LVwG Niederösterreich LVwG-AV-1470/001-2021

LVwG NiederösterreichLVwG-AV-1470/001-202117.9.2021

VwGVG 2014 §31

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.1470.001.2021

 

 

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch Mag. Marzi als Einzelrichter über die Beschwerde der A, vertreten durch B, Rechtsanwalt in ***, ***, gegen das Schreiben vom 03. August 2021, Zl. ***, betreffend Gewährung von Rechtsschutz nach dem Arbeiterkammergesetz, den

 

BESCHLUSS

 

1. Die Beschwerde wird mangels Anfechtungsgegenstand als unzulässig zurückgewiesen.

 

2. Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.

 

 

Begründung:

 

1. Aus dem vorgelegten Akt ergibt sich in Zusammenschau mit der Beschwerde nachstehender, entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

1.1.  Am 04. August 2021 wurde der Beschwerdeführerin an ihrer Wohnadresse ein Schreiben mit folgendem Inhalt zugestellt:

 

„EINSCHREIBEN

***

Frau ***

A

*** R C

*** T ***

F ***

E ***

W ***

 

Ihr Zeichen: Datum: 03.08.2021

Unser Zeichen: ***

 

Betreff: Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht

 

Sehr geehrte Frau A,

 

wir beziehen uns auf die oben genannte Sozialrechtssache und teilen Ihnen zu Ihrem

Rechtsschutzantrag mit, dass nach genauer Prüfung der Sach- und Rechtslage einer gerichtlichen

Durchsetzung Ihrer Forderungen durch die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederösterreich

gemäß § 4 des Rechtsschutz-Regulatives der AKNÖ iVm § 7 AKG leider nicht entsprochen werden

kann.

 

Begründung:

 

Wie wir Ihnen per Mail vom 27.7.2021 mitgeteilt haben, kann Ihr Rechtsschutzantrag nicht geprüft werden, solange Sie noch anwaltlich in dieser Sache vertreten sind. Sie haben geantwortet, dass Sie zwar Rechtschutz durch die AKNÖ zur Bekämpfung des Bescheides des AMS vom 11.6.2021 wünschen, aber nicht bereit sind das Vollmachtsverhältnis zu Rechtsanwalt B aufzulösen.

 

Da wir aus den an uns übermittelten schriftlichen Unterlagen ersehen können, dass Sie in genau dieser Angelegenheit von B vertreten werden, würde dies auf eine - denkunmögliche - Doppelvertretung hinauslaufen. Das ist zum einen nicht möglich, zum anderen ist es gemäß dem für uns geltenden Rechtsschutzregulativ erforderlich, dass die bisherige Vertretung aufgelöst wird und Sie erklären, dass Sie die bisher entstandenen Kosten selber tragen, damit über den Rechtsschutzantrag entschieden werden kann. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dann automatisch Rechtsschutz gewährt werden würde, sondern dann würde der Fall erst inhaltlich geprüft werden.

 

Aus oben genannten Gründen sehen wir keine Aussichten auf einen positiven Verfahrensausgang.

 

Sie haben die Möglichkeit einer Beschwerde gegen diese Entscheidung. Diese ist schriftlich, innerhalb von vier Wochen, an das Rechtsschutzbüro ***, ***, ***, zu richten und zu begründen.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

i.V.

C

Referentin“

 

1.2.  Gegen dieses Schreiben richtet sich die vorliegende, näher begründete Beschwerde u.a. mit dem Antrag auszusprechen, dass die „belangte Behörde mir Rechtsschutz für das Verfahren vor dem BVwG […] zu gewähren und die Kosten einer rechtsfreundlichen Vertretung zu bezahlen hat“; gleichzeitig wurde ein Antrag auf einstweilige Anordnung nach Unionsrecht gestellt.

 

1.3.  Die Beschwerde wurde dem Landesverwaltungsgericht unter Anschluss des Akts seitens der „AK Niederösterreich Rechtsschutzbüro ***“ zur Entscheidung, eingelangt am 06. September 2021, vorgelegt.

 

2.

Rechtliche Erwägungen:

2.1.1.  Zu den wesentlichen Merkmalen eines Bescheids zählt unter anderem die Bezeichnung der Behörde, die ihn erlassen hat. Fehlt eine solche Bezeichnung, so kann das betreffende Schriftstück – mag es auch sonst die Merkmale eines Bescheids aufweisen – nicht als Bescheid angesehen werden. Dem für die Bescheidqualifikation einer Erledigung wesentlichen Erfordernis der Bezeichnung der Behörde ist Rechnung getragen, wenn – nach objektiven Gesichtspunkten für jedermann, also unabhängig von der subjektiven Kenntnis des Adressaten des Schriftstücks – erkennbar ist, von welcher Behörde der Bescheid erlassen wurde, ist bescheiderlassende Behörde nicht erkennbar (die Erledigung einer bestimmten Behörde nicht zurechenbar) so liegt ein Bescheid nicht vor (VwGH vom 19. Mai 2020, Ra 2019/14/0317).

 

Der Bezeichnung der Behörde in schriftlichen Bescheidausfertigungen kommt so wesentliche Bedeutung zu, dass dann, wenn eine solche Bezeichnung fehlt, das betreffende Schriftstück – mag es auch sonst die Merkmale eines Bescheids aufweisen – nicht als Bescheid angesehen werden kann (VfGH vom 15. Juni 1998, A 031/97, VfSlg. 15175/1998, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des VwGH).

 

Für den Bescheidcharakter einer behördlichen Willenserklärung ist außerdem maßgebend, ob sie einen Spruch enthält, der die zur Entscheidung stehende Rechtssache bindend regelt und der in Rechtskraft erwachsen kann. Die Nichtbeachtung der Formvorschriften des AVG schließt die Qualifikation als Bescheid dann nicht aus, wenn sich aus dem Inhalt eindeutig ergibt, dass die Behörde in Ausübung ihrer Befehlsgewalt eine bindende Verfügung getroffen hat. Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung ist für den Bescheidcharakter einer behördlichen Erledigung ebenso wenig entscheidend wie eine Gliederung dieser Erledigung nach Spruch und Begründung. An eine nicht als Bescheid bezeichnete behördliche Erledigung muss hinsichtlich ihrer Wertung als Bescheid nach ihrem Inhalt aber ein strenger Maßstab angelegt werden. Bringt die sprachliche Gestaltung einen normativen Inhalt nicht zweifelsfrei zum Ausdruck, liegt kein Bescheid vor (vgl. VwGH vom 31. März 2009, 2004/10/0118).

 

2.1.2.  Aus dem angefochtenen Schreiben vom 03. August 2021 ist objektiv nicht erkennbar, von welcher „Behörde“ dieses herrührt. Es fehlt sowohl ein Briefkopf als auch eine sonstige Formel bzw. Formulierung aus welcher zweifelsfrei hervorgehen würde, von welcher „Behörde“ diese Erledigung herrührt.

 

Für die Entscheidung, ob einem Mitglied der Arbeiterkammer Rechtsschutz zu gewähren ist, wäre gemäß § 56 Abs. 1 Z 1 Arbeiterkammergesetz der Präsident der Arbeiterkammer im eigenen Wirkungsbereich zuständig; dessen Bescheide wären mit Bescheidbeschwerde vor dem örtlich zuständigen Landesverwaltungsgericht bekämpfbar (vgl. VwGH vom 25. Februar 2020, Ro 2019/11/0010). Ein Hinweis darauf, dass die angefochtene Erledigung „für den Präsidenten der Arbeiterkammer“ getroffen wurde odgl. findet sich jedoch ebenfalls nicht.

 

Schon mangels eindeutiger Bezeichnung der Behörde liegt kein Bescheid vor.

 

2.1.3.  Die am Beginn und am Ende des angefochtenen Schreibens gebrauchte Höflichkeitsform („Sehr geehrte …“; „Mit freundlichen Grüßen“) sowie die gewählte Ausdrucksweise, wonach dem Rechtsschutzantrag „leider nicht entsprochen werden kann“, lassen jedenfalls Zweifel entstehen, dass damit die betreffende Angelegenheit normativ entschieden werden sollte.

 

Aufgrund dieser Zweifel kommt dem Fehlen der Bezeichnung des Schreibens als „Bescheid“ nach der dargestellten Rechtsprechung entscheidende Bedeutung zu und führt – neben dem Fehlen der Bezeichnung der Behörde ebenfalls – dazu, dass das Schreiben vom 03. August 2021 nicht als Bescheid zu qualifizieren ist (vgl. einen ähnlichen Sachverhalt betreffend VwGH vom 28. Juni 1988, 87/11/0168).

 

2.1.4.  Da das in Beschwerde gezogene Schreiben keinen Bescheid darstellt, ist die dagegen erhobene Bescheidbeschwerde mangels Anfechtungsgegenstand als unzulässig zurückzuweisen (vgl. VwGH vom 15. März 2018, Ra 2017/21/0254).

 

Es ist daher gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unter Entfall der beantragten mündlichen Verhandlung spruchgemäß zu entscheiden.

 

Damit erübrigt sich eine Entscheidung über den in der Beschwerde gestellten Antrag auf einstweilige Anordnung nach Unionsrecht für die Gewährung eines vorläufigen Rechtsschutzes.

 

2.2.  Die Revision ist nicht zulässig, da die Entscheidung nicht von der zitierten und einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht. Die Frage, ob eine Erledigung auf Grund ihres konkreten Erscheinungsbildes als Bescheid zu beurteilen ist, stellt eine einzelfallbezogene Auslegungsfrage dar (zB VwGH vom 21. Dezember 2020, Ra 2020/12/0076).

 

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