AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:L530.1309578.5.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Florian Schiffkorn als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Nigeria, vertreten durch Mag. Philipp Tschernitz, Rechtsanwalt in 9020 XXXX , Pfarrplatz 17, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. März 2012, Zl. 1007.036-BAG,
A)
1. zu Recht erkannt:
Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen;
2. den Beschluss gefasst:
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang des Spruchpunktes III aufgehoben und die Angelegenheit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 Asylgesetz 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Nach der Abweisung bzw. Zurückweisung seines ersten und zweiten Asylantrages stellte der Beschwerdeführer am 9. August 2010 seinen dritten Asylantrag.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. März 2012 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 9. August 2010 gemäß „§ 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ und gemäß „§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG“ als unbegründet ab; zugleich verfügte die belangte Behörde gemäß „§ 10 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG“ seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 13. April 2012 das Rechtsmittel der Beschwerde.
Mit Erkenntnis vom 31. Jänner 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides als unbegründet ab, hob den angefochtenen Bescheid im Umfang des Spruchpunktes III auf und verwies die Angelegenheit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 Asylgesetz 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück.
Mit Erkenntnis vom 27. Juni 2019, Ra 2019/14/0138, wies der Verwaltungsgerichtshof die Revision, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides richtet, zurück und hob das angefochtene Erkenntnis im Umfang der Abweisung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II und III des bekämpften Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A) Entscheidung über die Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide
A) 1. Feststellungen
A) 1.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Der am 16. Juni 2005 in das Bundesgebiet eingereiste Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria, volljährig und Christ. Feststellungen zu seiner Identität – vor allem zu seinem Namen und seinem Geburtsdatum – können allerdings nicht getroffen werden.
Der aktuelle Gesundheitszustand des Beschwerdeführers stellt sich wie folgt dar:
Der Beschwerdeführer ist an einer Sarkoidose der Lunge und der Leber erkrankt. An Vorerkrankungen wird auch eine medikamentös behandelte Lungentuberkulose erwähnt. Die medizinische Behandlung fand am Klinikum XXXX statt mit einer vorübergehenden Schienung der durch die Leberknoten beengten Gallenwege sowie mit einer medikamentösen Therapie mit Imurek, Aprednisolon und Ursofalk, die die Entzündungsreaktion vermindern und den Gallenfluss verbessern.
Zudem war der Beschwerdeführer überwiegend regelmäßig in radiologischer und labormedizinischer Kontrolle, wobei hier zuletzt eine weitgehend normale Leberfunktion festgestellt wurde bei weiterhin bestehenden Einengungen von Teilen des Gallengangsystems in der Leber. Die Lungenfunktion und auch die Bildgebung dazu waren zuletzt weitgehend unauffällig.
Hinweisend für eine normale Leberfunktion ist die ausreichende Synthese von Eiweißen, wie sie für die Blutgerinnung verwendet werden. Bei einer Leberfunktionsstörung kommt es auch zu einer typischen Erhöhung der sogenannten Transaminasen. Diese sind mit Ausnahme einer Erhöhung des GGT-Wertes im Normbereich. Es zeigen sich auch keine typischen Veränderungen bei der exokrinen Funktion der Bauchspeicheldrüse. Auch die typischen Parameter, die eine ordnungsgemäße Funktion des Gallenflusses anzeigen, sind im Normbereich.
Typischerweise kommt es im Rahmen der Sarkoidose zur Erhöhung der alkalischen Phosphatase und des ACE. Auch diese Werte sind im Normbereich. Es ist nach derzeitigen Befunden und nach derzeitigem Befundverlauf davon auszugehen, dass es zu einer Stabilisierung der Sarkoidose gekommen ist und es unter der verordneten Medikation zu keiner weiteren Progression des Krankheitsbildes gekommen ist. Die bildgebenden Organbefunde waren zuletzt wenig auffällig.
Es ist eine weitere medikamentöse Behandlung des Beschwerdeführers erforderlich. Der Beschwerdeführer sollte regelmäßig die Präparate Azathioprin, Prednisolon sowie Ursodesoxycholsäure einnehmen, vor allem die Einnahme von Azathioprin und Prednisolon sollte fortgeführt werden. Diese Behandlung ist auch in Nigeria möglich, die verordnete Medikation kann auch über Apotheken in Nigeria bezogen werden. Somit kommt es bei Fortführung der Behandlung nicht zu einer unwiederbringlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes, zu keinem intensiven Leiden und zu keiner erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung, wenn der Beschwerdeführer in Nigeria weilt.
Die Beschaffung der Medikation sollte dem Beschwerdeführer über einen längeren Zeitraum über mindestens zehn Jahre ermöglicht werden, etwa im Rahmen einer finanziellen Zuwendung im Rahmen einer Rückkehrhilfe. Dabei ist anzunehmen, dass in Nigeria Medikamentenkosten in der Höhe von insgesamt 384,-- Euro jährlich anfallen werden, wobei die belangte Behörde – einen Antrag des Beschwerdeführers vorausgesetzt – eine erhöhte finanzielle Rückkehrhilfe zur Finanzierung des Medikamentenbedarfs für den Zeitraum von zehn Jahren (das sind 3.840,-- Euro) gewähren würde.
In Einschätzung der Erwerbsfähigkeit bezogen auf die Grunderkrankung des Beschwerdeführers ist eine vollzeitige und vollschichtige Erwerbsarbeit möglich in leichten bis mittelschweren Tätigkeiten. Schwere Arbeiten sind zu vermeiden. Beruflich denkbar sind somit etwa Tätigkeiten in der Verwaltung, im Handel, im Gastgewerbe, im Transportgewerbe und in der Produktionsarbeit, sofern jeweils keine schweren Lasten ohne Maschinenunterstützung zu bewältigen sind.
Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet über keine familiären Anknüpfungspunkte. Es kann nicht festgestellt werden, dass er seit zwei Jahren eine Beziehung maßgeblicher Intensität mit einer rumänischen Staatsbürgerin führt.
Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 26. August 2009 wurde der Beschwerdeführer der versuchten Nötigung nach § 15 Abs. 1 und § 105 Abs. 1 StGB für schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt, da er Ärzte und Krankenpfleger durch die Äußerung „kill“, wobei er diese Äußerung mit der Geste, die Kehle durchzuschneiden, untermauerte, sohin durch gefährliche Drohung zu seiner Entlassung aus dem Krankenhaus zu nötigen versuchte.
Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 14. März 2012 wurde der Beschwerdeführer der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB für schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 27 Monaten, von denen 18 Monate bedingt nachgesehen wurden, verurteilt, da er eine Person durch Messerstiche absichtlich schwer am Körper verletzte.
Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 24. Juni 2016 wurde der Beschwerdeführer wegen des gewerbsmäßigen, unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten, von denen acht Monate bedingt nachgesehen wurden, verurteilt.
Aufgrund der allgemeinen Lage im Land wird festgestellt, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.
A) 1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:
„COVID-19
Letzte Änderung: 01.09.2021
Die COVID-19-Situation in Nigeria ist nach wie vor angespannt. Die veröffentlichten absoluten Zahlen an bisherigen Infizierten geben angesichts der geringen Durchtestung der 200-Millionen-Bevölkerung ein verzerrtes Bild. Aussagekräftiger ist der Anteil der positiven Fälle gemessen an der Zahl der durchgeführten Tests. Dieser lag im Oktober 2020 landesweit bei mehr als drei Prozent, in der Metropole Lagos hingegen bei etwa 30 Prozent. Die Zahlen berücksichtigen noch nicht die Auswirkung der #EndSARS-Proteste, bei denen von den Demonstrierenden praktisch keine Schutzvorkehrungen gegen COVID-19 getroffen worden sind. Ein Anstieg an positiven Fällen ist hauptsächlich in der Südwestzone des Landes zu beobachten. In einigen Bundesstaaten herrscht überhaupt Skepsis an der Notwendigkeit von COVID-19-Maßnahmen.
Die allgemeine Risikowahrnehmung und die Nachfrage nach Tests sind gering (ÖB 10.2020).
In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden. Mit Stand 22.8.2021 sind in Nigeria 187.023 COVID-19 Fälle erfasst, die zu 2.268 Toten geführt haben; getestet wurden 2.648.684 Personen (Africa CDC 22.8.2021).
Bedingt durch COVID-19 sind öffentliche Versammlungen beschränkt, mit Stand September 2020 auf 50 Personen (USDOS 30.3.2021). Im ganzen Land gilt eine Ausgangssperre von Mitternacht bis 4 Uhr. Bei Flugreisen nach Nigeria ist beim Einchecken ein negativer COVID-19 PCR-Befund vorzulegen, der nicht älter als 72 Stunden sein darf. Zusätzlich muss vor der Abreise nach Nigeria ein weiterer COVID-19 PCR-Test gebucht und bezahlt werden, der nach der siebentägigen Selbstquarantäne durchzuführen ist. Die Befolgung der Quarantäne wird nicht kontrolliert. Vor der Abreise ist ein Formular auszufüllen (WKO 7.8.2021).
2020 wurde die Wirtschaft des Landes schwer durch den COVID-bedingten Verfall der internationalen Ölpreise getroffen. Für 2020 wird mit einem Rückgang des BIP von ca. 3,2 Prozent bei einem Wachstum der Bevölkerung in etwa gleicher Höhe gerechnet. Bereits im 4. Quartal 2020 hat die Wirtschaft jedoch wieder zu expandieren begonnen. 2021 sollte sie, getragen von Ölpreisen um 60 USD pro Fass, um 1,5 bis 2,5 Prozent real wachsen (WKO 16.6.2021).
Anm.: Diese Informationen zu COVID-19 sind zum Teil ebenfalls in den Kapiteln Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, medizinische Versorgung und Grundversorgung eingepflegt.
Quellen:
• Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (22.8.2021): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/ ; Zugriff 23.8.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
• WKO - Wirtschaftskammer Österreich (7.8.2021): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nigeria.html , Zugriff 23.8.2021
• WKO - Wirtschaftskammer Österreich (16.6.2021): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 23.8.2021
Politische Lage
Letzte Änderung: 01.09.2021
Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2020; vgl. AA 5.12.2020; GIZ 12.2020a) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 12.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 12.2020a; vgl. AA 5.12.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 5.12.2020).
Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem präsidialen Regierungssystem (AA 23.3.2021). Die
Verfassung vom 29.5.1999 enthält alle Elemente eines demokratischen Rechtsstaates, einschließlich eines Grundrechtskataloges, und orientiert sich insgesamt am US-Präsidialsystem.
Einem starken Präsidenten, der zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, und einem Vizepräsidenten, stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und
eine unabhängige Justiz gegenüber. In der Verfassungswirklichkeit dominiert die Exekutive in
Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und der ebenfalls direkt gewählten Gouverneure. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität und häufig auch mit undemokratischen und gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 5.12.2020).
Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Parteizugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten.
Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 5.12.2020).
Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 3.3.2021).
Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 12.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 12.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation (GIZ 12.2020a).
Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat und Repräsentantenhaus. Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei All Progressives‘ Congress (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die People’s Democratic Party (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA 5.12.2020).
Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten
durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 9.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.3.2021): Nigeria - Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844 , Zugriff 20.5.2021
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• BBC - BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3 , Zugriff 23.8.2021
• DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by ’systemic failings’, https://www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a-47858131 , Zugriff 20.5.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Nigeria, https://freedomhouse.org/country/nigeria/freedom-world/2021 , Zugriff 20.5.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020a): Nigeria – Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/governor/2019 , Zugriff 20.5.2021
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 01.09.2021
Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 5.12.2020).
Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz (AA 5.12.2020), vorwiegend durch Boko Haram (FH 2021; vgl. UKFCDO 19.5.2021), sowie ISWA [Islamischer Staat Westafrika] und anderen Gruppen (UKFCDO 16.8.2021). Die Aktivitäten der Islamisten haben sich von den nordöstlichen Staaten in die nordwestlichen Staaten ausgeweitet (EASO 6.2021). Obwohl Präsident Buhari in den ersten Jahren seiner Regierungszeit angab, Boko Haram „technisch“ besiegt zu haben, gibt er nun [Anm.: Stand Juli 2021] zu, dass es seiner Regierung nicht gelingt, den Aufstand zu stoppen (BBC 19.7.2021).
Im Middle Belt kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern (AA 5.12.2020; vgl. FH 3.3.2021). Beide Seiten machen sich Hassreden und Gewaltverbrechen schuldig (AA 5.12.2020). Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 5.12.2020; vgl. EASO 6.2021). Tausende sind in dem Konflikt um knappe Ressourcen getötet worden (BBC 19.7.2021).
Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnensezessionistischen Bewegungen [u.a. IPOB - Indigenous People of Biafra] und der Staatsgewalt.
Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 5.12.2020).
Zunehmend kritisch für die allgemeine Sicherheitslage in Nord- und Zentralnigeria ist die aus
den nordwestlichen Bundesstaaten Sokoto, Zamfara, Katsina und Kaduna ausgehende Bandenkriminalität (insb. Viehdiebstähle, Überfälle, Entführungen) (AA 5.12.2020; vgl. EASO 6.2021).
Bemühungen der Sicherheitskräfte haben eher zur Verdrängung der Aktivitäten in bisher nicht betroffene Gebiete als zur effektiven Verfolgung der Kriminellen geführt (AA 5.12.2020). Seit Dezember 2020 wurden mehr als 1.000 Schüler entführt und viele wurden erst wieder nach Zahlung eines hohen Lösegelds freigelassen (BBC 19.7.2021).
Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nasarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie organisierten kriminellen Banden betroffen. In den südöstlichen und südlichen Bundesstaaten Imo, Rivers, Anambra, Enugu, Ebonyi und Akwa-Ibom kommt es derzeit gehäuft zu bewaffneten Angriffen auf Institutionen staatlicher Sicherheitskräfte. Die nigerianische Polizei hat nach einem erheblichen Anstieg von Sicherheitsvorfällen am 19.5.2021 die „Operation Restore Peace“ in diesen Bundesstaaten begonnen. Dies kann lokal zu einer höheren polizeilichen Präsenz führen. In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 und im Oktober 2020 [Anm.: im Rahmen der EndSARS Proteste] forderten diese in Abuja, Lagos und anderen Städten zahlreiche Todesopfer (AA 3.8.2021).
Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden (DS 16.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Nach Oktober 2020 wurde eine Kommission aus Nationaler Menschenrechtskommission (NHRC) und zivilgesellschaftlichen Gruppen zur Untersuchung der Polizeieinsätze während der Protestwelle eingesetzt (EASO 6.2021).
In der Zeitspanne März 2020 bis März 2021 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.888), Kaduna (1.103), Zamfara (938). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (5), Bauchi (16), Jigawa (16) (CFR 12.4.2021). Gemäß dem Global Peace Index 2020 findet sich Nigeria auf Platz 147 von 163 Ländern. Gemäß Brooking haben intensive Unsicherheit und Gewalt seit 2018 in Nigeria Bestand bzw. haben diese zugenommen (EASO 6.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.8.2021): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise
(Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 , 18.8.2021
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• BBC - BBC News (19.7.2021): Nigeria’s security crises - five different threats, https://www.bbc.com/news/world-africa-57860993 , Zugriff 18.8.2021
• BBC - BBC News (25.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys ’all resources’ amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345 , Zugriff 21.2.2021
• CFR - Council on Foreign Relations (12.4.2021): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483 , Zugriff 18.8.2021
• DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte „Sars“-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft , Zugriff 28.10.2020
• EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Nigeria, https://freedomhouse.org/country/nigeria/freedom-world/2021 , Zugriff 20.5.2021
• Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-killings-and-brutality , Zugriff 28.10.2020
• UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office [Großbritannien] (16.8.2021): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria , Zugriff 18.8.2021
Nigerdelta
Letzte Änderung: 01.09.2021
Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 5.12.2020). Im Nigerdelta, dem Hauptgebiet der Erdölförderung, bestehen zahlreiche bewaffnete Gruppierungen, die sich neben Anschlägen auf Öl- und Gaspipelines auch auf Piraterie im Golf von Guinea und Entführungen mit Lösegelderpressung spezialisiert haben (ÖB 10.2020). Generell ist das Risiko von Entführungen in Nigeria hoch (AA 3.8.2021). Auch im Jahr 2020 wurden im Nigerdelta Zivilisten entführt um Lösegeld zu erpressen (USDOS 30.3.2021).
Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die
Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt (Sabotage der Ölinfrastruktur) durchzusetzen (AA 5.12.2020). 2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar’Adua mit einem Amnestieangebot eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Es kam zur Wiederaufnahme der Attacken gegen die Ölinfrastruktur (AA 5.12.2020; vgl. ACCORD 7.6.2021). Im Herbst 2016 konnte mit den bewaffneten Gruppen ein neuer Waffenstillstand vereinbart werden, der bislang großteils eingehalten wird (ÖB 10.2020; vgl. ACCORD 7.6.2021). Das Amnestieprogramm ist bis 2019 verlängert worden. Auch wenn Dialogprozesse zwischen der Regierung und Delta-Interessengruppen laufen und derzeit ein „Waffenstillstand“ zumindest grundsätzlich hält, scheint die Regierung nicht wirklich an Mediation interessiert zu sein, sondern die Zurückhaltung der Aufständischen zu „erkaufen“ und im Notfall mit militärischer Härte durchzugreifen (AA 5.12.2020).
Die Lage bleibt aber sehr fragil (AA 5.12.2020; vgl. ACCORD 7.6.2021), da weiterhin kaum nachhaltige Verbesserung für die Bevölkerung erkennbar ist (AA 5.12.2020). Der Konflikt betrifft die Staaten des Nigerdeltas, Abia, Akwa-Ibom, Bayelsa, Cross River, Delta, Edo, Imo, Ondo und Rivers. Vergleicht man 2018 und 2019, so stieg das Konfliktrisiko und tödliche Gewalt nahm zu. 2020 führte zu einem weiteren Anstieg der Gewalt und des Konfliktrisikos, die Zahl an Todesopfern nahm hingegen ab (EASO 6.2021). Bewaffnete Kultgruppen stellen weiterhin ein Sicherheitsrisiko in der Region dar (BBC 19.7.2021).
Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u.a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 5.12.2020).
Im Jahr 2021 gingen Sicherheitskräfte zudem vermehrt gegen das Eastern Security Network
(ESN), den militanten Arm der verbotenen separatistischen Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) vor. Im Februar 2021 wurden im Bundesstaat Imo in Orlu und Orsu bei Angriffen auf ESN-Lager Helikopter und hunderte Soldaten eingesetzt. Im März 2021 kam es zu Angriffen auf Polizeibeamte und -einrichtungen seitens Mitgliedern des ESN. Soldaten töteten 16 ESN-Mitglieder in der Stadt Aba im Bundesstaat Abia. Im April 2021 führten Sicherheitskräfte in der Stadt Awomama eine Razzia im ESN-Hauptquartier durch und töteten 11 Personen (ACCORD 7.6.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.8.2021): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise
(Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 , 18.8.2021
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation
(7.6.2021): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/laender/nigeria/themendossiers/sicherheitslage/ , Zugriff 20.8.2021
• BBC - BBC News (19.7.2021): Nigeria’s security crises - five different threats, https://www.bbc.com/news/world-africa-57860993 , Zugriff 18.8.2021
• EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021
• EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf , Zugriff 26.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Middle Belt inkl. Jos/Plateau
Letzte Änderung: 02.09.2021
Seit Jahrzehnten kommt es in Nigeria – vorwiegend im Middle Belt – zu religiös motivierter Gewalt zwischen vorwiegend christlichen sesshaften Bauern und vorwiegend nomadischen muslimischen Viehhirten. Ursprünglich ein Konflikt um natürliche Ressourcen wie Wasser und Land, hat der Konflikt zunehmend eine ethnisch-religiöse Dimension bekommen (EASO 2.2019; vgl. AA 5.12.2020). In einigen Bundesstaaten ist die Lage der jeweiligen christlichen bzw. muslimischen Minderheit problematisch, insbesondere im Middle Belt, wo der Kampf um Land und Lebensraum zunehmend religiös aufgeladen wird (AA 5.12.2020).
Historisch waren die Beziehungen zwischen den Hirten und den sesshaften Bauerngemeinschaften harmonisch (ACCORD 7.6.2021; vgl. EASO 6.2021). Das Vieh der Hirten düngte das Land der Bauern im Austausch für Weiderechte. Jedoch nahmen die Spannungen im Laufe des vergangenen Jahrzehnts mit gewaltsamen Zwischenfällen in den zentralen und südlichen Bundesstaaten zu (ACCORD 7.6.2021). Der Konflikt begann 1999. Zu einer Zunahme der Gewalt kommt es seit 2017. Zwischen 2015 und 2018 sind schätzungsweise 3.641 Menschen aufgrund des Konflikts getötet und 300.000 intern vertrieben worden (EASO 6.2021). Insgesamt sind jedenfalls Tausende in diesem Konflikt um knappe Ressourcen getötet worden (BBC 19.7.2021).
Beide Seiten - Hirten und Bauern - machen sich Hassreden und Gewaltverbrechen schuldig.
Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 5.12.2020). Gemäß EASO sind die am meisten betroffenen Bundesstaaten nunmehr Benue, Plateau, Taraba, Adamawa, Kaduna, Kwara, Borno und Zamfara (EASO 6.2021).
Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba, der östl. Teil von Nasarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger, Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen sowie innerethnischen Konflikten zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie organisierten kriminellen Banden betroffen (AA 3.8.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.8.2021): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise
(Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 , 18.8.2021
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation
(7.6.2021): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/laender/nigeria/themendossiers/sicherheitslage/ , Zugriff 20.8.2021
• BBC - BBC News (19.7.2021): Nigeria’s security crises - five different threats, https://www.bbc.com/news/world-africa-57860993 , Zugriff 18.8.2021
• EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021
• EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf , Zugriff 26.5.2021
Nordnigeria – Boko Haram
Letzte Änderung: 01.09.2021
Boko Haram ist seit Mitte 2010 für zahlreiche schwere Anschläge mit Tausenden von Todesopfern verantwortlich (AA 23.3.2021). Im August 2016 spaltete sich Boko Haram als Folge eines Führungsstreits in Islamic State West Africa (ISIS-WA) [alternativ: ISWAP - Islamic State West Africa Province] und Jama’atu Ahlis Sunna Lidda’awati wal-Jihad (JAS) auf (EASO 6.2021).
Die Regierungen von Nigeria, Niger, Tschad und Kamerun bezeichnen jedoch beide Gruppen
als Boko Haram, mit der Differenzierung „Shekau-Fraktion“ [JAS, geläufiger Boko Haram] und
„al-Barnawi-Fraktion“ [Anm.: ISIS-WA] (ACCORD 7.6.2021). Es wird geschätzt, dass JAS 1.500-
2.000 Mitglieder hat, während ISIS-WA 3.500-3.000 Mitglieder hat, militärisch stärker ist und
sein Einflussgebiet erweitert (EASO 6.2021).
Ursprünglich hatte Boko Haram im Nordosten Nigerias versucht, die Macht zu erringen. Der
Konflikt hat sich jedoch inzwischen auf den Tschad und die anderen Nachbarländer Kamerun
und Niger ausgeweitet. Bei Angriffen und Anschlägen der Miliz wurden in den vergangenen
Jahren 35.000 Menschen getötet. Nach UN-Angaben sind fast zwei Millionen Menschen vor der islamistischen Gewalt in Nigeria auf der Flucht (Zeit 18.4.2020). Milizen der Boko Haram und der an Einfluss gewinnende ISIS-WA terrorisieren die Zivilbevölkerung weiterhin durch Mord, Raub, Zwangsverheiratungen, Vergewaltigung und Menschenhandel (AA 5.12.2020). Diese Gruppen sind auch weiterhin für Angriffe auf militärische und zivile Ziele in Nordnigeria verantwortlich (USDOS 24.6.2020).
Seit der Angelobung von Präsident Buhari im Mai 2015 wurden effektivere Maßnahmen gegen die Aufständischen ergriffen (ACCORD 7.6.2021). Die von Boko Haram betroffenen Staaten (v.a. Kamerun, Tschad, Niger, Nigeria) haben sich im Februar 2015 auf die Aufstellung einer circa 10.000 Mann starken Multinational Joint Task Force (MNJTF) zur gemeinsamen Bekämpfung von Boko Haram verständigt (AU-EU o.D.). In den vergangenen Jahren wurde die Militärkampagne gegen die Islamisten auf Druck und unter Beteiligung der Nachbarstaaten intensiviert und hat laut Staatspräsident Buhari zu einem von der Regierung behaupteten „technischen Sieg“ geführt (ÖB 10.2020). Die Aufständischen konnten aus dem Großteil der zuvor von ihnen kontrollierten Gebiete vertrieben werden. Berichten zufolge änderten die Aufständischen ihre Taktik in Richtung asymmetrische Kriegsführung (ACCORD 7.6.2021) wie etwa die ursprüngliche Guerillataktik von Überfällen auf entlegenere Dörfer und Selbstmordanschläge oft auch durch Attentäterinnen (ÖB 10.2020) sowie Entführungen, Vergewaltigung, Zwangsrekrutierung von Kindern und Jugendlichen, Selbstmordanschläge und sexuelle Versklavung (ACCORD 7.6.2021). Insgesamt hat sich die Sicherheitslage im Nordosten nach zeitweiliger Verbesserung (2015-2017) seit 2018 wieder verschlechtert. Nachdem sich das nigerianische Militär im Sommer 2019 aus der Fläche in wenige größere Städte zurückgezogen hat, ist humanitären Helfern der Zugang außerhalb dieser Städte nur per Hubschrauber oder gar nicht möglich. Angriffe der bewaffneten Gruppen auf die Zivilbevölkerung und wiederholt auch auf humanitäre Helfer halten an (AA 5.12.2020). Obwohl Buhari in den ersten Jahren seiner Regierungszeit angab, Boko Haram „technisch“ besiegt zu haben, gibt er nun [Anm.: Stand Juli 2021] zu, dass es seiner Regierung nicht gelingt, den Aufstand zu stoppen (BBC 19.7.2021). Und auch wenn die zivile Bürgerwehr Civilian Joint Task Force stellenweise recht effektiv gegen Boko Haram vorging, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 5.12.2020).
In den Jahren 2019 und 2020 führten Boko Haram und ISIS-WA Angriffe auf Bevölkerungszentren und Sicherheitskräfte im Bundesstaat Borno durch (ACCORD 7.6.2021; vgl. USDOS 30.3.2021, USDOS 11.3.2020). Allein im Jahr 2019 sind ca. 640 Zivilisten bei Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und Boko Haram getötet worden. Außerdem entführte die Gruppe mindestens 16 Menschen (HRW 14.1.2020). Laut einer anderen Quelle wurden bei mindestens 31 bewaffneten Angriffen der Boko Haram im Jahr 2019 mindestens 378 Zivilpersonen getötet (AI 8.4.2020). Im Jahr 2020 verübte Boko Haram im Nordosten weiterhin schwere Menschenrechtsverbrechen, darunter die Tötung und Entführung von Zivilisten. Über 420 Zivilisten wurden bei etwa 45 Angriffen getötet. Viele der Angriffe erfolgten im Bundesstaat Borno, aber auch in den Bundesstaaten Adamawa und Yobe. Es kam im Nordosten auch zu Angriffen gegen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen (ACCORD 7.6.2021; vgl. USDOS 11.3.2020, AI 7.4.2021).
Die Gewalt im Zusammenhang mit Boko Haram ist also im Jahr 2020 weiter eskaliert (EASO 6.2021). Im Jänner 2020 kamen 20 IDPs bei einem Angriff von Boko Haram auf ein UN-Gebäude ums Leben (HRW 13.1.2021). ISIS-WA hat im Juni 2020 bei mehreren Angriffen in Borno mehr als 120 Menschen innerhalb einer Woche getötet (AP 26.6.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Auch 2021 kommt es weiterhin zu Angriffen von Boko Haram und ISIS-WA mit Todesopfern unter Sicherheitskräften und Zivilisten, v.a. im Bundesstaat Borno, aber auch in Yobe und Adamawa (ACCORD 7.6.2021). In diesen drei Bundesstaaten sind mittlerweile 10,6 Mio. Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 5.12.2020). Ca. zwei Millionen Binnenvertriebene leben in überlasteten Camps oder aufnehmenden Gemeinden, die selbst hilfsbedürftig sind (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). 300.000 nigerianische Flüchtlinge befinden sich in den Nachbarländern (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.3.2021): Nigeria - Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844 , Zugriff 20.5.2021
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation
(7.6.2021): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/laender/nigeria/themendossiers/sicherheitslage/ , Zugriff 20.8.2021
• AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty Report, Nigeria, 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048597.html , Zugriff 27.5.2021
• AI - Amnesty International (8.4.2020): Amnesty Report, Nigeria, 2019, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/nigeria-nigeria-2019#section-11669032 , Zugriff 27.5.2021
• AP - The Associated Press (26.6.2020): In Nigeria, an Islamic State-linked group steps up attacks, https://apnews.com/article/d72560593efce0a51e15190c95ac3705 , Zugriff 27.5.2021
• AU-EU - African Union-EU Partnership (o.D.): Multinational Joint Task Force (MNJTF) against Boko Haram, https://www.africa-eu-partnership.org/en/projects/multinational-joint-task-force-mnjtf-against-boko-haram , Zugriff 27.5.2021
• BBC - BBC News (19.7.2021): Nigeria’s security crises - five different threats, https://www.bbc.com/news/world-africa-57860993 , Zugriff 18.8.2021
• EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043506.html , Zugriff 27.5.2021
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022679.html , Zugriff 27.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 – Chapter 1 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032436.html , Zugriff 27.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html , Zugriff 27.5.2020
• Zeit - Zeit Online (18.4.2020): Tschad: Mutmaßliche Boko Haram-Kämpfer tot in Gefängnis gefunden, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-04/boko-haram-kaempfer-gefaengnis-tschad-tot?utm_referrer=https%3A%2F%2Fde.wikipedia.org%2F , Zugriff 27.5.2021
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 02.09.2021
Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 5.12.2020; ÖB 10.2020). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 5.12.2020). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 10.2020). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 5.12.2020). In Militärgerichten finden nur Verfahren gegen Militärangehörige statt (USDOS 30.3.2021).
Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 5.12.2020). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem („Common Law“ oder „Customary Law“) durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben „Scharia-Gerichte“ neben „Common Law“ und „Customary Courts“ geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt-konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 10.2020).
Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 5.12.2020; vgl. FH 3.3.2021; ÖB 10.2020; USDOS 30.3.2021). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021; FH 3.3.2021). Vor allem auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 30.3.2021).
Die drei einander mitunter widersprechenden Rechtssysteme (ÖB 10.2020; vgl. BS 2020) sowie die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 5.12.2020; vgl. FH 3.3.2021; USDOS 30.3.2021; ÖB 10.2020; BS 2020). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 3.3.2021).
Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte aufgrund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 5.12.2020). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren in angemessener Zeit, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, nicht gezwungen werden auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet, v.a. aufgrund von Personalmangel (USDOS 30.3.2021). V.a. das Recht auf ein zügiges Verfahren wird jedoch kaum gewährleistet. Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 5.12.2020).
Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 5.12.2020). Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils in Frage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 5.12.2020).
Im Allgemeinen hat der nigerianische Staat Schritte unternommen, um ein Strafverfolgungssystem zu etablieren und zu betreiben, im Rahmen dessen Angriffe von nicht-staatlichen Akteuren bestraft werden. Er beweist damit in einem bestimmten Rahmen eine Schutzwilligkeit und –fähigkeit, die Effektivität ist aber durch einige signifikante Schwächen eingeschränkt. Effektiver Schutz ist in jenen Gebieten, wo es bewaffnete Konflikte gibt (u.a. Teile Nordostnigerias, des Middle Belt und des Nigerdeltas) teils nicht verfügbar. Dort ist auch für Frauen, Angehörige sexueller Minderheiten und Nicht-Indigene der Zugang zu Schutz teilweise eingeschränkt (UKHO 3.2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 28.5.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Nigeria, https://freedomhouse.org/country/nigeria/freedom-world/2021 , Zugriff 20.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (3.2019): Country Policy and Information Note - Nigeria: Actors of protection, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/794316/CPIN_-_NGA_-_Actors_of_Protection.final_v.1.G.PDF , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Scharia
Letzte Änderung: 02.09.2021
Mit der Wiedereinführung des Scharia-Strafrechts auf landesgesetzlicher Ebene in den zwölf
mehrheitlich muslimisch bewohnten nördlichen Bundesstaaten erhielten erstinstanzliche Scharia-Gerichte auch strafrechtliche Befugnisse (z.B. Verhängung von Körperstrafen bis hin zu Todesurteilen wie Steinigung); dies gilt allerdings grundsätzlich nur für Muslime (AA 5.12.2020).
Scharia- bzw. gewohnheitsrechtliche Gerichte können nur angerufen werden, wenn beide Parteien einwilligen. Bei den Scharia-Gerichten kommt die Bedingung hinzu, dass beide Parteien Muslime sein müssen (ÖB 10.2020; vgl. USDOS 12.5.2021). Mindestens ein Bundesstaat, Zamfara, schreibt vor, dass Zivilverfahren, bei denen alle Prozessparteien Muslime sind, vor Scharia-Gerichten verhandelt werden, wobei die Möglichkeit besteht, gegen jede Entscheidung beim Zivilgericht Berufung einzulegen. Nicht-Muslime haben die Möglichkeit, ihre Fälle vor den Scharia-Gerichten verhandeln zu lassen, wenn sie dies wünschen (USDOS 12.5.2021). Nicht-Muslime haben aber jedenfalls das Recht auf ein Verfahren vor einem säkularen Gericht (BS 2020). Die Statuten der Scharia schreiben schwere Strafen für Vergehen im Bereich der Pressefreiheit vor. Frauen sind durch die Scharia ebenfalls stark benachteiligt (FH 3.3.2021).
Den rigorosen Strafandrohungen der Scharia stehen ebenso rigorose Beweisanforderungen gegenüber, sodass bei prozedural einwandfreien Scharia-Verfahren ein für eine Verurteilung
ausreichender Zeugenbeweis oft nicht zu führen ist. In der Vergangenheit ist es aufgrund der
Komplexität des auch für viele Richter zunächst noch neuen islamischen Beweisrechts insbesondere in der Eingangsinstanz oft zu mit Rechtsfehlern behafteten Urteilen gekommen. Dabei erregten Ermittlungen und Anklagen wegen sogenannter Hudud-Straftatbestände (z.B. außerehelicher Geschlechtsverkehr, Diebstahl, Straßenraub, Alkoholgenuss) in den letzten Jahren weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit als noch in den ersten Jahren nach der Wiedereinführung des islamischen Strafrechts (AA 5.12.2020).
Die Scharia-Berufungsgerichte wandeln konsistent Steinigungs- und Amputationsurteile in andere Strafen um (USDOS 30.3.2021; vgl. BS 2020). Im Jahr 2020 gab es keine Berichte über
ausgeführte Prügelstrafen (USDOS 11.3.2020). Der Scharia-Instanzenzug endet auf der Ebene
eines Landesberufungsgerichts, gegen dessen Urteile Rechtsmittel vor dem (säkularen) Bundesberufungsgericht in Abuja zulässig sind (AA 5.12.2020). Urteile von Scharia-Gerichten
können somit auch im formalen Rechtssystem angefochten werden, die Umwandlung der Steinigungs- und Amputationsurteile erfolgt allerdings aus prozessualen und Beweisgründen, ein grundsätzlicher Verstoß gegen die Verfassung wird bis dato nicht hinterfragt (USDOS 30.3.2021).
Vier Staaten mit erweitertem Scharia-Geltungsbereich (Zamfara, Niger, Kaduna, Kano) haben
private Gruppen, wie die Hisbah, zur Rechtsdurchsetzung ermächtigt und gewähren hierfür
staatliche Zuschüsse (AA 5.12.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 28.5.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Nigeria, https://freedomhouse.org/country/nigeria/freedom-world/2021 , Zugriff 20.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051592.html , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 02.09.2021
Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 350.000-360.000 Mann starken (Bundes-)Polizei [Anm.: National Police Force - NPF], die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 5.12.2020; vgl. EASO 6.2021). Obwohl in absoluten Zahlen eine der größten Polizeitruppen der Welt, liegt die Rate von Polizeibeamten zur Bevölkerungszahl von 1:600 deutlich unter der von der UN empfohlenen Rate von 1:450 (EASO 6.2021). Die nigerianische Polizei ist zusammen mit anderen Bundesorganisationen die wichtigste Strafverfolgungsbehörde.
Das Department of State Service (DSS), via nationalem Sicherheitsberater dem Präsidenten unterstellt, ist ebenfalls für die innere Sicherheit zuständig. Die nigerianischen Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die äußere Sicherheit zuständig, haben aber auch einige Zuständigkeiten im Bereich der inneren Sicherheit (USDOS 30.3.2021). Die nigerianischen Streitkräfte umfassen 2021 schätzungsweise 135.000 Mann, davon 100.000 in der Armee, 20.000 Marine und Küstenwache, sowie 15.000 in der Luftwaffe.
Paramilitärische Gruppen werden auf eine Gesamtstärke von 80.000 geschätzt (EASO 6.2021). Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein (AA 5.12.2020). Alle Sicherheitsorgane (Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten, die so genannten Rapid Response Squads) werden neben der Polizei auch im Innern eingesetzt (AA 5.12.2020). Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig (ÖB 10.2020).
Der NDLEA wird im Vergleich zu anderen Behörden mit polizeilichen Befugnissen eine gewisse Professionalität attestiert. In den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fällt Dekret 33, welches ein zusätzliches Verfahren für im Ausland bereits wegen Drogendelikten verurteilte nigerianische Staatsbürger vorsieht. Dagegen zeichnen sich die NPF und die Mobile Police (MOPOL) durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB 10.2020). Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet (AA 5.12.2020). Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee (USDOS 30.3.2021).
Polizei, DSS und Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch zeitweise außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 30.3.2021). Es gab allerdings kleinere Erfolge im Bereich der Reorganisation von Teilen des Militärs und der Polizei (BS 2020). Die Regierung verwendete regelmäßig Disziplinarkommissionen und andere Mechanismen um Verbrechen während des Dienstes durch Beamte zu untersuchen, aber die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden oft nicht veröffentlicht. Die Polizei ist korruptionsanfällig und sieht sich Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, operiert jedoch weitgehend in Straffreiheit (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 28.5.2021
• EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Vigilantengruppen, Bürgerwehren, Hisbah
Letzte Änderung: 02.09.2021
In verschiedenen Regionen des Landes haben sich bewaffnete Organisationen in Form von ethnischen Vigilantengruppen gebildet, z.B. der Odua People’s Congress (OPC) im Südwesten
oder die Bakassi Boys im Südosten. Bei diesen Gruppen kann man sich gegen Zahlung eines Schutzgeldes „Sicherheit“ erkaufen. Die Behörden reagieren unterschiedlich auf diese Gruppen: Im Bundesstaat Lagos ging die Polizei gegen den OPC vor, im Osten des Landes wurde die Existenz dieser Gruppen dagegen von einigen Gouverneuren begrüßt. Die Polizei arbeitet zum Teil mit ihnen zusammen. Generell scheint die Bedeutung von Vigilantengruppen in Städten etwas abzunehmen, in einigen ländlichen Regionen haben sie aber weiterhin eine dominante Machtposition. Im Kampf gegen Boko Haram hat sich unter Federführung der Armee im Nordosten eine inter-ethnische Vigilantengruppe – die Civilian Joint Task Force (CJTF) – herausgebildet (AA 5.12.2020). Berichten zufolge koordiniert sich das Militär vor Ort eng mit der CJTF (USDOS 30.3.2021).
Vigilantengruppen verletzen regelmäßig persönliche Freiheiten der Bürger (BS 2020). Im September 2017 unterzeichneten die UN und die CJTF einen Aktionsplan zur Unterbindung der Rekrutierung und Verwendung von Kindern, seitdem kommt es nicht mehr zur Rekrutierung von Kindern. Ehemalige Kindersoldaten werden reintegriert (USDOS 30.3.2021).
In verschiedenen Bundesstaaten überwacht die Hisbah-Polizei die Einhaltung der religiösen Vorschriften (AA 5.12.2021). Vier Staaten mit erweitertem Scharia-Geltungsbereich (Zamfara, Niger, Kaduna, Kano) haben private Gruppen, wie die Hisbah, zur Rechtsdurchsetzung ermächtigt und gewähren hierfür staatliche Zuschüsse. In bestimmten Fällen sind diese Gruppen ermächtigt, Verhaftungen vorzunehmen. Bislang beschränkt sich ihre Zuständigkeit in erster Linie auf Verkehrsdelikte und die Marktaufsicht (ÖB 10.2020). Die Hisbah reglementiert in den Bundesstaaten Kano und Zamfara islamische religiöse Angelegenheiten und Predigten, lizensiert Imame und versucht Konflikte zwischen Muslimen zu lösen. Im Bundesstaat Jigawa kam es im August 2020 zu einer Beschlagnahmung und Vernichtung einer großen Menge Alkohols (600 Flaschen) (USDOS 12.5.2021). In Kano wird die Hisbah direkt vom Bundesstaat betrieben, während sie in anderen Bundesstaaten ähnlich den nichtstaatlichen Bürgerwehren organisiert ist. Die Hisbah wurde vom Obersten Gericht zwar als verfassungswidrig bezeichnet, da polizeiliche Aufgaben ausschließlich in die Zuständigkeit des Bundes fallen. Sie hat ihre Tätigkeit jedoch bisher nicht eingestellt, sondern wurde lediglich umorganisiert. Laut dem Gouverneur von Kano nimmt die Hisbah keine polizeilichen, sondern lediglich gesellschaftlich-moralische Aufgaben und Befugnisse wahr (AA 5.12.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 28.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051592.html , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 02.09.2021
Durch Verfassung und Gesetze sind Folter und andere unmenschliche Behandlungen verboten. Seit Dezember 2017 sind gemäß Anti-Folter-Gesetz Strafen vorgesehen. Gesetzlich ist die Verwendung von unter Folter erlangten Geständnissen in Prozessen nicht erlaubt. Die Behörden respektieren diese Regelung jedoch nicht immer. Ein Gesetz aus dem Jahr 2015 verbietet Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Häftlingen; es schreibt jedoch keine Strafen für Verstöße vor. Zudem muss jeder Bundesstaat konforme Gesetze auch einzeln verabschieden, was bis 2020 in zwei Drittel der nigerianischen Bundesstaaten geschehen war, namentlich in Abia, Adamawa, Akwa Ibom, Anambra, Bayelsa, Benue, Cross River, Delta, Edo, Ekiti, Enugu, Jigawa, Kaduna, Kano, Kogi, Kwara, Lagos, Nasarawa, Ogun, Ondo, Osun, Oyo, Plateau und Rivers geschehen ist (USDOS 30.3.2021). Straffreiheit bleibt ein bedeutendes Problem (USDOS 30.3.2021). Das Vertrauen in den Sicherheitsapparat ist durch immer wieder gemeldete Fälle von widerrechtlichen Tötungen, Folter und unmenschlicher Behandlung in Polizeihaft unterentwickelt (ÖB 10.2020).
Die nigerianischen Sicherheitskräfte sehen sich immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert,
schwerste Menschenrechtsverletzungen zu begehen: Allen glaubwürdigen Hinweisen zufolge gehören Folter, willkürliche Verhaftungen und extralegale Tötungen nach wie vor zum Handlungsrepertoire staatlicher Sicherheitsorgane (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021; BS 2020).
Darunter haben insbesondere die ärmeren Bevölkerungsschichten zu leiden (AA 5.12.2020).
Neben der Polizei wird auch dem Militär vorgeworfen, extralegale Tötungen, Folter und andere Misshandlungen anzuwenden (FH 3.3.2021; vgl. AA 5.12.2020). Im Kampf gegen Boko Haram und ISIS-WA im Nordosten des Landes kommt es im Rahmen von Anti-Terror-Operationen durch Sicherheitskräfte zu Menschenrechtsverletzungen, darunter Folter, außergerichtliche Tötungen, willkürliche Verhaftungen (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 5.12.2020; FH 3.3.2021) und Verschwindenlassen. Betroffen sind davon zum Teil auch Schiiten, Biafra-Aktivisten und Angehörige der Ethnie der Ijaw im Niger Delta. Berichten zufolge begehen Angehörige des Militärs außerdem schwere Menschenrechtsverletzungen in IDP-Camps. Die Regierung bestreitet dies (AA 5.12.2020).
Im März 2016 wurde eine Menschenrechtsstelle in der Abteilung für zivil-militärische Angelegenheiten beim Stab des Heeres eingerichtet, die aber bisher kaum in Erscheinung getreten ist. Die Menschenrechtskommission wurde außerdem beauftragt, Spezialeinheiten der Polizei zu untersuchen, die sich weitreichender Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben sollen. Bisher blieben aber alle Untersuchungen ohne rechtliche Konsequenzen (AA 5.12.2020).
Die Special Anti-Robbery Squad (SARS) ging brutal gegen Verdächtige vor. Glaubwürdigen Berichten zufolge kam es zu Folter oder erzwungenen Geständnissen. Im Oktober 2020 wurde die Einheit nach massiven Protesten aufgelöst (USDOS 30.3.2021; vgl. EASO 6.2021). SARS wurde nach internationalem Vorbild in Swat (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt, und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden (DS 16.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Die Protestwelle ging jedoch weiter, der von den Demonstranten verwendete Hashtag ENDSARS wurde lediglich in ENDSWAT umbenannt (DS 16.10.2020).
Gesicherte Erkenntnisse über systematisches Verschwindenlassen unliebsamer Personen durch staatliche Organe liegen nicht vor. Nigerianische Menschenrechtsgruppen werfen regelmäßig insbesondere der Polizei das Verschwindenlassen von Untersuchungshäftlingen und anderen in Polizeigewahrsam befindlichen Personen vor (AA 5.12.2020). Einer anderen Quelle zufolge verhaften etwa Polizisten und der Inlandsgeheimdienst willkürlich Menschen und lassen Personen verschwinden (AI 7.4.2021). Der Vorwurf des Verschwindenlassens wird auch gegen die im Norden Nigerias agierenden Sicherheitskräfte der Joint Task Force erhoben. Polizei und Militär gehen bei Großeinsätzen, wie der Bekämpfung der islamistischen Gruppe Boko Haram, häufig mit unverhältnismäßiger Härte vor (AA 5.12.2020).
Folter ist in Polizei- oder Militärgewahrsam z.B. im Nordosten Nigerias und im Nigerdelta weiterhin weit verbreitet (AA 5.12.2020). Zudem verweigern Gefängnisbeamte, Polizisten und anderes Personal der Sicherheitskräfte Häftlingen oft Nahrung und medizinische Behandlung, um sie zu bestrafen oder Geld zu erpressen (USDOS 30.3.2021). Auch wenn die nigerianische Verfassung Folter verbietet, kommt es oft zu teilweise schweren Misshandlungen von (willkürlich) Inhaftierten, Untersuchungshäftlingen, Gefängnisinsassen und anderen Personen in Gewahrsam der Sicherheitsorgane. Die Gründe für dieses Verhalten liegen zum einen in der nur schwach ausgeprägten Menschenrechtskultur der Sicherheitskräfte, zum anderen in der mangelhaften Ausrüstung, Ausbildung und Ausstattung insbesondere der Polizei, was sie in vielen Fällen zu dem illegalen Mittel der gewaltsamen Erpressung von Geständnissen führt. Die große Zahl glaubhafter und übereinstimmender Berichte über die Anwendung von Folter in Gefängnissen und Polizeistationen im ganzen Land, die von forensischen Befunden gestützt und von der Polizei
teilweise zugegeben werden, bestätigen den Eindruck, die Anwendung von Folter sei ein integraler Bestandteil der Arbeit der Sicherheitsorgane (AA 5.12.2020).
Verfassung und Gesetze verbieten willkürliche Verhaftungen, dennoch praktizieren Polizei und Sicherheitskräfte diese Praktik. Beim Kampf gegen Boko Haram wurden im Nordosten Nigerias Tausende Personen willkürlich inhaftiert. Sie befinden sich oft in nicht überwachten militärischen Haftanstalten (USDOS 30.3.2021). Die Armee inhaftierte tausende von Personen, u. a. weil man annahm, sie seien mit Mitgliedern von Boko Haram verwandt (AI 7.4.2021).
Die Regierung des nordöstlichen Bundesstaats Borno schätzt die Zahl der von Boko Haram entführten Frauen und Mädchen auf insgesamt 3.000. Im Oktober 2016 und Mai 2017 sind über 100 der 2014 aus Chibok entführten Mädchen freigelassen worden. Im März 2018 wurden 110 Mädchen aus einer Schule in Dapchi entführt, die meisten kamen kurz darauf wieder frei. Boko Haram setzt außerdem Kinder gezielt als Lastenträger, in Kampfhandlungen und insbesondere Mädchen für Selbstmordattentate ein. Mädchen werden zudem häufig sexuell missbraucht und an Mitglieder der Boko Haram zwangsverheiratet (AA 5.12.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty Report, Nigeria, 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048597.html , Zugriff 27.5.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 28.5.2021
• DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte „Sars“-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft , Zugriff 31.5.2021
• EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Nigeria, https://freedomhouse.org/country/nigeria/freedom-world/2021 , Zugriff 20.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Korruption
Letzte Änderung: 02.09.2021
Das Gesetz sieht Strafen für Korruption vor (USDOS 30.3.2021). Trotzdem bleibt Korruption weit verbreitet (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021) und damit ein wichtiges Entwicklungshindernis Nigerias (GIZ 12.2020a) – vor allem im Öl- und Sicherheitssektor (FH 3.3.2021). Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International für das Jahr 2020 liegt Nigeria mit einer Bewertung von 25 (von 100) Punkten (0=highly corrupt, 100=very clean) auf Platz 149 von 180 untersuchten Ländern (TI 2021).
Die Regierung setzt die Gesetze gegen Korruption nicht effektiv um, und Beamte bleiben oft ungestraft. Die massive, weit verbreitete und tiefgreifende Korruption betrifft alle Ebenen in den Behörden und bei den Sicherheitskräften (USDOS 30.3.2021); sie ist bei der Polizei weit verbreitet; Gelderpressungen an Straßensperren sind an der Tagesordnung (AA 5.12.2020).
Korruption herrscht auch in der Justiz (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 5.12.2020). Es gibt die weit verbreitete Auffassung, dass Richter leicht zu bestechen sind und Prozessparteien sich daher nicht auf Gerichte verlassen sollten, um ein unparteiisches Urteil zu erhalten. Bürger müssen sich auf lange Verzögerungen einstellen und berichten davon, dass Justizangestellte für eine Verfahrensbeschleunigung oder genehme Urteile Schmiergeld fordern (USDOS 30.3.2021).
Bei der Korruptionsbekämpfung sind seit 1999 nur wenige Erfolge zu verzeichnen, allerdings hat die 2003 eingerichtete Antikorruptionskommission „Economic and Financial Crimes Commission“ (EFCC) im Kampf gegen die Wirtschafts- und Drogenkriminalität aber auch einige Erfolge zu verzeichnen (GIZ 12.2020a). Korruptionsbekämpfung wurde von Präsident Buhari zu einem der Schwerpunkte seiner Regierung erklärt (AA 23.3.2021). Die „Independent Corrupt Practices and Other Related Offenses Commission“ (ICPC) hält ein breites Mandat bezüglich der Verfolgung fast aller Formen von Korruption, während die EFCC auf Finanzdelikte beschränkt ist.
Obwohl die Bemühungen der EFCC und der ICPC sich auf Regierungsbeamte mit niedrigem und mittlerem Rang konzentrieren, haben beide Organisationen mit Ermittlungen und Anklagen gegen verschiedene hochrangige Regierungsbeamte begonnen. Es kommt jedoch zu langen Verzögerungen bei diesen Verhandlungen, vor allem in Fällen hochrangiger Beamter (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.3.2021): Nigeria - Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844 , Zugriff 20.5.2021
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Nigeria, https://freedomhouse.org/country/nigeria/freedom-world/2021 , Zugriff 20.5.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020a): Nigeria – Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
• TI - Transparency International (2021): Corruption Perceptions Index 2020, https://www.transparency.org/country/NGAhttps://www.transparency.org/en/cpi/2020/index/nzl , Zugriff 16.6.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 02.09.2021
Neben der Nationalen Menschenrechtskommission (NHRC) gibt es eine Vielzahl von Menschenrechtsorganisationen, die sich grundsätzlich frei betätigen können (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Rund 42.000 nationale und internationale NGOs sind in Nigeria registriert; sie sind keinen gesetzlichen Beschränkungen unterworfen (ÖB 10.2020). Die NGOs sind nach Art, Größe und Zielrichtung sehr unterschiedlich und reichen von landesweit verbreiteten Organisationen wie der CLO (Civil Liberties Organization), CD (Campaign for Democracy) und LEDAP (Legal Defense Aid Project), die sich in erster Linie in der Aufklärungsarbeit betätigen, über Organisationen, die sich vorrangig für die Rechte bestimmter ethnischer Gruppen einsetzen, und Frauenrechtsgruppen bis hin zu Gruppen, die vor allem konkrete Entwicklungsanliegen bestimmter Gemeinden vertreten. Auch kirchliche und andere religiös motivierte Gruppierungen sind in der Menschenrechtsarbeit aktiv. Das gilt auch für internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International, die in Nigeria über Regionalvertreter verfügen (AA 5.12.2020). Die professionell tätigen Menschenrechtsorganisationen sind überwiegend in den Bundesstaaten des Nigerdeltas und im muslimisch dominierten Norden tätig (ÖB 10.2020).
Trotz der Tatsache, dass die Anzahl der aktiven NGOs steigt, ist die Landschaft der freiwilligen Organisationen noch immer mager und geplagt von spärlichen operativen Ressourcen (BS 2020).
NGOs beobachten die Menschenrechtslage, untersuchen Vorfälle und veröffentlichen ihre Erkenntnisse. Regierungsvertreter reagieren vereinzelt auf Vorwürfe (ÖB 10.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Generell werden Vorwürfe jedoch rasch und ohne Ermittlungen zurückgewiesen.
In manchen Fällen bedrohte das Militär NGOs und humanitäre Organisationen (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 28.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Ombudsmann
Letzte Änderung: 02.09.2021
Die National Human Rights Commission (NHRC) wurde basierend auf UN-Erfordernissen gegründet. 1995 nahm die Kommission ihre Arbeit auf. Die NHRC hat Büros in allen 36 Staaten und dem FCT. 900 Angestellte, die meisten Rechercheure, arbeiten für die Kommission (NHRC 9/10.2019). Die NHRC verfügt über Niederlassungen in den sechs politischen Zonen des Landes.
Sie veröffentlicht periodische Berichte über spezifische Menschenrechtsverletzungen, u.a. zu Folter oder Haftbedingungen (USDOS 30.3.2021). Die Arbeit der NHRC hat sich verbessert (BS 2020).
Die Aufgabe der NHRC ist die Förderung und der Schutz der Menschenrechte (AA 5.12.2020;
vgl. USDOS 30.3.2021) sowie die Menschenrechtserziehung (AA 5.12.2020) und die Beobachtung der Menschenrechtslage. Es handelt sich um einen unabhängigen, außergerichtlichen Mechanismus (USDOS 30.3.2021). Derzeit konzentriert sich die NHRC u.a. auf Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte, Diskriminierung im Wirtschaftsleben, Gewalt gegen Frauen sowie Menschenrechtsbildung und -aufklärung (AA 5.12.2020).
Die Arbeit der Kommission läuft folgendermaßen ab: Die Rechercheure der NHRC erhalten eine Beschwerde wegen einer Menschenrechtsverletzung. Der erste Schritt ist es, zu prüfen, ob es sich um eine Menschenrechtsverletzung gemäß einem Menschenrechtsvertrag handelt. Dann wird der Fall einem Team zugewiesen. Die Täter werden in der Folge mit den Anschuldigungen konfrontiert und erhalten die Möglichkeit, sich zu verteidigen. Die NHRC überwacht auch die Medien (TV, Radio, Zeitungen) und wird aus eigenem Antrieb aktiv, sofern Vergehen das Allgemeininteresse verletzen. Die Kommission setzt allerdings selbst keine Verfolgungshandlungen, sondern überträgt den Fall an die zuständige Behörde, insbesondere die Polizei (NHRC 9/10.2019).
Die Arbeit der Kommission wurde dadurch eingeschränkt, dass ihre Leitung über zwei Jahre
nicht besetzt wurde. Seit April 2018 ist allerdings ein neuer Leiter im Amt, der sich insbesondere mit dem Thema menschenrechtlicher Übergriffe von Militär und Polizei beschäftigt (AA 5.12.2020). In der Praxis spielt die NHRC mehr eine beratende, ausbildende und Lobbyismus betreibende Rolle. Im Jahr 2020 gab es keine Berichte über Untersuchungen der Kommission, die Rechtsfolgen gehabt hätten (USDOS 30.3.2021).
Im März 2016 wurde zudem eine Menschenrechtsstelle in der Abteilung für zivil-militärische Angelegenheiten beim Stab des Heeres eingerichtet, die aber bisher kaum in Erscheinung getreten ist. Regierung und Militär haben im letzten Jahr mehrere Versuche unternommen, Vorfälle zu untersuchen. Die NHRC wurde außerdem beauftragt, Spezialeinheiten der Polizei zu untersuchen, die sich weitreichender Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben sollen. Bisher blieben aber alle Untersuchungen ohne rechtliche Konsequenzen (AA 5.12.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 18.5.2020
• NHRC – National Human Rights Commission [Nigeria] (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Wehrdienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung: 02.09.2021
Die nigerianischen Streitkräfte bestehen aus Berufssoldaten (AA 5.12.2021). Es gibt keine allgemeine Wehrpflicht (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2020, CIA 16.8.2021). Der freiwillige Eintritt in die Berufsarmee ist für nigerianische Staatsbürger ab dem Zeitpunkt des Erreichens der Volljährigkeit (18 Jahre) möglich (ÖB 10.2020; vgl. CIA 16.8.2021), bis zu einem Alter von 26 Jahren (CIA 16.8.2021). Ein paramilitärisch organisierter einjähriger „Civil Service“ ist für Universitätsabgänger unter 30 Jahren verpflichtend. Die Absolvierung ist Voraussetzung für die Erlangung vieler Positionen im Öffentlichen Dienst (ÖB 10.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• CIA - Central intelligence Agency [USA] (16.8.2021): The World Fact Book, Nigeria, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/nigeria/ , Zugriff 23.8.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 02.09.2021
Die 1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog inkl. Grund- und Freiheitsrechten (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2020). Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen (AA 5 .12.202). Die Menschenrechtslage hat sich seit Amtsantritt der Zivilregierung 1999 deutlich verbessert (ÖB 10.2020; vgl. AA 5.12.2020, GIZ 12.2020a) - etwa durch die Freilassung politischer Gefangener, relative Presse- und Meinungsfreiheit, die nur vereinzelte Vollstreckung der Todesstrafe (ÖB 10.2020).
Auch bekennt sich die Regierung ausdrücklich zum Schutz der Menschenrechte, die auch in der Verfassung als einklagbar verankert sind. Daneben ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 10.2020).
Viele Probleme bleiben ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen (ÖB 10.2020), Misshandlungen und Verletzungen durch Angehörige der nigerianischen Polizei und Armee sowie Verhaftungen von Angehörigen militanter ethnischer Organisationen (GIZ 12.2020a), die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen (ÖB 10.2020; vgl. GIZ 12.2020a) sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels (ÖB 10.2020).
Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen gehören zudem u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Inhaftierung sowie substanzielle Eingriffe in die Rechte auf Meinungsfreiheit und auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit (USDOS 30.3.2021).
Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den vergangenen Jahren nicht vollstreckt (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021).
Es setzten sich nigerianische Organisationen wie z.B. CEHRD (Centre for Environment, Human Rights and Development), CURE-NIGERIA (Citizens United for the Rehabilitation of Errants) und HURILAWS (Human Rights Law Services) für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land ein. Auch die Gewerkschaftsbewegung Nigeria Labour Congress (NLC) ist im Bereich von Menschenrechtsfragen aktiv (GIZ 12.2020a).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020a): Nigeria – Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung: 02.09.2021
Meinungs- und Pressefreiheit sind durch die Verfassung von 1999 garantiert (AA 5.12.2020; vgl. FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021, ÖB 10.2020) und finden sich auch in der Verfassungswirklichkeit grundsätzlich wieder (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Manchmal kommt es zu Einschränkungen (USDOS 30.3.2021) - etwa aufgrund von Gesetzen gegen Aufruhr, kriminelle Diffamierung und Veröffentlichung falscher Nachrichten (FH 3.3.2021).
Die Medienlandschaft ist vielfältig (GIZ 12.2020a; vgl. USDOS 30.3.2021), äußerst aktiv (USDOS 11.3.2020) und durch eine Fülle staatlicher und privater Tageszeitungen und Wochenmagazine, Radiostationen und auch Fernsehsender geprägt, die insgesamt breit gefächert sind und relativ frei zu politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Themen berichten (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2020, GIZ 12.2020a). Der Sektor der digitalen Medien unterliegt einem rasanten Wachstum und gewinnt gegenüber den herkömmlichen Medien zunehmend an Bedeutung (GIZ 12.2020a).
Es kommt zu Fällen der Einschränkung von Meinungs- und Pressefreiheit durch die Regierung (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Diese erfolgen in Form von öffentlicher Kritik an sowie Belästigung und Verhaftung von Journalisten durch Beamte, besonders wenn erstere über Korruptionsskandale, Menschenrechtsverletzungen, oder separatistische und kommunale Gewalt oder andere politisch sensible Themen berichten (FH 3.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). Kritiker berichten davon, Drohungen, Einschüchterungen und manchmal Gewalt ausgesetzt zu sein. Journalisten praktizieren Selbstzensur (USDOS 30.3.2021).
In dem Index zur Pressefreiheit 2021 der Reporter ohne Grenzen steht Nigeria auf Platz 120 von 180 bewerteten Ländern (RoG 2021). Insbesondere in den nördlichen Bundesstaaten Yobe, Borno und Adamawa werden Journalisten von der Islamistengruppe Boko Haram, aber auch von den staatlichen Sicherheitsbehörden bedroht (GIZ 12.2020a; vgl. HRW 13.1.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Nigeria, https://freedomhouse.org/country/nigeria/freedom-world/2021 , Zugriff 20.5.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020a): Nigeria – Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 19.5.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043506.html , Zugriff 27.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• RoG - Reporter ohne Grenzen (2021): World Press Freedom Index, Nigeria, https://rsf.org/en/ranking/2021# , Zugriff 17.6.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 02.09.2021
Die Versammlungsfreiheit wird durch die Verfassung garantiert. Allerdings wird sie bisweilen
durch das Eingreifen der Sicherheitsorgane gegen politisch unliebsame Versammlungen (z.B.
von Schiiten oder Biafra-Aktivisten) in der Praxis eingeschränkt (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021; FH 3.3.2021). Die Regierung verbietet gelegentlich Versammlungen, welche ihrer Ansicht nach zu Unruhen führen könnten. In Gebieten, in denen es zu gesellschaftlicher
Gewalt kommt, entscheiden Polizei und Sicherheitskräfte über die Genehmigung von öffentlichen Versammlungen und Demonstrationen von Fall zu Fall. Bei der Auflösung von Demonstrationen wenden Sicherheitskräfte manchmal übermäßige Gewalt an. Bedingt durch COVID-19 sind öffentliche Versammlungen beschränkt, mit Stand September 2020 auf 50 Personen (USDOS 30.3.2021).
Die Vereinigungsfreiheit wird durch die Verfassung ebenso garantiert (AA 5.12.2020; vgl. ÖB
10.2020) wie das Recht, einer politischen Partei oder einer Gewerkschaft anzugehören (AA 5.12.2020); es wird auch praktiziert (ÖB 10.2020). Dies hat zur Herausbildung einer lebendigen Zivilgesellschaft mit zahlreichen NGOs geführt. Gleichzeitig gibt es verschiedene
Versuche der Regierung, zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum durch repressive Gesetzgebung und Verwaltungspraxis einzuschränken. Gewerkschaften können sich grundsätzlich frei betätigen (AA 5.12.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Nigeria, https://freedomhouse.org/country/nigeria/freedom-world/2021 , Zugriff 20.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Opposition inkl. MASSOB, IPOB und IMN
Letzte Änderung: 02.09.2021
In Nigeria kann sich die politische Opposition grundsätzlich frei betätigen. Das gilt nicht nur für die parlamentarische Opposition sondern auch für außerparlamentarische Parteien und Gruppen.
Bislang sind auch – meist marginale – Gruppen mit sezessionistischen Zielen (etwa Biafra) weitgehend toleriert worden. Es liegen keine Erkenntnisse über die Verfolgung von Exilpolitikern durch die nigerianische Regierung vor (AA 5.12.2020).
Mit Verbot der Indigenous People of Biafra (IPOB) im September 2017 und der schiitischen Islamischen Bewegung Nigerias (IMN) im August 2019 sind aber klare Grenzen markiert worden (AA 5.12.2020). Neben der IPOB ist im Südosten Nigerias als zweite sezessionistische
Bewegung das Movement for the Actualization of the Sovereign State of Biafra (MASSOB) aktiv.
Beide werden von der Igbo-Volksgruppe beherrscht, konkurrieren aber miteinander. Diese Bewegungen können jedoch als relativ wenig bedeutende Randgruppen angesehen werden (ÖB 10.2020).
Nach der Freilassung des seit Herbst 2015 inhaftierten Anführers der IPOB, Nnamdi Kanu, im Frühjahr 2017 spitzte sich die Lage rund um den 50. Jahrestag des Beginns des Biafra-Kriegs [Anm.: 6.7.2017] neuerlich zu. Zur Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wurden Truppen entsandt (ÖB 10.2020) und die IPOB zur terroristischen Organisation erklärt (ÖB 10.2020; vgl. AA 5.12.2020). Seither hat es nur noch vereinzelt Versuche der beiden maßgeblichen Bewegungen IPOB und MASSOB gegeben, in der Öffentlichkeit für die (verfassungswidrige) Unabhängigkeit eines fiktiven Staates „Biafra“ zu werben. Diese wurden von den nigerianischen Sicherheitsbehörden regelmäßig unterbunden. Festnahmen oder Verhaftungen von IPOB-Mitgliedern einzig aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der Organisation sind der Botschaft hingegen bislang nicht bekannt geworden (ÖB 10.2020). Im August 2020 kam es bei einem Treffen der IPOB in der Stadt Enugu zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Gemäß IPOB sind demnach 21 Mitglieder getötet und 47 verhaftet worden (BAMF 24.8.2020), laut Polizei wurden hingegen vier IPOB-Mitglieder verhaftet und vier getötet (BAMF 24.8.2020; vgl. AI 7.4.2021). In Nigeria selbst ist IPOB derzeit nicht sehr aktiv (AA 5.12.2020). Zwischen September 2020 und Mai 2021 gab es eine Welle von Angriffen auf Polizeistationen und öffentliche Gebäude im Südwesten Nigerias, die dem bewaffneten Flügel der IPOB-Bewegung, dem Eastern Security Network (ESN), zugeschrieben werden (BBC 4.7.2021). Nach Medienangaben wird dem ESN vorgeworfen, in den letzten Monaten mindestens 60 Menschen – zumeist Polizeiangehörige – getötet zu haben (BAMF 5.7.2021).
Nnamdi Kanu, der seit September 2017 spurlos verschwunden gewesen war, trat überraschend im Oktober 2018 in Jerusalem wieder öffentlich in Erscheinung. Im September 2019 kündigte er an, eine IPOB-Delegation zur Generalversammlung der Vereinten Nationen führen zu wollen, und beschuldigte Nigeria in einer Petition an die Vereinten Nationen in Genf der Menschenrechtsverletzungen gegen die Unterstützer der Biafra-Bewegung (ÖB 10.2020). Nach Angaben des nigerianischen Generalstaatsanwaltes, Abubakar Malami, wurde Kanu am 27.6.2021 mit der Hilfe von Interpol festgenommen. In der Folge wurde er an Nigeria ausgeliefert. Er wurde am 29.6.2021 durch die nigerianische Geheimpolizei einem Gericht in der Hauptstadt Abuja vorgeführt (BAMF 5.7.2021).
Nach gewaltsamen Protesten der schiitischen IMN (Islamic Movement of Nigeria) in Abuja im Juli 2019 wurde die Gruppierung durch die Regierung im ganzen Land zu einer illegalen Organisation erklärt. Noch immer sitzen dutzende IMN-Anhänger ohne Anklage in Haft (AA 5.12.2020). Im März 2020 setzten die Sicherheitskräfte scharfe Munition und Tränengas gegen protestierende Mitglieder der IMN ein (HRW 13.1.2021). Die seit Ende 2015 andauernde Inhaftierung von Ibrahim Zakzaky führte immer wieder zu Straßenprotesten in der Hauptstadt Abuja, in deren Folge es bei gewaltsamen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften zu Dutzenden Toten gekommen war. Nach fast sechs Jahren in Haft wurden Ibrahim El Zakzaky und seine Ehefrau am 28.7.2021 infolge eines Freispruchs durch den Obersten Gerichtshof des Bundesstaats Kaduna freigelassen.
Die Staatsanwaltschaft soll die Freilassung des Paares bestätigt und Berufung gegen den Freispruch angekündigt haben. Nach zahlreichen Freisprüchen von Mitgliedern der IMN in den Jahren 2019 und 2020 war zuletzt nur noch das Ehepaar in Haft gesessen. Vorgeworfen wurde dem Paar u.a. Mord, Verschwörung und Störung des Friedens (BAMF 2.8.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.5.2021): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 , 21.5.2021
• AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty Report, Nigeria, 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048597.html , Zugriff 27.5.2021
• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (2.8.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw31-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 17.8.2021
• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.7.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw27-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3 , Zugriff 17.8.2021
• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (24.8.2020): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037634/briefingnotes-kw35-2020.pdf ; Zugriff 29.6.2021
• BBC - British Broadcasting Corporation (4.7.2021): Nnamdi Kanu’s arrest leaves Nigeria’s Ipobseparatists in disarray, https://www.bbc.com/news/world-africa-57693863 , Zugriff 17.8.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043506.html , Zugriff 27.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
Haftbedingungen
Letzte Änderung: 02.09.2021
Die nigerianischen Gefängnisse sind von Überbelegung geprägt (AI 7.4.2021; vgl. AA 5.12.2020, USDOS 30.3.2021). Die Haftbedingungen in den mangelhaft ausgestatteten und zum großen Teil noch aus der Kolonialzeit stammenden Gefängnissen sind äußerst schlecht (AA 5.12.2020), hart und lebensbedrohlich. Die Gefangenen, von denen viele noch gar nicht verurteilt wurden - etwa 74 Prozent (USDOS 30.3.2021) bzw. 70 Prozent (AI 7.4.2020) Untersuchungshäftlinge - sind Folter, Nahrungs- und Wasserengpässen, inadäquater medizinischer Versorgung sowie unangemessenen sanitären Bedingungen ausgesetzt (USDOS 30.3.2021). Aufgrund dieser Verhältnisse kommt es auch zu Todesfällen (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 5.12.2020). Die Versorgung der Gefangenen mit Nahrungsmitteln und Medikamenten muss über Angehörige und karitative Einrichtungen sichergestellt werden (AA 5.12.2020). Das schlecht bezahlte Gefängnis- und Wachpersonal nutzt seine Stellung aus, um von den Gefangenen Geld zu erpressen. Zumindest in einigen Gefängnissen sind Männer, Frauen und Minderjährige zusammen inhaftiert (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Weibliche Gefangene sind der Gefahr einer Vergewaltigung ausgesetzt (USDOS 30.3.2021).
Es gibt weiterhin einige inoffizielle Militärgefängnisse, dort kommt es zu willkürlicher und überlanger Haft. Es gibt nur eine eingeschränkte Möglichkeit zur unabhängigen Überprüfung von Gefängnissen durch Beobachter. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat Zugang zu polizeilichen Haftanstalten und Einrichtungen des Nigerian Correctional Services (NCS) sowie einigen militärischen Haftanstalten (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty Report, Nigeria, 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048597.html , Zugriff 27.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Todesstrafe
Letzte Änderung: 02.09.2021
An der Todesstrafe hält Nigeria weiter fest (AA 5.12.2020; vgl. AI 7.4.2021, ÖB 10.2020). Sie kann durch ordentliche Gerichte und erstinstanzliche Scharia-Gerichte für bestimmte Tatbestände (Mord, Hochverrat, Verrat, Quälerei mit Todesfolge, schwerer Raub) verhängt werden.
Gegenwärtig ist in einigen südlichen Bundesstaaten der Trend zu beobachten, den Anwendungsbereich der Todesstrafe auf weitere Straftatbestände (v.a. Entführung) auszuweiten (AA 5.12.2020). Der Bundesstaat Rivers verabschiedete im März 2019 das novellierte Gesetz Nr. 6 von 2019 über das Verbot geheimer Kulte und ähnlicher Aktivitäten sowie das Gesetz Nr. 7 von 2019 über das Verbot von Entführungen in der Neufassung Nr. 2; beide Gesetze schreiben die Todesstrafe nun bei Entführungen und Sektiererei vor (AI 8.4.2020). Der 2012 überarbeitete Terrorism (Prevention) Act 2011 sieht die Todesstrafe für terroristische Verbrechen vor (AA 5.12.2020).
Ein seit 2006 faktisches Vollstreckungsmoratorium, das zuletzt im Februar 2009 durch den Außenminister gegenüber dem UN-Menschenrechtsrat bestätigt worden war, wurde vom Bundesstaat Edo im Juni 2013 mit vier und im Dezember 2016 mit drei Hinrichtungen durchbrochen (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2020). Verurteilungen gibt es weiterhin, so etwa 46 im Jahr 2018 und 54 im Jahr 2019 (MBZ 3.2021). 2020 gab es keine Berichte über Hinrichtungen, doch mussten immer noch mehr als 2.700 Menschen mit einer Vollstreckung ihres Todesurteils rechnen (AI 21.4.2021), darunter Täter, die zum Tatzeitpunkt noch Jugendliche waren. Viele wurden nach unfairen Prozessen verurteilt oder nachdem sie mehr als zehn Jahre im Gefängnis auf ihren Prozess gewartet hatten (ÖB 10.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• AI - Amnesty International (21.4.2021): Death penalty in 2020: Facts and figures, https://www.amnesty.org/download/Documents/ACT5037602021ENGLISH.PDF , Zugriff 8.7.2021
• AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty Report, Nigeria, 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048597.html , Zugriff 27.5.2021
• AI - Amnesty International (8.4.2020): Human Rights in Africa: Review of 2019 - Nigeria, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/nigeria-nigeria-2019#section-11669048 , Zugriff 8.7.2021
• MBZ - Ministerie van Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2021): Country of origin information report Nigeria, https://www.government.nl/binaries/government/documents/reports/2021/03/31/country-of-origin-information-report-nigeria-march-2021/EN_AAB+Nigeria+2018-2021+-+DEFINITIEF+-+31+maart+2021_final.pdf , Zugriff 17.8.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 02.09.2021
Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (GIZ 12.2020b; vgl. ÖB 10.2020, AA 5.12.2020) und Freiheit der Religionsausübung (ÖB 10.2020). Laut Verfassung darf die Regierung keine Staatsreligion beschließen, ist religiöse Diskriminierung verboten und hat jeder die Freiheit seine Religion zu wählen, auszuüben, zu propagieren und zu ändern (USDOS 12.5.2021; vgl. USCIRF 4.2021). Im Vielvölkerstaat Nigeria ist die Religionsfreiheit ein Grundpfeiler des Staatswesens.
Die Bundesregierung achtet auf die Gleichbehandlung von Christen und Muslimen, z.B. bei der Finanzierung von Gotteshäusern und Wallfahrten. Sie unterstützt den Nigerian Inter-Religious-Council, der paritätisch besetzt ist und die Regierung in Religionsangelegenheiten berät.
Ähnliche Einrichtungen wurden auch in mehreren Bundesstaaten erfolgreich eingeführt (AA
5.12.2020). Die Regierung achtet Religionsfreiheit in der Praxis, obwohl von lokalen politischen Akteuren geschürte Gewalt in der Regel straflos bleibt. Die Verfassung verbietet es Gebietskörperschaften, ethnischen oder religiösen Gruppen Vorrechte einzuräumen. In der Praxis bevorzugen Bundesstaaten jedoch die jeweils durch die lokale Mehrheitsbevölkerung ausgeübte Religion (ÖB 10.2020). Manche Gesetze von Landes- und Bundesregierung diskriminieren Mitglieder christlicher oder muslimischer Minderheiten (USDOS 12.5.2021). Außerdem gestaltet sich die Umsetzung der verfassungsmäßig gesicherten Religionsfreiheit in der Praxis aufgrund religiöser Spannungen schwierig (GIZ 12.2020b).
Die Toleranz gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften und religiösen Gruppen ist auf lokaler Ebene und in der Bevölkerung teilweise nur unzureichend ausgeprägt. Eine Ausnahme sind die Yoruba im Südwesten Nigerias, unter denen seit Generationen auch Mischehen zwischen Moslems und Christen verbreitet sind. In einigen Bundesstaaten ist die Lage der jeweiligen christlichen bzw. muslimischen Minderheit dagegen problematisch, insbesondere im Middle Belt, wo der Kampf um Land und Lebensraum zunehmend religiös aufgeladen wird (AA 5.12.2020). NGOs sowie religiöse Organisationen drücken ihre Besorgnis aus, dass die Gewalt zwischen vorwiegend muslimischen Fulani-Nomaden und vorwiegend christlichen Bauern in den nördlich und zentral gelegenen Staaten, religiöse Untertöne hat. Gemäß lokalen Behörden, Wissenschaftlern und Experten spielen dabei aber auch Ethnizität, Politik, Kriminalität, mangelnde Rechenschaft und Zugang zu Justiz sowie der Konflikt um sich reduzierende nutzbare Landflächen eine zentrale Rolle (USDOS 12.5.2021).
Auch die Lage zwischen den Moslems der sunnitischen Mehrheit und der schiitischen Minderheit ist teilweise stark angespannt. Versammlungen und Märsche der schiitischen Minderheit gelten als Provokation. Diesbezüglich kam es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen. Nach gewaltsamen Protesten des IMN (Islamic Movement of Nigeria) in Abuja im Juli 2019 wurde die Gruppierung durch die Regierung im ganzen Land zu einer illegalen Organisation erklärt (AA 5.12.2020). Die Regierung betont allerdings, dass dieses Verbot nicht gegen die „friedfertigen und gesetzestreuen“ Schiiten in Nigeria gerichtet ist (USDOS 12.5.2021). Die islamistisch-terroristischen Organisationen Boko Haram und Islamischer Staat in Westafrika sind weiterhin aktiv und führen zahlreiche Angriffe auf Bevölkerungszentren oder religiöse Ziele durch [Anm. Siehe Abschnitt: Sicherheitslage] (USDOS 12.5.2021).
Generell können jene Personen, die sich vor Problemen hinsichtlich der Religionsfreiheit oder vor Boko Haram fürchten, entweder staatlichen Schutz oder aber eine innere Relokationsmöglichkeit in Anspruch nehmen, Fälle sind jedoch individuell zu prüfen. Staatlicher Schutz ist wahrscheinlicher außerhalb der nordöstlichen Staaten verfügbar, ist aber auch dort lokalen Ressourcen entsprechend unterschiedlich ausgeprägt (UKHO 1.2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 1.9.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (1.2019): Country Policy and Information Note Nigeria: Boko Haram, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005749/Nigeria_-_BH_-_v3_-_January_2019.pdf , Zugriff 9.7.2021
• USCIRF - U.S. Commission on International Religous Freedom [USA] (4.2021): USCIRF – Recommended for Countries of particular concern (CPC), https://www.ecoi.net/en/file/local/2052979/Nigeria+Chapter+AR2021.pdf , Zugriff 8.7.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051592.html , Zugriff 28.5.2021
Religiöse Gruppen
Letzte Änderung: 02.09.2021
Nigeria ist von drei unterschiedlichen Religionen geprägt: dem Islam, dem Christentum, und den indigenen Religionen (GIZ 12.2020b). 53,5 Prozent sind Moslems, 10,6 Prozent sind Katholiken und 35,3 Prozent gehören anderen christlichen Glaubensrichtungen an. Der Rest gehört anderen Religionen an (CIA 16.8.2021). Nach anderen Angaben besteht die Bevölkerung zu etwa gleichen Teilen aus Christen und Muslimen, während die verbleibenden zwei Prozent anderen oder keinen Religionen angehören. Viele Menschen verbinden indigene Überzeugungen und Praktiken mit dem Islam oder dem Christentum (USDOS 12.5.2021).
Der Norden ist überwiegend muslimisch, der Süden überwiegend christlich (AA 5.12.2020; vgl. GIZ 12.2020b, USDOS 5.12.2021). Allerdings gibt es im Norden, wo die muslimischen Hausa-Fulani überwiegen, auch signifikante christliche Bevölkerungsteile. In Zentralnigeria, Abuja und den südwestlichen Yoruba-Bundesstaaten halten sich die Anteile an Muslimen und Christen die Waage (USDOS 12.5.2021; vgl. GIZ 12.2020b).
2010 gaben 38 Prozent der Muslime an, Sunniten zu sein, 12 Prozent Schiiten; der Rest sah sich als „etwas anderes“ (5 Prozent) oder einfach als „Muslime“ (42 Prozent). Unter den Sunniten finden sich mehrere Sufi-Strömungen (USDOS 12.5.2021), im Norden des Landes v.a. die Bruderschaften der Qadiriyya und der Tijaniyya (GIZ 12.2020b; vgl. USDOS 12.5.2021). Seit der nigerianischen Unabhängigkeit sind viele islamische Gemeinschaften entstanden, d.h. wie bei den Christen auch, passte sich der Islam den afrikanischen Traditionen u.a. mit der Entstehung neuer islamischer Sekten an (GIZ 12.2020b).
Das Christentum unterteilt sich in Katholiken, Protestanten und synkretistische afrikanische
Kirchengemeinschaften. Bei letzteren handelt es sich um eine Vermischung von traditionellen Religionen mit Freievangelisten – meist Mitglieder evangelikaler und pentekostaler Kirchen. Es gibt im Land bereits über tausend dieser – meist stark profitorientierten – neuen afrikanischen Kirchengemeinden mit mehreren Millionen Mitgliedern, Tendenz steigend (GIZ 12.2020b).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/231042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• CIA - Central intelligence Agency [USA] (16.8.2021): The World Fact Book, Nigeria, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/nigeria/ , Zugriff 23.8.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051592.html , Zugriff 28.5.2021
Spannungen zwischen Muslimen und Christen
Letzte Änderung: 02.09.2021
Das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen ist äußerst gespannt. Oft genügt ein geringer Anlass, um blutige Unruhen auszulösen. Ein auch nur annähernd in Verbindung gebrachter Vorfall im christlichen Süden gegen Muslime wird sofort Reaktionen im Norden hervorrufen, die immer wieder zum Tod von sogenannten Nichtgläubigen führen. Pogrome gehören mittlerweile zum politischen Alltagsgeschehen in Nigeria. Seit 2000 sprechen die offiziellen Zahlen von über 11.500 Toten aufgrund religiöser Unruhen. Die tatsächlichen Zahlen dürften um ein Vielfaches höher liegen. Mit der Einführung der Scharia in den zwölf nördlichen Bundesstaaten und dem Terrorismus durch Boko Haram in den drei nordöstlichen Bundesstaaten haben sich die Spannungen weiter verschärft (GIZ 12.2020b). Im Norden Nigerias (einschließlich des Middle Belts) grassiert die im Namen des Islam von Boko Haram und ISWAP (sogenannter Islamischer Staat) begangene Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere gegen Christen. Dasselbe gilt für die Gewalt, die von Fulani-Kämpfern und bewaffneten Banditen verübt wird. Die Einflusskreise dieser verschiedenen Gruppen überschneiden sich zunehmend, ähnlich wie ihre Agenden. Dies stellt nicht nur für die nördlichen Staaten, einschließlich der Staaten des Middle Belts, eine Bedrohung dar, sondern auch für die südlichen Staaten. Deutliche Beispiele für Landraub und damit verbundene Gewalt durch militante Fulani sind bereits im Südwesten und Südosten zu sehen (OD 2021). In den nördlichen und zentralen Staaten kam es im Jahr 2020 zu zahlreichen tödlichen Zusammenstößen zwischen vorwiegend muslimischen Fulani Hirten und vorwiegend christlichen Farmern, die Regierung führte Militäroperationen durch, aber gemäß verschiedener Quellen waren diese unzureichend (USDOS 12.5.2021).
In den zwölf nördlichen Bundesstaaten wird die Religionsfreiheit von Nicht-Muslimen in der Praxis teilweise beschränkt, da viele Verwaltungsvorschriften ohne Rücksicht auf die jeweilige Religionszugehörigkeit erlassen und durchgesetzt werden (z.B. Verbot des gemischten Schulunterrichts, Verbot des Alkoholgenusses, Geschlechtertrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln, Neubau von Kirchen etc.). Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten haben in den ersten Jahren nach Einführung des Scharia-Rechts zu hunderten Amputations- und einigen Steinigungsurteilen geführt, die jedoch von einer höheren Instanz aufgehoben wurden (AA 5.12.2020).
Jene Personen, die sich vor einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure fürchten, können in der Regel Schutz bei Behörden suchen (UKHO 3.2019a) oder eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit in Anspruch nehmen (UKHO 3.2019b). Die Effektivität des Justiz- und Strafsystems wird allerdings von einigen ernsthaften Schwächen unterminiert. In Konfliktgebieten, wie Teilen Nordostnigerias, dem Niger Delta und dem Middle Belt, sowie für Angehörige bestimmter sozialer Gruppen, wie Frauen, Homosexuelle, Nicht-Indigene, ist Schutz nur bedingt verfügbar (UKHO 3.2019a). Die Möglichkeit der Relokation ist von der Art der Bedrohung und von den Lebensumständen des Betroffenen abhängig und kann für Frauen und Nicht-Indigene schwierig sein (UKHO 3.2019b).
Quellen:
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
• OD - Open Doors (2021): Länderprofil Nigeria, Berichtszeitraum: 1. Oktober 2019 - 30. September 2020, https://www.opendoors.de/sites/default/files/country_dossier/9_laenderprofil_nigeria.pdf ,
Zugriff 9.7.2020
• UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (3.2019a): Country Policy and Information Note - Nigeria: Actors of protection, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/794316/CPIN_-_NGA_-_Actors_of_Protection.final_v.1.G.PDF , Zugriff 28.5.2021
• UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (3.2019b): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/794323/CPIN_-_Nigeria_-_Internal_relocation.PDF , Zugriff 22.6.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051592.html , Zugriff 28.5.2021
Naturreligionen und Juju
Letzte Änderung: 02.09.2021
Die traditionellen Religionen erleben derzeit eine Art Renaissance. Je nach Volksgruppe
Glaubt man an Erdgeister, Wassergötter, Ahnengeister, Gottheiten, Magie und Zauberei. Bei den Volksgruppen im Süden Nigerias ist der Juju-Glaube ausgeprägt, in dessen Zentrum Juju als magische Zauberkraft steht. Erscheinungsformen sind Juju-Wälder, Juju-Flüsse, Juju-Pflanzen, Juju-Bäume oder auch Gegenstände wie Amulett und Talisman. Trotz der Akzeptanz von Christentum und Islam sucht die breite Mehrheit der nigerianischen Bevölkerung im Juju Schutz vor fremden Mächten. Die nominelle Zugehörigkeit zu einer etablierten Religion bedeutet für viele Nigerianer keineswegs die Aufgabe ihrer traditionellen Religion (GIZ 12.2020b). Juju ist ein Ausdruck für verschiedene Kultpraktiken, die in Teilen Nigerias in einer Sphäre von Religion, Kriminalität und Politik praktiziert werden. Juju wird hauptsächlich im Verborgenen ausgeübt und es gibt unterschiedliche lokale Praktiken; daher liegen zu Juju-Kulten nur wenige Informationen vor, und diese unterscheiden sich häufig voneinander (ACCORD 25.4.2019).
Theoretisch könnte es schwierig oder gar gefährlich sein, wenn eine Person die Übernahme
der Rolle eines Priesters, Kräuterkundigen oder ähnliches verweigert. Praktisch sind aber keine Fälle bekannt, wonach das Priestertum irgendwem aufgezwungen worden wäre, oder dass Verweigerer bedroht oder Gewalt ausgesetzt wurden. Ein Nachfolger, der Interesse und Eignung für die vorgesehene Rolle hat, ist erwünscht. Die Rekrutierung für solche Positionen kann unterschiedlich ablaufen, impliziert jedoch eine lange Zeit des Lernens und der Ausbildung. Es muss nicht notwendigerweise der älteste Sohn sein, der die Rolle des Oberpriesters übernimmt. Eine Verweigerung der Nachfolge des Oberpriesters wird nicht als Affront gegen den Schrein gesehen (EASO 6.2017). Menschenhändler benutzen Juju und andere traditionelle Schwur-Rituale, um Opfer von Menschenhandel, einschließlich Kinder, zu kontrollieren (ACCORD 25.4.2019; vgl. EASO 4.2021).
Quellen:
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation
(25.4.2019): Anfragebeantwortung zu Nigeria: Informationen zu Juju (Organisation und Netzwerke)[a-10976-1], https://www.ecoi.net/de/dokument/2007894.html , Zugriff 28.7.2021
• EASO - European Asylum Support Office (4.2021): EASO Nigeria Trafficking in Human Beings - Country of Origin Information Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050273/2021_04_EASO_COI_Report_Nigeria_Trafficking_in_human_beings.pdf , Zugriff 28.7.2021
• EASO - European Asylum Support Office (6.2017): EASO Country of Origin Information Report Nigeria Country Focus, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1496729214_easo-country-focus-nigeria-june2017.pdf , Zugriff 28.7.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
„Kulte“ und Geheimgesellschaften
Letzte Änderung: 02.09.2021
Der Begriff „Kult“ ist in Nigeria sehr weitgreifend und kann für jede organisierte Gruppe von Menschen verwendet werden, um welche sich Geheimnisse ranken. Der Begriff umfasst auch eine religiöse Dimension, die generell auf die Verwendung von Juju [Anm.: Juju ist ein Ausdruck für verschiedene Kultpraktiken, die in Teilen Nigerias in einer Sphäre von Religion, Kriminalität und Politik praktiziert werden] abzielt. Die Bandbreite reicht von den Ogboni über ethnische Vigilantengruppen bis zu Bruderschaften an Universitäten (EASO 6.2017; vgl. EASO 11.2018b).
„Kulte“ und Geheimgesellschaften sind vor allem im Süden von Nigeria verbreitet, nur in geringem Maße im Norden (EASO 6.2017). Studentenkulte sind hauptsächlich in den südlichen Bundesstaaten Nigerias aktiv, insbesondere in den Bundesstaaten Rivers, Bayelsa, Delta und Edo (EASO 2.2019; vgl. EASO 11.2018b; ACCORD 25.4.2019). Geheime Bruderschaften operieren bis hinauf in die gesellschaftliche Elite des Landes. Von jemandem, der Geld und Einfluss hat, wird automatisch angenommen, er gehöre einer Geheimgesellschaft an (EASO 6.2017).
Kulte, die auf den Straßen Nigerias oder in den höheren Schulen präsent sind, zeichnen sich durch Handlungsweisen aus, die eher jenen von kriminellen Banden als jenen von religiösen Gruppen ähneln (EASO 2.2019). Studentenkulte wie die Vikings, Black Axe, Eiye oder die Buccaneers sind in Nigeria verboten (EASO 6.2021). Studentenkulte sind von gewalttätigen Initiationsriten (EASO 2.2019) und illegalen Aktivitäten wie Gewalt, Tötungen, Verbrechen und politischer Gewalt geprägt (EASO 6.2021). Zwischen 2006 und 2014 gab es in Zusammenhang mit Studentenkulten 1.863 Todesfälle. Im Jahr 2017 gab es in diesem Zusammenhang 442 Todesopfer und 290 Opfer von Entführungen. Politische Parteien rekrutieren häufig Kultmitglieder und benutzen diese, um politische Gegner zu töten oder anzugreifen oder um sie bei Wahlen Gewalt ausüben zu lassen (EASO 2.2019; vgl. ACCORD 25.4.2019). Im Jahr 2018 gab es 446 Todesopfer in 153 Vorfällen im Zusammenhang mit Kulten. Die relativ höchste Anzahl von Toten im Zusammenhang mit Kulten war im Niger Delta feststellbar (Bundesstaaten Bayelsa, Rivers, Edo, Delta) (IFRA 15.3.2019). Zwischen Juni 2018 und März 2021 kam es v.a. im südlichen Nigeria und im Nigerdelta zu einer Zunahme der mit Kulten zusammenhängenden Gewaltakte.
In den Bundesstaaten Bayesa, Akwa Ibom, Edo, Rivers, Cross River und Delta war dies der Hauptgrund für Unruhe (MBZ 3.2021).
Mafiöse „Kulte“ prägen – trotz Verboten – das Leben auf den Universitäts-Campussen. So kommt es etwa zu Morden und Vergewaltigungen in Studentenheimen (ÖB 10.2020). Die mafiöse Strukturen aufweisenden „Kulte“ pflegen gewaltsame Initiationsriten und sind oft in illegale Aktivitäten verwickelt. Nach anderen Angaben sind „Kulte“ eher als Jugendbanden zu bezeichnen (EASO 11.2018b). Die Bandenmitglieder bleiben anonym und sind durch einen Schwur gebunden. Heute sind „Kulte“ eines der am meisten gefürchteten Elemente der Gesellschaft (EASO 6.2017). „Kulte“ schrecken auch vor Menschenopfern nicht zurück, was zu häufigen Meldungen über den Fund von Körperteilen bei „Ritualists“ führt (ÖB 10.2020). Die Bundesregierung hat die Rektoren angewiesen, gegen die von „Kulten“ ausgehende Gewalt an den Universitäten Maßnahmen zu setzen, darunter z.B. Aufklärungskampagnen sowie Sanktionen gegen „Kult“-Mitglieder (EASO 6.2017). Das Secret Cult and Similar Activities Prohibition Gesetz aus dem Jahr 2004 verbietet ca. 100 „Kulte“, darunter kriminelle Banden sowie spirituell und politisch motivierte Gruppen auf der Suche nach Macht und Kontrolle (EASO 6.2017; vgl. EASO 11.2018b). Die Mitgliedschaft in einer „ungesetzlichen Gesellschaft“ ist unter dem Bundesgesetz verboten und Kulte sind in verschiedenen Bundesstaaten verboten, jedoch ist die Durchsetzung der gesetzlichen Regelungen schwach und hochrangigen Politikern wird nachgesagt, Kulte zur Erreichung politischer Ziele zu nutzen (EASO 6.2021).
Eine Mitgliedschaft bei einer (studentischen) Bruderschaft zurückzulegen ist schwierig (EASO
11.2018b; vgl. EASO 6.2017). Es wurden auch schon Mitglieder getötet, die dies versucht hatten.
Auch eine angebotene Mitgliedschaft von vornherein abzulehnen kann Konsequenzen nach sich ziehen (EASO 6.2017). Nach anderen Angaben ist der Einfluss der „Kulte“ nicht mehr so groß wie früher. Es ist ein Fall bekannt, wo ein Konflikt mit einem solchen „Kult“ ohne Konsequenzen gelöst werden konnte (EASO 11.2018b).
Quellen:
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation
(25.4.2019): Anfragebeantwortung zu Nigeria: Informationen zu Juju (Organisation und Netzwerke) [a-10976-1], hattps://www.ecoi.net/de/dokument/2007894.html, Zugriff 28.7.2021
• EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021
• EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria; Guidance note and common analysis, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf , Zugriff 26.5.2021
• EASO - European Asylum Support Office (11.2018b): Country of Origin Information Report – Nigeria - Targeting of individuals, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001375/2018_EASO_COI_Nigeria_TargetingIndividuals.pdf , Zugriff 17.8.2021
• EASO - European Asylum Support Office (6.2017): EASO Country of Origin Information Report Nigeria Country Focus, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1496729214_easo-country-focus-nigeria-june2017.pdf , Zugriff 28.7.2021
• IFRA - French Institute for Research in Africa (15.3.2019): Nigeria Watch - Eighth Report on Violence in Nigeria, https://www.ifra-nigeria.org/ongoing-research-programs/nigeria-watch/287-2019-nigeria-watch-eighth-report-on-violence-in-nigeria , Zugriff 17.8.2021
• MBZ - Ministerie van Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2021): Country of origin information report Nigeria, https://www.government.nl/binaries/government/documents/reports/2021/03/31/country-of-origin-information-report-nigeria-march-2021/EN_AAB+Nigeria+2018-2021+-+DEFINITIEF+-+31+maart+2021_final.pdf , Zugriff 17.8.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 02.09.2021
Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie ist durch die Verfassung verboten (AA 5.12.2020). Gemäß der Verfassung muss die Regierung einen „föderalen Charakter“ haben, was bedeutet, dass Kabinetts- und andere hochrangige Positionen so vergeben werden müssen, dass die 36 Bundesstaaten oder die sechs geopolitischen Regionen vertreten sind (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 5.12.2020). Traditionelle Beziehungen werden benutzt, um Druck auf Regierungsbeamte auszuüben, damit bestimmte ethnische Gruppen bei der Verteilung von wichtigen Positionen einen Vorteil erhalten (USDOS 30.3.2021). Die Zusammensetzung der bisherigen Regierung spiegelt aber einen fein austarierten Proporz zwischen den verschiedenen Ethnien wider. Dieser Proporz beeinflusst selbst die Besetzung höchster Staatsämter.
Dennoch beklagen einzelne Gruppen immer wieder, nicht angemessen in Spitzenämtern repräsentiert zu sein (AA 5.12.2020).
Die Verfassung unterscheidet bei der Bevölkerung in den Bundesstaaten zwischen „Einheimischen“ („indigenes“) und „Zuwanderern“ („settlers“). Diese Unterscheidung sollte ursprünglich die einheimische Bevölkerung schützen, hat aber angesichts der wachsenden Mobilität auch in der nigerianischen Bevölkerung immer weniger Sinn (AA 5.12.2020). Zwar haben nämlich alle Staatsbürger prinzipiell das Recht in jedem Teil des Landes zu leben, doch diskriminieren Bundes- und Bundesstaatsgesetze jene ethnischen Gruppen, die an ihrem Wohnsitz nicht indigen im eigentlichen Sinne sind (USDOS 30.3.2021). Die Realität ist vom „indigene/settler“-Konflikt (oftmals gleichbedeutend mit Ackerbauern und Nomaden) bestimmt, der entlang ethnischer – aber auch religiöser – Grenzen verläuft (ÖB 10.2020). In einigen Bundesstaaten ist die Lage von Minderheiten deshalb problematisch, zumal selbst den Nachfahren der Zuwanderer, die häufig gleichzeitig einer anderen Ethnie als die einheimische Bevölkerung angehören, regelmäßig die Teilnahme an Wahlen (aktiv wie passiv) verwehrt wird und sie nur eingeschränkten Zugang zu Ressourcen wie etwa Subventionen und öffentlichen Aufträgen, Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätzen haben (AA 5.12.2020). Manchmal werden Einzelpersonen sogar dazu veranlasst, in die ursprüngliche Heimat ihrer Ethnie zurückzukehren, obwohl sie dorthin keinerlei persönliche Verbindungen mehr haben. Fallweise veranlassen Bundesstaats- und LGA-Verwaltungen Nicht-Indigene durch Drohungen, Diskriminierung am Arbeitsmarkt oder die Zerstörung von Häusern zur Abwanderung. Jene, die trotzdem am Wohnort verbleiben, sind manchmal weiterer Diskriminierung ausgesetzt (Verweigerung von Stipendien, Ausschluss einer Anstellung beim öffentlichen Dienst). Dies betrifft beispielsweise die Hausa-Fulani im Bundesstaat Plateau (USDOS 30.3.2021).
Angehörige aller ethnischen Gruppen praktizieren Diskriminierung, vor allem hinsichtlich der
Anstellung im privaten Sektor und bezüglich einer Segregation in urbanen Gebieten. Zwischen einigen Gruppen existieren historisch verwurzelte Spannungen (USDOS 30.3.2021). Im „Middle-Belt“ kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Beide Seiten machen sich durch Hassreden und Gewaltverbrechen schuldig. Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 5.12.2020). Zwischen den Tiv, Kwalla, Jukun, Hausa-Fulani und Azara in den Bundesstaaten Nasarawa, Benue und Taraba gibt es Konflikte über Landnutzungsrechte (USDOS 30.3.2020).
Im Nigerdelta klagt die dortige Bevölkerung über massive Umweltzerstörung, jahrzehntelange Benachteiligung und kaum vorhandene Infrastruktur und Bildungseinrichtungen und Korruption (AA 5.12.2020).
Diskriminiert werden auch Albinos, die als Unglück erachtet werden. Sie werden manchmal bei der Geburt weggelegt oder für Hexerei-Rituale ermordet (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Minderheitengruppen
Letzte Änderung: 02.09.2021
In Nigeria gibt es mehr als 250 ethnische Gruppen (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021; ÖB
10.2020) mit 400 Sprachen und über 1.000 Dialekten (ÖB 10.2020). Keine dieser Gruppen stellt landesweit eine Mehrheit. Die drei größten ethnischen Gruppen, die in der Summe rund zwei Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachen, sind die Hausa-Fulani im Norden (29 Prozent), die Yoruba im Südwesten (21 Prozent) und die Igbo im Südosten (18 Prozent). Eine vierte große, durch den Konflikt im Nigerdelta ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückte Ethnie, die Ijaw (10 Prozent), lebt überwiegend in den ölreichen Regionen des Nigerdeltas (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2
042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf, Zugriff 17.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Letzte Änderung: 02.09.2021
Auch wenn die Verfassung Gleichberechtigung vorsieht (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 5.12.2020), kommt es zu beachtlicher ökonomischer Diskriminierung von Frauen (USDOS 30.3.2021). Frauen werden in der patriarchalen und teilweise polygamen Gesellschaft Nigerias in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt, v.a. dort, wo traditionelle Regeln gelten (AA 5.12.2020).
So sind Frauen in vielen Landesteilen aufgrund von Gewohnheitsrecht von der Erbfolge nach ihrem Ehemann ausgeschlossen (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Vor allem im Osten des Landes müssen sie entwürdigende und die persönliche Freiheit einschränkende Witwenzeremonien über sich ergehen lassen. Z.B. werden sie gezwungen, sich den Kopf zu rasieren oder das Haus für einen bestimmten Zeitraum nicht zu verlassen oder sind rituellen Vergewaltigungen ausgesetzt. Darüber hinaus können Frauen im Norden zum Teil keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen (AA 5.12.2020). Die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Rechtssystem konnte allerdings reduziert werden (BS 2020; vgl. LHRL 9./10.2019).
Frauen ist es in Nigeria gesellschaftlich nicht zugedacht, Karriere zu machen. Männer gelten
als Versorger der Familie (WRAPA 9./10.2019). Auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) spielen Frauen kaum eine Rolle. Jene mit Sekundär- und Tertiärbildung haben Zugang zu Arbeitsplätzen in staatlichen und öffentlichen Institutionen. Immer mehr Frauen finden auch Arbeit im expandierenden Privatsektor (z.B. Banken, Versicherungen, Medien). Einige Frauen besetzen prominente Posten in Regierung und Justiz, z.B. eine Richterin beim Obersten Gerichtshof und die Finanzministerin (BS 2020).
Üblicherweise ist es für Frauen und alleinstehende Mütter möglich, Arbeit zu finden (WRAPA
9.10.2019; vgl. EMB A 9./10.2019; EMB B 9./10.2019). Die Art der Arbeit hängt von der Bildung ab (EMB A 9./10.2019). Demgegenüber stehen eine hohe Arbeitslosigkeit und ein geringes Jobangebot (WRAPA 9./10.2019; vgl. EMB B 9./10.2019). Rechtlich ist keine Vorschrift vorhanden, die gleiche Bezahlung für Frauen und Männer für gleichwertige Tätigkeiten festschreibt. Es gibt auch kein Diskriminierungsverbot bei der Einstellung von Angestellten.Im formalen Sektor bleiben Frauen unterrepräsentiert (DFAT 3.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Internationalen Beobachtern zufolge sind Frauen im Rahmen traditioneller und religiöser Praktiken mit erheblicher wirtschaftlicher Diskriminierung konfrontiert (DFAT 3.12.2020).
Das Gesetz Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP) befasst sich mit sexueller, körperlicher, psychologischer und sozioökonomischer Gewalt sowie mit schädlichen traditionellen Praktiken. Laut dem VAPP stellen häusliche Gewalt, gewaltsames Hinauswerfen des Ehepartners aus der gemeinsamen Wohnung, erzwungene finanzielle Abhängigkeit, verletzende Witwenzeremonien, Genitalverstümmelung (FGM/C) usw. Straftatbestände dar (VA 20.1.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). Durchgesetzt wird das Gesetz von NAPTIP (National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons). Mit Stand Jänner 2021 haben 20 Bundesstaaten das VAPP ratifiziert: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bauchi, Benue, Cross Rivers, Ebonyi, Edo, Ekiti, Enugu, FCT, Kaduna, Kwara, Lagos, Nasarawa, Ogun, Osun, Oyo, Plateau, Yobe. Mit selbem Stand sind 61 Fälle anhängig seit Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2015. Es kam in diesem Zeitraum seit Inkraftreten bis Jänner 2021 zu fünf Verurteilungen auf Grundlage des VAPP (VA 20.1.2021).
Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und wird sozial akzeptiert, die Polizei schreitet oft nicht
ein. In ländlichen Gebieten zögern Polizei und Gerichte, in Fällen aktiv zu werden, in welchen
die Gewalt das traditionell akzeptierte Ausmaß des jeweiligen Gebietes nicht übersteigt. Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Nigeria auf nationaler Ebene nicht unter Strafe gestellt. Für häusliche Gewalt sieht das Gesetz [Anm.: VAPP] eine Haftstrafe von maximal drei Jahren sowie eine Geldstrafe oder eine Kombination von Haft- und Geldstrafe vor (USDOS 30.3.2021). Im Falle von häuslicher Gewalt kann sich das Opfer an die Polizei wenden, jedoch besteht das Risiko, dass die Betroffene wieder nach Hause geschickt wird (LHRL 9./10.2019; vgl. LNGO A 9./10.2019). Sollte eine Frau hingegen verletzt sein, würde der Ehemann inhaftiert werden (LHRL 9./10.2019). Abuja verzeichnet die höchste Rate von häuslicher Gewalt, auch aus diesem Grund gibt es aber in Abuja viele von Frauen geführte Haushalte. Auch in anderen Städten wie Lagos oder Port Harcourt sind Frauen nun besser sensibilisiert und verlassen Beziehungen, in denen Missbrauch vorkommt. Sie können allerdings vermehrt Stalking, Gewalt oder gar Ermordung durch den Ex-Partner ausgesetzt sein. In ländlichen Gegenden ist die Sensibilisierung der Frauen weniger vorangeschritten, und es ist für sie schwieriger, sich Gewalt in der Beziehung zu entziehen (WRAPA 9./10.2019).
Vergewaltigung steht unter Strafe. Gemäß Bundesgesetz [Anm.: VAPP] beträgt das Strafmaß
zwischen zwölf Jahren und lebenslänglicher Haft für Straftäter, die älter als 14 Jahre alt sind.
Es sieht auch ein öffentliches Register von verurteilten Sexualstraftätern vor. Auf lokaler Ebene sorgen Schutzbeamte, die sich mit Gerichten koordinieren, dafür, dass die Opfer relevante Unterstützung bekommen. Das Gesetz enthält auch eine Bestimmung, welche Gerichte dazu ermächtigt, Vergewaltigungsopfern eine angemessene Entschädigung zuzusprechen. Da das Bundesgesetz [Anm.: VAPP] bis dato aber nur in bestimmten Bundesstaaten ratifiziert wurde, gelten in den meisten Vergewaltigungsfällen bundesstaatliche strafrechtliche Regelungen. Vergewaltigungen bleiben weit verbreitet. Aus einer Studie geht hervor, dass 9% der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 sexueller Gewalt ausgesetzt waren (USDOS 30.3.2021).
Das Bundesgesetz kriminalisiert seit 2015 weibliche Genitalverstümmlung (FGM/C) auf nationaler Ebene [Anm.:VAPP] (USDOS 30.3.2021; GIZ 12.2020b). Die Regierung verabschiedete im Jahr 2020 eine überarbeitete nationale Strategie zur Bekämpfung von FGM (USDOS 30.3.2021).
Verschiedene Aufklärungskampagnen versuchen, einen Bewusstseinswandel einzuleiten. Bei
der Verbreitung gibt es erhebliche regionale Unterschiede. In einigen – meist ländlichen – Regionen im Südwesten und in der Region Süd-Süd ist die Praxis weit verbreitet, im Norden eher weniger (AA 5.12.2020). Die Verbreitung von FGM ist jedenfalls zurückgegangen (NHRC
9./10.2019; vgl. LHRL 9./10.2019; WRAPA 9./10.2019).
Für Opfer von FGM/C bzw. für Frauen und Mädchen, die von FGM/C bedroht sind, gibt es Schutz und/oder Unterstützung durch staatliche Stellen und NGOs, obwohl davon auszugehen ist, dass es schwierig ist, außerhalb des FCT staatlichen Schutz zu erhalten. Die Verfassung und Gesetze sehen interne Bewegungsfreiheit für alle vor, unabhängig von Alter oder Geschlecht.
Die Bewegungsfreiheit von Frauen und Kindern aus muslimischen Gemeinden in den nördlichen Regionen ist jedoch stärker eingeschränkt (UKHO 8.2019). Je gebildeter die Eltern, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie ihre Kinder beschneiden lassen. Wenn der Vater die Mutter bei ihrer Weigerung, das gemeinsame Kind beschneiden zu lassen, unterstützt, dann können die Eltern dies auch verhindern. Allerdings gab es v.a. in der Vergangenheit Einzelfälle, wo Großeltern ein Kind beschneiden ließen (NHRC 9./10.2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 28.5.2021
• DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (3.12.2020): DFAT Country Information Report Nigeria, https://www.dfat.gov.au/sites/default/files/dfat-country-information-report-nigeria-3-december-2020.pdf , Zugriff 18.8.2021
• EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf , Zugriff 20.4.2020
• EMB A - westliche Botschaft A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• EMB B - westliche Botschaft B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 18.6.2021
• LHRL - Lokaler Menschenrechtsanwalt (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokkumentation auf
• LNGO A - Repräsentantin der lokalen NGO A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• NHRC - National Human Rights Commission [Nigeria] (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
• UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (8.2019): Country Information and Guidance Nigeria: Nigeria:Female Genital Mutilation (FGM), https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/825243/Nigeria_-_FGM_-_CPIN_-_v2.0__August_2019_.pdf , Zugriff 22.6.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
• VA - Vertrauensanwalt der ÖB Abuja (20.1.2021): Bericht des VA, übermittelt via e-mail am
21.1.2021, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• Vanguard (10.3.2019): Our gods will destroy you; Oba of Benin curse human traffickers, https://www.vanguardngr.com/2018/03/gods-will-destroy-oba-benin-curse-human-traffickers/ , Zugriff 20.4.2020
• WRAPA - Anisa Ari, Snr. Program Coordinator; Umma Rimi, Programme Officer, NGO Women’s Rights Advancement and Protection Alternative (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
(Alleinstehende) Frauen: interne Relokation, Rückkehr, Menschenhandel
Letzte Änderung: 03.09.2021
Gemäß zweier Quellen einer FFM der Staatendokumentation im Oktober 2019 müssen Frauen, um einen Mietvertrag abzuschließen, einen männlichen Bürgen beibringen (WRAPA 9/10.2019; vgl. LNGO A 9/10.2019). Dies kann ein Freund, ein Kollege, oder ein Verwandter sein (WRAPA 9/10.2019). Gemäß einer anderen Quelle ist es für Frauen in Abuja kein Problem, alleine zu leben oder zu arbeiten (LNGO B 9/10.2019). Auch andere Quellen bestätigen, dass es für alleinstehende Frauen möglich ist, alleine zu leben und eine Wohnung zu mieten (EMB D 9./10.2019;
vgl. EMB B 9/10.2019). Die Situation für alleinstehende Frauen ist allerdings schwierig. Sozialer Druck in Hinblick auf ein traditionelles Rollenbild besteht (WRAPA 9./10.2019). Üblicherweise ist es für Frauen und alleinstehende Mütter möglich, Arbeit zu finden (WRAPA 9.10.2019; vgl. EMB A 9./10.2019; EMB B 9./10.2019). Die Art der Arbeit hängt von der Bildung ab (EMB A9./10.2019). Demgegenüber stehen eine hohe Arbeitslosigkeit und ein geringes Jobangebot (WRAPA 9./10.2019; vgl. EMB B 9./10.2019).
Nigeria verfügt über eine Anzahl staatlicher und halbstaatlicher Einrichtungen, insbesondere
die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP), die sich um die Rehabilitierung und psychologische Betreuung rückgeführter Frauen annehmen und in jeder der sechs geopolitischen Zonen Regionalbüros unterhalten. NAPTIP kann als durchaus effektive nigerianische Institution angesehen werden und kooperiert mit mehreren EU-Staaten bei der Reintegration (ÖB 10.2020). Die Agentur ist außerdem für die Bekämpfung des Menschenschmuggels zuständig. Sie hat nach eigenen Angaben zwischen April 2019 und März 2020 von 934 (2018-2019: 938) angezeigten Fällen von Menschenhandel 210 (192) untersucht, 64 (64) Individuen strafrechtlich verfolgt und die Verurteilung von 27 (43) Schleusern erreicht (AA 5.12.2020). NAPTIP ist eine zentrale Anlaufstelle für Rückkehrerinnen und bietet unter anderem um 2.000 US-Dollar mehrmonatige Rehabilitierung (psychologische Betreuung) und Berufstraining für ehemalige Zwangsprostituierte an (ÖB 10.2020). Es gibt außerdem einige NGOs, die für zurückkehrende Frauen Unterstützung anbieten (EMB D 9./10.2019). Generell gibt es neben NAPTIP noch andere NGOs, welche über Frauenhäuser verfügen. Meist liegt der Fokus aber auf Menschenhandel (NHRC 9./10.2019). NAPTIP verfügt in Nigeria über mehrere Shelters, vermittelt Frauen aber auch an andere Organisationen – etwa MeCAHT oder WOTCLEF – weiter (NAPTIP 9./10.2019).
Vom Office of the Special Adviser to the President on Relations with Civil Society erhielt die
österreichische Botschaft eine Liste mit 203 auf Seriosität/Bonität geprüften NGOs, die sich
um Rehabilitierung, Fortbildung und medizinische Betreuung/Versorgung sämtlicher Bevölkerungsgruppen des Staates bemühen. Darin werden regionale bzw. das ganze Staatsgebiet umfassende Organisationen aufgelistet, die sich um Witwen, Vollwaisen, minderjährige Mütter, alleinstehende Frauen, Albinos, HIV-Positive, Ex-Häftlinge, Häftlinge, Prostituierte, Alphabetisierung, FGM oder Opfer häuslicher Gewalt bemühen. Diese Organisationen betreiben Wohn- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen, Waisen sowie körperlich und geistig Behinderte. Zusätzlich unterstützen Gattinnen der Gouverneure eigene „pet projects“. Die bekannteste Vertreterin ist Dr. Amina Titi Atiku Abubakar, Gründerin und Vorsitzende der NGO WOTCLEF, die es bis zur Akkreditierung durch die UN gebracht hat und zahlreiche Projekte im Frauenbereich unterstützt (ÖB 10.2020).
Im traditionell konservativen Norden, aber auch in anderen Landesteilen, sind alleinstehende Frauen oft erheblichem Druck der Familie ausgesetzt und können diesem häufig nur durch Umzug in eine Stadt entgehen, in der weder Familienangehörige noch Freunde der Familie leben. Im liberaleren Südwesten des Landes – und dort vor allem in den Städten – werden alleinstehende oder allein lebende Frauen eher akzeptiert (AA 5.12.2020). Die Verfassung und Gesetze sehen interne Bewegungsfreiheit für alle vor, unabhängig von Alter oder Geschlecht.
Die Bewegungsfreiheit der Frauen und Kindern aus muslimischen Gemeinden in den nördlichen Regionen ist jedoch stärker eingeschränkt (UKHO 8.2019). Auch im Allgemeinen dürfte der Wechsel des Wohnortes für alleinstehende Frauen ohne Zugang zu einem unterstützenden Netzwerk schwieriger sein (UKHO 3.2019b).
Eine Auswahl spezifischer Hilfsorganisationen für Frauen:
African Women Empowerment Guild (AWEG): 29, Airport Road, Benin City, Edo State Tel.:
08023514832, 08023060147, Email: info@awegng.org , aweg95@yahoo.com , nosaalades
elu@yahoo.co.uk (AWEG o.d.a). Die AWEG ist eine ausschließlich weibliche, nicht profitorientierte NGO. Zielgruppe sind Frauen und Jugendliche. Spezielle Programme zielen darauf ab, Frauen beim Erwerb von Fähigkeiten im Bildungsbereich sowie im sozialen, ökonomischen und politischen Bereich zu unterstützen. AWEG führt Studien zu geschlechtsspezifischer Gewalt durch (AWEG o.D.b).
Women Aid Collective (WACOL), No 9 Matthias Ilo Avenue, New Haven Extension by Akanu
Ibia Airport Flyover, Enugu State. Tel: +234 9060002128, Email: wacolnig@gmail.com ,
wacolnig@yahoo.com . WACOL ist eine Wohltätigkeitsorganisation und bietet verschiedene Unterstützung an: Schulungen, Forschung, Rechtsberatung, Unterkunft, kostenloser Rechts- und Finanzbeistand, Lösung familieninterner Konfliktsituationen, Informationen und Bücherdienste (WACOL o.D.).
Women Advocates Research and Documentation Center (WARDC), 9b james Oluleye Crescent (Harmony Enclave), off Adeniyi Jones by Koko bus stop, Ikeja, Lagos State, +(123) 443-769-456, Email: info@wardcnigeria.org (WARDC o.d.a). WARDC ist eine Frauenrechts-NGO für weibliche Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt und anderer Menschenrechtsverletzungen. Ca. sechs Frauen pro Woche werden diesbezüglich in rechtlicher und sozialer Hinsicht beraten (WARDC o.d.b.).
Womens Health and Equal Rights Initiative (WHER), Adresse nicht online verfügbar, +234 818 645 7675, Email: wher@whernigeria.org WHER ist eine NGO zur Unterstützung von Frauen im Allgemeinen und von Frauen, die Angehörige einer sexuellen Minderheit sind (WHER o.d.).
The Women’s Consortium of Nigeria (WOCON): 13 Okesuna Street, Off Igbosere Road, Lagos,
Nigeria, Tel: +234 8033188767, +2349134197431, +234 8037190133, +234 8033347896, Email: wocon95@yahoo.com , info@womenconsortiumofnigeria.org (WOCON o.D.a). WOCON ist eine gemeinnützige NGO, die sich der Durchsetzung der Frauenrechte und der Erzielung von Gleichheit, persönlicher Entwicklung und Frieden widmet. Ziel ist die Aufklärung bezüglich Menschenhandel und der Kampf gegen den Menschenhandel (WOCON o.D.b).
Women’s Rights Advancement and Protection Alternative (WRAPA): 19, Monrovia Street, Off
Aminu Kano Way, Wuse II Abuja, Tel.: 08188699961, 08172125692, 07063807887, Email:
Wrapa399@gmail.com , wrapa399@yahoo.com . WRAPA ist eine Organisation, die bundesweit für Frauenrechte eintritt. Aktivitäten umfassen kostenfreie Rechtsberatung, Ausbildung, Mobilisation, Sensibilisierung und Meinungsbildung bezüglich rechtlicher Reformen. Jede Frau, die in irgendeiner Form einen Eingriff in ihre Rechte bzw. eine Diskriminierung erlitten hat, kann in den Genuss der Unterstützung von WRAPA kommen (WRAPA, o.D.).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.a): AWEG - Contact Information, https://awegng.org/contact-us/ , Zugriff 22.6.2021
• AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.b): AWEG - About Us, https://awegng.org/about-us/ , Zugriff 22.6.2021
• EMB A - westliche Botschaft A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• EMB B - westliche Botschaft B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• EMB D - westliche Botschaft D (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• LNGO A - Repräsentantin der lokalen NGO A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• LNGO B - Repräsentantinnen der lokalen NGO B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• NAPTIP - National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons [Nigeria] (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• NHRC - National Human Rights Commission [Nigeria] (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
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• WACOL - Women Aid Collective (o.D.): Homepage, https://wacolnigeria.org/ , Zugriff 22.6.2021
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• WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.): WHER about, https://whernigeria.org/about/ , Zugriff 22.6.2021
• WOCON - Women’s Consortium of Nigeria (o.D.a): WOCON - Contact, http://womenconsortiumofnigeria.org/?q=content/contact , Zugriff 22.6.2021
• WOCON - Women’s Consortium of Nigeria (o.D.b): WOCON - About us, http://womenconsortiumofnigeria.org/?q=about-us , Zugriff 22.6.2021
• WRAPA - Women’s Rights Advancement and Protection Alternative (o.D.): FAQ, https://wrapanigeria.org/faq/ , Zugriff 22.6.2021
Kinder
Letzte Änderung: 02.09.2021
Die Rechte des Kindes werden in Nigeria nur unzureichend gewährleistet. Der Child Rights Act, mit dem die UN-Kinderrechtskonvention in nationales Recht umgesetzt werden soll,
wurde bislang lediglich von 24 (AA 5.12.2020), nach anderen Angaben von 25 der 36 Bundesstaaten ratifiziert (USDOS 30.3.2021). Insbesondere die nördlichen Bundesstaaten sehen in einigen Bestimmungen (Rechte des Kindes gegenüber den eigenen Eltern, Mindestalter für Eheschließungen) einen Verstoß gegen die Scharia (AA 5.12.2020).
Der Child Rights Act sieht bei einer Eheschließung ein Mindestalter von 18 Jahren vor. Vor allem die nördlichen Bundesstaaten halten sich nicht an das offizielle Mindestalter auf Bundesebene (USDOS 30.3.2021). Kinderehen, in denen Mädchen in jungen Jahren mit zumeist älteren Männern verheiratet werden, sind folglich vor allem im Norden des Landes verbreitet. Insgesamt heiraten schätzungsweise 43 Prozent der Mädchen unter 18 Jahren und 17 Prozent unter 15 Jahren (AA 5.12.2020). Im Fall einer Kinderehe ist kein staatlicher Schutz verfügbar, nicht einmal im Süden, wo die Fallzahlen niedriger sind (INGO 9./10.2019).
Mit traditionellen Glaubensvorstellungen verbundene Rituale und der in Bevölkerungsteilen
verbreitete Glaube an Kinderhexen führen zu teils schwersten Menschenrechtsverletzungen
(Ausgrenzung, Aussetzung, Mord) an Kindern, insbesondere an Kindern mit Behinderungen (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Entsprechende Fälle werden überwiegend aus der südlichen Hälfte Nigerias berichtet, besonders gehäuft aus dem Südosten und den Bundesstaaten Akwa Ibom und Edo (AA 5.12.2020).
Gesetzlich sind die meisten Formen der Zwangsarbeit verboten, auch die von Kindern, und es sind ausreichend harte Strafen vorgesehen. Die Durchsetzung der Gesetze bleibt jedoch in
weiten Teilen des Landes ineffektiv. Daher ist Zwangsarbeit – u.a. bei Kindern – weit verbreitet. Frauen und Mädchen müssen als Hausangestellte, Buben als Straßenverkäufer, Diener, Minenarbeiter, Steinbrecher, Bettler oder in der Landwirtschaft arbeiten (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• INGO E - Repräsentantin der internationalen NGO E (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Homosexuelle
Letzte Änderung: 03.09.2021
Homosexuelle Handlungen jeglicher Art sind – unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen – sowohl nach säkularem Recht (AA 5.12.2020; vgl. GIZ 12.2020b) als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2020). § 214 des Strafgesetzbuchs sieht 14 Jahre Haft für gleichgeschlechtliche Beziehungen vor (ÖB 10.2020). Der im Jänner 2014 verabschiedete Same Sex Marriage Prohibition Act (SSMPA) sieht zudem vor, dass homosexuelle Paare, die heiraten oder öffentlich ihre Zuneigung zeigen, mit Haft bestraft werden können. Das Gesetz sieht bis zu 14 Jahre Haft für Eheschließungen und zivilrechtliche Partnerschaften zwischen zwei Frauen oder zwei Männern vor (ÖB 10.2020; vgl. USDOS 30.3.2021, GIZ 12.2020b). Wer seine Liebesbeziehung zu einem Menschen des gleichen Geschlechts direkt oder indirekt öffentlich zeigt, soll dem Gesetz zufolge mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können (ÖB 10.2020). Die gleiche Strafe ist für die Gründung und Unterstützung von Clubs, Organisationen oder anderen Einrichtungen für Schwule und Lesben vorgesehen (ÖB 10.2020; vgl. AA 5.12.2020). In den zwölf nördlichen Bundesstaaten, wo das islamische Recht in Kraft ist, können homosexuelle Handlungen mit Haft, Stockschlägen oder Tod durch Steinigung bestraft werden. Im Jahr 2020 wurden von Scharia-Gerichten keine solchen Urteile verhängt. In den vergangenen Jahren kam es zu Verurteilungen zu Stockschlägen (USDOS 30.3.2021).
Insgesamt gibt es keine systematische staatliche Verfolgung oder aktive Überwachung von Angehörigen sexueller Minderheiten (STDOK 15.9.2020; vgl. ÖB 10.2020). Die Rechtsänderung durch den SSMPA hat bisher nicht zu einer flächendeckenden verschärften Strafverfolgung geführt (AA 5.12.2020). Es gibt nach keinem der betroffenen Gesetze Haftbefehle wegen Homosexualität.
Über- oder Zugriffe durch die Polizei erfolgen zufällig oder nach Hinweisen. Es gibt nahezu keine Anklagen unter den spezifisch gegen Angehörige sexueller Minderheiten anwendbaren
Gesetzen und noch weniger Verurteilungen. Die Anwendung von Strafgesetz und Scharia gestaltet sich schwierig, denn es gilt der Nachweis gleichgeschlechtlichen Sexualverkehrs. Auch unter dem SSMPA gab es kaum Anklagen. Üblicherweise verlaufen Gerichtsfälle unter diesen Gesetzen im Sand. Allerdings werden manchmal andere Vergehen vorgeschoben, um eine Verurteilung zu vereinfachen. Zudem schafft die Existenz der spezifisch auf sexuelle Minderheiten anwendbaren Gesetze die Basis dafür, dass Personen von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren drangsaliert, bedroht oder erpresst werden können. Verhaftungen wiederum ziehen kaum jemals Anklagen nach sich, sondern dienen in erster Linie der Erpressung (STDOK 15.9.2020).
Im August 2018 wurden 47 Personen bei einer Hotelparty in Lagos verhaftet, wo die Polizei „homosexuelle Aktivitäten“ feststellte. Ein Richter hat am 27.10.2020 den Fall abgewiesen, in dem Männer wegen der Erfüllung eines Straftatbestands der nigerianischen Anti-Homosexuellen-Gesetzgebung vor Gericht standen - Zurschaustellung gleichgeschlechtlicher Liebesbeziehungen.
Konkreter Grund für die Abweisung war „Mangel an korrekter Prozessführung“, die Unfähigkeit der Anklage, Zeugen zu benennen und Beweise zu bringen (USDOS 30.3.2021). Der Fall wurde ausgesetzt („struck out“) und nicht abgewiesen („dismissed“). D.h., die Angeklagten können sich frei bewegen, könnten aber von der Polizei aufgrund derselben Anklage nochmals inhaftiert werden (TIERS 27.10.2020).
Gerade im Rahmen der Verabschiedung des SSMPA 2014 kam es zu einer Zunahme an Fällen
von Belästigung und Drohung. Es wurde von zahlreichen Verhaftungen berichtetet (USDOS
11.3.2020; vgl. WHER 9./10.2019). Denn der SSMPA hat zu einer weiteren Stigmatisierung von Lesben und Schwulen geführt. Diese werden oftmals von der Polizei schikaniert und misshandelt, sowie von der Bevölkerung gemobbt oder mittels Selbstjustiz verfolgt (GIZ 12.2020b). Das Gesetz dient dabei zur Rechtfertigung von Menschenrechtsverletzungen wie Folter, sexueller Gewalt, willkürlicher Haft, Erpressung von Geld sowie Verletzung von Prozessrechten (USDOS 30.3.2021).
Seit der Verabschiedung des SSMPA ist die Zahl an Gewaltvorfällen gegen Homosexuelle leicht zurückgegangen. Zugleich nahmen Fälle von Erpressungen, Eindringen in die Privatsphäre und willkürlichen Verhaftungen zu (LHRL 26.6.2021; vgl. TIERS 28.6.2021). Am Jahr 2020 gab es einen Anstieg an Menschenrechtsverletzungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten, verstärkt durch die COVID-19 Pandemie (TIERS 12.2020). Die überwiegende Mehrheit von Menschenrechtsverletzungen gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten geht von nicht-staatlichen Akteuren aus. Staatlicher Schutz ist diesbezüglich nicht zu erwarten (LHRL 26.6.2021; vgl. TIERS 28.6.2021, TIERS 12.2020, STDOK 15.9.2020). Gemäß einem Menschenrechtsbericht der Organisation TIERS gab es betreffend sexuelle Minderheiten im Jahr 2020 492 Übergriffe, 535 Personen waren betroffen. 365 nicht-staatliche Akteure waren als Täter involviert, 85 staatliche, und in 42 Fällen waren sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Akteure beteiligt (TIERS 12.2020).
Zu Ermittlungen kommt es nicht. Dieses Phänomen betrifft aber nicht nur Angehörige sexueller Minderheiten, vielmehr ist der Standard der Polizei allgemein niedrig. Allerdings kommt es bei dieser Personengruppe mitunter sogar zur Nötigung oder Verhaftung des Opfers (STDOK 15.9.2020).
Eine andere Möglichkeit, Gerechtigkeit zu suchen, besteht in der Anrufung der National Human Rights Commission. Zwar bleibt der offizielle staatliche Diskurs bezüglich sexueller Minderheiten von Homophobie geprägt. Trotzdem gibt es in staatlichen Bereichen Anknüpfungspunkte – v.a. im Gesundheitsbereich und eben bei der Nationalen Menschenrechtskommission (NHRC). Positive Trends sind hier sichtbar im Bereich der Kooperation mit der NHRC und der Anerkennung von Menschenrechtsverletzungen durch diese Behörde (STDOK 15.9.2020).
Die Zustimmung der Bevölkerung zum SSMPA und anderen Strafmaßnahmen gegenüber sexuellen Minderheiten ist immer noch hoch, doch ist diese zugleich innerhalb weniger Jahre auch drastisch gesunken. Immer mehr Menschen sind zudem bereit, ein homosexuelles Familienmitglied zu akzeptieren. Mit vermehrter Toleranz sinkt die Radikalität der Homophobie. Allerdings ist die Gewaltschwelle in Nigeria generell niedrig. Während in den Medien eine negative Berichterstattung über sexuelle Minderheiten weiterhin vorherrscht, ist auch dort ein Trend zur Liberalisierung bemerkbar. Immer wieder kommt es nun zu sachlicher Berichterstattung, auch Filme zur Thematik wurden veröffentlicht (STDOK 15.9.2020).
Gesellschaftliche Diskriminierung bei offenem Zurschaustellen der sexuellen Orientierung ist
vorhanden (ÖB 10.2020; vgl. AA 5.12.2020). Es kann nach wie vor riskant sein, sich gegenüber der Familie als homosexuell zu outen. Es kann zum Verstoßen, zum Einsperren, zu Gewalt oder zur Zuführung zu einer „Konversionstherapie“ („conversion therapy“) kommen. Allerdings sinkt die Ablehnung homosexueller Familienmitglieder und gleichzeitig steigt deren Akzeptanz (STDOK 15.9.2020).
In mehreren Großstädten können Angehörige und Communities sexueller Minderheiten freier leben. Zudem gibt es dort ein größeres Ausmaß an möglicher Unterstützung. Der maßgebliche Vorteil ist die Anonymität. Diese sinkt naturgemäß im ländlichen Raum – aber auch in den Slums der Großstädte. Es gibt aber auch konträre Meinungen, wonach nämlich die Gesellschaft in bestimmten ländlichen Gebieten toleranter sei, als in der Stadt. Die meisten dokumentierten Fälle von Menschenrechtsverletzungen betreffen Städte. Dies kann aber freilich auch damit zu tun haben, dass dort Vorfälle eher gemeldet und dokumentiert werden (STDOK 15.9.2020).
Es gibt keine systematische staatliche Verfolgung oder aktive Überwachung von Angehörigen
sexueller Minderheiten. Es gibt nach keinem der betroffenen Gesetze Haftbefehle wegen Homosexualität. Über- oder Zugriffe durch die Polizei erfolgen zufällig oder nach Hinweisen. Verhaftungen wiederum ziehen kaum jemals Anklagen nach sich, sondern dienen in erster Linie der Erpressung (STDOK 15.9.2020).
Homosexuellen-NGOs arbeiten weiter, die Netzwerke sind sogar ausgebaut und sichtbarer geworden. Die Zahl an Organisationen hat sich nahezu verdreifacht. Nur in seltenen – dokumentierten – Ausnahmefällen kam es zu staatlichen Maßnahmen gegen NGOs. Fördergelder werden weiterhin gezahlt und sind nach Angaben einer Quelle sogar gestiegen (STDOK 15.9.2020).
Der SSMPA hat neben einer Steigerung der Belästigungen von Homosexuellen auch zu einer erhöhten Sichtbarkeit der homosexuellen Community geführt, und zu dem Bewusstsein in der Bevölkerung, das Homosexualität in Nigeria existiert (WHER 9./10.2019).
Lokale NGOs sammeln Informationen zu Menschenrechtsverletzungen an Angehörigen sexueller Minderheiten. Ein Beispiel für eine umfangreiche Datensammlung dieser Art stellt der jährlich aktualisierte Menschenrechtsbericht von TIERs und kooperierenden NGOs dar. Einige NGOs betreiben Hotlines bzw. stellen Telefonnummern für Notfälle zur Verfügung. Die meisten Quellen gehen davon aus, dass etwa in Polizeigewahrsam geratene Personen wissen, wen sie zur Unterstützung anrufen können. Die Unterstützung wird in erster Linie zwecks Kautionszahlung („bail out“) geleistet (STDOK 15.9.2020).
Einige Anwälte und Vereinigungen stellen Angehörigen sexueller Minderheiten Rechtshilfe zur Verfügung. Diese kommt u.a. beim sogenannten „bail out“ aus dem Polizeigewahrsam zu tragen.
Gelangt ein Fall tatsächlich vor Gericht, kommt es üblicherweise zur (juristischen) Intervention von NGOs (STDOK 15.9.2020). Verschiedene NGOs bieten Angehörigen sexueller Minderheiten rechtliche Beratung und Schulungen in Meinungsbildung, Medienarbeit und Bewusstseinsbildung in Bezug auf HIV an (USDOS 30.3.2021). Manchmal werden solche Organisationen auch direkt seitens der Polizei kontaktiert (STDOK 15.9.2020; vgl. EMB B 9/10.2019). Die Organisation WHER organisiert bei betroffenen WSW eine Freilassung auf Kaution (WHER 9/10.2019).
Es existieren Netzwerke von Menschenrechtsanwälten, welche – im Falle der Verhaftung eines Homosexuellen – unmittelbar kontaktiert werden und die Person gegen „Kaution“ freizukaufen versuchen (STDK 15.9.2020; vgl. IO1 20.11.2015). Allerdings gibt es nicht sehr viele Anwälte, die in diesem Bereich arbeiten wollen, da sie sich nicht exponieren wollen (NJA 9./10.2019)
Homosexuellen-Netzwerke verschiedener Landesteile bzw. Städte stehen miteinander in Kontakt (LHRL 9./10.2019). Die Netzwerke und Organisationen bieten auch Unterstützung und Zufluchtsmöglichkeiten („safe havens“) an (USDOS 30.3.2021). Es gibt einige Safe Houses aber die Finanzierung derselben ist nicht ausreichend (LNGO D 9/10.2019). Die NGO WHER betreibt etwa ein Safe House für Frauen, die beispielsweise durch Familie oder Polizei einem unmittelbaren Sicherheitsrisiko ausgesetzt sind (WHER 9/10.2019).
Netzwerke sexueller Minderheiten sind v.a. in großen Städten präsent und aktiv. Vormals gab es im ländlichen Bereich wenn, dann aus dem Gesundheitsbereich heraus aktive Organisationen.
Nunmehr versuchen einige städtische Netzwerke ihre Arbeit auch auf ländliche Gegenden auszudehnen. Insgesamt hat sich die Reichweite der Netzwerke in den letzten Jahren verbessert. Sprachgrenzen und Infrastruktur stellen allerdings Barrieren dar. In den meisten Fällen wissen Angehörige sexueller Minderheiten, wen bzw. welche Organisation sie bei Bedarf kontaktieren können (STDOK 15.9.2020). Es gibt jedoch auch viele Fälle, in denen die Betroffenen nicht wissen, an wen sie sich wenden können (NJA 9./10.2019). Nach Angaben einer anderen Quelle sind die Homosexuellen-NGOs den Betroffenen üblicherweise zumindest in größeren Städten wie Lagos bekannt, in ländlichen Gegenden allerdings oftmals nicht. Dort wissen Betroffene nicht, an wen sie sich im Fall einer Verhaftung wenden können (EMB B 9./10.2019). Angehörige sexueller Minderheiten können sich durch einen Umzug in eine (andere) Stadt oder einen anderen Stadtteil aus einer direkten Risikolage befreien. Netzwerke und NGOs der Community unterstützen Personen bei diesem Schritt. In einigen Städten gibt es auch von NGOs organisierte Notquartiere (safe house / shelter). Es kommt mitunter auch zu „Zuweisungen“ bedrohter Personen von einer Stadt in eine andere (STDOK 15.9.2020).
Grundsätzlich ist weibliche Homosexualität weniger stark tabuisiert als männliche. WSW sind in geringerem Ausmaß von Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen bedroht und betroffen. Allerdings sind ihre Netzwerke schwächer. Mitunter kommt es zu Vergewaltigungen und anderen Formen von Gewalt. Manche Frauen werden von ihren Familien eingesperrt oder zwangsweise zu „Therapien“ gezwungen (STDOK 15.9.2020). Die Situation von homosexuellen Frauen ist einerseits besser als jene von homosexuellen Männern, da von einem Teil der Männer Homosexualität bei Frauen eher toleriert wird, andererseits sind Frauen in Nigeria generell mit Schwierigkeiten konfrontiert. Für homosexuelle Frauen ist es schwer denkbar, sich gegenüber Familie oder Freunden zu outen. Frauen – wie Männer – heiraten manchmal als Deckmantel für ihre Homosexualität, z.B. eine homosexuelle Frau einen homosexuellen Mann, um sozialen Normen zu genügen. Der SSMPA gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. Im Strafrecht (penal code) und Scharia-Recht des Nordens sowie im Strafrecht (criminal code) im Süden gibt es eigene Passagen, die sich mit weiblicher Homosexualität befassen (WHER 9./10.2019).
Angehörige sexueller Minderheiten können ihre sexuelle Orientierung nicht öffentlich ausleben und sind massiven Diskriminierungen und Anfeindungen ausgesetzt (AA 5.12.2020). Generell gehen viele Nigerianer mit ihrer Sexualität nicht offen um. Das gesellschaftliche Umfeld führt zur Geheimhaltung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Zahlreiche Angehörige sexueller Minderheiten sind „normal“ verheiratet. Dies dient einerseits der Verschleierung, andererseits dem Entsprechen sozialer Normen (STDOK 15.9.2020).
Sichtbarkeit im Auftreten und im Verhalten stellt einen Risikofaktor dar. Dies betrifft insbesondere Männer, die sich feminin geben, doch auch Frauen, die diesbezüglich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen, können betroffen sein. Das gemeinsame Wohnen alleine stellt für gleichgeschlechtliche Personen kein Problem dar, dies ist in Nigeria – von der Wohnung bis hin zum Hotelzimmer – aus Kostengründen nicht unüblich. Der Einfluss des Alters oder des Familienstandes auf die Frage des persönlichen Risikos von Angehörigen sexueller Minderheiten ist unklar.
Einen maßgeblichen Einfluss hat hingegen der sozio-ökonomische Status einer Person. Mit
zunehmender Finanzkraft, Bildung und Vernetzung – also mit zunehmenden Privilegien – sinkt das Risiko gegen Null. Hauptrisikogruppe sind hingegen jene Personen, deren Alltag in einem Umfeld mit niedrigem sozialen und ökonomischem Status verankert ist (STDOK 15.9.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• EMB B - westliche Botschaft B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Gesprächsprotokoll liegt bei der Staatendokumentation auf
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
• IO1 - International Health and Development Research Organisation (20.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission, Gesprächsprotokoll liegt bei der Staatendokumentation auf
• LHRL - Lokaler Menschenrechtsanwalt (26.6.2021): Antwort via E-Mail, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• LHRL - Lokaler Menschenrechtsanwalt (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Gesprächsprotokoll liegt bei der Staatendokumentation auf
• LNGO D - Repräsentant der lokalen NGO D (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Gesprächsprotokoll liegt bei der Staatendokumentation auf
• NJA - Nigerianischer Journalist und Aktivist (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Gesprächsprotokoll liegt bei der Staatendokumentation auf
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
• STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich]
(15.9.2020): Zur Lage sexueller Minderheiten unter Hinzunahme der Informationen der FFM Nigeria 2019, Update der Analyse sexuelle Minderheiten vom 30.9.2016
• TIERS - The Initiative for Equal Rights (28.6.2021): Antwort via E-Mail, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• TIERS - The Initiative for Equal Rights (12.2020): 2020 Human Rights Violations Report, https://theinitiativeforequalrights.org/wp-content/uploads/2020/12/2020-Human-Rights-Violations-Report-based-on-SOGIESC.pdf , Zugriff 16.8.2021
• TIERS - The Initiative for Equal Rights (27.10.2020): A Timeline of the ‘Egbeda 57’ Case, https://theinitiativeforequalrights.org/acquit57/ , Zugriff 18.6.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html , Zugriff 27.5.2020
• WHER - Repräsentantin der Women’s Health and Equal Rights Initiative (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Gesprächsprotokoll liegt bei der Staatendokumentation auf
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 03.09.2021
Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe.
Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet (USDOS 30.3.2021).
Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 30.3.2021). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 5.12.2020). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 3.2019).
In den vergangenen Jahrzehnten hat eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2020). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 5.12.2020).
Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 30.3.2021).
Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z.B. ABC Transport,
Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen i.d.R. pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorradtaxis, die Okada genannt werden, zur Verfügung (GIZ 9.2020).
Bedingt durch COVID-19 sind öffentliche Versammlungen beschränkt, mit Stand September 2020 auf 50 Personen (USDOS 30.3.2021). Im ganzen Land gilt eine Ausgangssperre von Mitternacht bis 4 Uhr (WKO 7.8.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020): Nigeria - Alltag, https://www.liportal.de/nigeria/alltag/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (3.2019b): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/794323/CPIN_-_Nigeria_-_Internal_relocation.PDF , Zugriff 22.6.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
• WKO - Wirtschaftskammer Österreich (7.8.2021): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nigeria.html , Zugriff 23.8.2021
Meldewesen
Letzte Änderung: 03.09.2021
Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (ÖB 10.2020; vgl. AA 5.12.2020; EASO 24.1.2019), wie u.a. zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht (EASO 24.1.2019). Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (ÖB 10.2020).
Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen (ÖB 10.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• EASO - European Asylum Support Office (24.1.2019): Query Response - Identification documents system in Nigeria, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
IDPs und Flüchtlinge
Letzte Änderung: 02.09.2021
Die Zunahme von Konflikten in den nordöstlichen Bundesstaaten ab 2013 führte und führt zu einem Anstieg der Zahl an nigerianischen Flüchtlingen und IDPs. Im nordöstlichen Nigeria gibt es laut UNHCR und IDMC (Stand 31.12.2020) 2,9 Millionen Binnenvertriebene (UNHCR 2021, IDMC o.D), laut IOM (Stand 11.2020) 2,1 Millionen (IOM 2021) bzw. (Stand 28.2.2021) knapp 2,2 Millionen (IOM 28.2.2021). IOM listet Adamawa, Bauchi, Borno, Gombe, Taraba und Yobe als am meisten betroffene Bundesstaaten auf (IOM 28.2.2021). Im Jahr 2020 wurden um die 448.000 neue IDPs gezählt, 169.000 davon durch den Konflikt, 143.000 durch Naturkatastrophen (IDMC o.D.). Mit Stand Februar 2021 sind 1.763.377 Menschen aus anderen Bundesstaaten an ihre Wohnorte zurückgekehrt (IOM 28.2.2021).
Im Jahr 2020 unterstützte das IKRK in Nigeria ungefähr 354.600 durch die Verteilung von Nahrungsmittel und 12.070 erhielten Unterstützung für ihr Unternehmen. 286.200 Personen
erhielten Saatgut und Werkzeuge zur Unterstützung ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit. 30.720 Personen profitierten von dem Bau temporärer Unterkünfte in Camps. 249.620 Personen haben nun verbesserten Zugang zu Wasser und Hygiene. 578.000 Arztbesuche wurden in 23 vom IKRK unterstützten Gesundheitszentren durchgeführt. 155.900 Personen erhielten notwendige Haushaltsgegenstände (IKRK 12.2.2021).
Berichten zufolge begehen Angehörige des Militärs, der Polizei, der CJTF und andere schwere Menschenrechtsverletzungen in den IDP-Camps (USDOS 30.3.2020; vgl. AA 5.12.2020), in denen es - v.a. im Nordosten Nigerias - immer wieder zu sexuellem Missbrauch (USDOS 30.3.2021) und Vergewaltigungen kommt (AA 5.12.2021).
Mit Stand 31.12.2020 befanden sich aufgrund der Aktivitäten nicht-staatlicher bewaffneter Gruppen (v.a. Boko Haram und IS) noch 304.000 nigerianische Flüchtlinge in den Nachbarländern Kamerun, Tschad und Niger (UNHCR 2021).
Die Nationalen Kommission für Flüchtlinge, Migranten und IDPs arbeitet bei der Unterstützung von Flüchtlingen und Asylsuchenden mit dem UNHCR und humanitären Organisationen zusammen (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• IDMC - Internal Displacement Monitoring Center (o.D.): Nigeria, Country Information, Overview, https://www.internal-displacement.org/countries/nigeria , Zugriff 29.7.2021
• IKRK - Internationales Komitee vom Roten Kreuz (12.2.2021): Nigeria: Facts and figures for 2020, https://www.icrc.org/en/document/2020-nigeria-facts-and-figures , Zugriff 29.7.2021
• IOM - International Organization for Migration (28.2.2021): DTM Nigeria Displacement Tracking Matrix, DTM Report Round 36, https://dtm.iom.int/nigeria , Zugriff 29.7.2021
• IOM - International Organization for Migration (2021): Emergency Response, 2020 Annual Reports, https://crisisresponse.iom.int/sites/default/files/appeal/documents/2020%20Annual%20Report%20-%20IOM%20Nigeria%20Emergency%20Response_compressed.pdf , Zugriff 29.7.2021
• UNHCR (2021): Nigeria Emergency, https://www.unhcr.org/nigeria-emergency.html , Zugriff 29.7.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
Grundversorgung
Letzte Änderung: 03.09.2021
Nigeria ist die größte Volkswirtschaft Afrikas. Die Erdölproduktion ist der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Aufgrund des weltweiten Verfalls der Erdölpreise rutschte Nigeria 2016 jedoch in eine schwere Rezession, die bis zum zweiten Quartal 2017 andauerte. 2018 wuchs die nigerianische Wirtschaft erstmals wieder um 1,9 Prozent. Getragen wurde das Wachstum vor allem durch die positive Entwicklung von Teilen des Nicht-Öl-Sektors (Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe) (GIZ 6.2020). 2020 wurde die Wirtschaft des Landes schwer durch den COVID-bedingten Verfall der internationalen Ölpreise getroffen. Für 2020 wird mit einem Rückgang des BIP von ca. 3,2 Prozent bei einem Wachstum der Bevölkerung in etwa gleicher Höhe gerechnet.
Bereits im 4. Quartal 2020 hat die Wirtschaft jedoch wieder zu expandieren begonnen. 2021 sollte sie, getragen von Ölpreisen um 60 US-Dollar pro Fass, um 1,5 bis 2,5 Prozent real wachsen (WKO 16.6.2021).
Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA
5.12.2020). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat – gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 6.2020). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 5.12.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 6.2020).
Über 70 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 6.2020). Dennoch ist Nigeria in diesem Bereich keineswegs autark, sondern auf Importe, vor allem von Reis, angewiesen. Aufgrund fehlender Transportmöglichkeiten verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten (ÖB 10.2020).
Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und
der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Insgesamt hat sich der Prozentsatz an Unterernährung in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegt nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen aber weiterhin zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2020). Mit Stand August 2020 benötigen gemäß UN 10,6 Millionen Menschen in Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa humanitäre Hilfe (HumAngle 11.8.2020).
Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 12.2020b). 87 Millionen Nigerianer (40 Prozent der Bevölkerung) leben in absoluter Armut, d.h. sie haben weniger als 1 US-Dollar pro Tag zur Verfügung (GIZ 6.2020). Gemäß Schätzungen der Weltbank leben mehr als 90 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag und 92 Prozent der Bevölkerung müssen mit einem Einkommen von weniger als 5,50 Dollar pro Tag auskommen (ÖB 10.2020). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 12.2020b). Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 6.2020).
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt (GIZ 12.2020b). Die letzten offiziellen Zahlen dazu stammen aus dem 3. Quartal 2018. Demnach waren damals 42 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Seither werden Arbeitslosenzahlen, angeblich aus Kostengründen, nicht mehr veröffentlicht. Besonders hoch ist die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen (ÖB 10.2020).
Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2020; vgl. BS 2020).
Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als „self-employed“ suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 12.2020b). Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit.
Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).
Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2020). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2020).
Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung und Lebensmittelpreise variieren nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2020).
Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup“, „garri“ oder „pounded yam“, für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 18.5.2020
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
• HumAngle (11.8.2020): Number of People Requiring Humanitarian Aid in North-East Nigeria Highest in Five Years, https://humanglemedia.com/number-of-people-requiring-humanitarian-aid-in-north-east-nigeria-highest-in-five-years/ , Zugriff 6.8.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• WKO - Wirtschaftskammer Österreich (16.6.2020): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 23.8.2021
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 03.09.2021
Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 12.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 12.2020b; vgl. ÖB 10.2020).
Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ
und/oder hygienisch problematisch (AA 3.8.2021). Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2020). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 12.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2020).
Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 5.12.2020).
Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2020). Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 5.12.2020). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über eine moderne Ausstattung (ÖB 10.2020).
In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 5.12.2020).
Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019). Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 5.12.2020). In Nigeria stehen 250 Psychiater für eine Bevölkerung von 200 Millionen Menschen zur Verfügung (Devex 29.9.2020). Es gibt weniger als 15 auf psychische Erkrankungen spezialisierte Spitäler (IRB 12.1.2020) und 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro).
Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 5.12.2020).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte
im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor (AA 5.12.2020). Die Rate der im NHIS versicherten Personen ist von 10 Prozent (5,6 Millionen Nigerianer) vor zehn Jahren auf 1,72 Prozent (eine Million Nigerianer) in aktualisierten Statistiken [Stand: 2020] gefallen. 90 Prozent der Nigerianer sind nicht versichert. 3-5 Prozent der Bevölkerung sind in irgendeiner Form krankenversichert (TG 25.9.2020). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).
Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 12.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 5.12.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein (ÖB 10.2020). Eine medizinische Grundversorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 5.12.2020). Gemäß Angaben einer anderen Quelle werden Tests und Medikamente an staatlichen Gesundheitseinrichtungen dann unentgeltlich abgegeben, wenn diese überhaupt verfügbar sind. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2020).
Apotheken und in geringerem Maße v.a. private Kliniken verfügen über eine Auswahl essentieller Medikamente. Hier sind die gängigen Antiphlogistika und Schmerzmittel sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente für Herz-Kreislauferkrankungen und zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden erhältlich (AA 5.12.2020). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2020).
Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte – meist aus asiatischer Produktion – vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente).
Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 5.12.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2020).
Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ
12.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2020).
In Nigeria gibt es wie in anderen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 22.8.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.8.2021): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 , Zugriff 3.8.2021
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29%2C_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
• Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (22.8.2021): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/ , Zugriff 23.8.2021
• Devex (29.9.2020): Short of mental health professionals, Nigeria tries a new approach, https://www.devex.com/news/short-of-mental-health-professionals-nigeria-tries-a-new-approach-98176 , Zugriff 3.8.2020
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
• HRW - Human Rights Watch (11.11.2019). Nigeria: People With Mental Health Conditions Chained, Abused, https://www.hrw.org/news/2019/11/11/nigeria-people-mental-health-conditions-chainedabused , Zugriff 3.8.2021
• IRB - Immigration and Refugee Board [Kanada] (12.1.2020): Response to information request, https://www.justice.gov/eoir/page/file/1342146/download , Zugriff 3.8.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• TG - The Guardian (25.9.2020): Over 170 million Nigerians without health insurance, https://guardian.ng/features/over-170-million-nigerians-without-health-insurance/ , Zugriff 3.8.2021
• VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (23.1.2019): medizinische Stellungnahme, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (27.3.2019): medizinische Stellungnahme, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
HIV/AIDS
Letzte Änderung: 03.09.2021
HIV/AIDS hat sich in den letzten Jahren sehr schnell ausgebreitet. Gründe dafür sind u.a. Promiskuität, seltene Verwendung von Kondomen, Armut, eine niedrige Alphabetisierungsrate und schlechte Bildung, der insgesamt schlechte Gesundheitszustand, der niedrige gesellschaftliche Status von Frauen sowie die Stigmatisierung von Erkrankten (GIZ 12.2020b). In Nigeria lebten im Jahr 2020 circa 1,7 Millionen Menschen, die mit HIV infiziert sind. Von den Menschen zwischen 15 und 49 Jahren haben 1,3 Prozent HIV. Im Jahr 2020 haben sich 86.000 Menschen neu mit HIV infiziert, es gab 49.000 Todesfälle aufgrund von mit AIDS verbundenen Krankheiten. 90 Prozent der HIV-Infizierten kannten ihren Status und 86 Prozent der mit HIV infizierten Personen nehmen Antiretrovirale Medikamente ein. Ca. 130.000 Kinder (bis 14 Jahre) sind mit HIV infiziert. Bei den Kindern (bis 14 Jahre), die mit HIV leben, erhielten 45 Prozent Antiretrovirale Medikamente. Frauen sind in Nigeria überproportional von HIV betroffen, circa 960.000 der Erkrankten sind Frauen. Frauen befinden sich jedoch eher in Behandlung (mehr als 95 Prozent der erwachsenen Frauen im Vergleich zu 73 Prozent der erwachsenen Männer). Von den HIV-infizierten schwangeren Frauen unterziehen sich etwa 44 Prozent einer Therapie, um die Übertragung auf ihr Kind zu verhindern (UNAIDS o.D.).
Medikamente gegen HIV/Aids können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben (ÖB 10.2020).
Quellen:
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• UNAIDS (o.D.): Nigeria, Overview, https://www.unaids.org/en/regionscountries/countries/nigeria , Zugriff 30.7.2021
Rückkehr
Letzte Änderung: 03.09.2021
Zum Zeitpunkt der Berichtslegung kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2020).
Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 5.12.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2020). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 5.12.2020).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 5.12.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2020). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 5.12.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2020) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2020). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2020).
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 5.12.2020).
Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2020).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure betreiben Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert und es werden Aus- oder Weiterbildungsprojekte angeboten (AA 5.12.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
Dokumente, Staatsbürgerschaft, Meldewesen
Letzte Änderung: 03.09.2021
Zwar existiert mit der National Identity Database (NID) eine Art Datenbank für nigerianische und nicht-nigerianische Bürger, die in Nigeria wohnhaft sind, jedoch nur, sofern diese sich in der Datenbank registriert haben (bislang nur 39 Millionen Menschen) (AA 5.12.2020). Gemäß anderen Angaben sind inzwischen 42 Millionen Menschen registriert (MBZ 3.2021). Im Zuge dieser Registrierung wird die National Identity Number (NIN) vergeben, welche Voraussetzung für den Erhalt eines Personalausweises ist (BZ 3.2021). Auch im Zusammenhang mit der nigerianischen Lebenswirklichkeit kann dies nicht als lückenlose Registrierung und damit flächendeckendes Meldewesen gesehen werden (AA 5.12.2020).
Mit der Einführung des elektronischen Passes (mit elektronisch gespeicherten Fingerabdrücken) im Jahr 2007 haben die Behörden einen wichtigen Schritt unternommen, die Dokumentensicherheit zu erhöhen. Es sind auch so gut wie keine gefälschten nigerianischen Pässe im Umlauf (AA 5.12.2020). Allerdings ist es aufgrund des nicht vorhandenen Meldewesens, verbreiteter Korruption in den Passbehörden sowie Falschangaben der Antragsteller ohne weiteres möglich, einen nigerianischen Reisepass zu erhalten, der zwar echt, aber inhaltlich falsch ist (AA 5.12.2020; vgl. MBZ 3.2021). Mangels eines geordneten staatlichen Personenstandwesens ist die Überprüfung der Echtheit von Dokumenten durch nigerianische Behörden mit einem großen Aufwand verbunden. Angesichts der in Nigeria allgemein nicht gegebenen Dokumentensicherheit ist die bloß formale Bestätigung der Echtheit einer Unterschrift oder eines Siegels eines nigerianischen Ministeriums nicht dazu geeignet, eine Beglaubigung unter Einhaltung der gesetzlichen notariellen Sorgfaltspflicht und im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen vorzunehmen (ÖB 10.2020).
Gefälschte Dokumente (Geburts- und Heiratsurkunden, Zeugnisse von Schulen und Universitäten etc.) sind in Lagos und anderen Städten ohne Schwierigkeiten zu erwerben (AA 5.12.2020; vgl. MBZ 3.2021). Sie sind professionell gemacht und von echten Dokumenten kaum zu unterscheiden.
Inhaltlich unwahre, aber von den zuständigen Behörden ausgestellte (Gefälligkeits-) Bescheinigungen sowie Gefälligkeitsurteile in Familiensachen kommen vor. Vorgelegte angebliche Fahndungsersuchen nigerianischer Sicherheitsbehörden sind in der Form oft fehlerhaft oder enthalten falsche Darstellungen behördlicher Zuständigkeiten und sind dadurch als Fälschungen zu erkennen. Aufrufe von Kirchengemeinden – z.B. genannten Asylbewerbern Zuflucht und Schutz zu gewähren – sind oft gefälscht (AA 5.12.2020).
Der Besitz eines nigerianischen Ausweises, auch zertifiziert, garantiert nicht die korrekte Identität des Inhabers des Ausweises. Mit einer NIN haben Personen allerdings eine fixe Identität, die nicht mehr gewechselt werden kann. Es ist jedoch möglich, dass diese NIN aufgrund gefälschter Dokumente erstellt worden ist, und nicht mit der Identität bei Geburt übereinstimmt (MBZ 3.2021).
Kinder leiten ihre Staatsbürgerschaft von ihren Eltern ab (USDOS 30.3.2021). Geburten werden insbesondere im ländlichen Raum, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt, kaum registriert (ÖB 10.2020). Es gibt keine Vorschrift zur Registrierung von Geburten. Der Großteil der Geburten wird nicht registriert; Daten zeigen, dass landesweit nur bei 42 Prozent der Kinder unter fünf Jahren die Geburt ordnungsgemäß registriert ist (USDOS 30.3.2021). Nach der nigerianischen Verfassung vom 5.5.1999 soll der Verzicht auf die nigerianische Staatsangehörigkeit nach Artikel 29 durch Abgabe einer formgebundenen Verzichtserklärung und durch die anschließende Registrierung des Verzichtes eintreten (AA 5.12.2020). Demzufolge ist die einzig zuständige Behörde betreffend Zurücklegung der nigerianischen Staatsangehörigkeit das nigerianische Innenministerium. Bei Genehmigung eines derartigen Antrages stellt das nigerianische Innenministerium ein „Certificate of Renunciation“ aus. Allfällige Bestätigungen nigerianischer Vertretungsbehörden über das erfolgte Ausscheiden aus dem nigerianischen Staatsverband entfalten folglich keine Rechtswirkung (BMEIA 7.8.2019; vgl. BMEIA 8.5.2020). Die genaue Vorgehensweise zur Zurücklegung lautet:
Der Antragsteller richtet ein Schreiben an den „Permanent Secretary, Federal Ministry of Interior, Abuja“. Dem Schreiben sind folgende Dokumente beizufügen (siehe auch beiliegende Liste):
• Antrag (siehe Anhang, oder zum Beispiel auf der Webseite der nigerianischen Botschaft
Berlin unter: https://nigeriaembassygermany.org/Forms---Fees.htm )
• Lichtbild
• Geburtsurkunde
• Die ersten fünf Seiten des nigerianischen Reisepasses (inklusive der Datenseite)
• Eidesstattliche Erklärung des Antragstellers, wonach dieser die nigerianische Staatsangehörigkeit zurücklegen möchte
• Erklärung der zuständigen österreichischen Einbürgerungsbehörde, dass bei Zurücklegung
der nigerianischen Staatsangehörigkeit, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen
werden kann.
• Abstammungsurkunde der örtlichen Landesregierung mit einem weiteren Lichtbild
• Bestätigung des „Sekretärs“ der entsprechenden nigerianischen Landesregierung
Gleichzeitig mit der persönlichen Antragstellung z.B. bei der zuständigen nigerianischen Botschaft, muss auch eine Antragstellung online erfolgen. Dazu muss sich der Antragsteller auf der Webpage des nigerianischen Innenministeriums registrieren (https://ecitibiz.interior.gov.ng/account/Register/ ) und der Antrag samt Beilagen muss auf die Webpage hochgeladen werden.
Die Konsulargebühren betragen:
- NGN 30.000,00 Antragsgebühr (zahlbar bei Antragstellung)
- NGN 50.000,00 Genehmigungsgebühr (zahlbar bei Genehmigung) (ÖB 15.5.2019)
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
• BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (8.5.2020): Nigeria, Staatsbürgerschaft: Anfrage der MA 35 zu Entlassungsverfahren, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (7.8.2019): Nigeria, Ausscheiden aus dem nigerianischen Staatsverband, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• MBZ - Ministerie van Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2021): Country of origin information Report Nigeria, https://www.government.nl/binaries/government/documents/reports/2021/03/31/country-of-origin-information-report-nigeria-march-2021/EN_AAB+Nigeria+2018-2021+-DEFINITIEF+-+31+maart+2021_final.pdf , Zugriff 17.8.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052064/NIGR_%C3%96B_BERICHT_2020_10.pdf , Zugriff 28.5.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (15.5.2019): STB; Prüfung Staatsbürgerschaft, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021“
A) 2. Beweiswürdigung
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde sowie in den Beschwerdeschriftsatz Beweis erhoben.
A) 2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seiner Herkunft und seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen aufkommen lässt.
Die Feststellungen zum aktuellen Gesundheitszustand und zur Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers sowie zur Verfügbarkeit und zu den jährlichen Gesamtkosten der ihm verschriebenen Medikamente ergeben sich aus den von ihm mit Schreiben vom 28. August 2020 und vom 27. Oktober 2021 vorgelegten medizinischen Unterlagen, seiner Einvernahme am 17. Dezember 2021 und dem medizinischen Gutachten vom 31. Dezember 2021. Dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit hat, eine erhöhte finanzielle Rückkehrhilfe in der Höhe eines Zehn-Jahres-Bedarfes an Medikamenten (das sind 3.840,-- Euro) zu erhalten, beruht auf einer entsprechenden Auskunft der belangten Behörde vom 30. Dezember 2021.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Österreich seit zwei Jahren eine Beziehung maßgeblicher Intensität mit einer rumänischen Staatsangehörigen führt, weil er im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 3. Jänner 2022 zunächst nicht in der Lage war, den vollständigen Namen seiner „Freundin" zu nennen, weil er behauptete, ihr zweiter Vorname sei der Nachname, sodass diese Person im zentralen Melderegister nicht auffindbar war. Er wusste ihren vollständigen Namen erst dann, als ihm Gelegenheit gegeben wurde, in seinem Mobilitelefon nachzusehen. Auch war er nicht imstande, das Geburtsdatum seiner „Freundin“ zu nennen. Würde der Beschwerdeführer zu dieser Frau tatsächlich seit zwei Jahren eine emotional tiefergehende Beziehung führen, wäre doch zu erwarten, dass er die Fragen zu ihrem Namen und zu ihrem Geburtsdatum spontan und korrekt beantwortet kann.
Seine strafgerichtlichen Verurteilungen ergeben sich aus den betreffenden Strafurteilen.
A) 2.2. Zum Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wurden dem aktuellen „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria entnommen.
Bezüglich der Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat wurden sowohl Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie beispielsweise dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten und unabhängigen Nichtregierungsorganisationen, wie zB der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, herangezogen.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
A) 3. Rechtliche Beurteilung
A) 3.1. Zur belangten Behörde im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:
Der angefochtene Bescheid wurde noch vom Bundesasylamt erlassen, das mit Ablauf des 31. Dezember 2013 aufgelöst wurde. Die bisherigen Aufgaben des Bundesasylamtes wurden mit 1. Jänner 2014 vom neu geschaffenen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übernommen.
Auch wenn keine ausdrückliche gesetzliche Anordnung existiert, ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgrund der in § 75 Abs. 17 bis 22 Asylgesetz 2005 enthaltenen Übergangsbestimmungen im gegenständlichen (einen „Übergangsfall“ betreffenden) Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht als belangte Behörde im Sinn des § 19 Abs. 2 Z 1 VwGVG anzusehen, der gemäß § 18 VwGVG Parteistellung zukommt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. November 2014, Fr 2014/20/0028).
A) 3.2. Zur anzuwendenden Rechtslage:
1. § 8 Abs. 1 Z 1, Abs. 2 und 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2021, lautet:
„Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. … ,wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
(3a) …“.
2. § 75 Abs. 19 und 20 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 110/2021, lautet wie folgt:
„Übergangsbestimmungen
§ 75. (1) …
(19) Alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren sind ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen.
(20) Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des Abs. 18 und 19 in Bezug auf Anträge auf internationalen Schutz
1. den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes,
2. …
so hat das Bundesverwaltungsgericht in jedem Verfahren zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend. …“.
A) 3.3. Zur Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides:
A) 3.3.1. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides):
1.1. Gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
1.2. Dem Beschwerdeführer droht in Nigeria keine asylrelevante Verfolgung.
Auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (zur „Schwelle“ des Art. 3 EMRK vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Juli 2003, 2003/01/0059), gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt, zumal er erwerbsfähig ist und ihm eine vollzeitige und vollschichtige Erwerbsarbeit in leichten bis mittelschweren Tätigkeiten möglich ist.
Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt nach seiner Rückkehr nicht wieder bestreiten können sollte.
Außerdem besteht ganz allgemein in Nigeria derzeit keine solche extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre.
Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sind überdies keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein „reales Risiko“ einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.
Was seinen Gesundheitszustand betrifft, ist auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hinzuweisen, der zufolge kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwer zugänglich oder kostenintensiver als im fremden Aufenthaltsland ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt (vgl. dazu das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof sich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte stützt).
Überdies ist ins Kalkül zu ziehen, dass mit der Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers kein Abbruch einer laufenden Behandlung und damit auch keine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes verbunden wäre (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Juni 2010, U 613/10, VfSlg. Nr. 19.086/2010), weil die ihm verschriebenen Medikamente auch in Nigeria erhältlich sind.
2. Ausgehend von den unter Punkt A) 1. getroffenen Feststellungen liegen die Voraussetzungen für die Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria nicht vor, sodass sich die Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunktes II des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen war.
A) 3.3.2. Zur Ausweisung des Beschwerdeführers (Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 75 Abs. 20 erster Satz Asylgesetz 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht in jedem Verfahren zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird, wenn das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des Abs. 18 und 19 – also in so genannten „Übergangsfällen“ – in Bezug auf Anträge auf internationalen Schutz (u.a.) den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes (Z 1) bestätigt.
In diesem Verfahren kann nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht gesagt werden, dass eine Rückkehrentscheidung aufgrund der eingangs getroffenen Feststellungen im Entscheidungszeitpunkt auf Dauer unzulässig wäre.
Daher war – hinsichtlich des Spruchpunktes III des angefochtenen Bescheides – das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 Asylgesetz 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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