BVergG 2018 §327
BVergG 2018 §328 Abs1
BVergG 2018 §333
BVergG 2018 §346
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W131.2238132.3.00
Spruch:
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag Reinhard GRASBÖCK als Vorsitzenden, durch die fachkundige Laienrichterin Dr´a Ilse POHL als Beisitzerin der Auftraggeberseite und durch den fachkundigen Laienrichter Mag Matthias WOHLGEMUTH als Beisitzer der Auftragnehmerseite betreffend das Vergabeverfahren der Auftraggeberin ÖBB-Personenverkehr AG (= AG) mit der Vergabeverfahrenbezeichnung „Rahmenvereinbarung über die Konstruktion, Herstellung und Lieferung von Doppelstock-Elektrotriebzügen" und den diesbezüglich erhobenen Einwendungen (samt diesbezüglichen Begehren auf Ab- oder Zurückweisung des Nachprüfungsantrags und auf Akteneinsicht) der anwaltlich vertretenen XXXX (= MB) gegen den von der XXXX (ASt) wider eine Ausscheidensentscheidung gerichteten Nachprüfungs- und Nichtigerklärungsantrag beschlossen:
A)
Die Einwendungen (samt den Begehren auf Ab- oder Zurückweisung des Nachprüfungsantrags und auf Akteneinsicht) der XXXX wider den gegen eine Ausscheidensentscheidung gerichteten Nachprüfungsantrag der XXXX werden zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.
Begründung:
I. Verfahrensgang:
Die ASt stellte am 28.12.2020 einen Nachprüfungsantrag gegen eine Ausscheidensentscheidung in dem im Entscheidungskopf bezeichneten Vergabeverfahren. Die Ausscheidensentscheidung ist dabei insb auch auf den Grund der vorliegenden Ausschreibungswidrigkeiten nach § 302 Abs 1 Z 5 BVergG gestützt.
Die MB stellte am 04.01.2021 nach telefonischem Vorkontakt mit dem Gericht einen schriftlichen Antrag auf Akteneinsicht unter Hinweis auf ihre Parteistellung und am 05.01.2020 zusätzlich einen Antrag auf Ab- bzw eventualiter Zurückweisung des Nachprüfungsantrags. Die MB leitet ihre Parteistellung maW daraus ab, dass nach dem endgültigen Ausscheiden der ASt eine Konkurrentin weniger im Vergabewettbewerb wäre.
Sowohl die AG als auch die ASt sprachen sich gegen die Parteistellung der MB aus. Die AG gab unbestritten an, dass noch weitere Bieterinnen neben der ASt und der MB am Vergabeverfahren beteiligt bzw im Vergabewettbewerb wären.
Nach dem Aktenstand des BVwG wurden dabei bislang keine weiteren Ausscheidensentscheidungen zu Lasten weiterer Bieterinnen angefochten.
Das Ermittlungsverfahren zum Nachprüfungsverfahren wurde gerichtlich bislang vorrangig zur Verfahrenszahl W131 2238132-1 durchgeführt, die Zurückweisung der Einwendungen der MB erfolgt nunmehr zur Verfahrenszahl W131 2238132-3, um der unterschiedlichen Parteistruktur in diesem Verfahren zu einer Parteistellungsfrage im Vergleich zum eigentlichen Nachprüfungsverfahren Rechnung zu tragen. Die Frage des Pauschalgebührenersatzes wird zur Verfahrenszahl W131 2238132-2 zu entscheiden sein.
Die Rechtsanwaltsanwärterin, die bei der Rechtsvertretung der MB gegenüber dem Gericht auftrat, teilte dem Gericht iSd Verfahrensökonomie am 07.01.2021 am Telefon mit, dass nach den bisherigen zwei Eingaben und Kenntnis der Eingaben der ASt und AG keine weiteren Eingaben mehr erfolgen würden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Für die Auftraggeberin dieses Vergabeverfahrens soll eine Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Bieter abgeschlossen werden
Über den Verfahrensgang und die dort festgehaltenen Verfahrenstatsachen hinaus ist festzustellen, dass die ASt ihren Nachprüfungsantrag gegen eine Ausscheidensentscheidung der streitigen Vergabe richtet.
Unstrittig ist bei der gegenständlichen Vergabeverfahren neben der ASt nicht nur die MB eine Bieterin, die noch nicht endgültig iSd RL 89/665/EWG ausgeschieden ist. Die MB steht daher maW aktuell nicht nur mit der ASt im Vergabewettbewerb um die vergabegegenständliche Rahmenvereinbarung.
Eine Auswahlentscheidung zum Abschluss der Rahmenvereinbarung wurde noch nicht erlassen.
2. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt inkl Verfahrensgang ergeben sich aus den Gerichtsakten zu W 131 2238132-1, -2 und -3. Dass neben der ASt und der MB noch weitere Bieter im Vergabeverfahren sind, ergibt sich aus den unbestrittenen Angaben der AG, die iSv EuGH C-450/06 verwertet werden konnten, ohne hier im Lichte von § 280 Abs 10 BVergG nähere Ausführungen machen zu müssen; dies unbeschadet medialer Berichterstattungen zu dieser Vergabe mit zumindest denkmöglich dortigen weitergehenden Informationen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gegenständlich hatte gemäß § 328 Abs 1 BVergG 2018 = BVergG, BGBl I 2018/65 der ersichtliche Senat gemäß der Geschäftsverteilung des BVwG zu entscheiden und dabei abseits von Sonderverfahrensvorschriften im BVergG gemäß § 333 BVergG das VwGVG und die in § 333 BvergG verwiesenen Bestimmungen des AVG anzuwenden.
Nachdem § 346 BVergG keine besonderen Inhaltserfordernisse für Einwendungen enthält, sind die bisherigen Prozesserklärungen der MB formell als - inhaltlich bei Parteistellung gemäß § 346 Abs 2 BVergG evtl ergänzungsbedürftige - Einwendungen iSv § 346 Abs 3 BVergG zu bewerten - § 13 AVG iVm § 17 VwGVG iVm § 333 BVergG.
Diesem Beschluss liegt dabei die Auffassung zu Grunde, dass im Zwischenverfahren über die Frage der Parteistellung der Parteistellungsprätendent jedenfalls Parteistellung hat; und dass der Akteneinsichtsantrag der Nichtpartei gesondert anfechtbar zu erledigen ist, siehe dazu zB Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 8 Rz 23 und § 17 Rzz 13ff.
Zu A)
3.2. § 346 Abs 2 BVergG ermöglicht für Konkurrenten eines Nachprüfungsantragstellers eine (Neben-)Parteistellung, wohingegen § 346 Abs 3 BVergG die Erhebung von Einwendungen zur Aufrechterhaltung dieser Nebenparteistellung anordnet.
Ergo ist die vorhandene (Neben-) Parteistellung gemäß § 346 Abs 2 BVergG Voraussetzung für die Erhebung von gemäß § 346 Abs 3 zulässigen Einwendungen.
§ 346 lautet insoweit in den hier interessierenden Teilen:
§ 346. (1) Parteien des Nachprüfungsverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht sind jedenfalls der Antragsteller und der Auftraggeber. Soweit eine zentrale Beschaffungsstelle ein Vergabeverfahren oder Teile eines Vergabeverfahrens als vergebende Stelle durchführt, tritt sie als Partei des Nachprüfungsverfahrens an die Stelle des Auftraggebers. Der Auftraggeber kann, soweit die zentrale Beschaffungsstelle an seine Stelle tritt, dem Nachprüfungsverfahren als Nebenintervenient beitreten; §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 und 19 Abs. 1 ZPO sind sinngemäß anzuwenden. Wird ein Vergabeverfahren von mehreren Auftraggebern gemeinsam durchgeführt, so bilden die in der Ausschreibung genannten Auftraggeber eine Streitgenossenschaft im Nachprüfungsverfahren. Die Bestimmungen der §§ 14 und 15 ZPO sind sinngemäß anzuwenden.
(2) Parteien des Nachprüfungsverfahrens sind ferner jene Unternehmer, die durch die vom Antragsteller begehrte Entscheidung unmittelbar in ihren rechtlich geschützten Interessen nachteilig betroffen sein können (Antragsgegner); insbesondere ist im Falle der Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung der für den Zuschlag in Aussicht genommene Bieter Partei des Nachprüfungsverfahrens.
(3) Der in einer Zuschlagsentscheidung [...]. Andere Parteien im Sinne des Abs. 2 verlieren ihre Parteistellung, wenn sie ihre begründeten Einwendungen gegen die vom Antragsteller begehrte Entscheidung nicht binnen zehn Tagen ab Bekanntmachung der Verfahrenseinleitung nach § 345 Abs. 1 erheben. Sofern eine mündliche Verhandlung vor Ablauf dieser Fristen stattfindet, können die Einwendungen spätestens in der mündlichen Verhandlung erhoben werden. § 42 Abs. 3 AVG gilt sinngemäß.
[...]
Da entsprechend den Feststellungen neben der ASt und der MB noch weitere Bieter, die noch nicht endgültig ausgeschieden sind, bei dieser Vergabe mit einem Angebot am Vergabeverfahren beteiligt sind, ist auf § 346 Abs 2 und die darin enthaltene Wortfolge zu verweisen, die [mit tlw hier eingefügten Hervorhebungen] lautet:
... durch die vom Antragsteller begehrte Entscheidung unmittelbar in ihren rechtlich geschützten Interessen nachteilig betroffen sein können ... .
Nach hier vertretener Rechtsauffassung steht die MB dz mit der ASt und weiteren Konkurrentinnen im Vergabewettbewerb um die Rahmenvereinbarung; und ist die MB daher genau aus diesem Grund noch nicht unmittelbar iSd § 346 Abs 2 BVergG von der allfälligen Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung betroffen. Dies wäre denkbar evtl dann der Fall, wenn die MB nurmehr mit der ASt im Wettbewerb stünde bzw wenn bereits eine Auswahlentscheidung zum Abschluss der Rahmenvereinbarung mit der MB erlassen worden wäre.
Da die MB sohin durch die von der ASt begehrte Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung nicht unmittelbar in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen sein kann, weil eben neben der ASt noch weitere Konkurrentinnen im Vergabewettbewerb mit der MB stehen, waren die Einwendungen samt gestellten Begehren der MB in Verneinung deren Parteistellung zurückzuweisen.
Allfällig gegenteilige Gesetzesmaterialien haben insoweit rücksichtlich des aufgezeigten Wortlauts des § 346 Abs 2 BVergG keinen Eingang in den Gesetzeswortlaut gefunden, zumal es bei gegenteiliger Auffassung sonst zu unlösbaren Verfahrenssituationen insb rücksichtlich des § 17 Abs 2 AVG kommen könnte. Eine gleiche Akteneinsicht für alle Verfahrensparteien bei idR geschäftsgeheimnisrelevanten Angebotsdetails im Angebot der ASt bei Erörterung der Ausscheidensentscheidung zu Lasten der ASt (beim Ausscheidensgrund des § 302 Abs 1 Z 5 BVergG) ist im Übrigen auch dem gebotenen raschen Nachprüfungsverfahren iSd Art 1 RL 92/13/EWG idgF nicht förderlich, wenn man zur Feststellung, ob tatsächlich (Betriebs- oder) Geschäftsgeheimnisse vorliegen, mitunter Sachverständige bestellen wird müssen. Geschäftsgeheimnisse, die entscheidungsrelevant für eine Entscheidungsbegründung sein können, müssen idZ mitunter als tragende Gründe wohl in der Entscheidung enthalten sein und zuvor dem Parteiengehör unterzogen werden, ohne dass das BVergG, VwGVG oder AVG insoweit eine Verfahrens- oder Begründungserleichterung bzw zB zwei Begründungsvarianten je Entscheidungsadressaten vorsehen würden. Eine bei den Höchstgerichten anfechtbare Zwischenentscheidung iSv VfGH E 706/2020 ua ist obiter in gleichem Sinn einem raschen Nachprüfungsverfahren abträglich.
Damit erscheint die Verneinung der Parteistellung der MB unionsrechtskonform iSd raschen Nachprüfungsverfahrens. Der effektive Rechtsschutz der MB ist für diese im Rahmen der Bekämpfbarkeit einer allfälligen künftig dz denkmöglichen Auswahlentscheidung zu Gunsten der ASt hinreichend und äquivalent gewährleistet, zumal das österreichische Recht kein Institut der eigenständigen Ausschlussklage aus einem Vergabeverfahren kennt. Hätte die MB recte Parteistellung, hätte der Gesetzgeber zudem iSd dann unionsrechtskonformen effektiven Rechtsschutzes wohl eine Kommunikationspflicht der Ausscheidensentscheidung zu Lasten der ASt auch an die MB vorgesehen, was gegenständlich mit § 280 Abs 10 BVergG konfligieren würde.
Da gegenständlich die Parteistellung gemäß § 346 Abs 2 BVergG dem Grunde nach verneint wurde, waren die Prozesserklärungen der MB auch nicht mehr dahin zu bewerten, ob die MB ihre unmittelbare [...] Betroffenheit in ihren aus dem BVergG heraus zu schützenden subjektiven Rechten durch die begehrte Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung zu Lasten der Konkurrentin bereits hinreichend dargelegt hat.
Zu B) Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil es an einer verfestigten ausdrücklichen Rsp des VwGH dahin fehlt, ob bei der Anfechtung einer Ausscheidensentscheidung ein Konkurrent des Nachprüfungsantragstellers, der mit zumindest noch einem weiteren Konkurrenten aufrecht im Vergabewettbewerb steht, (Neben-) Parteistellung gemäß § 346 Abs 2 BVergG hat.
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