtsgrundlage der Bestimmung des § 42 Abs. 8 Z 1 und Abs. 9 Z 2 St.ROG 2010 jedenfalls verpflichtet gewesen, den Flächenwidmungsplan der Gemeinde aufgrund der Neuerlassung des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes mit den ua. für die Baulandkategorie „Dorfgebiet“ einhergehenden wesentlichen Änderungen – innerhalb von zwei Jahren, also bis längstens 2006, einer Revision zu unterziehen und der neuen Rechtslage anzupassen. Die Gemeinde ist diesen gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen, weshalb der im Jahr 2004 in Kraft getretene Flächenwidmungsplan 3.0 nach wie vor maßgeblich ist, da auch die Landesregierung von der Erlassung eines Flächenwidmungsplanes auf der Rechtsgrundlage des § 62 Abs. 1 StROG 2010 abgesehen hat.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes richtet sich der Inhalt eines Flächenwidmungsplanes im Sinne der Bedeutung der festgelegten Widmung nach den im Zeitpunkt der Erlassung, das heißt der Beschlussfassung durch den Gemeinderat, des Planes geltenden Rechtsvorschriften. Sehen Übergangsbestimmungen eine andere Regelung vor, sind diese maßgeblich (siehe dazu VwGH 20.06.1991, 90/06/0162; sog. „Versteinerungstheorie“).

 

Für den Beschwerdefall bedeutet dies, dass der mit Inkrafttreten des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 2010 gesetzlich normierte Immissionsschutz für Nachbarn bei Bauvorhaben im Dorfgebiet nicht zur Anwendung kommt, da der Gesetzgeber im Hinblick auf die Baulandkategorie „Dorfgebiet“ keine explizite Übergangsbestimmung im § 67 StROG 2010 getroffen hat. Im Lichte dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vertrat die belangte Behörde folgerichtig die Rechtsansicht, dass auf der Grundlage des Flächenwidmungsplanes 3.0 der Gemeinde, die Widmungskategorie „Dorfgebiet“ iSd Bestimmung des § 23 Abs. 5 lit f Stmk. ROG 1974 auszulegen sei, in welcher kein Immissionsschutz für Nachbarn vorgesehen sei und sich die seitens der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwendungen gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 Stmk. BauG als unzulässig zurückzuweisen seien, ohne sich mit diesen inhaltlich zu befassen.

 

Dieser Rechtsansicht steht indes die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gegenüber, wonach eine Baubehörde in einem Bauverfahren, in dem eine für eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines beantragten Bauvorhabens notwendige Verordnung fehle, im Verfahren über ein Rechtsmittel eines Nachbarn, der sich gegen die Erteilung der Baubewilligung wende, nicht zum Ergebnis kommen dürfe, dass das Rechtsmittel abzuweisen sei (VwGH 01.08.2018; Ra 2018/06/0021).

 

Aus der Sicht des Landesverwaltungsgerichtes ist diese Rechtsprechung auf den Gegenstandsfall übertragbar, wenngleich im Beschwerdefall nicht vom (gänzlichen) Fehlen einer gesetzlich gebotenen Verordnung, sondern vom Fehlen einer gesetzlich zwingend vorgesehenen Änderung einer Verordnung auszugehen ist. Der Flächenwidmungsplan der betreffenden Gemeinde ist seit 2004 in Kraft, weshalb eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit des beantragten Bauvorhabens grundsätzlich aufgrund dieser bestehenden VO erfolgen könnte. Allerdings wäre eine Anpassung des im Jahr 2004 verordneten Flächenwidmungsplanes aufgrund der Neufassung des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes - wie bereits ausführlich dargelegt - gesetzlich geboten gewesen.

 

Die fehlende Anpassung der VO aus dem Jahr 2004 könnte nicht nur Auswirkungen auf die subjektiven Rechte der Beschwerdeführerin haben, sondern hat durch die Neufassung der Baulandkategorie „Dorfgebiet“ definitiv Einfluss auf subjektive Rechte der Beschwerdeführerin iSd Bestimmung des § 26 Abs. 1 Z 1 Stmk. BauG iVm § 26 Abs. 4 Stmk. BauG, da deren Parteistellung mit der Neufassung der Baulandkategorie „Dorfgebiet“ untrennbar verbunden ist. Wäre die Gemeinde ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Revision des Flächenwidmungsplanes nachgekommen, käme der Beschwerdeführerin nun ein Immissionsschutz im Hinblick auf eine heranrückende Wohnbebauung zu. Im Lichte der zuvor zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den rechtlichen Folgen des Fehlens gesetzlich zwingend vorgesehener Verordnungen in Bauverfahren erweist sich die Vorgehensweise der belangten Behörde, die Einwendungen der Beschwerdeführerin mangels Parteistellung als unzulässig zurückzuweisen, aus der Sicht des Landesverwaltungsgerichtes als nicht rechtskonform.

 

Der Beschwerde war daher wegen Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG Folge zu geben und der angefochtene Bescheid aufzuheben. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG abgesehen werden.

 

Spruchpunkt II:

Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

 

Vorab wird festgehalten, dass es im Hinblick auf das Fehlen gesetzlich zwingend vorgesehener raumordnungsrechtlicher Planungsinstrumente bei Nachbareinwendungen in Bauverfahren grundsätzlich nicht an einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung fehlt. So hat der Verfassungsgerichtshof festgehalten, dass in einem Bauverfahren, in welchem die Erlassung eines Bebauungsplanes raumordnungsrechtlich zwingend vorgesehen war (im Anlassfall gemäß § 40 Abs. 4 Z 3 StROG 2010), die Frage, ob die Baubewilligung für ein eingereichtes Bauprojekt zu erteilen sei, nur anhand des Bebauungsplans abschließend beurteilt werden könne. Liege ein solcher zum Entscheidungszeitpunkt nicht vor, dürfe das Verwaltungsgericht nicht zu dem Ergebnis kommen, dass die Beschwerde gegen die Baubewilligung abzuweisen sei (siehe dazu VfGH 27.02.2018; E1328/2016). In einer weiteren Entscheidung legte der Verfassungsgerichtshof zusammengefasst dar, dass für den Fall, dass ein Ortsbildkonzept verpflichtend zu verordnen gewesen wäre, das eingereichte im Schutzgebiet einer Gemeinde liegende Bauprojekt, nur auf der Grundlage dieses Ortsbildkonzeptes beurteilt werden könne. Da im Anlassfall kein Ortsbildkonzept zum Entscheidungszeitpunkt vorgelegen habe, hätte die Vorstellung der Beschwerdeführerin nicht abgewiesen werden dürfen. Die Nachbarn hätten nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Flächenwidmungs- und Bebauungsvorschriften jedenfalls einen Anspruch darauf, dass ein Bauwerk, das nach diesen Vorschriften nicht errichtet werden dürfe, auch nicht errichtet wird (siehe dazu VfGH 18.06.2014; B683/2012 und zuletzt VfGH 25.09.2020; E 774/2020-27, E 922/2020-27).

 

In der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 01.08.2018 nahm dieser auf diese Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Bezug und legte dar, dass eine Baubehörde in einem Fall, in dem eine für eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines beantragten Bauvorhabens notwendige Verordnung fehle, im Verfahren über ein Rechtsmittel eines Nachbarn, der sich gegen die Erteilung der Baubewilligung wende, nicht zum Ergebnis kommen dürfe, dass das Rechtsmittel abzuweisen sei (VwGH 01.08.2018; Ra 2018/06/0021).

 

Im Gegenstandsfall könnte das eingereichte Bauprojekt grundsätzlich anhand des maßgeblichen Flächenwidmungsplanes 3.00 aus dem Jahr 2004 beurteilt werden. Allerdings wäre die Gemeinde aufgrund der einschlägigen raumordnungsrechtlichen Bestimmungen zur Durchführung einer Revision des Flächenwidmungsplanes – zumindest was den Bauplatz der mitbeteiligten Partei betrifft – verpflichtet gewesen, da sich die gesetzliche Grundlage im Hinblick auf die Widmungskategorie des Bauplatzes maßgeblich geändert hat. Diese Revision, also die Abänderung der Verordnung, hätte spätestens im Jahr 2014 erfolgen müssen. Das Landesverwaltungsgericht geht daher im Lichte der zuvor dargestellten Judikatur der Höchstgerichte davon aus, dass die (abschließende) Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bauvorhabens der mitbeteiligten Partei nur nach der zwingend vorgesehenen Revision des Flächenwidmungsplanes 3.0 erfolgen darf.

 

Aus der Sicht des Landesverwaltungsgerichtes kommt der aufgeworfenen Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zu, da die Parteistellung der Beschwerdeführerin von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt und nicht gesichert ist, ob die zuvor dargestellte Judikatur der Höchstgerichte auf den Anlassfall anzuwenden ist. Die ordentliche Revision war daher zuzulassen.

 

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